Demaskiert -  Sascha Michael Campi

Demaskiert (eBook)

Bern Krimi
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
220 Seiten
Neptun Verlag
978-3-85820-345-8 (ISBN)
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Der selbsternannte «Corona-Rebell» Matteo Meier sorgt mit seiner regierungskritischen Haltung und seinen Auftritten schweizweit für Schlagzeilen. Die junge Alina Lüpold verschwindet in der Nacht ihres achtzehnten Geburtstags, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, spurlos. Der ehemalige Berner Kriminalbeamte Walter Lehmann sitzt im Rollstuhl. Auf dem beschaulichen Bümplizer Friedhof lernt er die junge Witwe Lisi Badou kennen. Die beiden freunden sich an und eröffnen ein Detektivbüro, spezialisiert auf die Suche nach vermissten Personen. Alina beginnt gegen die metallene Tür zu hämmern. Sie beginnt zu rufen, zu schreien, noch fester zu hämmern, bis sie vor Schmerzen nicht mehr kann. Sie versucht sich zu beruhigen, zu realisieren, zu kombinieren. Betonwände. Eisentür. Das verschlossene Türschloss. Alina schreckt auf. «Ein Luftschutzraum!»

geboren 1986 in Aarau. Als Krimiautor und Kolumnist, spezialisiert auf die Themen 'Crime & Art', im In- und Ausland tätig. Mitglied des Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller Vereins sowie im Syndikat, dem Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur. Sein Herz schlägt für Sport, Fitness, Literatur, seine zwei Katzen und die Stadt Bern.

1


Montagnachmittag in der Stadt Bern. Es ist anfangs September. Ein kühler Wind weht durch die Bottigenstrasse, mitten durch den Friedhof im Stadtteil Bümpliz. Das Laub wirbelt spiralförmig über die Gräber, die Äste an den Bäumen biegen sich gleichzeitig hin und her. Das Pfeifen des Windes ist das einzige Geräusch weit und breit, ansonsten herrscht Totenstille. Walter Lehmann blickt auf den Grabstein vor sich. Seine Augen sind feucht und in seinem Innern duelliert sich gerade die Wut mit der Trauer. Trauer, weil seine geliebte Ehefrau Therese vor einem Jahr an Krebs erkrankt und kurz darauf dem Tod zum Opfer gefallen ist. Wut gegen die Menschheit, um genau zu sein nicht gegen die gesamte, sondern lediglich gegen die jüngere. Ausgelöst wurde diese Wut soeben durch eine zerdrückte Blechdose, welche inmitten der Blumenpracht auf dem Grabbeet seiner Frau liegt. Eine leere Cola-Dose, die wohl jemand fern jeglichen Respektes auf dem Grab entsorgt hat.

«Diese Chaoten», flucht Walter, während er, im Rollstuhl sitzend, mit seinem Greifstock versucht, die Büchse aus dem Beet herauszufischen.

Wie praktisch dieser verlängerte Metallarm auch ist, auch nach Jahren beherrscht ihn Walter noch immer nicht richtig. So erwischt er erst beim vierten Anlauf das Behältnis. Genervt deponiert er es auf seinem Schoss. Gleichzeitig unterbricht lautes Gerede die Stille. Eine Gruppe Teenager schlendert durch den Friedhof. Alle mit Smartphones in der einen und Getränkedosen in der anderen Hand. Walter überlegt sich, die Jungen anzuschnauzen und auf die Abfalleimer hinzuweisen, doch dann verzichtet er darauf. Zum einen würden sie ihn wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen, da sie alle auch noch Kopfhörer tragen und zum anderen ist die Jugend momentan genug bestraft, das ist Walter bewusst. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist immer weniger erlaubt und so erstaunt es nur wenig, dass Teenager in Gruppen durch die Strassen ziehen und sich an Orten treffen, wo sie früher nie hingegangen wären. Dadurch wurden sie auch nicht mehr von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Wenigstens diese Umstände musste Therese nicht auch noch miterleben, tröstet sich Walter. Zu sehr hätte sie sich die aktuelle Pandemielage zu Herzen genommen, sie, die jahrelang im Altersheim tätig war und jedes Mal zu Hause wie ein Schlosshund heulte, wenn der Sensenmann die nächste Bewohnerin oder den nächsten Bewohner zu sich geholt hatte. Walter wischt sich die Tränen aus den Augen, reibt sich seine Schweisshände an der Hose trocken und beginnt, die Räder am Rollstuhl in Bewegung zu setzen. Von weitem fokussiert er bereits sein nächstes Ziel: die Parkbank am äussersten Rand des Friedhofs, daneben den metallenen Abfalleimer mit einem Aschenbecher. Wie nach jedem seiner Besuche am Grab seiner Frau platziert Walter seinen Rollstuhl neben der Parkbank, dann holt er aus seiner Bauchtasche eine Packung Zigaretten hervor. Therese mochte es nicht, wenn Walter rauchte. Er wusste das genau und vermied es, in der Nähe seiner Frau diesem Laster nachzugehen. Nach der Arbeit putzte er sich im Büro daher stets brav die Zähne, besprühte sich mit einem Billigparfüm, doch war die Mühe meist vergebens.

