Phytopia Plus -  Zara Zerbe

Phytopia Plus (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Verbrecher Verlag
978-3-95732-592-1 (ISBN)
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Brütende Hitze, Artensterben, Dürreperioden und leere Regale im Supermarkt: Für die Menschheit sieht es in den 2040er Jahren nicht allzu rosig aus. Zumindest nicht für die ärmeren Teile der Bevölkerung. Wer Geld hat, lebt in komfortablen, eingezäunten Siedlungen mit eigenem Biosupermarkt und könnte die Klimakrise überleben, indem das Bewusstsein digitalisiert und auf der DNA einer Pflanze gespeichert wird. Die Drosera AG, ein Biotech-Konzern mit Sitz in Hamburg, vermarktet ein solches Verfahren. Kostenpunkt: 350.000 Euro. Aylin gehört nicht zu den Menschen, die sich so etwas leisten können. Sie arbeitet als Aushilfsgärtnerin in den Gewächshäusern der Drosera AG und tauscht mit Besserverdienern seltene Zierpflanzen gegen frische Lebensmittel. Gern hätte sie für ihren Großvater einen Speicherplatz auf einer Pflanze. Als ungewöhnliche Panaschierungen auf den Blättern der Speicherpflanzen auftauchen, beginnt Aylin auf dem Schwarzmarkt Profit daraus zu schlagen, um sich ihren Wunsch zu erfüllen. »Phytopia Plus« ist eine gesellschaftskritische Reflexion einer nicht allzu weit entfernten Zukunft.

Zara Zerbe wurde 1989 in Hamburg-Harburg geboren, hat Literatur- und Medienwissenschaften studiert und lebt als freie Autorin in Kiel. Sie ist Mitherausgeberin des Literaturmagazins 'Der Schnipsel' und veranstaltet die 'Lesebühne FederKiel' in der Hansa48 in Kiel. Ihre Erzählung 'Limbus', für die sie mit dem Preis 'Neue Prosa Schleswig-Holstein 2018/2019' ausgezeichnet wurde, ist 2020 im Sukultur Verlag erschienen. 2021 erschien die Novelle 'Das Orakel von Bad Meisenfeld' im stirnholz Verlag. 2022 wurde sie mit dem Kunstförderpreis des Landes Schleswig-Holstein ausgezeichnet. 'Phytopia Plus' ist ihr Debütroman.

Großvater sitzt bereits auf der Bank vor seinem Wohnblock, als Aylin mit ein paar Minuten Verspätung zu ihrer Verabredung eintrifft.

»Wir machen einen Spaziergang«, sagt er zur Begrüßung. »Du darfst nur nicht wieder so rennen. Das Wetter ist ja so schön.«

»Du hast nicht aufgeräumt, oder?«

»Da hast du mich ertappt«, gibt Großvater zu und erhebt sich mit knackenden Kniegelenken von der Bank.

»Für mich musst du wirklich nicht aufräumen, das weißt du doch. Aber schön, gehen wir spazieren.«

Gemeinsam gehen sie die Straße herunter in Richtung Stadtpark. Aylin muss sich Mühe geben, ihre gewohnheitsmäßig schnellen Schritte zu einem gemütlichen Schlendern zu drosseln.

»Es ist fast wie am Meer«, seufzt Großvater und lässt seinen Blick über den Stadtparkteich schweifen, der noch nicht unendlich nach Eutrophierung stinkt. Offenbar haben sie sich für ihren Spaziergang einen der drei, vier perfekten Tage im Jahr ausgesucht, an denen der Winter den Zangengriff um Großvaters Gelenke gelockert hat und er noch seinen Frieden vor der unbarmherzigen Sommerhitze genießen kann.

