Siebzehn schlesische Schwänke -  Ewald Gerhard Seeliger

Siebzehn schlesische Schwänke (eBook)

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2024 | 1. Auflage
330 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3836-3 (ISBN)
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Ewger Seeligers Siebzehn Schlesische Schwänke sind Geschichten vom alten Schlesien und den Schlesiern, die in keinem Geschichtsbuch stehen. Sie erzählen von Helden und Deserteuren, Kavalieren und Jungfrauen, von Gaunern und Schelmen, von Liebe, Lust und Leidenschaft. Von 1275 bis 1813: Die Hahnkrähe (1275) Der Breslauer Bierkrieg (1380) Das Fest der Käthemägde (1520) Die Pfaffenhochzeit zu Görlitz (1524) Die Liegnitzer Geisterei (1525) Frau Ziporas Witwenschaft (1569) Die Braut wider Willen (1579) Wie der tolle Tarnau warb (1594) Friedrich von Logaus erste Liebe (1615) Die kaiserlichen Quartiermacher (1636) Die vierzehn kurbrandenburgischen Nothelfer (1654) Das Schweidnitzer Narrenhäusel (1676) Die Kammerjungfer des Grafen Maltzan (1681) Rübezahl als Laborant (1738) Cäsar Müßigbrot, der Deserteur (1760) Das Quaritzer Gespenst (1763) Wie Großglogau befreit wurde (1813)

Ewald Gerhard Hartmann alias Ewger Seeliger, geboren am 11. Oktober 1877 in Schlesien, zu Rathau, Kreis Brieg, gestorben 8. Juni 1959 in Cham/Oberpfalz, zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Er war nicht nur Erfolgsautor, sondern auch ein humoristischer Querdenker. Sein provokantes Handbuch des Schwindels brachte ihn vor Gericht und sogar zur Beobachtung in eine Nervenheilanstalt. Nicht nur seine jüdische Ehefrau, sondern auch sein provozierendes Verhalten den Nazis gegenüber bewirkten den Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer und somit das Ende seiner Karriere. Zu seinen bekanntesten Werken gehört Peter Voss der Millionendieb. Seine beiden historischen Barockromane Junker Schlörks tolle Liebschaften und Vielgeliebte Falsette wurden in der Adenauer-Ära der BRD wegen ihres erotischen Inhalts auf den Index gesetzt und somit verboten. Seine schlesische Heimat beschreibt er in Siebzehn schlesische Schwänke, Schlesien, ein Buch Balladen, Schlesische Historien und in vielen Romanen.

1. Die Hahnkrähe (1275)


Von der Hahnkrähe, einer uralten Weichbildsäule, die noch heute am Ende der Friedrich-Wilhelm-Straße steht, erzählten sich die alten, guten Breslauer eine Geschichte, die sowohl ihrer Leichtgläubigkeit als auch ihrer Einbildungskraft alle Ehre macht. Jenes Steinmal, das nichts anderes ist als das Grenzzeichen zwischen der alten polnischen Siedlung Scepine und dem kühn aufstrebenden deutschen Kaufplatz Breslau, soll nämlich ein Rittersmann gestiftet haben zum Andenken an seine wunderbare Errettung aus den Klauen des Satans. Seine junge Gemahlin harrte damals jahrelang auf seine Rückkehr aus dem gelobten Land. Und als sie bestimmte Nachricht von seinem Tode zu haben glaubte, gab sie dem Drängen ihrer Familie nach und willigte ein, einem anderen Manne die Hand zu reichen. Das aber erfuhr der Ritter durch den Satan, der schon lange nach dieser frommen Seele Gelüsten trug, und er bot ihm an, ihn durch die Luft in einer Nacht nach seiner Heimat zurückzuführen. Dafür aber musste ihm der Ritter seine Seele verpfänden. Sofort hub ein Fliegen an, dass ihm Hören und Sehen verging. Als sie aber in der Morgendämmerung über Breslau waren, krähte der Hahn, die Nacht war vorbei, und mit einem fürchterlichen Fluch ließ der Satan den Ritter zur Erde fallen, genau an der Stelle, wo die Hahnkrähe steht. Die Hochzeit wurde vereitelt, die holde Gemahlin fiel dem Totgeglaubten um den Hals, der Nebenbuhler drückte sich in das Dunkel, aus dem er aufgetaucht war, und die Hölle war wieder einmal gründlich betrogen.

