Die Schattenspringer -  Tom Neutendorf

Die Schattenspringer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
268 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-7459-9 (ISBN)
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'Die Schattenspringer' erzählt in mehreren Abschnitten die Geschichte eines Amoklaufs an einer Schule und die Biografien zweier Akteure: die des Täters und die des Opfers. Während im ersten Kapitel aus der Sicht des Opfers vom Anschlag selbst berichtet wird, folgt in den nächsten die Lebensbeschreibung des Amokläufers, eines Schülers der Schule, aus der Ich-Perspektive. Der zweite Teil beschreibt (in der dritten Person) das Leben des Opfers bis kurz vor dem Anschlag und beginnt mit dem Tag seiner Einschulung im Alter von sieben Jahren und ist größtenteils autobiografisch. Im dritten Teil sind die beiden ehemaligen Schüler Maya und Filip ein Paar und leben auf einer norddeutschen Insel. Durch eine E-Mail aufgeschreckt, kehren sie nach R. zurück und erfahren, dass der Attentäter noch lebt. Dieser nimmt mit ihnen Kontakt auf und zwingt sie, ihn aus dem Gefängnis zu befreien. Nachdem er sich wieder in Freiheit befindet, tötet er beide und verschwindet, um einen neuen Anschlag vorzubereiten.

Geboren 1955 1972-78 Schriftsetzer 1978-84 Studium der Malerei an der Fachhochschule Gestaltung in Kiel, Abschluss mit Examen seit 1998 Internetprojekte, interaktive CD-Rom, Websites 2000 Umzug nach Berlin, 2003/2004 Dozent an der Sommerakademie d. Instituts f. Lippische Landeskunde in Schwalenberg seit 2003 Tagebücher, Gedichte, Essays. 2012 Bucherscheinung 'Aus der Traum!', Pseudonym Tom Neutendorf, Verlag pc-united (Print-on-Demand) Bildende Kunst: Ausstellungen im In- und Ausland

