Bruckner! -  Norbert Trawöger

Bruckner! (eBook)

Journal einer Leidenschaft
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4723-8 (ISBN)
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Eine leidenschaftliche Annäherung des bekannten Musikers Norbert Trawöger an die Musik Anton Bruckners. Die Leidenschaft für Anton Bruckner hat Norbert Trawöger im zarten Alter von acht Jahren erfasst und nie wieder losgelassen. In seinem Journal erzählt er lustvoll von seinen Erfahrungen mit Bruckner und seiner Musik, warnt davor, Schöpfer und Werk zu verwechseln - auch wenn sie in manchem zum Verwechseln ähnlich sind -, stößt dabei auf Schildkröten, Songs wie 'Seven Nation Army', einen gefeierten Rockstar, schwimmende Orgeln oder einen frommen Extremisten. Vor allem aber führt seine Expedition in Riesenhöhlen von symphonischen Ausmaßen. Trawöger ist ein inspirierender Entstauber, zieht Verbindungen ins Jetzt, teilt seine ewige Begeisterung für das Wunder der Musik und erinnert daran, dass Kunst ein unverzichtbarer Begleiter unseres Menschseins ist.

Norbert Trawöger geboren 1971 in Wels, ist spielender, lehrender, schreibender und gestaltender Musiker und Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchester Linz sowie Künstlerischer Leiter der ersten oberösterreichischen KulturEXPO 'Anton Bruckner 2024'. 2010 erschien seine Biografie über den Komponisten Balduin Sulzer, 2022 sein Essay 'Spiel'. www.eNTe.me

Der unfassbare Brückenbauer


Hochwohlgeborener Herr Doctor Bruckner!

Darf ich so frei sein, Hochdenselben anzuschreiben, auch wenn ich den Tonfall gleich wieder verlasse, den Sie brieflich angewandt hätten, ganz Ihrer Zeit gemäß und doch anders, wie wenn wir miteinander sprächen: Wir hätten uns vermutlich gleich an unserem Dialekt erkannt. Ich trage ihn auch auf meiner oberösterreichischen Haut. Wie Sie.

Einen Brief an einen Toten zu verfassen, ist eine eigenartige Sache, aber mir ist danach, da ich mich Ihnen schon fast zeit meines Lebens immer wieder zuwende. Meine Zuwendung gründet in Ihrer Musik, die mich in einem Alter ergriffen hat, in dem Sie vermutlich schon fest auf der Ansfeldner Orgel experimentiert haben. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mir eine persönliche Begegnung mit Ihnen wünschen würde. Meine viel zu späte Geburt hält uns ohnehin auf Distanz, und ich finde, das ist gut so.

»Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde«, steht in der Bibel. Ich denke, mit Bibelworten können Sie etwas anfangen, und ein Treffen mit Ihnen würde mir einen Eindruck machen, den ich nicht mehr loswerde. Viel lieber nähere ich mich Ihnen von vielen Seiten an, der Eindrücke wegen. Wenn ich Ihre Musik höre, lieber Herr Doctor, glaube ich zu wissen, dass Sie die Vielheit lieben. Mag sein, dass Sie von einem Kern, einem Motiv ausgehen, aber Sie verstehen sich auf musikalische Kernspaltung, mindestens für eine Ihrer Sinfonien lang, von denen kaum jemand längere als Sie geschaffen hat. Eineinhalb Stunden Kernspaltung zur Schaffung eines Weltraums sind Ihnen bei Gott nicht fremd. Es mag kein Zufall sein, dass Ihr ehemaliger Klavierschüler Ludwig Boltzmann ein visionärer Physiker geworden ist, ein Wegbereiter der Quantenphysik, ein Verfechter der Atomistik.

