Erinnerungen (eBook)
656 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12329-6 (ISBN)
Wolfgang Schäuble (1942-2023) war seit 1972 bis zu seinem Tod am 26. Dezember 2023 Mitglied des Deutschen Bundestages. Schäuble bekleidete wichtige Ämter in seiner Partei, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und in mehreren Bundesregierungen; unter Angela Merkel wurde er Innenminister und einflussreicher Finanzminister. Von 2017 bis 2021 bekleidete er als Bundestagspräsident das zweithöchste Staatsamt.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 34/2024) — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 33/2024) — Platz 17
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 18/2024) — Platz 1
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 17/2024) — Platz 1
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 16/2024) — Platz 5
Wolfgang Schäuble (1942–2023) war seit 1972 bis zu seinem Tod am 26. Dezember 2023 Mitglied des Deutschen Bundestages. Schäuble bekleidete wichtige Ämter in seiner Partei, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und in mehreren Bundesregierungen; unter Angela Merkel wurde er Innenminister und einflussreicher Finanzminister. Von 2017 bis 2021 bekleidete er als Bundestagspräsident das zweithöchste Staatsamt.
Optimismus ist Pflicht.
Karl Popper
Während ich an diesen Vorbemerkungen schreibe, blicke ich von meinem Schreibtisch auf Günther Ueckers Kunstwerk aus beigem Wüstensand – allerdings nicht wegen der für mein Alter passenden Metapher von der Zeit, die einem wie Sand durch die Finger rinnt. Wissenschaftler haben vielmehr herausgefunden, dass Menschen ungewollt irgendwann im Kreis laufen. Anfang und Ende: Dazwischen liegt nicht zwingend eine lineare Strecke. Umwege erkennen wir im Nachhinein besser, Abwege oft zu spät. Und manchmal kehrt man eben an seine Anfänge zurück. Dann schließt sich ein Kreis. Meine Kreise werden kleiner: Das ist eine Erfahrung, die ich derzeit mache, ein Empfinden, das Ueckers Bild in mir weckt – und das mir einen Anstoß dazu gab, dieses Buch zu schreiben.
Mit dem Wahlausgang im September 2021 habe ich als »einfacher« Abgeordneter erneut das Bundestagsbüro bezogen, in dem ich vor über zwei Jahrzehnten als Oppositionsführer neben kurzen Höhenflügen persönlich die bittersten Stunden meiner politischen Karriere erlebte. Ich habe sogar im Plenum des Bundestags wieder dort Platz genommen, wo ich vor über fünfzig Jahren meine parlamentarische Karriere begonnen habe: auf den Hinterbänken. Von dort schaue ich auf die zuletzt viel zu zahlreich gewordenen Abgeordnetenreihen vor mir, auf die Kolleginnen und Kollegen, bei denen ich häufig den Eindruck habe, sie könnten nicht mehr nur meine Kinder, sondern längst meine Enkel sein.
So muss es Ludwig Erhard ergangen sein, als ich 1972 mit gerade dreißig Jahren das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde – wenn er den badischen Jungspund überhaupt wahrgenommen hat. Erhard gehörte zu denen, die noch im 19. Jahrhundert geboren waren, im Kaiserreich. Für mich damals ferne Geschichte. Heute sind die jungen Abgeordneten nach dem Fall der Berliner Mauer geboren, die jüngste sogar zwei Jahre nach der Abwahl Helmut Kohls, und ich vermute, dass ihnen meine Erfahrungen einer Kindheit in der Nachkriegszeit und das Aufwachsen in einer Welt des Kalten Krieges ähnlich weit entfernt erscheinen müssen. Und mir selbst? Was verbindet mich noch mit dem jungen Mann, der ausgerechnet im retrospektiv so wild erscheinenden »Achtundsechzig« seine parteipolitische Karriere in der badischen CDU begann? Es gibt Prägungen, die einen ein Leben lang begleiten, davon wird in diesem Buch noch zu reden sein.