Nun aber hat sich nach den neueren historischen Forschungen diese Geschichte ganz anders abgespielt, durchaus nicht so heldenhaft und wunderbar, sondern ganz natürlich und überaus vernünftig.

Um die Zeit, als die Kreuzzüge im Sterben lagen und die Mongolen nach der Schlacht von Wahlstatt dem bis auf die Dominsel verbrannten Breslau für immer den Rücken kehrten, zogen zwei frische Knappen Heinrich und Konrad, kurzweg Hinze und Kunze genannt, aus der Maingegend nach Schlesien. Sie hießen nichts ihr Eigen als Rüstung, Gaul und ihre Blutsbruderschaft. In Nürnberg pfändete man ihnen die Gäule, die Rüstung mussten sie in Prag zurücklassen, und so behielten sie nichts anderes als ihre Freundschaft und ihren Durst, mit dem sie endlich im „Letzten Heller“ vor Breslau landeten. Hier hörten sie zum ersten Mal von dem reichen Edelfräulein Pelagia, die in Scepine auf dem Herrenhofe wohnte und irgendeines Freiers harrte. Der Hellerwirt, der den Schalk im Nacken hatte, schilderte sie als ein Muster aller fraulichen Tugenden, so dass die beiden fränkischen Burschen sofort entschlossen waren, den Gang zu wagen. Vorher aber machten sie aus, dass der Auserwählte den Verschmähten niemals im Stich lassen sollte.

Als sie auf den Hof kamen, schauten sie sich schon bedenklich an, denn die polnische Wirtschaft, die dort herrschte, war ihnen etwas Ungewohntes.

„Es soll nicht guttun, Herzbruder“, sprach Hinze, der Bedächtigere, „wenn ein Deutscher eine Polin freit.“

„Quarkspitzen!“, erwiderte Kunze kurz entschlossen. „Wenn sie nur nicht zu hässlich ist.“

Davon überzeugten sie sich denn, als sie kurz darauf vor der Jungfrau Augen traten. Sie war über die erste Jugend hinaus, von fraulicher Fülle, ihre Kleidung war reich, und auch sonst schien es ihr an nichts zu fehlen. Nur um den Mund hatte sie einige scharfe Fältchen, die Hinzes Misstrauen bestärkten. Er stieß seinen Freund heimlich an, um ihn zu ermuntern, denn der war etwas verstört, und plötzlich platzten sie beide gleichzeitig mit ihrem Begehren heraus.

Jungfrau Pelagia musterte beide eingehend und hieß sie am nächsten Morgen wiederkommen. Doch sobald entschied sie sich nicht, ließ sich vielmehr von beiden den Hof machen und prüfte sorglich, wer der für sie der Geeignetste sei. Sie verlangte von ihrem zukünftigen Gemahl vor allen Dingen Unterwürfigkeit und Gehorsam; auch gab sie gar viel auf Frömmigkeit, außerdem war sie von einem niederen Geize besessen, sobald die Kirche nicht in Frage kam. Dieses weltlichen Geizes wegen hatte sich auch bisher keiner an sie herangewagt. Wie sie auch forschte, Hinze und Kunze taten es sich in Dienstbereitschaft und Gehorsam zuvor, dass sogar ihre Eifersucht darüber zu erwachen begann. Da sie aber ihre Freundschaft höher hielten, drangen sie in Pelagia, endlich eine Entscheidung zu treffen. Der aber gefiel es sehr gut, sich von zweien hofieren zu lassen, die beide jung und in gutem Safte waren, so dass sie die Wahl immer wieder hinausschob.

Darum setzten sich die beiden im „Letzten Heller“ hinter einen großen Krug der mit echt Leubuser Gewächs gefüllt war. Eine bessere Sorte wollte der Wirt nicht wagen, dieweil ihm die Aussicht auf die Mitgift noch nicht sicher genug war. Hinze und Kunze tranken bis Mitternacht und wurden nicht einig wer die Jungfrau freien sollte. Jeder überbot den andern durch seinen Edelmut, jeder wollte dem andern den Vortritt lassen, bis sie endlich übereinkamen, den Zufall entscheiden zu lassen. Wer zuerst den Hahn krähen hörte, der sollte der Erwählte sein. So saßen sie bis in die Morgenfrühe, und der Hahn krähte zum ersten Male.

„Ich hab ihn gehört“, rief Hinze freudig.

„Auch ich hab ihn gehört“, schrie Kunze wütend.

