ECHO -  Ralf Brandt

ECHO (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
498 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-0716-8 (ISBN)
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Immer wieder verschwinden Kinder - ausschließlich Jungen - und die Polizei tritt auf der Stelle. Erst, als der abgehalfterte Ex-Star der Polizei, Frank Girot, Daniel und seiner Freundin Hannah begegnet, kommt Bewegung in die Sache - denn Daniel kann durch die Zeit sehen. Schnell aber sind Girot, Daniel und Hannah im Visier eines skrupellosen Kinderschändernetzwerks - und während eine junge Liebe entsteht, ziehen am Horizont der Zukunft dunkle Wolken auf...und das Trio kämpft nicht nur gegen eine Seite des Gesetzes. Ein dunkler Thriller voller Verrat, Liebe und Verlust.

Nie geradeaus, manchmal auch im Kreis - das ist die Quintessenz meiner Biographie. Dafür wurde es nie langweilig. 1979 in Weimar geboren, dort bis auf ein paar Jahre auch geblieben. Vom Hauptschulabschluss zum Abitur und zur Uni gekämpft, heute DaZ-Lehrkraft. Glücklicher Mann der besten Frau und überglücklicher Vater der allerbesten Tochter. Früher eher kurzes geschrieben, bis sich irgendwann mit ECHO das erste Buch geradezu aufdängelte.

21. November

 

1

Der Mann saß in einem silbergrauen Mercedes. Regen prasselte auf das Autodach und der Wind wehte pfeifend um die Karosserie, draußen herrschten keine fünf Grad und jeder, der es irgendwie einrichten konnte, versuchte, diesem Wetter so schnell als irgend möglich zu entkommen. Trotzdem saß der Mann seit über einer Stunde in seinem Auto, den Motor ausgeschalten, obwohl das bedeutete, dass auch die Heizung nicht lief.

Der Mann trug einen Anzug, der ebenfalls silbergrau, nur ein paar Nuancen dunkler als sein Wagen war, darunter ein schwarzes Hemd nebst passender Krawatte. Vor der Kälte schützte ihn ein anthrazitfarbener langer Mantel mit Bronzeknöpfen, in den sich der Mann tief zurückgezogen hatte, um der eindringenden Kälte Paroli zu bieten. Wagen und Mann sahen sehr gepflegt aus. Der Mercedes wies trotz des Wetters kaum einen Spritzer Matsch auf, der Innenraum war von jedem Staubkorn befreit und die Holzvertäfelung an den Innentüren und am Armaturenbrett war kratzerfrei und poliert. Der Mann selbst war frisch rasiert, seine kurzen, schwarzen Haare mit den vereinzelten, wie eingewirkt scheinenden silbrigen Ansätzen waren zugleich ordentlich und doch lässig mit Wachs in Form gebracht, seine auf den Knien trommelnden Fingernägel sauber und kurzgeschnitten. Hätte man unter Mantel und Anzug sehen können, wäre einem kein überflüssiges Gramm Fett ins Auge gesprungen, nur gut trainierte Muskeln, die das Hemd gelegentlich anspannten - nicht einmal der für dieses Alter typische kleine Wohlstandsbauch wäre auszumachen gewesen.

Der Mann war tief in seinen Sitz gerutscht, tief genug, um nur dem aufmerksamen Betrachter aufzufallen - und er kannte die Menschen gut genug, um zu wissen, dass es kaum je einen aufmerksamen Betrachter geben würde -, aber nicht so tief, dass er das Gebäude nicht mehr sehen könnte, das er im Auge hatte. Das große Haus lag fast schon idyllisch in einer Art kleiner Parkanlage, der Weg zum Haupteingang war gesäumt mit Ahornbäumen, deren Blätter inzwischen weitestgehend abgefallen und von einem fleißigen Hausmeister zusammengefegt waren. Hinter den Bäumen standen vereinzelte Hecken und kleine Bäume und dazwischen allerlei Spielgeräte: Hier eine Rutsche, dort ein Klettergerüst und dem Haupteingang am nächsten ein Schaukelgestell mit vier Schaukeln, die im Wind ungleichmäßig in alle Richtungen fliehen wollten.