Aber trennt uns denn eigentlich wirklich so viel von früher? Vergleicht man die beengte Lebenswelt meiner Nachkriegsjugend im Schwarzwald mit der globalisierten Mobilität, mit der die junge Generation heute aufwächst: Wer wollte es bestreiten? Auch im Parlament sehe ich die veränderten Lebensstile. Da, wo ich noch das Bild vom sitzungsleitenden Präsidenten im bundestagseigenen formellen Cut vor Augen habe, geht es heute ungezwungener zu, mitunter reichlich unkonventionell. Vor allem sehe ich bedeutend mehr weibliche Abgeordnete als 1972, selbst wenn es noch immer zu wenige sind. Und wo im Plenumsbetrieb früher das Gespräch mit dem Sitznachbarn oder die Zeitungslektüre über zähe Momente hinweghalf, ist heute das Handy nicht mehr wegzudenken. Angela Merkel machte es als Kanzlerin zum zentralen Medium ihrer Kommunikation – und auch meine Freude am Sudoku-Spiel ließ sich so nicht lange vor der neugierigen Öffentlichkeit verbergen.
Und doch: Selbst wer sich aus den Volksvertretungen des 19. Jahrhunderts in den Bundestag verirren würde, müsste nicht zwangsläufig die Regeln des Parlamentarismus neu erlernen. Den Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition, das Prinzip von Rede und Gegenrede, die Entscheidung durch die Mehrheit – das alles würde er wiedererkennen. Dass er sich allerdings bei einem Wortbeitrag etwa über komplizierte steuerrechtliche Probleme auf zwei bis drei Minuten Redezeit beschränken müsste, würde ihn schon irritieren. Die dreiviertel Stunde, die ich noch in einer meiner ersten Reden als junger Parlamentarier eingeräumt bekam, erreichen manche Abgeordnete heute in der ganzen Legislaturperiode nicht. Das muss kein Schaden sein.
Zu den aufwühlenden Erfahrungen meiner Arbeit an diesem Buch gehört, dass während ich daran schrieb, längst vergangen Geglaubtes wieder auf die Vorderbühne der Politik drängte. Wie die meisten hätte ich doch im Leben nicht geglaubt, dass Krieg mitten in Europa wieder bittere Realität werden könnte. Dass Grenzen noch einmal gewaltsam verschoben würden und dass sich zwischen dem Westen und Russland erneut ein Vorhang senkt, der ganz plötzlich den Kalten Krieg zum Bezugspunkt unserer Analysen werden lässt. Aufs Neue stellen sich sicherheits- und verteidigungspolitische Fragen in Deutschland und Europa, die mich seit Langem bewegen. Ein Kreis schließt sich in gewisser Weise auch hier.
Auf die Zäsurerfahrung der Pandemie sattelte sich 2022 mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine das Bewusstsein, eine Zeitenwende zu erleben. Und so sehr wir einerseits damit beschäftigt sind, lange überfällige Fragen endlich anzugehen, so sehr öden mich die rückblickenden persönlichen Schuldzuweisungen an. Es zählt zu den bemerkenswerten Momenten im Entstehungsprozess dieses Buches, dass in Teilen der Öffentlichkeit, ausgerechnet als ich mich noch einmal selbstkritisch mit der – wie zu zeigen sein wird – viel zu späten Einsicht meiner Partei in die visionäre brandtsche Politik des Wandels durch Annäherung befasste, diese Grundidee der deutschen Ostpolitik in Bausch und Bogen verdammt wird. Im Nachhinein unbedingt besser zu wissen, wie politisch hätte gehandelt werden können, gehört zu der Form von Klugscheißerei, die schon im Privaten nur schwer erträglich ist. Dass in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht wurde, ist offensichtlich. Ein anklagender Moralismus bleibt jedoch im Ausblenden aller Zeitumstände unhistorisch und ist dadurch oft selbstgerecht. Demgegenüber erscheint mir zwingend, politisches Handeln in seiner jeweiligen Epoche nachzuvollziehen, sich die Spielräume und Alternativen zu vergegenwärtigen, die es damals realistisch gegeben hat. Das versuche ich, jedenfalls soweit ich die Dinge übersehe, wobei auch ich im Wissen um den späteren Geschichtsverlauf manchmal zu neuen Einschätzungen komme.