«Du hesch wider groucht!» (Du hast wieder geraucht), begrüsste Therese ihren Mann jeweils zu Hause in tiefstem Berndeutsch.

Doch trotz Tadel folgten jedes Mal ein sinnlicher Begrüssungskuss und ein liebevoll zubereitetes Abendessen. Zwar war es manchmal versalzen, doch Walter hätte keines dieser gemeinsamen Abendessen je missen wollen. Genüsslich zieht Walter an seinem Glimmstängel, während er mit der anderen Hand die Blechdose nimmt, um sie im Abfalleimer zu versenken.

«Verdammt», flucht er, als er das Loch des Abfalleimers verfehlt und die Dose versehentlich zu Boden fällt. Verärgert holt er erneut den seitlich im Rollstuhl verstauten Greifer hervor. Die Büchse mit den Augen fixierend, beginnt er erneut nach ihr zu angeln. Eine dunkelbraune Frauenhand taucht in seinem Sichtfeld auf, langt nach der Büchse und wirft sie durch den Schlitz des Abfalleimers.

«Das hätte ich auch selbst geschafft», nörgelt Walter und dreht den Rollstuhl zur Seite, damit er seine Helferin sehen kann.

Vor ihm steht eine dunkelhäutige, junge Frau mit lockigem, schulterlangem Haar und einem sichtlich verweinten Gesicht. Sie setzt sich neben ihn auf die Parkbank und stützt ihr Gesicht auf die Handflächen. Dann beginnt sie loszuheulen. Walter schämt sich bereits für seine unfreundliche Reaktion, daher entschuldigt er sich mit einem simplen «Sorry» und zieht weiter an seiner Zigarette. Die Frau neben ihm reagiert nicht, es wirkt auf Walter, als würde sie ihn gar nicht wahrnehmen, so sehr in Trauer und Verzweiflung versunken. Es würde ihn nicht einmal erstaunen, wenn sie sich nicht einmal mehr daran erinnern würde, ihm vor wenigen Sekunden mit der Blechdose geholfen zu haben. Walter kramt in seiner Bauchtasche herum, holt eine angefangene Packung Papiertaschentücher hervor und reicht sie der Verweinten.

«Ähm, entschuldigen Sie, die könnten Sie eventuell gebrauchen.»

Die Frau nimmt ihre Hände, die sie sich vors Gesicht gehalten hat, weg. Sie nimmt die angebotene Packung mit den Taschentüchern, bedankt sich mit einem Nicken und beginnt, in ein erstes Taschentuch zu schnäuzen. Walter drückt unterdessen seine Zigarette am Rand des Abfalleimers aus. Dann dreht er sich mit seinem Rollstuhl ab, um sich auf den Heimweg zu machen. Je weiter er sich von der Parkbank entfernt, hört er hinter sich das immer lauter werdende Geheule der jungen Frau. Walter hält einen Moment inne, dreht mit dem Rollstuhl um und fährt zurück zur Parkbank und zu der jungen Frau.

«Es wird besser, das Leben geht weiter», versucht er sie zu trösten.

Mit verheulten Augen schaut sie ihm nun erstmals direkt in die Augen.

«Wirklich? Wird es echt besser?», hakt die junge Frau hoffnungsvoll und zugleich misstrauisch nach.

«Nein, eigentlich nicht!»

