Der böse Garten -  Andreas Steiner

Der böse Garten (eBook)

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2024 | 1. Auflage
464 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-16208-3 (ISBN)
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Deutschland 1927. Als Clara Wegener ihr Medizinstudium beginnt, betritt sie nicht nur den Tempel des Wissens. Besonders in der Irrenheilkunde findet sie vor allem Menschenverachtung, Sadismus und Unwissenschaftlichkeit. Und in der großen Stadt scheint es ähnlich zuzugehen - Korruption, Drogenhandel, sexuelle Exzesse, Dekadenz und Vergnügungssucht. Einzig die selbstbewusste, emanzipierte Eva Gutmann scheint über alle Verdorbenheit erhaben zu sein. Eva hat das Talent, Menschen auf subtile Weise wie Marionetten zu benutzen und für ihre Zwecke zu manipulieren. Clara findet in ihr nicht nur eine Verbündete, sondern glaubt auch, Geborgenheit und Halt durch sie zu finden. Gleichzeitig treibt ein Serienmörder sein Unwesen. Seine Opfer sind oft einflussreiche Männer, die er regelrecht hinzurichten pflegt. Clara offenbart sich eine verrückte Logik darin, die sie selbst zunächst nicht wahrhaben will, denn Eva scheint auf merkwürdige Weise darin verstrickt zu sein. Was hat die all dies mit einer lange zurückliegenden Hinrichtung eines Doppelmörders zu tun? Was spielt Evas schizophrener Bruder Klaus für eine Rolle? Ein Psychothriller über menschliche Abgründe vor dem Hintergrund der goldenen 20er Jahre und dem Vorabend der Dritten Reiches.

Andreas Steiner wurde 1964 in Köln geboren. Er studierte Psychologie (Diplom) und Musik-, und Theater-, Film- Fernsehwissenschaft (M.A.). Schon als Student gewann er mehrere Auszeichnungen als Illustrator und Karikaturist. Nach dem Studium wurde er Psychotherapeut und betreibt eine eigene kassenzugelassene Praxis in Köln, sowie ein eigenes Lehrinstitut für Psychotherapeuten. In seinen Spezialgebieten klinische Hypnose und systemische Therapie bildet er Therapeuten professionell aus. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der politischen Psychologie, insbesondere der Psychodynamik des Nationalsozialismus und der Genese der pathologischen Persönlichkeiten des Dritten Reiches. Andreas Steiner ist in mehreren Fernseh-Dokus als wissenschaftlicher Experte zu sehen. Bibliographie: 'Die schlafende Stadt' - Roman (Steinmeier, 2011) 'Die Kunst der Familienaufstellung' - Fachbuch (Kohlhammer 2019) 'Alles Schicksal? Wie wir Familienmuster überwinden' - Sachbuch (Herder 2020) 'Das Dunkel aus der Zeit' - Roman (BoD 2022) Filmographie: 'Helden der Propanganda' ZDF-Info-Doku (2017), 45 Min. 'Geschichte Mitteldeutschlands: Emmy Göring - die First Lady der Nazis' MDR-Doku (2015), 45 Min. 'Geschichte Mitteldeutschlands: Hitlers williger Vollstrecker -Roland Freisler' MDR-Doku (2014), 45 Min. 'Angst' - TV-Interview in NRW-TV (2012), 60 Min.

Kapitel II.

Dienstag, 10. Mai 1927. Dom des hl. Pankratius. 8:32 Uhr abends.

DER KLANG DER GLOCKEN hallte durch die Abenddämmerung. Der hochgewachsene Mann, der auf die ehrwürdige gotische Kathedrale zuging, hatte in der Abendkühle den Kragen seines schäbigen Mantels hochgeschlagen und den Hut tief ins Gesicht gezogen. Vorsichtig schlich er durch die Schatten der Häuser und beäugte durch seine dicken, runden Brillengläser argwöhnisch den Platz vor dem gewaltigen Gebäude. Der nahegelegene große Fluss schickte feuchten Bodennebel aus, der überall durch die Gassen kroch und auch den Platz vor seinen Augen in geisterhafte Schleier hüllte. Sein nervöser Blick vermochte die Umgebung nur fetzenweise zu erkunden. Nachdem er eine Weile abwägend verharrt hatte, warf er noch einen Blick auf seine Taschenuhr. Acht Uhr abends; ausnahmsweise war er pünktlich. Er pflegte normalerweise, chronisch zu spät zu kommen; für ihn war es angemessen, seinen Rhythmus den Mitmenschen zuzumuten, und er hasste jede Art von Druck und Einengung durch Andere. Hier um diese Zeit einbestellt zu sein, empfand er als Demütigung, die seiner nicht würdig war. Widerstrebend gab er sich nun einen Ruck und schritt zügig über den großen Platz. Dort erklomm er verbissen die Stufen. Das mächtige Hauptportal erwies sich als verschlossen, doch die Tür des Nebeneinganges ließ sich zu seiner Erleichterung öffnen.

