Elizabeth und ihr Garten -  Elizabeth Von Arnim

Elizabeth und ihr Garten (eBook)

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2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Schöffling & Co. (Verlag)
978-3-7317-6255-3 (ISBN)
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Westpommern, Ende des 19. Jahrhunderts: Die junge Australierin Elizabeth zieht mit ihrem deutschen Ehemann und den drei Kindern auf das ererbte Rittergut Nassenheide. Dort stürzt sie sich in die Gestaltung des vernachlässigten Gartens, um der Enge des Hauses und den Erwartungen an sie als Frau zu entfliehen. Intelligent und mit Augenzwinkern portraitiert die Autorin die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit.

Elizabeth von Arnim, eigentlich Mary Annette Beauchamp (1866-1941), war eine weltweit bekannte britisch-australische Schriftstellerin, die zeitweise in Australien, England, Deutschland, der Schweiz, Frankreich und den USA gelebt hat. Ihr Debüt Elizabeth im Garten, entstanden während ihres Aufenthalts in Deutschland auf Gut Nassenheide und unter Pseudonym veröffentlicht, war ein unmittelbarer Erfolg und wird bis heute begeistert gelesen.

7. Mai

Ich liebe meinen Garten. Gerade sitze ich dort und schreibe in der Süße des Spätnachmittags, ständig abgelenkt von den Stechmücken und der Pracht der frischgrünen Blätter, die vor einer halben Stunde von einem Schauer kalt geduscht wurden. Zwei Eulen hocken in meiner Nähe und führen ein langes Gespräch, dem ich mit ebenso viel Vergnügen lausche wie jedem Nachtigallenträllern. Herr Eule sagt

,

und sie antwortet von ihrem Baum, ein Stück entfernt:

,

womit sie die Bemerkung ihres Gemahls so schön bekräftigt und vollendet, wie es sich für eine ordentliche deutsche Eulenfrau geziemt. Sie sagen immer und immer wieder das Gleiche, mit so viel Nachdruck, dass ich vermute, es muss sich um irgendwelche Gemeinheiten über mich handeln; aber ich werde mich durch den Sarkasmus von Eulen nicht vertreiben lassen.

Dies ist weniger ein Garten als eine Wildnis. Seit fünfundzwanzig Jahren hat niemand im Haus gewohnt, geschweige denn im Garten, und es ist ein so hübscher alter Ort, dass die Leute, die hier hätten leben können und stattdessen die Schrecken einer Stadtwohnung vorzogen, zu jener Masse augen- und ohrenloser Menschen gehört haben müssen, aus der die Welt hauptsächlich zu bestehen scheint. Nasenlos außerdem, auch wenn das nicht schön klingt; dabei verdankt sich der Großteil meines Frühlingsglücks gerade dem Duft feuchter Erde und junger Blätter.

Ich bin immer glücklich (draußen, wohlgemerkt, denn drinnen gibt es Dienstboten und Möbelstücke), wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, und mein Frühlingsglück hat keinerlei Ähnlichkeit mit meinem Sommer- oder Herbstglück; es ist aber auch nicht intensiver, und letzten Winter gab es Tage, an denen ich aus schierer Freude in meinem froststarren Garten tanzte, ungeachtet meiner Jahre und meiner Kinder. Wenigstens tat ich es hinter einem Busch, mit Rücksicht auf Anstand und Schicklichkeit.

Ringsum gibt es so viele Traubenkirschen, große Bäume mit im Gras schleifenden Zweigen, und sie sind gerade so üppig mit weißen Blüten und zartem Grün bekränzt, dass der Garten aussieht wie ein Hochzeitsfest. Ich habe noch nie solche Massen gesehen; alles schien voll von ihnen zu sein. Selbst am anderen Ufer des kleinen Bachs im Osten, inmitten des Kornfelds dahinter, steht ein riesiges Exemplar, ein Bild voller Grazie und Glanz vor dem kalten Blau des Frühlingshimmels.