Wie schreibt Demokrit: »Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.« In Wirklichkeit gibt es nur Klang und Pausen, Stille. Den Raum, die Farbe, die Beschaffenheit hören wir. Wer sich auf Magie, Rätsel, das Ungreifbare versteht, braucht sie nicht beim Namen zu nennen oder zu kennen. Ich habe Sie als Zauberer in Verdacht, aber das wird Ihnen nicht gefallen, zu sehr steckt Ihnen Ihre ewige Ausbildung in den Knochen. Sie haben gerackert bis zum Umfallen, um sich ein Handwerk anzueignen, das Ihnen niemand mehr legen kann, bis heute! Aber was hilft das beste Handwerk, wenn man nicht an das Geheimnis glaubt, das in allen Wesen und Dingen singt. Natur entsteht nicht in der Beschreibung, sie wächst aus einem Keim, aus dem Boden. Ihre Musik beschreibt nichts, sie hat eine eigene Natur, die Sie freigelegt haben, schafft Walddächer, Himmel, Erdhöhlen, Hauptsache Weltraum: Atmosphäre ist vielleicht das Stichwort, und die bemerkt man sofort, sieht, riecht, spürt, fühlt sie, ohne vorgewarnt werden zu müssen. Ich weiß nicht, ob Sie mit meinen Gedanken etwas anfangen können. Aufs Anfangen haben Sie sich auf alle Fälle verstanden, immer wieder und wieder haben Sie Ihre Werke in viele Fassungen gebracht. Nein, ich mache mich nicht lustig, es inspiriert mich, dort nicht nachzulassen, wo man brennt.

Ach, hätten Sie eine Freude, wenn Sie wüssten, wie viele Kunstschaffende von Ihnen bis heute Bilder schaffen und geschaffen haben. In vielen Verfassungen blicken Sie uns an, in, an und vor Häusern, nicht nur in Oberösterreich. Im Wiener Stadtpark stehen Sie ebenso wie im Wiener Musikverein, wo Sie einiges erlebt haben und heute zu den meistgespielten Komponisten gehören. In diesem wohl berühmtesten Konzertsaal der Welt sind Sie mittlerweile restlos auf Erfolg gebucht, und ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Musik sogar beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker gespielt wird. Keine Ihrer Sinfonien, die sind leider zu lang für dieses kurzweilige Ereignis, aber Ihre Klavier-Quadrille wurde orchestriert und erklingt neben Walzern und Polkas Ihres Verehrers Johann Strauss! Sie sind berühmt! Beruhigt Sie das?

Bilder habe ich viele von Ihnen in meiner Wohnung und noch mehr in meinem Kopf. »Je mehr ich weiß umso weniger kenn ich mich aus«, schrieb die Wiener Dichterin Elfriede Gerstl. Und genau so fühlt sich meine Bekanntschaft mit Ihnen an.

Ihre Persönlichkeit fasziniert mich aus der Distanz immer mehr, je länger ich mich mit Ihnen und Ihrer Musik beschäftige. Wobei ich Sie und Ihre Musik nicht verwechseln will. Ich finde Sie spannend, weil ich Sie nicht zu fassen kriege. Sie sind herrlich widersprüchlich und uneindeutig. Sie haben so viele Seiten. Besonders mag ich die Fotografie, auf der Sie als Dreißigjähriger zu sehen sind. Darauf ist kein behäbiger Mann, sondern ein flotter Bursche zu sehen, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.

Kultur ist kein Standbild, sondern eine Bewegung, und diese wird in all ihren Richtungsmöglichkeiten von den Feierlichkeiten zu Ihrem 200. Geburtstag in Ihrer Heimat Oberösterreich ausgelöst. Aber was sage ich Ihnen, Ihre Musik wird in der ganzen Welt gespielt. Bruckner ist der Brückenbauer, Anton hat den Klang im Namen schon eingeschrieben, der in der ersten oberösterreichischen KulturEXPO zum Programm wird: Im Wald, in Konzert-, Theater- oder Kirchenräumen, auf Schaukeln, Ortsplätzen, in Brucknerstraßen oder virtuellen Arealen wird ganz Oberösterreich zur Bühne der Gegenwart für kleine und große Menschen, Musikbegeisterte, Spaziergänger, Bruckner-Nerds, Wissenshungrige oder Liebhaberinnen des Unerwarteten. Beispiellos ist die zeitliche wie räumliche Vielfalt dieses flächengreifenden Ganzjahresfestivals. Sie vermitteln, vernetzen, sprengen Grenzen und öffnen die Tür in die Welt! Sie können sich gar nicht vorstellen, in welcher Vielfalt wir Sie feiern und uns dabei mit der Gegenwart beschäftigen. In einem Theaterstück wird Ihre Begegnung mit dem Wilheringer Affen Thema sein, ein Staatspreisträger hat einen Klangwald für Sie geschaffen. Ein Komponist namens Wagner, nicht Richard, sondern David, radelt wochenlang zu allen Brucknerstraßen im Land – derer gibt es mehr als sechzig – und sammelt Themen aus Ihren Sinfonien ein. Wagner ist zu Ihnen unterwegs, nicht umgekehrt. Im Alten Dom ereignet sich eine brandneue Kirchenoper rund um Sie. Ausstellungen gibt es in Ansfelden, St. Florian, Linz, Steyr und Wien. Das Bruckner Orchester Linz – ja, es gibt ein großartiges Orchester, das Ihren Namen trägt – spielt alle Sinfonien und nimmt diese in allen Fassungen auf. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schaffen ein erstes quantenphysikalisches Konzertereignis im Neuen Dom. Ja, auch der ist seit mehr als 100 Jahren fertig. Locus iste!

