Adrenalin (eBook)
652 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3563-3 (ISBN)
Blutiger Einsatz.
Penn Cage ist Bürgermeister in Natchez, Mississippi. Um seiner Stadt zu Geld zu verhelfen, hat er auf das Glücksspiel gesetzt. Nun fahren prächtige Dampfschiffe auf dem Fluss, alle zu Kasinos umgebaut. Doch ein Schiff unterscheidet sich von den anderen: die Magnolia Queen, auf der die finanzstärksten Spieler ein- und ausgehen. Ein Freund von Penn Cage hat Beweise, dass an Bord massive Verbrechen verübt werden. Als er kurz darauf brutal ermordet wird, verbeißt Cage sich in den Fall. Bald steht fest: Die Gäste der Magnolia Queen kommen nicht nur wegen des Glücksspiels. Sie wollen Blut sehen - Menschenblut ...
Greg Iles wurde 1960 in Stuttgart geboren. Sein Vater leitete die medizinische Abteilung der US-Botschaft. Mit vier Jahren zog die Familie nach Natchez, Mississippi. Mit der »Frankly Scarlet Band«, bei der er Sänger und Gitarrist war, tourte er ein paar Jahre durch die USA. Mittlerweile erscheinen seine Bücher in 25 Ländern. Greg Iles lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Natchez, Mississippi. Fünf Jahre hat er kein Buch herausgebracht, da er einen schweren Unfall hatte, nun liegen im Aufbau Taschenbuch seine Thriller 'Natchez Burning', 'Die Toten von Natchez vor', 'Die Sünden von Natchez' und 'Blackmail' vor.
1
Mitternacht im Garten der Toten. Ein silberweißer Mond, der hoch über dem spiegelschwarzen Fluss und dem Deich steht, wirft sein kaltes Licht auf das Louisiana-Delta. Ich stehe zwischen den schimmernden Steinen auf der Mississippi-Seite und zittere. In weitem Rund bin ich der einzige lebende Mensch. Zu meinen Füßen liegt eine nackte Granitplatte; darunter ruht die Leiche meiner Frau. Auf dem Grabstein steht:
SARAH ELIZABETH CAGE
1963–1998
Tochter, Ehefrau, Mutter, Lehrerin
Du wirst geliebt
Doch ich habe mich nicht um Mitternacht auf den Friedhof geschlichen, um das Grab meiner Frau zu besuchen, sondern weil ein Freund mich dringend darum gebeten hat. Aber ich bin nicht um unserer Freundschaft willen gekommen, sondern aus Schuldbewusstsein, vor allem aber auch Furcht. Der Mann, auf den ich warte, ist fünfundvierzig, aber für mich wird er immer neun Jahre alt sein. Damals, während der Mondlandung von Apollo 11, erreichte unsere Freundschaft ihren Höhepunkt. In der Jugend sind Freundschaften inniger als später im Leben; deshalb empfindet man ein umso tieferes Gefühl der Schuld, wenn ein Freund aus Jugendtagen sich von einem entfernt und man nicht genug unternimmt, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. In meinem Fall ist es umso schmerzlicher, weil Tim Jessup im Laufe der Jahre immer wieder in Schwierigkeiten geraten ist.
Meine Furcht aber hat nichts mit Tim zu tun. Er ist bloß ein Bote, der mir möglicherweise Nachrichten bringt, die ich nicht hören will. Vielleicht werden diese Nachrichten die Gerüchte bestätigen, die in unserer Gegend kursieren. Und wenn diese Gerüchte stimmen, hat sich etwas Schreckliches, Monströses in meine Stadt eingeschlichen, und ich habe ihm die Tür geöffnet.
Ja, es ist meine Stadt: Vor zwei Jahren habe ich in einem Anfall von Pflichtgefühl für das Bürgermeisteramt kandidiert, um meine Heimatstadt Natchez zu retten, und ich war überheblich genug zu glauben, ich könne einen Pakt mit dem Teufel schließen, ohne unser aller Tugend zu schädigen. Aber das war Wunschdenken.