Mein Garten ist von Kornfeldern und Wiesen umgeben, und dahinter liegen weite Landstriche aus sandiger Heide und Kiefernwäldern. Wo die Kiefernwälder enden, beginnt wieder die kahle Heide, aber die Wälder sind wunderschön in ihrer luftigen, rosastämmigen Weite, hoch darüber Kronen in sanftestem Graugrün, darunter ein strahlend grüner Heidelbeerteppich, und überall die atemlose Stille; und auch die karge Heide ist wunderschön, denn man kann über sie hinausblicken bis fast in alle Ewigkeit, und wenn man mit Sicht auf die untergehende Sonne über sie hinschreitet, ist es, als ginge man geradewegs in die Gegenwart Gottes.

In der Mitte der Ebene liegt die Oase aus Traubenkirschen und Grün, in der ich meine glücklichen Tage verlebe, und in der Mitte jener Oase liegt das graue Steinhaus mit den vielen Giebeln, in dem ich meine widerwilligen Nächte hinter mich bringe. Das Haus ist sehr alt und wurde immer wieder vergrößert. Vor dem Dreißigjährigen Krieg war es ein Kloster, und die Kapelle mit ihrer Gewölbedecke und dem von frommen Bauernknien abgewetzten Ziegelboden dient jetzt als Eingangshalle. Gustav Adolf zog mehr als einmal mit seinen Schweden vorbei, was akribisch in bis heute erhaltenen Archiven verzeichnet wurde, denn wir liegen an der einstigen Verbindungsstraße zwischen Schweden und dem glücklosen Brandenburg. Der Löwe aus dem Norden war zweifellos ein achtbarer Mensch und handelte ganz und gar nach seinen Überzeugungen, aber er muss die friedfertigen Nonnen, die durchaus ihre eigenen Überzeugungen hatten, auf betrüblichste Weise aus der Fassung gebracht haben, als er sie hinausjagte in die weite, leere Ebene, wo sie sich einen kärglichen Ersatz für ihr hiesiges Leben der Stille suchen mussten.

Aus fast allen Fenstern des Hauses kann ich über die Ebene hinausschauen, ohne irgendein Hindernis in Form eines Hügels, geradeaus bis zur blauen Linie eines fernen Waldes und im Westen ohne Unterbrechung bis zur sinkenden Sonne – nichts als wogendes grünes Flachland mit einer scharfen Kante vor dem Sonnenuntergang. Die Westfenster mag ich am allerliebsten, und ich habe mir ein Schlafzimmer auf dieser Seite des Hauses ausgesucht, damit nicht einmal die Zeit des Haarebürstens ganz verschwendet wird; die für solche Angelegenheiten zuständige junge Frau hat gelernt, ihre Pflichten an einer im Sessel am offenen Fenster liegenden Herrin zu erfüllen und diese süße, selige Zeit nicht durch Geschwätz zu entweihen. Das Mädchen ist betrübt über meine Gewohnheit, fast ausschließlich im Garten zu leben, und seit sie bei mir ist, sind all ihre Vorstellungen über das Leben, das eine respektable deutsche Dame führen sollte, in traurige Unordnung geraten. Die Leute in der Gegend sind davon überzeugt, ich sei – so freundlich wie möglich ausgedrückt – exzentrisch, denn es hat sich herumgesprochen, dass ich den Tag im Freien mit einem Buch verbringe und dass mich kein menschliches Auge je beim Nähen oder Kochen erblickt hat. Aber warum kochen, wenn man jemanden kochen lassen kann? Und was das Nähen angeht, umsäumen die Dienstmädchen die Betttücher schöner und schneller, als ich es je könnte; außerdem sind alle Formen von Handarbeiten Erfindungen des Satans, die verhindern sollen, dass die Törichten ihr Herz der Weisheit zuwenden.