Das Haus selbst war ein typischer Backsteinbau, wie es so viele dieser Art gibt, mit einer großen, zweiflügligen Tür nebst Türbogen, vielen herbstlich geschmückten Fenstern und einem Dach, dessen Ziegelrot sich nicht gut mit dem Rot der Backsteine vertragen wollte. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, waren fast alle Fenster erleuchtet, schließlich ließen die dunklen, tiefhängenden Wolken, die seit mehreren Tagen am Himmel festgenagelt und deren Wasservorräte endlos schienen, nur eben genug Licht durch, dass die Vögel am Morgen noch erwachten und ihr Tagwerk verrichteten. Und so deprimierend die Außenwelt auch schien, dieses beleuchtete Haus umgab eine Aura des Lebens und der Freude, selbst der ernste, verwaschen steinerne Schriftzug »Grundschule« über der geschwungenen Pforte konnte nicht davon ablenken, dass hier gelacht, getobt und gespielt wurde.

Der Mann sah dies alles aufmerksam an, genauso, wie er es in den letzten Wochen immer wieder angesehen hatte. Tag für Tag, aber in immer unterschiedlichen Fahrzeugen (die meisten von AVIS oder Hertz, heute war er endlich und zum ersten Mal in seinem eigenen Auto hier - auch wenn es nicht seine Nummernschilder waren, die vorn und hinten angebracht waren) von immer unterschiedlichen Stellen aus. Nervös schaute er auf die Uhr des Mercedes. Es war fünf Minuten vor zwei. Noch fünf Minuten, bis die Klingel einem weiteren Tag ein Ende machte, noch fünf Minuten, bis die Kinder herauskamen und entweder von ihren Eltern abgeholt werden würden oder sich selbst auf den Heimweg machten.

Er hatte nicht vor, Kevin hier schon anzusprechen. Zu viele Zeugen, zu viele Möglichkeiten. Er kannte den Heimweg des Jungen und wusste genau, wo er ihn erwischen wollte. Was er nicht wusste, wessen er sich absolut sicher sein musste, war, dass der Junge auch wirklich da war. Dass er auch wirklich den üblichen Heimweg nehmen würde und nicht etwas sein Vater ihn abholen würde, wie es in den letzten drei Wochen zweimal geschehen war. Das wäre das Ende seines Planes, und er wusste, es musste heute sein oder nie. Er fühlte sich langsam unbehaglich, trotz der vielen Vorsichtsmaßnahmen beobachtete er diese Schule und Kevin schon sehr lange und es würde das Glück zu sehr herausfordern, hier noch länger zu bleiben.

 

 

2

Als er die Schulklingel dumpf durch die geschlossenen Scheiben des Mercedes hörte, richtete sich der Mann etwas auf und sah klopfenden Herzens zur Tür. Dutzende Kinder kamen lärmend und lachend den Weg entlang gestürmt und fächerten sich nach dem Gartentor nach rechts und links und geradeaus und auf die wartenden Eltern hinzu auf. Der Mann schaute angespannt auf den Weg, der nach links wegführte, dort würde Kevin seiner Erwartung nach abbiegen, wenn er Richtung seines Elternhauses wollte. Er fühlte, wie ihm der Schweiß an den Seiten und am Rücken entlanglief als sich die Reihen der Kinder lichteten und Kevin noch immer nicht zu sehen war. Gerade, als er begann zu fürchten, dass all seine Bemühungen in den letzten Wochen umsonst gewesen sein könnten, schlenderte der Junge müßig aus dem Schulhaus und den Parkweg entlang. Seine Tasche trug er in einer Hand und ließ sie immer wieder gegen sein rechtes Knie fallen, mit welchem er die Tasche tretend malträtierte. Sein rotgrüner Schal hing sehr weit aus seinem blauen Parka heraus und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, der deutlich sagte, dass dies alles war, aber nicht sein Tag.

Er bog nach links ab, wie erwartet, trat trotzig in jede Pfütze, die er finden, ruinierte sich Turnschuhe und Jeans, und trottete so ohne jede Eile die Straße entlang.