1. Kapitel. Eins.




Tom Neutendorf


Die Schattenspringer


Roman





























1. Teil


Wer fängt an, frage ich, obwohl ich es schon weiß, und die Kinder schlagen ihre Bücher auf. Gerade als ich mich dem kleinen Mädchen neben mir zuwenden will, das als Erste mit dem Lesen beginnen soll, ertönt ein lauter Knall und dann noch einer und noch einer. Es kommt von unten und erschreckt uns alle bis ins Mark. Das ist ernst. Ich fühle, wie mir das Blut in den Kopf steigt und mein Puls sich zunehmend beschleunigt. Die Kinder schreien auf und das kleine Mädchen fängt an zu weinen, was ich aber nur wie durch einen Nebel wahrnehme. Würgende Angst hat von mir Besitz ergriffen. Das was ich bisher nur aus dem Kino oder aus Büchern kannte, geschieht hier tatsächlich. Die Tatsache des Todes. Weitere Schüsse ertönen und man kann lautes Geschrei hören und das Lärmen von aufgeregten Menschen, die scheinbar alle durcheinander laufen. Panik ergreift mich. Ich stürze zur Tür und öffne sie, um zu sehen, was draußen vor sich geht. Im selben Moment ertönt eine Lautsprecherdurchsage, die alle warnt, in den Klassen zu bleiben, es fände ein Angriff statt, die Polizei sei schon verständigt, alle sollten Ruhe bewahren. Ich treibe die drei zitternden und weinenden Kinder zurück und weise sie an, auf ihren Stühlen sitzen zu bleiben. Dann schließe ich die Tür vorsichtig und lehne mich mit dem Rücken dagegen. Wieder waren Schüsse zu hören, diesmal in schneller Folge. Da hat einer eine großkalibrige Waffe und benutzt sie auch. Das Geschrei ist verstummt, bis auf vereinzeltes Stimmengewirr. Nebenan aus dem Klassenzimmer ist nichts zu hören; ich hoffe, dass die Lehrerin die Lage dort unter Kontrolle hat. Die Räume sind sicher zentral verriegelt worden, sodass der Angreifer nicht hinein kann. Aber ist war mit Geiseln, die er vielleicht noch unter seiner Kontrolle hat? Ich mochte mir nicht die Panik und das Entsetzen vorstellen, das sie gerade ausstehen. Mein Puls schlägt immer noch wie rasend. Ich kann nichts tun. Oder soll ich durch die nur angelehnte Tür schlüpfen und nach Verstreuten suchen, die vielleicht noch hier oben durch die Gänge irren. Aber ich bin wie gelähmt. Kann kaum meine Glieder bewegen und stehe erstarrt und wie angewurzelt da. Ein feiges Schwein, ein Jämmerling. So geht es wahrscheinlich vielen, die im Krieg sind. In der Ukraine. In Syrien. Überall auf der Welt. Aber hier ist nicht Krieg. Hier ist Frieden, Wohlstand, Ordnung. So war es jedenfalls bisher. Fieberhaft überlege ich, wie lange es dauern würde bis Rettung naht. Die Polizei, ein Einsatzkommando? Aber die würden auch erst einmal abwarten, die Lage sondieren. Bis dahin konnte der vermeintliche Amokläufer noch mehr töten oder verletzen. Hinterher würde man mich vermutlich fragen, warum ich die Gelegenheit nicht wahrgenommen hatte, um zu helfen. Ich musste jetzt sofort etwas tun! Ich gebe den Kindern ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten und werfe wieder einen Blick durch den Türspalt. Draußen liegt der Gang verlassen da, ohne dass sich dort etwas rührt. Ich öffne die Tür ein wenig mehr und versuche etwas im Treppenhaus zu erkennen. Von meiner Position aus kann ich nicht viel wahrnehmen, also wage ich vorsichtig einen Schritt hinaus auf den Flur. Ich glaube von unten her leise Stimmen zu hören, aber das Schießen hat zumindest aufgehört. Vielleicht ist der Täter schon mit der Polizei beschäftigt oder geflohen. Langsam und vorsichtig taste ich mich in Richtung Treppe voran. Da glaube ich plötzlich seitlich von mir eine Bewegung zu erkennen und drehe mich schnell um. Ein Junge kauert dort in einer Ecke und sieht mich erschrocken an. Ich winke ihm zu, er soll herüberkommen und bedeute ihm, sich in unser Zimmer zu begeben. Zögernd kommt er meiner Anweisung nach und verschwindet hinter der Tür. Ich schleiche ihm nach und frage, ob es noch mehr Kinder hier oben gibt. Er versteht mich nicht, aber eines der Kinder sage etwas auf Arabisch zu ihm und er antwortet nach kurzem Zögern. Das Mädchen zeigt nach vorn und sagt, da seien noch mehr.

Das ist eine Chance weitere Kinder in Sicherheit zu bringen. Ich atme tief durch und schließe kurz die Augen; die beste Methode, um wieder zu Ruhe zu kommen. Vergeblich, mein Herz pocht immer noch wie rasend in meiner Brust und mein Atem ist so flach wie der Fußboden vor mir. Es nützt alles nichts, wenn ich jetzt nicht meinen Arsch bewege, würde ich mir hinterher ewig Vorwürfe machen. Langsam öffne ich die Tür und schleiche hinaus. Schritt für Schritt tappe ich mit zitternden Knien voran und werfe einen Blick in das Treppenhaus. Ich bewege mich wie in Trance den Gang hinunter. Verschwommen nehme ich verschlossene Türen, leere Fensterhöhlen und das zunehmende Dunkel vor mir wahr. Wohin ist das Licht des Vormittags verschwunden? Draußen zieht ein Gewitter auf und der erste Donner ist in der Ferne zu hören. Das passt zu dem finsteren Geschehen hier drinnen. Wie viel Zeit bleibt mir noch? Waren erst Minuten vergangen oder schon Stunden? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Nichts deutet auf das Vorhandensein weiterer Opfer hin. Kein Laut dringt mehr zu mir herauf. Auch vor mir ist alles still. Schritt für Schritt bewege ich mich weiter. Meine Beine sind mit Blei gefüllt und auf meinen Schultern liegt das Gewicht von Zementsäcken. Schweiß rinnt mir den Rücken herunter. Ich fühle wie die Panik langsam in mir wächst und balle immer wieder die Fäuste wie im Zorn, trotzdem kann ich das Zittern meiner Knie nicht unter Kontrolle bringen.