»Ich war gestern Abend schon hier«, erzählt Großvater. »Und ich habe einen Frosch gehört!«

»Einen Frosch? Bist du dir sicher?«

»Ich habe mich gewundert. Es ist viel zu früh im Jahr.«

»Glaubst du wirklich, dass es hier noch Frösche gibt? In der Ekelpfütze dort?« Aylin schüttelt sich. Einmal hat sie beobachtet, wie eine Gruppe Menschen unter vollem Körpereinsatz die unterschiedlichsten Dinge aus dem Teich geangelt hat. Fahrräder, reihenweise E-Scooter, diese altmodischen Einkaufswagen, eine ganze Menge Elektrogeräte und einen riesigen Haufen undefinierbarer Holz- und Metallteile. Schrott, würde man vielleicht sagen, und die meisten Dinge waren mit einer schleimigen Algenschicht überzogen. Am allermeisten ist ihr der Verwesungsgeruch im Gedächtnis geblieben, und dass absolut nicht erkennbar war, ob diese Menschen einer bestimmten Gruppe angehörten – sie waren keine erkennbaren Aktivist*innen und erst recht niemand vom kommunalen Ordnungsdienst, den Aylin ohnehin nur vom Hörensagen kennt. In den Vierteln südlich der Elbe hat sie so etwas noch nie gesehen, und in den eingezäunten Quartieren im Norden gibt es meistens einen privaten Ordnungsdienst, der dort ganz bestimmt überflüssig ist. Sicherlich nicht die schlechteste Arbeit, doch ihren Job im Gewächshaus würde sie gegen keinen anderen eintauschen wollen. Was wohl mit all dem Zeug aus dem Teich passiert ist? Schade, dass sie nicht nachgeschaut hat, ob etwas davon bei Pidgin gelandet ist. Dafür, dass das hier ein gutes Habitat für Frösche sein soll, spricht nichts. Ob der Großvater tüdelig wird? Frösche hören, wo keine sind, ist jedenfalls kein gutes Zeichen.

»Wie läuft es bei deiner Arbeit?«, fragt Großvater. »Macht es dir noch Spaß?«

»Ich find’s immer noch gut. Jedenfalls besser als alle Jobs vorher.«

»Du bist dort nur für Zierpflanzen zuständig, oder?«

»Nur Zierpflanzen«, bestätigt Aylin, obwohl sie sich gar nicht sicher ist, ob das stimmt. »Zählen Bäume als Zierpflanzen? Wir haben auch ein Waldgewächshaus. Mit Waldbäumen.«

Großvater runzelt nachdenklich die Stirn. »Wenn sie keine Obstbäume sind, vielleicht. Aber Gemüse pflanzt ihr immer noch nicht?«

»Immer noch nicht, nein. Vielleicht in anderen Abteilungen, aber nicht bei mir.« Aylin schüttelt den Kopf. Wer würde sich denn auf einer Pflanze speichern lassen, die nach der ersten Blüte eingeht?

»Es gibt doch gar keine mehrjährigen Gemüsesorten. Oder?«

»Doch, doch«, ereifert sich Großvater. »Ewiger Kohl zum Beispiel.«

»Ewiger Kohl! Was soll das für ein Name sein? Darauf würde sich doch niemand speichern lassen.«

»Stimmt, besonders edel klingt das nicht. Aber wozu sollte man sich bei euch speichern – für ewiges Leben? Dafür wäre Giersch die beste Pflanze. Den wird man nie wieder los.«

»Giersch hat sich bisher tatsächlich niemand ausgesucht.«

»Sei froh! Aber ich verstehe ohnehin nicht, was da in euren Gewächshäusern passiert. Ist wohl doch was anderes als damals bei uns im Gemüsetunnel.«

Großvater bleibt auf dem Schotterweg stehen und reibt sich mit den Handflächen über den unteren Rücken.

»Sollen wir eine Pause machen?«, fragt Aylin, die seine Bewegungsabläufe auswendig kennt.

»Unbedingt«, antwortet er und steuert die nächste Parkbank an.