Wir waren schon fünf Jahre verheiratet, als uns plötzlich der Gedanke kam, diesen Ort zu nutzen, um hierherzuziehen und darin zu leben. Diese fünf Jahre hatten wir in einer Wohnung in einer Stadt verbracht, und über diesen ganzen unendlichen Zeitraum hinweg war ich vollkommen trübselig und vollkommen gesund; das entkräftet eine unschöne Vorstellung, die mich zeitweise beunruhigt hat: dass mein Glück hier weniger mit dem Garten zu tun haben könnte als mit einer guten Verdauung. Und während wir dort unser Leben verschwendeten, gab es hier diesen liebenswerten Ort, mit Löwenzahn bis direkt an die Tür und vom Gras vollkommen überwucherten Wegen, im Winter so einsam, dass niemand außer dem Nordwind von ihm Notiz nahm, und im Mai – in all diesen fünf wunderbaren Maimonaten – voller herrlicher Traubenkirschen und noch herrlicherer Fliedermassen, die niemand sah, alles wuchernd und wehend, der Wilde Wein jedes Jahr wahnsinniger, bis er dann im Oktober sogar das Dach mit blutroten Locken umkränzte und die Eulen und Eichhörnchen und all die gesegneten kleinen Vögel die Herrschaft übernahmen, wobei kein lebendes Wesen je in das leere Haus eindrang, bis auf die Schlangen, die in jenen stillen Jahren die Angewohnheit entwickelten, sich an der Südwand in die dort gelegenen Zimmer zu winden, wann immer die alte Haushälterin die Fenster öffnete. All das war hier – Friede und Glück und ein sinnvolles Dasein –, und dennoch kam es mir nie in den Sinn, herzuziehen und darin zu leben. Im Rückblick erstaunt mich das; ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum ich erst so spät entdeckte, dass hier, in dieser abgeschiedenen Ecke, mein Himmelreich lag. Tatsächlich war mir der Gedanke so fern, diesen Ort auch nur im Sommer zu nutzen, dass ich mich jedes Jahr wochenlang dem Leben am Meer mit all seinen Schrecken unterwarf, bis ich dann endlich, letztes Jahr im Vorfrühling, zur Eröffnung der Dorfschule herkam und danach in den kahlen, verlassenen Garten hinauswanderte, wo mir irgendein Duft von feuchter Erde oder moderndem Laub auf einen Schlag meine Kindheit und all die glücklichen Tage, die ich im Garten verbracht hatte, ins Gedächtnis rief. Könnte ich diesen Tag je vergessen? Er markierte den Beginn meines wahren Daseins, meinen Eintritt ins Erwachsenenleben, in mein eigenes Reich. Anfang März, mit einem stillen grauen Himmel und stiller brauner Erde; blattlos und traurig und ziemlich einsam, da draußen in der feuchten Stille; und dennoch fühlte ich verzückt den gleichen Rausch purer Freude über den ersten Frühlingshauch wie als Kind, und die fünf verschwendeten Jahre fielen von mir ab wie ein Mantel, und die Welt war voller Hoffnung, und ich legte an Ort und Stelle ein Gelübde an die Natur ab, und seitdem bin ich glücklich.

Mein Gemahl war milde gestimmt und dachte sich vielleicht auch im Geheimen, dass es ganz gut wäre, sich um das Haus zu kümmern, jedenfalls erklärte er sich bereit, eine Zeit lang dort zu leben. Es folgten sechs außerordentlich selige Wochen von Ende April bis Juni, in denen ich alleine hier war; ich sollte das Anstreichen und Tapezieren überwachen, ging aber tatsächlich erst dann ins Haus, wenn die Handwerker es verlassen hatten.

Wie glücklich ich war! Ich kann mich nicht entsinnen, jemals eine so vollkommene Zeit erlebt zu haben, seit jenen Tagen, als ich noch zu klein für Schulstunden war und mit meinem gezuckerten Elf-Uhr-Butterbrot auf den dicht mit Löwenzahn und Gänseblümchen bestreuten Rasen hinausgeschickt wurde. Der Zucker auf dem Butterbrot hat seinen Zauber verloren, aber Löwenzahn und Gänseblümchen liebe ich heute sogar noch leidenschaftlicher als damals; ich könnte es niemals ertragen, sie abgemäht zu sehen, wenn ich nicht wüsste, dass sie ein, zwei Tage später ihre kleinen Gesichter wieder übermütig emporstrecken. In diesen sechs Wochen lebte ich in einer Welt aus Lust und Löwenzahn. Der Löwenzahn bedeckte alle drei Rasenflächen – ehemaliger Rasen jedenfalls, inzwischen erblüht zu Wiesen voller...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2024
Übersetzer Sofia Blind
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7317-6255-2 / 3731762552
ISBN-13 978-3-7317-6255-3 / 9783731762553
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