Natürlich bedeuten meine Erinnerungen eine subjektive Sicht auf die vergangenen fünfzig Jahre unseres Landes. Auf den wechselvollen Weg von der Bonner zur Berliner Republik. Dass der Blick aus meinem Büro auf die Rückseite des Reichstagsgebäudes fällt, unmittelbar dorthin, wo vor über drei Jahrzehnten noch die Berliner Mauer nicht nur eine Stadt, sondern den ganzen Kontinent teilte, zeigt mir: Veränderung war immer – und vieles wird im Übrigen in der Rückschau anders bewertet als mitten im Streit. Auch deshalb, weil ich aus eigenem Erleben weiß, dass Erregung und Krisengefühle nichts Neues sind, schätze ich Gelassenheit als Tugend. Das Gefühl zu Beginn des Ukrainekriegs allerdings, nicht die Spur einer Ahnung, geschweige denn eine eigene Antwort zu haben, wie wir aus dem gewaltsamen Konflikt mit Russland wieder herauskommen können, gehört zu den beunruhigendsten Erfahrungen meines politischen Lebens.
Die Zumutungen der Welt spüren wir heute drängender, unmittelbarer. Vieles wandelt sich zu schnell, ist zu komplex, um es noch zu durchdringen. Zu viel scheint kaum noch in unserer Kontrolle zu liegen. Das macht Angst, weil es dem menschlichen Bedürfnis widerspricht, Zusammenhänge zu erkennen und Erklärungen zu suchen. Wo scheinbar oder tatsächlich keine Zusammenhänge existieren, akzeptiert der Mensch eine dürftige Erklärung eher als gar keine. Wir wollen den Dingen in der Welt einen Sinn geben, selbst wenn es sich um Koinzidenzen und nicht um Kausalitäten handelt.
Im Blick auf das eigene Leben gilt das erst recht. Oft genug drehen wir uns nur um uns selbst, manchmal schließt sich auch – wie gesehen – ein Kreis. Und in seltenen Fällen macht man die Erfahrung, dass es zumindest scheinbar nicht nur ein Leben gibt. Dass man gelegentlich die Chance zum Neuanfang erhält – oder auch gezwungen wird, sein Leben ganz neu einzurichten. Zwei Leben hat ein Biograf sein Buch über mich einmal betitelt, was richtig und falsch ist. Denn so sehr sich mein Leben vor und nach dem Attentat auch unterscheidet, am Ende ist es doch nur das eine Leben, das ich führen darf. Von ihm handelt dieses Buch.
Es ist ein Leben über Jahrzehnte in der Politik und für die Politik – für Außenstehende natürlich weit mehr als für mich persönlich. Vorrangig von diesem politischen Leben werde ich erzählen. Da wir aber noch immer in einer Welt leben, in der weder Maschinen noch Algorithmen Politik machen, werden die Leser und Leserinnen am Ende meiner Streifzüge durch die bundesrepublikanische Geschichte so auch etwas mehr von mir als Mensch erfahren haben. Von dem, was mich antreibt, was mir Halt gab und gibt und was mir die Zuversicht verleiht, ohne die ich Politik nicht machen könnte. Ohne die mir die menschliche Existenz an sich unvorstellbar erscheint.
Wenn ich mich und mein Handeln erklären soll, bleibt es bei meiner – für einen Konservativen vielleicht überraschenden – Grundhaltung, wonach Leben Bewegung bedeutet. Ständige Veränderung. Leben vollzieht sich vor allem in der Begegnung mit Menschen. Deshalb wird auch in diesem Buch viel von ihnen die Rede sein, von spannenden Begegnungen, von bereichernden Gesprächen, aber auch von menschlichen Enttäuschungen und von Verletzungen, wie sie eben nur Menschen einander...
Erscheint lt. Verlag | 8.4.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Alexander Schalck-Golodkowski • Alfred Dregger • Angela Merkel • Attentat • Bundesregierung • Bundesrepublik Deutschland • Bundestagspräsident • CDU • Christine Lagarde • DDR • Egon Cordes • Emmanuel Macron • Erich Honecker • Finanzminister • Finanzpolitik • Franz Beckenbauer • Franz Josef Strauß • Gehbehinderung • Generalsekretär der CDU • George Bush • George Bush Sen. • Griechenland-Rettung • Grundgesetz • Hauptstadtfrage • Heiner Geißler • Helmut Kohl • Helmut Schmidt • Innenminister • Joschka Fischer • Kalter Krieg • Kanzleramt • Karl Carstens • Kurt Biedenkopf • Kurt Georg Kiesinger • Memoiren • Otto Schily • Politik • Spendenaffäre • Theresa May • Weihnachtsgeschenk • Wiedervereinigung • Willy Brandt • Wladimir Putin |
ISBN-10 | 3-608-12329-6 / 3608123296 |
ISBN-13 | 978-3-608-12329-6 / 9783608123296 |
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