»Man müsste jetzt anfangen, Tomaten vorzuziehen. Heute wäre der perfekte Tag zum Samen einsetzen«, erzählt er, während er sich vorsichtig auf der Sitzfläche niederlässt und seine steifen Knie ausstreckt. Die Hacken seiner abgelaufenen Schuhe hinterlassen Furchen im staubigen Boden. Wenn Aylin keinen Kalender hätte, wüsste sie spätestens jetzt, dass der Februar fast vorbei ist. Dieses Gespräch führen sie jedes Jahr um diese Zeit. In zwei oder drei Wochen wird Großvater auf Gurken, Zucchini und Auberginen zu sprechen kommen und sich ab Anfang April über die Gemüsesorten auslassen, die er früher noch direkt ins Freiland setzen konnte. Damals, bevor sein Kleingarten am Neuländer Deich so versumpft war, dass er ihn erst nur noch in kniehohen Gummistiefeln und später gar nicht mehr betreten konnte. Das versucht Aylin bis heute zu verstehen: wie es sein kann, dass jedes Fleckchen Erde, das sich in ihrem Bewegungsradius befindet, entweder knochentrockene Wüste oder Sumpflandschaft ist. Dazwischen scheint es nichts mehr zu geben.

»Vielleicht versuche ich es dieses Jahr nochmal mit Tomaten«, überlegt Aylin laut, weil sie weiß, dass Großvater sich über solche Pläne freut. Und weil sie tatsächlich gern eigenes Gemüse hätte, dann wäre sie nicht auf die matschigen Tomaten in ihrem Supermarkt oder aus ihrem Tauschgeschäft angewiesen.

»Ich müsste nur mehr Platz an der Sonne haben. Die guten Fensterbänke sind schon belegt.«

»Sonnenlicht ist wichtig für gute Tomaten«, seufzt Großvater. »Sommersonnenlicht vor allem. Wir mussten ja das ganze Jahr welche anbauen. Aber die aus der Winterernte, die waren Mist. Man sollte Pflanzen nicht aus ihrem natürlichen Lebenszyklus herausreißen. Die wissen genau, wann sie was zu tun haben, und wenn man zur falschen Zeit etwas von ihnen einfordert, sind sie verwirrt.«

»Verwirrte Pflanzen? Okay.« Aylin findet es immer amüsant, wie ihr Großvater über Pflanzen spricht. Wie kleine Menschen oder andere fühlende Wesen, die ganz konfus werden, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Sie stellt sich vor, wie er bis zu seiner Rente keimunwilligen Tomatenpflanzen im Folientunnel gut zugeredet hat. Ja, es ist total gemein, dass wir hier versuchen, deinen Biorhythmus auszutricksen, aber guck mal, ich bin doch für dich da! Hier hast du etwas Dünger. Seinen eigenen Pflanzen hätte er so etwas nie angetan.

»Amüsier dich nur«, sagt Großvater und blickt sie schelmisch von der Seite an. »Du weißt doch, dass Pflanzen ein Eigenleben führen. Die können sogar kommunizieren! Wie Menschen.«

»Würdest du weniger komisches Zeug reden, wenn du wieder einen Garten hättest?«

»Ach Gott«, winkt er ab. »Ich bin doch viel zu alt, um mich gut darum zu kümmern. Und so viel Freude macht Gärtnern auch nicht bei der Misere hier draußen.«

Er scharrt mit dem linken Fuß im Boden und wirbelt etwas Sand auf, der von einem Windhauch in Richtung Teich davongetragen wird. Aylin beobachtet einen Schwarm Mücken, der über der Wasseroberfläche kreist. Die vorbeifliegende Staubwolke scheint die kleinen Plagegeister nicht zu stören. Dabei müsste sich so ein vorbeifliegendes Sandkorn zu einem Mückenkörper doch verhalten wie ein Golfball zu einem durchschnittlichen Menschenkörper? Sie würde auf jeden Fall ausweichen. Aber was weiß sie schon über Mücken, außer dass es viel zu viele gibt. Ein paar Fressfeinde würden ihnen gut stehen, selbst, wenn es nur Frösche wären.

Großvater hat das Thema Gärtnern, wie üblich, noch nicht losgelassen.

»Wenn ich ein Gewächshaus mit Hochbeeten hätte, wäre es etwas anderes«, überlegt er laut. »So müsste ich mich nicht immer bücken. Allerdings müssten wir zusammen überlegen, wo wir Erde...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
ISBN-10 3-95732-592-7 / 3957325927
ISBN-13 978-3-95732-592-1 / 9783957325921
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