Im Dom war es dunkel und kaum wärmer, aber die Sicht war hier wenigstens klar. Verächtlich betrachtete er das Taufbecken, die Kreuze und die zahlreichen flackernden Kerzen, die die lächerlichen Götzenbilder hingerichteter Schwachköpfe beleuchteten. Wie die Menschheit immer wieder dazu gebracht worden war, diese syrische Irrlehre zu ihrem Credo zu machen und Blut, Schweiß und Leben in den Bau steingewordener Machtdelirien zu investieren, brachte jedes Mal sein Blut in Wallung. Er hasste die Macht der Herrschenden, den verlogenen Prunk, diese heuchlerische Heiligkeit.

Beim Betreten des Hauptschiffes hielt er kurz inne. Sein Blick fiel auf das marmorne Weihwasserbecken an dem gewaltigen Pfeiler neben ihm. Trotz seines Abscheus tauchte er seine Finger in das Wasser und bekreuzigte sich. Dann nahm er Kurs auf das Seitenschiff. Ein paar wenige Gläubige saßen versunken in den hinteren Bänken, lächerliche Sklaven ihrer infantilen Ängste, und erhofften das Heil von etwas Höherem, das nur in ihrer Phantasie existierte. Er steuerte sein Ziel an, den vordersten Beichtstuhl, dessen über das Türchen geschlagener Vorhang verriet, dass ein Geistlicher dort drinnen saß – soweit kannte er sich mit den katholischen Gepflogenheiten noch aus. Schwaches Licht, das durch einen Spalt austrat, bestätigte dies. Flüchtig sah er sich noch um, nahm den Hut vom Kopf und betrat den Beichtstuhl. Dort schloss er die Tür hinter sich und kniete nieder.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes!«, flüsterte eine Stimme, und eine von zahlreichen Ringen dekorierte Hand machte das Kreuzzeichen.

»Lass den Quatsch, Meinrad. Ich bin es, Oskar.«

»Der heilige Segen wird dir nicht schaden«, sagte der Geistliche.

»Wenn du das sagst …«

»Ich vermute, du bist wieder einmal in Bedrängnis?«

Oskar kaute auf seiner Unterlippe. »Ja. Das kann man wohl sagen.«

Meinrad drückte sein Gesicht nahe an das Sprechgitter. »Du siehst blass aus«, konstatierte er. »Und dieser schwarze Kinnbart macht es noch schlimmer. Er steht dir nicht.«

»Mein Aussehen lass meine Sorge sein«, entgegnete Oskar.

»Immerhin bist du mein kleiner Bruder. Max und ich machen uns zunehmend Sorgen um dich«, raunte Meinrad. »Fünfundvierzig Jahre bist du jetzt alt, und noch immer hast du dein Leben nicht im Griff.«

»Ich kämpfe für eine gute Sache. Das kostet viel Lebenskraft. Ich glaube daran ebenso fest, wie du an deinen Gott.«

»Mich hat mein Glaube aber zu einer Bestimmung geführt, zu einer wertvollen Aufgabe. Du dagegen hast deinen Platz noch immer nicht gefunden. Wer sagt mir denn, dass das besser wird?«

»Du hast gut reden!«, stieß Oskar hervor, und seine Stimme wurde für kurze Zeit erheblich lauter als für einen Beichtstuhl angemessen. Dann beherrschte er sich und flüsterte erregt weiter: »Du als Kardinal verfügst über Würde, Respekt und eine Menge Geld! Geld, das ein Hofstaat von arbeitenden Gläubigen für dich aufbringt! Ich dagegen trete dafür ein, dass alle Menschen etwas haben!«

»Das Geld, über das ich verfüge, ist größtenteils nicht meines; es gehört der Kirche. Und auch ich arbeite für mein Geld; ich leite ein Bistum, dem viele Gemeinden angehören. Viele Menschen finden bei uns Trost und Geborgenheit.«

»Hätten sie mehr Geld, bräuchten sie die Kirche nicht.«

»Ich verspüre wenig Lust, mit dir über solche Fragen zu diskutieren«, entgegnete der Kardinal jetzt scharf. »Was willst du von mir? Doch sicher jenes Geld, das du glaubst von Moral wegen beanspruchen zu dürfen?«

»Ich beanspruche es nicht. Ich möchte dich nur um einen Gefallen bitten.«

»Wieviel brauchst du?«

Oskar holte tief Luft. »Fünftausend Reichsmark«, antwortete er zerknirscht.