Meine Uhr zeigt 12.30 Uhr. Dreißig Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt, und immer noch ist neben den schulterhohen Steinen zwischen mir und der Cemetery Road nichts von Tim Jessup zu sehen. Nach einem stummen Abschied von meiner Frau gehe ich zurück zum Jewish Hill, unserem Treffpunkt. Ich mache kaum Geräusche im taufeuchten Gras. Die Namen, die in die Grabsteine gemeißelt sind, kenne ich mein Leben lang. Sie stehen für die Geschichte dieser Stadt – und meine eigene. Friedler und Jacobs und Dreyfus oben auf dem Jewish Hill; Knox und Henry und Thornhill bei den Protestanten; Donelly und Binelli und O’Banyon bei den Katholiken. Und auf dem »Colored Ground«, wie er auf der Friedhofskarte bezeichnet wird, liegen jene Sklaven, die im Dunstkreis der weißen Welt lebten und sich nach dem Tod einen Flecken geweihter Erde verdient haben. Die meisten Schwarzen aber wurden ohne Grabstein bestattet. Man muss weiter die Straße hinunter, zum staatlichen Friedhof, um die Gräber von wirklich freien Schwarzen zu finden. Viele waren Soldaten, die zu den 2800 unbekannten Toten der Nordstaatenarmee im amerikanischen Bürgerkrieg gehörten, die hier ruhen.
Aber dieser Friedhof hier atmet eine noch ältere Geschichte. Einige der Toten, die hier bestattet sind, wurden Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geboren, doch würden sie morgen wieder zum Leben erwachen, würden Teile der Stadt ihnen kaum verändert erscheinen. Kleinkinder, die an Gelbfieber starben, liegen neben spanischen Dons und vergessenen Generalen. Alle verwesen unter weinenden Engeln und marmornen Heiligen, während sich die knorrigen Äste der Eichen, an denen Bärte aus Spanischem Moos herunterhängen, über ihnen ausbreiten. Natchez ist die älteste Stadt am Mississippi, älter als New Orleans; wenn man sich die verwitterten Grabsteine anschaut, die krumm und schief dastehen, gibt es keinen Zweifel mehr daran.
Ich war das letzte Mal hier, um einen Schaden in Höhe von einer Million Dollar zu begutachten, den betrunkene Randalierer an den unersetzlichen schmiedeeisernen Statuen angerichtet hatten, die diesen Friedhof so einzigartig machen. Deshalb werden die vier Tore vor Einbruch der Dunkelheit jetzt mit Eisenketten verschlossen. Tim Jessup weiß das; es ist einer der Gründe, weshalb er diesen Ort für unsere Verabredung gewählt hat. Als Tim mich anrief, dachte ich, er würde den Friedhof aus Gründen der Bequemlichkeit vorschlagen, denn er arbeitet auf einem der Casinoschiffe, der Magnolia Queen, die unterhalb des Jewish Hill vertäut ist, und seine Schicht endet um Mitternacht. Aber Tim sagte mir, es gehe ihm um die Abgeschiedenheit – nicht nur seinetwegen, auch meinetwegen. Außerdem nahm er mir das Versprechen ab, unter keinen Umständen bei ihm zu Hause anzurufen oder seine Handynummer zu wählen.
