Zwei Frauen in Berlin (eBook)

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2024 | 2. Auflage
268 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-8473-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwei Frauen in Berlin -  Claudia Cremer
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Berlin, 1929. Hanna kann es kaum erwarten, ihre erste Stelle anzutreten: Endlich nach ihren eigenen Vorstellungen unterrichten! Selbstständig und unabhängig leben! Fehlt nur noch eine passende Bleibe in der Großstadt. Eine Zeitungsanzeige führt sie zu Allie, die alles andere als die typische Mitbewohnerin ist. Allie arbeitet als Barkeeperin in einer Szenekneipe, feiert wilde Partys mit ihren Bohème Freunden und bekennt sich offen zu ihrer Homosexualität. Als sich Allie in Hanna verliebt, beginnen turbulente Zeiten. Eifersucht, Intrigen und der Aufstieg der Nazis bedrohen ihr Glück. Hanna und Allie müssen sich schließlich fragen, wieweit sie im Kampf um Freiheit und ihre Liebe gehen wollen.

Claudia Cremer hat deutsche und englische Literaturwissenschaften studiert und war einige Jahre als Lehrerin tätig. Danach schrieb sie Biografien für Privatpersonen und Liebesromane für den Kelter Verlag. Seit 2015 ist sie freie Schriftstellerin. Sie hat zwei Jugendromane verfasst, 'T?genky?' und 'Ashbury Road'. In ihrem neuen Roman 'Zwei Frauen in Berlin' beschäftigt sie sich mit Zeitgeschichte, so wie sie es schon als Biografin getan hat, und lässt ein Berlin der Zwanziger Jahre lebendig werden, in dem ihre Protagonistinnen um Selbstständigkeit, Freiheit und Liebe kämpfen müssen. Claudia Cremer lebt und arbeitet in Köln.

Ihr Autorinnendasein fing damit an, dass sie ihr Leben völlig umkrempelte. Claudia Cremer kündigte ihren festen Job als Lehrerin und machte sich als Biografin selbstständig. In den folgenden Jahren schrieb sie die Lebensgeschichten anderer Menschen auf, gestaltete deren Bücher und lektorierte Texte. Irgendwann wurde dann der Wunsch, eigene Geschichten zu entwickeln, immer größer. Seit 2015 ist sie freie Schriftstellerin.

Kapitel 1


 

Hanna ließ den Blick durch ihr Zimmer wandern. Das Bett war ungemacht, der Schreibtisch mit Zetteln übersät, auf dem Sessel lagen Rock und Bluse, daneben ein paar Bücher. Strümpfe und Stifte auf dem Boden. Und noch mehr Blätter. Noch mehr Bücher. Wie sie dieses Chaos hasste! Doch jetzt war keine Zeit zum Aufräumen. Sie musste sich konzentrieren. Hatte sie wirklich an alles gedacht? Das Wichtigste für heute eingepackt? Die Papiere? Das Unterrichtsmaterial? Sie stellte ihre Tasche aufs Bett und durchsuchte sie zum hundertsten Mal: Examenszeugnis? Eingesteckt. Empfehlungsschreiben? Eingesteckt. Lesebuch? Eingesteckt. Namensschilder für die Mädchen? Eingesteckt. Schlüssel? Ein-ge-ste-? Mist! Wo ist der Wohnungsschlüssel? In ihrer Manteltasche? Auf dem Schreibtisch? Sie hatte ihn gestern nach ihrer Radtour noch! Ganz bestimmt hatte sie ihn! Er musste irgendwo sein. Vielleicht unter dem Papierstapel auf dem Schreibtisch?

Hanna legte ein paar Schulbücher beiseite, wühlte in den Zetteln herum und entdeckte den Schlüssel schließlich in der obersten Schublade. Gott sei Dank! Sie packte ihn in ihre Tasche, hängte sie sich hastig über die Schulter und warf einen letzten Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Ihre Baskenmütze saß gerade, das kinnlange blonde Haar war gekämmt und der Mantelkragen sorgfältig gebürstet. Hanna lächelte sich an. Sie sah gut aus. Ihre Wangen schimmerten rosig, ihre hellbraunen Augen leuchteten ohne Schminke. Vielleicht wirkte sie etwas übernächtigt, aber sie war zu allem entschlossen und grenzenlos zuversichtlich, was ihre Zukunft anging. Denn auch wenn man ihr nur eine Vertretungsstelle zugeteilt hatte, so war es Unterricht und Geldverdienen und richtiges Leben, und das war mehr, als sie sich in den letzten Wochen hätte erträumen können. Endlich als Lehrerin vor einer Klasse stehen! Endlich wieder arbeiten können! Allein deshalb schon würde der 8. April 1929 in die Annalen ihrer persönlichen Geschichte eingehen.