Der Kardinal schwieg. »Für einen Kommunistenführer führst du ein ausschweifendes Leben. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du regelmäßig Damen zu anrüchigen Clubs mitnimmst, sie in teure Restaurants ausführst, sie mit edlen Kleidern ausstaffierst – du lebst völlig über deine Verhältnisse.«

»Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen. Unter meinem Mantel trage ich nurmehr ein zerlöchertes Hemd. Ich bin mit meiner Miete im Rückstand. Zahle ich nicht bald, setzt man mich auf die Straße.«

»Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Du bist wie ein Fass ohne Boden.«

»Wo ist denn die vielgerühmte Barmherzigkeit, von der ihr Paffen immer predigt?«

»Beim heiligen Franziskus! Ich habe dir schon dreimal Geld geliehen! Später erfuhr ich, dass auch Max dich schon unterstützt hat! In ein paar Monaten wirst du wiederum auftauchen!«

»Ich bin dein Bruder!«

»Ach, bist du das? Es fällt dir immer nur dann ein, wenn du in Schwierigkeiten steckst! Ansonsten höre ich nichts von dir außer dem, was man mir so zuträgt. Noch nicht einmal ein gemeinsamer Name verbindet uns mehr miteinander! Wie nennst du dich derzeit?«

»Wernicke. Was soll ich mit Veidt oder Kersch? Ich habe weder mit deinem noch Max‘ Vater etwas zu tun. Ich trage den Namen meiner Großmutter mit Andacht und Stolz.«

»Und warum nicht den Namen unserer Mutter?«

»Weil sie eine gottverdammte Hure war. Ich möchte durch nichts an sie erinnert werden.«

Der Kardinal schnappte nach Luft und fand erst nach einer Weile seine Stimme wieder. »Das Verurteilen anderer fiel dir schon immer leicht«, sagte er dann. »Aber dann finde dich auch damit ab, dass andere sich von dir abwenden.«

»Was willst du damit sagen?«

»Dass ich einen Parasiten wie dich nicht weiter unterstützen werde. Ich vermute, du hast die Chuzpe, mich erneut aufzusuchen, weil du nicht das geringste Unrechtsbewusstsein hast. Du glaubst, die ganze Welt schuldet dir etwas. Ansonsten wärest du eine Spur demütiger. Und ich dulde es nicht, dass du den Namen unserer Mutter beschmutzt, die ihr Leben dafür hingab, dir deines zu schenken.«

»Ich habe nicht darum gebeten. Weder, dass sie mir das Leben schenkt, noch, dass sie dabei verreckt.«

»Deine Wortwahl zeigt, dass du ein Kind der Gosse bist. Das Gespräch ist beendet. Leider kann ich dich von deinen Sünden nicht lossprechen, da bei dir keinerlei Reue zu spüren ist.«

Oskar Werneckes Stimme verwandelte sich in ein lauerndes Raunen. »Du sprichst mir von Unrecht und Reue? Sagt dir der Name Friederike von Orlock etwas?«

»Was willst du mir damit sagen?« Kardinal Meinrad Veidt klang jetzt rau und gequält.

»Ich bitte dich nur um eine Gefälligkeit, nichts weiter.«

Es war still im Beichtstuhl. Um die Lippen des Kardinals formte sich ein bitteres Lächeln. »So«, murmelte er schließlich, »sind wir jetzt also tatsächlich dort angekommen, was Max mir immer prophezeit hat und ich mich stets weigerte zu sehen. Mein kleiner Bruder versucht ganz offen, mich zu erpressen.«

»Ich möchte dich nur darauf hinweisen, dass du keinen Deut besser bist als ich. Ja, ich bin ein Kommunist, der zuweilen zuviel Geld ausgegeben hat. Aus Liebe zu Frauen! Ist das ausschließlich schlecht? Und du? Habt ihr Priester nicht Enthaltsamkeit und Keuschheit gelobt? War da nicht...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-384-16208-0 / 3384162080
ISBN-13 978-3-384-16208-3 / 9783384162083
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