Kaum ausgesprochen, bereut Walter das Gesagte. Das löst bei der jungen Frau einen noch stärkeren Heulkrampf aus. Walter beschliesst, einen Moment lang zu schweigen, in der Hoffnung, allein mit seiner Anwesenheit, seinem stillen Beistehen etwas Gutes bewirken zu können. Als sich ihr Zustand nicht bessert, bietet er ihr etwas zu rauchen an.

«Zigarette?», fragt er vorsichtig.

«Nein danke, ich rauche nicht», antwortet sie schluchzend, ihren Körper nicht bewegend und das Gesicht noch immer durch die Hände verdeckt.

«Ein guter Tag, um damit anzufangen!», schiesst es aus Walter heraus, der kaum ausgesprochen erneut sein Gesagtes bereut.

Entsetzt sieht sie ihr Gegenüber durch den Spalt, der durch die zur Seite bewegenden Hände entstanden ist, an.

«Trösten ist nicht gerade Ihre Stärke, stimmt‘s?», schluchzt sie ihn an.

«Nein, das ist wirklich nicht meine Stärke, doch glauben Sie mir, ich weiss genau, was Sie gerade durchmachen. Meine Frau Therese ist vor knapp einem Jahr verstorben. Krebs. Ausgerechnet sie, die nie eine Zigarette angerührt, sich vegetarisch ernährt und regelmässig Sport getrieben hat. Sie wurde trotzdem aus dem Leben gerissen!»

«Das tut mir sehr leid», erwidert die Fremde.

«Wissen Sie, was das Schlimmste ist, abgesehen von ihrem Tod? Was mir immer wieder durch den Kopf geht?»

«Nein, was denn?» Gespannt schaut sie ihn an.

«Vier Jahre zuvor habe ich einen Schlaganfall erlitten. Seither bin ich von der Hüfte abwärts gelähmt. Anfänglich wollte ich mir die Kugel geben. Ich haderte täglich mit meinem Dasein, war andauernd genervt und für mein Umfeld kaum auszuhalten. Dann begann ich Alkohol zu trinken, wurde noch mühsamer. Wissen Sie, was meine Frau in diesen vier Jahren tat?»

«Was denn?»

«Sie hat mich ertragen, hat mich gewaschen und gepflegt und sprach mir immer wieder Mut zu. Sie war so sehr mit meiner Pflege beschäftigt, dass sie ihren eigenen Körper gänzlich ignorierte und vergass. Und dann kam die vernichtende Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Überlebenschance von gerade mal drei Prozent. Es vergingen keine vier Monate bis zur Beerdigung.»

Walters Augen füllen sich nun ebenfalls mit Tränen, auch wenn er sie zu unterdrücken versucht.

«Oje, das ist ja schrecklich. Das tut mir sehr leid, doch ich bin mir sicher, dass Ihre Frau Sie über alles liebte», tröstet ihn die Fremde.

«Wissen Sie, was ich mir nie verzeihen werde … Therese opferte ihre letzten Jahre für mich auf und ich führte mich teilweise wie ein riesiges, jammerndes Ekel auf!»

Die junge Frau gibt ein Papiertaschentuch aus der soeben erhaltenen Packung zurück. Walter bedankt sich und beginnt sich die Tränen aus den Augen zu wischen. Er hasst es, vor anderen zu weinen.

«Wissen Sie, junge Frau, es erwischt immer die Guten zuerst, das ist seit jeher die grösste Ungerechtigkeit auf Erden. Auch in meinem ehemaligen Beruf hatte ich viel mit dem Tod zu tun, ich weiss also ganz genau, wovon ich spreche.»

«Ach, waren Sie von Beruf Bestatter oder Arzt?»

«Ich war Kriminalbeamter bei der Kantonspolizei Bern. In unserer Abteilung – Leib und Leben – mussten wir uns mit so manchem sinnlosen Tod von guten Menschen befassen. Traurige Schicksale, unnötige Taten, manchmal aus Gier, Eifersucht, banalen Streitigkeiten und oft unter Einfluss von Drogen und Alkohol. Menschen, die andere verletzten, töteten oder gar, im Delirium befindend, Selbstmord begingen. In...

Erscheint lt. Verlag 24.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-85820-345-9 / 3858203459
ISBN-13 978-3-85820-345-8 / 9783858203458
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