In einem anderen Leben war ich Staatsanwalt. Ich habe sechzehn Menschen in die Todeszelle geschickt. Rückblickend bin ich mir nicht mehr sicher, wie das zustande kam. Jedenfalls wachte ich eines Tages auf und begriff, dass ich nicht von Gott auserkoren war, die Schuldigen zu richten. Also gab ich meinen Job bei der Bezirksstaatsanwaltschaft von Houston auf und kehrte zu meiner jüngeren Frau und meiner Tochter zurück. Weil ich nicht wusste, was ich mit meiner überschüssigen Zeit anfangen sollte (und wegen akuten Geldmangels), schrieb ich meine Erfahrungen vor Gericht nieder und habe – wie ein paar andere Juristen, die John Grishams Beispiel folgten – genug Bücher verkauft, dass mein Name auf den Bestsellerlisten erschien. Wir legten uns ein größeres Haus zu und schickten Annie auf eine Privatschule. Ein nie gekanntes Gefühl der Selbstzufriedenheit schlich sich in mein Leben ein – das Gefühl, zu den Erwählten zu gehören, denen auf jedem Gebiet Erfolg beschieden ist. Ich hatte eine beneidenswerte Laufbahn, eine wunderbare Familie, etliche gute Freunde und eine Menge treuer Leser. Und ich war jung und arrogant genug zu glauben, dies alles verdient zu haben und dass es nie enden würde.
Dann starb meine Frau.
Vier Monate nachdem mein Vater, ein Arzt, bei ihr Krebs diagnostiziert hatte, mussten wir sie beerdigen. Sarahs Tod hätte mich und meine vierjährige Tochter beinahe zerbrochen. In meiner Verzweiflung flohen wir aus Houston und kehrten zurück in diesen kleinen Ort in Mississippi, wo ich aufgewachsen bin, zurück in die liebevolle Umarmung meiner Eltern. Seitdem sind sieben Jahre vergangen. Annie ist mittlerweile elf und die Reinkarnation ihrer Mutter. Zurzeit schläft sie zu Hause, während eine Babysitterin in meinem Wohnzimmer sitzt.
Ich schaue wieder auf die Uhr. Wo bleibt Tim Jessup? Ich gebe ihm noch fünf Minuten. Wenn er bis dahin nicht zu diesem mitternächtlichen Treffen erschienen ist, muss er halt wie jeder andere während der Öffnungszeiten zu mir ins Rathaus kommen.
Mein Herz pocht, nachdem ich den Hang zum Jewish Hill hinaufgestiegen bin, doch mit jedem Atemzug wird mir der Duft der grünen Oliven zugetragen, die Mitte Oktober immer noch blühen. Darunter verbirgt sich ein Gemisch durchdringenderer Gerüche: Kudzu und feuchter Humus und irgendetwas Totes, Verwesendes zwischen den Bäumen.
Als ich den Rand der Erdtafel erreiche, die den Jewish Hill bildet, fällt das Land mit atemberaubender Schroffheit vor mir ab. Bis zum Fluss geht es fast siebzig Meter steil eine Klippe aus windgepeitschtem Löß hinunter. Dieser üppige, fruchtbare Boden ist aus Fels entstanden, der von Gletschern fein gemahlen wurde. Aus dieser Höhe kann man mit fast berauschendem Stolz nach Westen über eine endlose Ebene blicken. Vielleicht war es dieses Gefühl, das viele Nationen veranlasst hat, unsere Gegend für sich zu beanspruchen. Frankreich, Spanien, England, die Konföderation – sie alle haben es versucht, und sie alle sind genauso gescheitert wie die Natchez-Indianer vor ihnen. Am westlichen Ende des Hügels steht eine Bank unter einer amerikanischen Flagge. Die Bank wartet auf Trauernde, Liebespaare und alle anderen, die hierherkommen. Sie ist der beste Platz, um Tims letzte vier Minuten abzuwarten.
Als ich mich auf den Weg dorthin machen will, bewegt sich ein Paar Scheinwerfer die Cemetery Road hinauf wie die Lichter eines Schiffes, das gegen den Wind ankämpft. Bald darauf rattert ein...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2024 |
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Reihe/Serie | Penn Cage |
Übersetzer | Bernd Rullkötter |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Devil's Punchbowl |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 60er Jahre • Bürgermeister • Ermittlung • Geschichte • Korruption • Ku Klux Klan • Mississippi • Mord • Natchez • Polizei • Rassenpolitik • Rassismus • Roman • Schuld • Spannung • Südstaaten • Sühne • Thriller • USA |
ISBN-10 | 3-8412-3563-8 / 3841235638 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3563-3 / 9783841235633 |
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