Checkpoint Charlie - 2 x Täglich -  Miriam van Mellen

Checkpoint Charlie - 2 x Täglich (eBook)

Ein Schulweg zwischen Ost und West
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
300 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-16582-4 (ISBN)
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Ein Schulweg zwischen Ost und West nach einer wahren Geschichte. 80ger Jahre, Kalter Krieg, Berlin trennt die Mauer. Die 14-jährige Miriam zieht mit ihren Eltern nach Berlin. In der neuen Großstadt angekommen erfährt sie, dass sie ab jetzt zwar in West-Berlin zur Schule geht, jedoch in Ost-Berlin wohnt. Das ist erstmal, nicht nur für sie, schwer zu verstehen, ermöglicht ihr aber als westdeutsches Mädchen ungewöhnliche Einblicke in die DDR und macht sie zur Grenzgängerin zwischen den Welten.

Nur die Sohlen meiner ausgelatschten Turnschuhe quietschten auf dem heißen Asphalt. Ich kam nachmittags aus der Schule und schritt die neue Strecke bereits ab, als wäre ich sie schon mein Leben lang gelaufen. Die Sonne brannte vom Himmel und die Straße war an diesem heißen Freitagnachmittag wie leergefegt. Bis auf einen langsam vorbeifahrenden, klimatisierten Reisebus, an dessen Scheiben die Menschen mit gezückten Fotoapparaten klebten, war niemand zu sehen.

„Na wie geht’s? Wie war's in der Schule?“, fragte Herr Weißhaupt mit einem Lächeln und winkte mich mit geübtem Kopfnicken und einem eigentlich nicht vorhandenen Blick in meine Klappkarte vorbei. Der Türöffner summte und ich ließ die Gittertür hinter mir zufallen.

„Geht so. Viele Hausaufgaben und Montag ´ne Mathe-Arbeit“, antwortete ich im Vorbeigehen.

Herr Weißhaupt nickte mir zu, „na, du bist doch gut in der Schule, das machste doch mit links.“

„Ach, ich weiß nicht.“

„Natürlich, die letzte Mathe-Arbeit war eine zwei, das kannst du“, ermutigte er mich.

„Stimmt, das war eine zwei. Das wissen sie noch?“

„Ja klar, wie könnte ich so was bei meiner liebsten Passantin vergessen!“ Ich grinste überrascht und er zwinkerte zurück während ich weiterlief.

„Na dann, wünsch ich dir noch n´en schönen Tag“, rief er mir hinterher.

„Danke“, murmelte ich und setzte meinen Weg die Friedrichstraße hinunter fort. An der Ecke Schützenstraße, bog ich rechts auf ein Leergrundstück ein, schlängelte meinen Weg über Trampelpfade durch angrenzendes Brachland mit stehengelassenen, alten Mauerfundamenten und Buschwerk. So konnte ich meinen Nachhauseweg extrem abkürzen. Im Hintergrund sah ich schon die blauweißen, 10-stöckigen Hochhäuser, in den Himmel ragen.

Weißhaupt war nett. Er war ein sympathischer, älterer Mann mit einer etwas kantigen Statur und dem gutmütigen Gesicht eines Bären. Sein üppiges Haar war schlohweiß und da ich seinen richtigen Namen nie erfahren habe, wurde er für mich zu „Herrn Weißhaupt“. Immer hatte er ein nettes Wort auf den Lippen, was ich oft genug auf meinem Weg gebrauchen konnte. Morgens trug er einen langen grauen Mantel über seiner Uniform, den er mit einem Gürtel zumachte. Seine Uniform war die eines „Vopos“, genauer gesagt eines Grenzoffiziers der DDR und er arbeitete am Grenzübergang „Checkpoint Charlie“, den ich damals zweimal täglich auf meinem Schulweg überquerte.

Am nächsten Tag, einem Samstag im Jahr 1984, landete ich nach einem Einkaufsbummel am Alex, in der Milchbar im Palast der Republik gegenüber vom Dom im Zentrum von Ost - Berlin. Die Milchbar im 1. Stock hatte nicht nur einen langen Tresen und viele Tische mit Stühlen, es gab auch eine Tanzfläche. Durch die großen Glasscheiben konnte ich erkennen, dass dort die Hölle los war und sich viele Paare jeden Alters zur Musik drehten. Wie vor den meisten Restaurants, war auch hier eine lange Schlange von Wartenden und ich stellte mich hinten an. Mittlerweile hatte ich gelernt, dass die Menschen in der DDR vor Restaurants oder Kneipen oft anstehen mussten, normalerweise bis zu einer Stunde. Doch auch hier hatten die Kellner einen untrüglichen Sinn dafür, wer aus dem Westen kam und dann auch mit West-Geld bezahlte und so winkte mich der Türsteher schon nach ein paar Minuten nach vorne und bat mich herein. Als ich an den Wartenden vorbeiging, schauten sie mir neugierig hinterher, aber keiner maulte oder sagte etwas. Es wurde einfach still hingenommen, dass manche bevorzugt wurden. Eigentlich wollte ich nicht so gerne als „anders“ erkannt werden und solche „Extra-Würste“ waren mir meist peinlich, aber ich muss zugeben, dass sich der ungeduldige Teil von mir darüber freute.