Der Mann lächelte und atmete mit einem Seufzer, dessen er sich gar nicht bewusst war, tief aus. Nun, da es doch schien, als ginge alles seinen Gang, fiel jede Nervosität von ihm ab, bemächtigte sich seiner eine tiefe und kalte innere Ruhe. Er ließ den Mercedes an und fuhr gemächlich in eine Seitenstraße, die parallel zum Laufweg des Jungen führte. Er beschleunigte etwas und bog drei Kreuzungen später in eine weitere Seitenstraße ab, in der der Junge ein paar Minuten später auftauchen müsste. Er holte seine Ausrüstung vom Rücksitz und schaute gelassen in den Rückspiegel, während er darauf wartete, mit der Show beginnen zu können.

Der Mann freute sich auf Kevin, obwohl er nicht einmal wusste, wie der Junge wirklich hieß. Er nannte ihn einfach Kevin, weil er fand, dass er wie ein Kevin aussah. Er hatte in den letzten Wochen den Weg des Jungen immer weiter nachverfolgt, jeden Tag nur ein kleines Stück, damit Kevin keinen Verdacht schöpfen konnte, hatte ausgeharrt, gewartet und beobachtet - und heute sollte der Tag sein. Die Straße war mit Bedacht ausgewählt, so oft er hier stand, nie hatte er um diese Zeit einen anderen Menschen gesehen, außer Kevin nicht einmal andere Kinder, die von der Schule kamen. Und so schlug sein Herz umso höher, als er im Rückspiegel einen braunen Lieferwagen hinter sich halten sah. UPS, ausgerechnet heute! Der Mann sank in seinen Sitz zurück, versuchte, sich unsichtbar für den Lieferanten zu machen, der ungeduldig vor einer Tür stand, die nicht geöffnet wurde und verfluchte ihn innerlich in jeder ihm bekannten Sprache, einschließlich des Wichsers, der das Paket bestellt hatte und das Arschloch, das das Paket so aufgegeben hatte, dass es genau heute genau hier ankommen musste. Der Mann zwang sich, tief und langsam zu atmen, er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat und fürchtete, zutiefst verdächtig auszusehen, sollte der Lahmarsch von UPS-Mann zufällig einen genaueren Blick in das Auto vor ihm werfen.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, klebte der fast schon faschistoid braun eingekleidete Lieferant einen Zettel an die Tür (sicherlich mit einer bekloppt fröhlichen Nachricht wie »Ihr freundlicher UPS-Lieferservice hat Sie heute leider nicht antreffen können...« oder etwas ähnlich Infantilem), trug das lächerlich kleine Päckchen zurück in den Lieferwagen und fuhr an ihm vorbei und ein paar hundert Meter weiter vorn um eine Ecke - natürlich ohne zu blinken, Lieferdienst eben.

Keine Minute später sah der Mann, der sich eben wieder aufgerappelt hatte und noch dabei war, seine Gedanken wieder in geordnete und vor allem ruhige Bahnen zu lenken, im rechten Außenspiegel den Jungen in die Straße biegen. Der Mann atmete tief durch, haderte kurz mit sich, ob er nicht doch einen anderen Zeitpunkt wählen sollte und entschied nach einem weiteren Blick in den Rückspiegel, dass es heute sein musste. Dass es genau jetzt sein musste.

 

 

3

Er faltete den Stadtplan, der die ganze Zeit geduldig auf seinem Schoß gelegen hatte, hastig auseinander und behielt den Jungen im Rückspiegel im Auge, der immer noch gegen seine Tasche tretend und immer noch mit grimmigem Gesichtsausdruck langsam näherkam. Als Kevin den Mercedes passierte, ließ er - wieder ganz die Ruhe - das elektrische Fenster der Beifahrertür hinab gleiten.

»Hey, Junge! Hey, du, kannst du mir bitte kurz helfen?«

Der Junge fuhr ärgerlich herum, in seinem Gesicht spielte sich ein kurzer Kampf ab, ob er einfach weitergehen sollte oder nicht, der autoritäre Klang in der Stimme bewegte ihn aber doch dazu, sich dem offenen Fenster zu nähern und fragend in das Auto zu schauen.

»Was denn?«, fragte er.

»Ich glaub, ich hab mich total...

Erscheint lt. Verlag 24.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7598-0716-X / 375980716X
ISBN-13 978-3-7598-0716-8 / 9783759807168
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