Bald wären sie sich darüber in die Haare geraten, doch wieder siegte ihre Freundschaft.

Nun beschlossen sie, einen Gang durch die Stadt zu machen. Wer dabei den ersten Hahn sehen würde, der sollte Jungfrau Pelagia freien dürfen. Und als sie aus dem „Letzten Heller“ traten, ging gerade die Sonne auf und beschien die Weichbildsäule, in deren Krönungsnische das Relief eines krähenden Hahnes ausgemeißelt war.

„Ich sehe einen“, rief Hinze.

Kunze aber sah ihn nicht und musste sich erst von seinem Freund zurechtweisen lassen.

„Das soll ein Hahn sein?“, fragte Kunze verwundert. „Das ist ein steinerner Hahn.“

„Aber es ist ein Hahn!“, entgegnete Hinze, und so musste ihm Kunze wohl oder übel den Vortritt lassen.

Seitdem kam er Hinze bei Jungfrau Pelagia nicht mehr in die Quere, so dass bald darauf die Hochzeit gefeiert werden konnte. Kunze ritt im Hochzeitszuge voraus, leitete ihn nach Breslau in die Magdalen en-kirche und lenkte dann zum „Letzten Heller“ zurück, wo er mit Ungeduld auf das gute Leben wartete, dem er sich mit Hilfe seines nun reich gewordenen Freundes mit ganzer Seele hingeben wollte. Aber für Hinze, den Ehemann, waren die guten Tage für immer vorbei. Seine Ehegemahlin quälte ihn mit ihren unerträglichen Launen und hielt den Daumen so fest auf den Beutel, dass sich auch kein Gröschel herauswagte. Nur wenn einer ihrer zahlreichen Beichtväter erschien, oder die frommen Frauen von Santa Clara ihren Besuch ansagten, dann kamen die Goldgulden in ganzen Rudeln herausgehüpft. Hinzes Taschen aber waren und blieben stets leer, und gar oft kam er in Versuchung, sich bei Kunze ein paar Kupferflecke auszuleihen. Doch er hielt an sich aus Scham und lobte seine Frau über alles, nur um seinen Reinfall zu verschleiern. Dabei machte er Schulden über Schulden für sich und Bruder Kunze, der nichts von all dem Unglück ahnte, bis es dem Hellerwirt zu viel wurde. Er drohte, Frau Pelagia reinen Wem einzuschenken, und Hinze sah keinen anderen Ausweg als die Flucht. Und er baute seinen Plan auf ihre Frömmigkeit.

„Liebste Ehefrau“, sprach er eines Tages und schlug die Augen zum Himmel auf, „mir ist im Traum ein Engel erschienen und hat mir befohlen, alsobald eine Fahrt ins Heilige Land zu tun.“

„So will ich Euch begleiten, lieber Herr“, erwiderte sie, „damit auch ich des Segens teilhaftig werde.“

„Das darf nicht sein“, rief Hinze schnell gefasst, „denn der Engel hat mir auf die Seele gebunden, die Fahrt ganz allein zu vollbringen. Dagegen soll ich an jedem heiligen Ort drei von Euem Goldgulden niederlegen.“

Frau Pelagia traute ihm nicht, machte ein Gesicht wie zwei Tage Hagelwetter und hüllte sich in Schweigen.

Noch dreimal musste der Engel wiederkehren und zuletzt mit den schärfsten Höllenstrafen drohen, ehe sie mit den Goldgulden herausrückte, und es waren deren nicht wenige nötig, denn die Reise sollte über Rom gehen. Er nahm zärtlichen Abschied von seiner holden Gemahlin, aber nicht von seinem Herzbruder Kunze, den vergaß er in seiner Freude, und war froh, als er dem Gaul die Sporen geben konnte. Erst in Prag machte er Rast.

Hier ließ er mehr als drei Gulden davonspringen, erzählte in einer Herberge, wo die Kaufleute einkehrten, dass Herr Hinze aus Scepine unter die Türken geraten und wahrscheinlich des Lebens verlustig gegangen wäre, und zog mit einer jungen, frischen, rotblonden Dime, die ihm besser behagte als Frau Pelagia, in das schöne Land Italia, wo der Wein süßer und feunger floss als der saure Krätzer im „Letzten Heller“.

Dort saß Kunze als Pfandstück für die gemeinsam gemachten Schulden ganz auf dem...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7597-3836-2 / 3759738362
ISBN-13 978-3-7597-3836-3 / 9783759738363
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