In der Milchbar, die den Blick ins Restaurant freigab, konnte man ungezwungen an einem Tresen herumhängen ohne besonders aufzufallen und daher war dieser Ort ideal. Ich war 14 Jahre alt, saß das erste Mal in meinem Leben alleine an einer Bar, in einer mir völlig unbekannten Umgebung, bestellte mir einen Erdbeer-Milchshake und fühlte mich furchtbar erwachsen. Der Milkshake, der mir schon kurze Zeit später vor die Nase geschoben wurde, war leuchtend rosa und schmeckte nicht wirklich nach Erdbeeren, aber er war zuckersüß und ich fand ihn sehr lecker. Jetzt genau das Richtige. Plötzlich standen zwei Jungen neben mir. Der eine war blond, groß und schlaksig, der andere hatte dunklere Haare und war eher kräftig und klein. Vielleicht war er so groß wie ich, was nicht besonders groß ist, aber er wirkte eindeutig wie der Anführer von beiden. Während der Blonde unbeholfen von einem Bein aufs andere wippte, fragte der Dunkelhaarige:

"Na, öfter hier?"

Mit einem gezwungenen Lächeln nickte ich und das schien ihn zu ermuntern.

"Wir auch, gibt ja nachmittags auch nicht viel anderes."

Vorsichtig schaute ich mir beide näher an, während sie ihrerseits den Blick über die Tanzfläche schweifen ließen. Sie waren etwas älter als ich und trugen Jeans und Jeansjacke, was mich etwas erstaunte, denn ich hatte gehört, dass Jeans in der DDR schwer zu bekommen waren. Aber trotzdem wirkte ihre Aufmachung auf mich eigenartig, irgendwie anders als ich mich anzog. Es fehlten die kleinen Accessoires, die Details, die modischen Kleinigkeiten, die ich so gewohnt war – T-shirts mit coolem Aufdruck, Buttons, Aufnäher, Modeschmuck oder eine Kappe, die ein Styling erst ausmachte. Trotzdem gefielen mir die beiden und ich war ziemlich aufgeregt. Ich war noch nie in einer Bar angesprochen worden und schon gar nicht von älteren Jungs, die offensichtlich ein Gespräch mit mir suchten.

"Aber so richtig spannend ist das hier auch nicht… “, holte mich der Dunkelhaarige aus meinen Gedanken zurück, „nach sechs Uhr drehen sie hier manchmal die Musik etwas lauter. Aber im Moment ist noch Schleifenziehen der Alten angesagt, siehste ja."

Ich hielt mein Glas hoch und grinste:

„Aber die Shakes sind super.“

„Die sind urst“, beide grinsten zurück, hoben ihre Gläser und stießen mit mir an. Ich musste kurz stutzen, weil ich nicht wusste was er mit „urst“ meinte, aber da versuchte es der Dunkelhaarige gleich wieder.

"Wohnst du hier in der Nähe?"

„Ja“, war meine ziemlich einsilbige Antwort.

„Wo denn?“

„Leipziger Straße.“

„Echt komisch, ich habe dich noch nie im Impuls gesehen.“

„Wo?“ fragte ich leichtsinnig

„Im Jugend-Club Impuls. Sag mal kennst du den nicht? Der ist doch in der Markgrafenstrasse, bei dir um die Ecke.“

„Ich wohne noch nicht lange in der Leipziger“, redete ich mich schnell raus.

„Aha, wie lange denn?“

„Drei Monate.“

„Na, dann musst du ja mal mit uns mitkommen, wir zeigen dir die Gegend. Freitags ist immer Disko.“

Ich lächelte, nahm einen Schluck vom Shake: „Ja gern.“

„Wie heißt du eigentlich?“

Daraufhin hielt er mir seine Hand hin, echt merkwürdig! Das hatte ich noch nie gesehen, zumindest nicht unter Leuten in unserem Alter. Mit Handschlag begrüßten sich sonst nur Erwachsene, die ganz förmlich sein wollten, bei Geschäftsessen und so.

„Ich heiße Torsten und das ist mein Kumpel Andreas“, Torsten zeigte auf den schlaksigen Kerl neben sich. Andreas nickte und gab mir auch automatisch die Hand. Er hatte bis dahin keinen Ton gesagt. Torsten führte das Gespräch „Und Du?“

„Was?“

„Na, wie du heißt?“

Es verging ein Moment, dann erst antwortete ich „Mix.“

„Wie?“ platzte es gleichzeitig aus beiden raus.

„Äh… Miriam, aber alle nennen mich nur Mix.“ Beide nickten.

„Wo gehst du denn zur Schule?“

Panik - Da war sie, die Frage - ich kriegte Herzrasen - Was sollte ich machen, die Katze aus dem Sack lassen - Ehrlich sein?

„Miriam?… Mix?“

Torsten schaute mich fragend an, ich lächelte und sagte dann schließlich nuschelnd:

„Leibniz Oberschule.“

Ich benutzte bewusst das Wort „Oberschule“ und nicht „Gymnasium“. Ich wusste schon, dass das sonst ziemlich auffällig gewesen wäre, außerdem hoffte ich, sie würden dann aufhören nachzufragen. Torsten sah mir direkt in die Augen, „wohin?“

Ich blinzelte.

Jetzt schaute er Andreas an, „kenn ich gar nicht, Du?“ Andreas schüttelte den Kopf.

„Wo ist die denn?“

Nach einer längeren Pause gab ich schließlich zu:

„…in Kreuzberg.“

Andreas und Torsten tauschten fragende Blicke, dann ungläubige.

„Was...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-384-16582-9 / 3384165829
ISBN-13 978-3-384-16582-4 / 9783384165824
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