Die andere Frau (eBook)
277 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-8926-6 (ISBN)
Ich
Ich
2 Frischer Wind
Der Wind ließ Paulinas leichten Mantel geräuschvoll flattern, wie ein Segel fast, das sie gerade hisste, um in ihr neues Lebe aufzubrechen. Voller Mut und nun berechtigter Entschlossenheit verließ sie das Haus. Auch wenn sie nicht ganz sicher war, ob ihre Entscheidung, Frau Himmelstoß zu engagieren, richtig war, fühlte sie sich bestärkt. Der Blick auf ihren Schal, der nicht angeschmort und völlig unversehrt war, ließ ihre Gedanken weiter um diese sonderbare Person kreisen. Jedenfalls war sie als Ratsuchende nicht, wie befürchtet, in irgendetwas Obskures geraten, nein, so war es nicht. Außerdem fiel ihr ein, dass sie es tatsächlich für einen kurzen Moment geschafft hatte, diese Frau auch ihrerseits zu verblüffen? Es amüsierte sie, was Paulina an ihren Grübchen anzusehen war. Kurz vor dem vereinbarten Treffpunkt mit Charly wurde ihr rascher Schritt durch eine rote Fußgängerampel gebremst. Sie bemerkte kaum, was um sie herum vor sich ging, PKWs, die vorbeirauschten, dann einen LKW, der in Warteposition an der Ampel stand und rauchende Auspuffgase wie Sprechblasen in einem Comic von sich gab. Sie erinnerten Paulina an das gerade Erlebte und sie musste schmunzeln, weil sie an die Rauchzeichen in Hermine Himmelstoß’ Wohnung dachte. Gleich danach betrat sie schwungvoll das Kaffeehaus. Der Zugang führte durch das Eingangsportal der Hofbäckerei, das, mit Schnitzereien reich und kunstvoll verziert, an längst vergangene Tage der Stadt Graz erinnerte. An die Zeiten, als der Hof noch in der Stadt weilte. Gleich danach sah Paulina Charly durch das Portal schreiten. Leicht zu erkennen an diesem besonderen Gang, die Festigkeit ihres Schrittes, und doch auch federnd und leicht, Charly eben. Eine Person, die auf wunderbare Weise die Eleganz eines weiblichen Wesens mit Kraft, Stärke und Sicherheit zu verbinden vermag. Als Wachorgan für weibliche Strafgefangene hatte Charly den Vorsatz, nachhaltig an die Grenzen, an Recht und Ordnung zu erinnern. Ja, nachhaltig. Für sie waren Gesetzesentgleisungen aller Arten nicht das Ergebnis von betimmten Erlebnissen oder einfach Charaktersache, sondern das Ergebnis einer Summe von Einflüssen. Meistens jedenfalls, wenn es auch hin und wieder Gefängnisinsassinnen gab, die aus guten Verhältnissen stammten, nie ein traumatisches Erlebnis gehabt hatten und dennoch zu einer Diebin oder Betrügerin geworden waren. Charly fand es interessant und beachtete ebenso deren Lebens- und Vorgeschichten. Vor allem lebte sie konsequent eine gewisse Eigenwilligkeit in der Ausübung ihres Berufes.
Als sie nun auf die Freundin zukam, war es nicht das erste Mal, dass Paulina es sich gut vorstellen konnte. Sich in Charly zu verlieben. Wenn, ja, wenn sie sich zu weiblichen Wesen sexuell hingezogen gefühlt hätte, was eben nicht Paulinas Veranlagung entsprach.
„He du!“, kam es in origineller Frische von Charly.
Paulina lächelte. „Warum hast mir nicht gesagt, wie schräg diese Astrologin ist?“
„Also, ich persönlich habe keine eigene Erfahrung mit ihr. Aber ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass sie wirklich gut ist.“ Charly lachte kurz auf.