Experimentalfilme und Dokumentationen werden zu Ihren Ehren gedreht. Alle großen Orchester spielen Ihre Sinfonien. Beim Brucknerfest im Brucknerhaus erklingt ein kompletter Zyklus, von Null bis Neun! Und auf der »Schorgel«, einem Orgelspielplatz, werden kleine und große Kinder im ganzen Land schaukeln. Sie sind ein wahrer Brückenbauer, ein Pontifex musicus maximus.

Vielleicht hätten Sie zu Lebzeiten ein bisschen mehr Zuwendung, Ermutigung gebraucht. Ich bewundere Ihre Beharrlichkeit, sich auszubilden zu einem Genie, das Musik von einem anderen Stern geschaffen hat. Sie sind letztlich wie ein klingender Meteorit hier eingeschlagen. Ich zolle Ihnen Respekt. Ich möchte nicht Ihr historisch überzogenes Bild weiter überzeichnen, sondern Sie freilegen, in Ihrer Vielschichtigkeit. Das ist auf eine Art respektlos Ihrem Leben voller Kampf und Krampf, Arbeit und Zweifel, Liebe und Verlust gegenüber. Ich möchte versuchen, Sie als menschliche Inspiration zu sehen, dem Werden, dem Zweifel zu trauen.

Ich erspare Ihnen jedwede Heiligsprechung Ihrer Musik. Das hat sie nicht nötig, erst gar nicht von mir. Dass Ihre Seligsprechung betrieben wird, wird sogar Sie befremden. Dem lieben Gott haben Sie das Letzte gegeben, die letzte, unvollendete Sinfonie gar gewidmet, aber ich habe Sie letztlich als Ketzer in Verdacht, der die Institution umgeht, indem er sich besonders gefügig, treu und ergeben gibt, um dann über den Hintereingang das direkte Gespräch mit dem lieben Gott zu suchen. Den Rosenkranz braucht es nur, um dies in Ruhe zu tun. Ein Schutzschirm vielleicht, eine Ablenkung wie der Dialekt, das überlange Gewand und die leicht vorgetäuschte Behäbigkeit. Wir können Ihren menschlichen Fassungen, Verfassungen auf der Spur sein, da können wir viel lernen. Ich vermute, dass Ihnen Skurrilität in einem gewissen Maße nicht fremd war. Sie schützt gelegentlich, nichts Großes wurde jemals ohne Enthusiasmus geschaffen, erst recht nicht ohne Zweifel. Im Zweifel für den Selbstzweifel, aber dabei nie die Gewissheit aus den Augen und Ohren lassen! Das ist Ihnen nicht ungeläufig, oder? Standortwechsel, äußere Raumerweiterungen können Wachstum begünstigen. Lebendige Traditionen sind immer radikal zeitgenössisch, das wissen Sie, als alter, junger Traditionsavantgardist....

Erscheint lt. Verlag 25.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
ISBN-10 3-7017-4723-7 / 3701747237
ISBN-13 978-3-7017-4723-8 / 9783701747238
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