Allerdings gab es noch eine wesentliche Hürde zu nehmen, die zwischen ihr und ihrem neuen Glück stand, und das war Frau Reinhard, ihre Pensionswirtin, die zu den Menschen gehörte, denen man am besten aus dem Weg ging, was leider selten möglich war. Hanna hörte sie schon seit dem Aufwachen im Nebenzimmer auf und ab gehen, was nichts anderes bedeutete, als dass eine der Mieterinnen wieder etwas so Unerhörtes angestellt hatte, dass es der guten Frau den Schlaf raubte. Schuldig war meistens Hanna, denn als die Neue machte sie grundsätzlich alles falsch: Sie ließ das Wasser zu lange laufen. Sie schlug die Schranktüren zu heftig zu und lüftete so ausgiebig, dass angeblich die ganze Wohnung auskühlte. Nein! Frau Reinhard blieb nichts verborgen und deshalb war es unsinnig von Hanna zu glauben, sie könne ihr entkommen, indem sie ihre Zimmertür leise schloss und auf Zehenspitzen durch den Flur schlich. Ihre Pensionswirtin wartete längst in einem schäbigen Morgenmantel und mit wirren Haaren auf sie, bereit für die erste Ansprache des Tages.

»Fräulein Blömeke, auf ein Wort!«, sagte sie mit strengem Blick.

Hanna blieb widerwillig stehen. »Es ist gerade sehr ungünstig, Frau Reinhard, ich muss zur Arbeit.«

»So viel Zeit wird wohl noch sein«, sagte die Alte, nicht ohne vorher prüfend auf ihre Armbanduhr geschaut zu haben. »Es geht um Ihr Fahrrad, Fräulein Blömeke.«

Oh nein! Nicht schon wieder das Fahrrad! Frauen fuhren eben Rad. Ganz Berlin war voll radelnder Frauen. Da konnte sich die Reinhard auf den Kopf stellen. Das würde sich nicht mehr ändern.

»Sie haben es erneut im Hof abgestellt«, schimpfte die Pensionswirtin.

»Ich kann es schlecht auf der Straße stehen lassen«, sagte Hanna.

»Im Hof stört es! Der Portier hat sich bei mir beschwert. Eine äußerst unangenehme Situation, wie Sie sich denken können.«

Hanna schaute sie ungerührt an. »Dann stelle ich es eben an die Mauer am Ende.«

Frau Reinhard hob den Zeigefinger. »Fahrräder gehören weder in den vorderen noch in den hinteren Bereich des Innenhofs. Sie glauben wohl, Ihnen stehen Sonderrechte zu.«

»Nein, natürlich nicht«, sagte Hanna, denn es war zwecklos zu verhandeln. Die Regeln der Hausordnung waren in Stein gemeißelt.

»Und da ist noch etwas, Fräulein Blömeke.« Die Alte zog den Mantel enger um ihre knochigen Hüften. »Mir ist aufgefallen, dass bei Ihnen das Licht bis in den Morgen brennt.«

Hanna seufzte. »Ich kann meinen Unterricht schlecht im Dunkeln vorbereiten.«

»Dann arbeiten Sie tagsüber wie jeder normale Mensch.«

»Ich habe sehr viel zu tun, Frau Reinhard.«

»Das mag sein! Trotzdem strahlt Ihre Deckenlampe durch das Oberfenster direkt in Fräulein Schnecks Zimmer.«

»Wenn ich eine Schreibtischlampe in meinem Zimmer hätte, würde ich sie benutzen«, sagte Hanna.

Frau Reinhard schnappte nach Luft, als würde sie noch im selben Moment einen Herzinfarkt erleiden. »Soll das eine Beschwerde sein? Wollen Sie behaupten, ich komme meiner Pflicht als Vermieterin nicht nach?«

Die große Standuhr im Flur schlug zur halben Stunde.

»Ich muss jetzt gehen, Frau Reinhard. Ich habe einen Termin einzuhalten. Das verstehen Sie doch bestimmt.« Hanna zog energisch ihre Tasche über die Schulter und schob sich an ihrer empörten Vermieterin vorbei.

»Hören Sie! Das Gespräch ist noch nicht beendet! Ich komme für Ihre überhöhten Stromkosten nicht auf!«, rief die Reinhard ins Treppenhaus.

»Das müssen Sie auch nicht«, sagte Hanna und schwor sich bei allem, was ihr heilig war, sich eine neue Bleibe zu suchen, sobald sie nur eine Sekunde Zeit hätte.