„Nur, sie sollte auch die Dinge draufhaben, die man von einer Astrologin erwartet, du weißt schon – Ihr Mond ist im achten Haus, Achtung tiefe Gefühle, da tut dies oder das gut und so dahin, wie das eben so läuft.“
„Hat sie, verlass dich drauf. Sie gibt sich nur gerne unkonventionell oder direkt! Sie passt, glaub mir! Allein schon durch ihr Äußeres!“ Beide lachten. Nicht über Frau Himmelstoß, weil sie schrullig aussah, sondern wegen Frau Himmelstoß, weil sie so besonders war.
Eine Gruppe junger Menschen betrat das Lokal und bewegte sich weiter nach nebenan. Einer der jungen Männer machte kehrt, ging an den Tisch der beiden Freundinnen und lächelte sie umwerfend an. Er hielt lose Blätter in der Hand und legte eines davon auf den Tisch. Paulina war zu überrascht, sie nahm nur beiläufig wahr, dass es um die Neueröffnung eines Geschäftes ging und eine der neuen alternativen Ideen zur Verwertung von getragenen oder gebrauchten Dingen, oder Geräten. Der äußerst gutaussehende Mann, dunkelhaarig, glutäugig, groß und gut gebaut, war eigentlich umwerfend. Das bemerkte sogar Charly und betrachtete ihn aufmerksam, während er sprach.
„Wenn ihr Freitag Zeit habt, hier eine Einladung zur Eröffnung. Und es gibt ein interessantes musikalisches Highlight. Jede Woche gibt es bei uns etwas in dieser Art, entweder einen Vortrag, eine offene Gesprächsrunde, Musik und oder Lesung. Geht immer um eine neue Freigeistigkeit, Offenheit und Fortschritt auf Basis der Menschen- und Frauenrechte und einer universellen Ethik.“ Er lächelte umwerfend und sah Paulina in die Augen, wollte schon weitergehen.
Charly konnte sich nicht zurückhalten ihn anzusprechen. „Und – wie denkt ihr über den Skulpturbrunnen im Einkaufszentrum Süd, nennt sich Brunnen der Weiblichkeit? Soll übrigens eine Vagina darstellen! Und, sollte dieses Denkmal der Frauenbewegung Schwung geben oder einfach nur wieder einmal einem Mainstream-Feminismus dienen? Oder gar noch ärger – eine Attraktion für Männer und für einen Mainstream-Sexismus sein? Das könntet ihr auch hinterfragen!“
Er nickte überrascht und interessiert, wirkte zustimmend und ging weiter, und ja, er wolle sich darum kümmern.
Charly schmunzelte und Paulina konnte es sich denken, dass ihre Freundin bereits feministische Streiks oder Kundgebungen vor dem Brunnen sah.
Paulina lächelte, nicht nur wegen dieser Vorstellung, und ihre Grübchen traten überdeutlich hervor.
Charly entging nichts. „He, he? Der ist ziemlich jung! Na, trotzdem, gut, dass du so etwas auch bemerkst, ich bin überrascht.
Paulina wirkte locker amüsiert, als sie scherzend fortsetzte. „Ist sowieso nix für mein Alter. Aber davon abgesehen, könnte es sein, dass jetzt neue Männer auftauchen? Wohl eher bei den jungen und jüngeren Männern?“
Charly hob die Schultern. „Kürzlich les ich, dass 33 % der jungen Männer Gewalt gegen Frauen akzeptabel finden! Heute noch! Tja, dann sind die hier wohl die anderen!“
„Und was ist mit den neuen, anderen Frauen? Solche, die sich nicht ständig vergleichen, wer denn die Schönere oder Bessere ist … was damit endet, dass Frau dann äußerlich eine andere sein will … obwohl …“, Paulina zögerte, ein neuer, noch unklarer Gedanke regte sich in ihr.