Plötzlich höre ich leises Weinen und unterdrückte Rufe. Links sehe ich eine offene Tür und darin die Gesichter von mehreren Schülern, die mich furchtsam ansehen. Ich erkenne einige von ihnen und lege den Finger auf den Mund, um sie vor übertriebenen Gefühlsäußerungen abzuhalten. Dann gebe ich ihnen mit Handzeichen zu verstehen, mir zu folgen. Zögerlich und mit furchtsamen Gebärden befolgen sie meine Aufforderung und treten langsam auf den Gang hinaus. Gemeinsam wenden wir uns in Richtung des Lehrerzimmers, der sicheren Zuflucht aus der ich gekommen bin. Nur noch wenige Meter trennen uns von der angelehnten Tür, die ich nicht geschlossen habe. Nur keine Eile! Alles wird gut. Doch die Vorsehung hat es wohl doch nicht so gut mit uns gemeint. Gerade als wir ein paar Meter zurückgelegt haben und uns weiter auf die rettende Tür zubewegen, ertönt aus dem Treppenhaus ein Scheppern und das Geräusch hastiger Schritte. Jemand kommt im Sprint die Stufen herauf. Einen Moment später taucht erst der Kopf und dann der Oberkörper eines jungen Mannes auf. Er ist schon auf dem Treppenabsatz, als er uns sieht. Überrascht hält er inne und hebt dann eine schwere Schrotflinte, die er in den Händen trägt und jetzt auf uns richtet.

Ich bin tot. Wir alle sind tot! Jeden Moment kann er den Abzug betätigen und zweihunderttausend Schrotkugeln würden uns zerfetzen. Das was in jedem beschissenen Videospiel täglich immer und immer wieder simuliert wird, mit jedem gnadenlosen anatomischem Detail, jedem Blutspritzer und jedem Knochensplitter, es würde hier und in Echtzeit mit uns geschehen. Es gibt keinen Ausweg. Oder doch?

Legt euch hin! Legt euch auf den Boden. Dann schießt er nicht, flüstere ich den Kindern zu und glaube tatsächlich in diesem Moment daran. Erst als ich selbst auf dem Boden liege und die schmutzigen Fließen direkt vor meinen Augen habe, erkenne ich das Absurde meiner Annahme. Was soll ihn von seinem Vorhaben abhalten, hier oben das zu vollenden, was er unten angefangen hat. Woran es liegt, dass der Angreifer sich nicht weiter bewegt, daran wage ich in diesem Moment gar nicht zu denken, aber während der nächsten qualvollen Sekunden geschieht tatsächlich nichts. Wir liegen alle flach auf den Boden gepresst da. Neben mir weint ein Kind leise. Ich wage nicht, aufzusehen oder sonst irgendeine Bewegung zu machen. Von der Treppe her ist nichts mehr zu hören. Hat er sich weiter genähert? Wer ist er? Ein Schüler, oder doch ein Eindringling von außen? Das Wenige, was ich in der Sekunde zuvor erkennen konnte, war eine unauffällige Erscheinung in einer Trainingsjacke und weißen Hosen, (ein gebräuntes Gesicht mit krausen, dunklen Haaren und einem fusseligen Bart?) mehr nicht. Ein Anonymus, ein Phantom.

Innerhalb der nächsten Sekunde muss es geschehen. Er würde uns zwingen, aufzustehen. Oder würde er schon jetzt auf die vor ihm am Boden liegenden Körper schießen? Die er in seiner Wut und seinen Allmachtsphantasien gar nicht mehr als lebendige Wesen erkennt, sondern nur noch als Objekte, die er zerstören muss. Die Sekunde ist zu Ende. Mein Leben ist zu Ende.


Vor mir sehe ich den rissigen, braunen Stamm einer großen, uralten Ulme, die am Rande des Parks steht. Ich lege die Hand auf eine Stelle der Rinde direkt vor mir. Die bröckelige Oberfläche fühlt sich warm an. Ich sehe nach oben. Der Wipfel liegt mindestens 20 Meter über mir, wenn nicht mehr. Durch die laubbedeckten Zweige kann ich den Himmel sehen. Die Sonne wirft lange Lichtstreifen durch die Äste, die wie kleine Straßen direkt nach unten führen. Highways of the sun.

Seit langem habe ich nicht diese Ruhe, diesen Frieden gefühlt. Hier ist alles im Lot. Nichts stört das...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7565-7459-8 / 3756574598
ISBN-13 978-3-7565-7459-9 / 9783756574599
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