 

Als Hanna kurz darauf ihr Fahrrad auf den Bürgersteig schob und sich in den Verkehr einfädelte, war Frau Reinhard nur noch ein flüchtiger Gedanke, denn auf dem Hohenzollerndamm herrschte schon am frühen Morgen reger Verkehr. Motorräder schlängelten sich an Bussen vorbei. Autos hupten und drängelten. Fußgänger überquerten halsbrecherisch die Fahrbahn. Es war hektisch und unübersichtlich und Hanna war vollauf damit beschäftigt, dem Chaos irgendwie auszuweichen. Als sie in die Berkaer Straße einbog, verlangsamte sie ihr Tempo. Die Wege wurden schmaler, der Lärm der Autos verhallte und das Zwitschern der Vögel war zu hören. Doch die meisten Häuser in Grunewald wirkten ruhig und verschlafen. Hanna fragte sich, ob in einer der Villen eine ihrer Schülerinnen mit den Eltern beim Frühstück saß. Oder lagen sie alle noch in ihren Betten, die Decke über den Kopf gezogen, und verdrängten die Tatsache, dass die Osterferien zu Ende waren und das Lernen wieder anfing? Es war wirklich sehr früh am Morgen. Die Uhr auf dem Turm der Schule zeigte kurz vor sieben.

Hanna lenkte ihr Rad an dem mächtigen Hauptgebäude mit den hohen Fenstern vorbei, schob es durch das schmiedeeiserne Tor in den Pausenhof und lehnte es gegen die Mauer der Turnhalle. Als sie kurz darauf vor der Tür des Sekretariats stand, schlug die Glocke zur vollen Stunde.

»Guten Morgen, Fräulein Blömeke.« Fräulein Simonis, die damit beschäftigt war, Akten in einen Schrank zu räumen, lächelte ihr zu und deutete auf eine schwere Eichentür. »Der Herr Oberstudiendirektor erwartet Sie.«

Hanna bedankte sich höflich, strich noch einmal ihren Mantel gerade und klopfte beherzt an.

»Treten Sie ein!«, rief Oberstudiendirektor Schirrmacher. Er saß an einem langen Schreibtisch, der wie ein Heiligtum mitten im Raum stand, und notierte etwas auf einem Zettel. »Nehmen Sie bitte Platz, Fräulein Blömeke!«

Hanna setzte sich auf einen der beiden Stühle, zog ihren Rock über die Knie und sah zu, wie Oberstudiendirektor Schirrmacher den Zettel in eine Aktenmappe steckte und sie auf den linken der zwei säuberlichen Stapel legte. Danach schob er die Stifte, die einer silbernen Schale lagen, so lange zurecht, bis sie in gleichem Abstand voneinander lagen, und holte ein sorgfältig beschriebenes Blatt aus der Schublade.

Hanna kämpfte damit, ihre Enttäuschung zu verbergen, denn aus irgendeinem Grund hatte sie sich unter Schirrmacher einen weisen, gütigen Mann mit grauen Haaren und Vollbart vorgestellt. Der Mann, der vor ihr saß, schien aber nur eins zu sein: pedantisch. Er trug ein enges Jackett mit schmalem Revers, ein weißes Hemd mit steifem Kragen und eine stramm sitzende schwarze Krawatte. Die dünnen Haare waren streng nach hinten gekämmt, die Brille ein silbernes Drahtgestell, das weit oben auf seiner Nase saß. Nur eine einzige Eitelkeit erlaubte er sich: einen Schnurrbart, der sich nach beiden Seiten um den Mund verteilte und ihn wie ein Walross aussehen ließ. Aber auch das machte ihn Hanna nicht sympathischer. Was Oberstudiendirektor Schirrmacher von ihr hielt, war ihm nicht anzusehen.

»Zuallererst möchte ich Sie an unserer Schule willkommen heißen«, sagte er förmlich. »Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie so kurzfristig einspringen konnten. Die Nachricht von Dr. Ebelins Erkrankung kam für uns alle überraschend.«

»Ich hoffe, es geht dem Kollegen besser«, sagte Hanna besorgt, denn auch wenn Dr. Ebelins Ausfall bedeutete, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Stelle mit einem ordentlichen Einkommen hatte, wünschte sie dem Mann nichts Schlechtes.

»Wir wissen nicht, wie es um ihn steht. Allerdings ist bei der Schwere der Krankheit anzunehmen, dass er längere Zeit ausfallen wird. Das ist sehr bedauerlich, denn Dr. Ebelin ist ein geschätzter Kollege. Doch nun zu Ihnen, Fräulein Blömeke.« Schirrmacher strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Schnurrbart. »Ich nehme an, Sie haben eine Unterkunft gefunden.«

Hanna setzte sich gerade. »Ich wohne in der Pension...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction
Literatur Historische Romane
Schlagworte Berlin • Frauenroman • Freundschaft • Historischer Roman • Lesbisch • Liebe • Weimarer Republik
ISBN-10 3-7584-8473-1 / 3758484731
ISBN-13 978-3-7584-8473-5 / 9783758484735
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