Charly nahm den Faden gern auf. „Hm, es gibt solche Frauen, die alles tun, um so auszusehen, wie eine Prominente. Aber, denk, es gibt die anderen jungen Frauen, die natürlich und ökologisch leben und nicht nur reden. Die sind, denke ich, vielleicht sich selber die andere Frau!?“
Paulina hob kurz die Augenbrauen, sagte erst nichts, irgendwie traf sich das mit ihrem neuen Gedanken, sie ließ diesen aber im Inneren. „Du … aber! Du bist doch eine neue Frau! Du lebst dich wie du bist! Und wenn du Lust hast, bist du auch mal eine Andere, ohne deine Haare zu färben oder deine Nase zu operieren! Charly lächelte verschmitzt. „Na, das sind bloß die paar Jahre, die ich jünger bin als du!“
Paulina bemerkte, wie Charly wieder an diese Grenze kam zwischen ironisch und ernst. „Genug, genug! Apropos neue Frauen, gibt es da eine in deinem Leben?
Charly war nicht zu bremsen und sprach mit gespielt ernster Miene weiter. „Zurück zu den Männern, die sollten wir nicht vergessen! Und ich glaube, auch wenn es mich nicht so interessiert, es gibt sie doch! Die Männer, die die Persönlichkeit einer Frau schätzen!“ Sie grinste schelmisch. „Also, ein Hoch auf die neuen Männer, und die neuen Frauen!“ Sie wurde leiser. „Tja, es gibt auch eine neue Frau in meinem Leben. Vorerst verrate ich nicht! Ist viel zu früh!“
Paulina nickte lächelnd, beide kamen in ein lockeres Lachen und ließen sich von ihrem Lachen mitnehmen, andere Gedanken für Momente hinwegspülen. Die Lockerheit blieb, als Paulina weiterfragte. „Und? Wie denkst denn über meine Idee, im Geschenkeshop eine astrologische Geschenkeberatung einzuführen?“
Charly nahm einen Schluck Kaffee. „Gut! Guuut! Hat nichts mit übertriebenen oder seltsamen Erwartungen von Außersinnlichem zu tun.“ Da sie denselben Tonfall, wie in den vorherigen Bemerkungen behielt, waren damit Paulinas Zweifel nicht ausgeräumt. Deshalb bekräftigte Charly. „Frauen neigen ja sowieso dazu und von Männern höre ich, dass es jetzt immer mehr Astrologie-Interessierte gibt. Na, im Ernst, deine Idee ist voll in Ordnung!“
„Und kann ich mit deiner Hilfe rechnen?“
Charly erklärte gespielt trocken. „Natürlich, soweit ich neben meinem Job die Möglichkeit habe!“
In Paulinas innere Welt kehrte Sicherheit und Ruhe ein, Charlys Humor und Zusage waren mindestens so hilfreich wie die Astrologin. Sie bemerkte dies beiläufig, als sie den Mantel anzog und Charly umarmte, die noch an ihrem Kaffee schlürfte, während Paulina Richtung Ausgang ging. Der fesche Kerl kam gerade aus dem Nebenraum, er rief ihr lächelnd nach. „Die Einladung ist mit dabei?"
Paulina ging noch mal zurück und nahm sie an sich, während Charly in ihre Tasse hinein schmunzelte.
Wenig später und sicheren Schritts, war Charly im Stadtpark unterwegs, am Teich, bei den Enten, traf sie eine etwa vierzigjährige Frau, etwas unscheinbar, und auch nicht, denn eine Fülle von wirren, rotblonden Locken umrahmte ihr Gesicht und ergoss sich auf die Schultern. Sie umarmten sich, schlenderten die Wege entlang, bis sie an ein sehr stilles Plätzchen kamen, das weit weg von allem schien. Aus einer Berührung der Hände, wurde ein Sich-Anschmiegen, aus dem Schmiegen ein Wangen-aneinander-Reiben, bis sich die Lippen berührten. Charly dachte...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bäume • Der Gesang der Flusskrebse • Fluss • Kiminalgeschichte • magisch • Natur • Stille |
ISBN-10 | 3-7584-8926-1 / 3758489261 |
ISBN-13 | 978-3-7584-8926-6 / 9783758489266 |
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