Weil wir ja unbedingt noch mehr Reisegeschichten brauchen -  Robin Dietz

Weil wir ja unbedingt noch mehr Reisegeschichten brauchen (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
142 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4867-9 (ISBN)
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Warum sollte man den Camino de Santiago von Santiago aus laufen und ergibt es Sinn, Berge zu umrunden statt sie zu besteigen? Was macht der Stein am Cap-Martin? Warum hat Ankara mehr Klang im Namen als Paris und London auf den Straßen? Und was machen Touristen in Jordanien in der syrischen Wüste und was kann man mit ihnen machen? Was sagt man Reisenden, die sich den Sonnenuntergang anschauen? Lässt sich den Reiseblogs unserer Internetwelt etwas Sinnvolles entgegenhalten? Und wie könnte ein Anti-Reiseblog aussehen? Diese und andere Fragen beantwortet das Buch doch ganz sicher, sonst wären sie hier ja nicht auf die Klappe geschrieben. Der Erzähler erzählt vielseitig, humorvoll, arrogant, nüchtern und betrunken, betrachtend, subtil, grobmaschig, ausschweifend. Zumindest sagt das der Autor selbst. Und was er auch sagt: Hier ist für jeden etwas dabei, und wenn doch nicht: Scheren Sie sich zum Teufel, beziehungsweise reisen sie doch selbst einmal wieder.

Er arbeitet nach dem Studium der Germanistik und Philosophie und dem unsäglichen Lehramtsreferendariat immer vor und nach den Ferien in der Teilhabeassistenz, lebt in Darmstadt. 2023 wurde er nicht einmal allein ausgezeichnet mit dem, bzw. einem Spezialpreis für Humor der Buchmesse, der Buchmesse im Ried, Stockstadt. Er sitzt jedes Jahr seit zwei Jahren im Sommer eine Woche lang im Schaufenster des Darmstädter Zuckers und schießt seine dort entstehenden Texte simultan via Monitor auf die Passanten, die stets unangeschossen vorbeilaufen.

VON AMMAN IN DIE WÜSTE


Irgendwann bin ich dann Amman überdrüssig geworden. Und der Beduine wollte mich damals schon nicht aus seiner Wüste gehen lassen. In einem Laden schaute ich noch nach einem geeigneten Schlafanzug für die Wüste.

Einen sah ich mich sehr lange an, um dann endlich das Schild zu entdecken: It fits the succesful man. „Siehst du“, sagte ich dem Verkäufer, und zeigte ihm den Schlafanzug, „das kann ich auf keinen Fall kaufen“. Und dann ließ ich ihn stehen und hörte ihn noch lachen, als ich um die nächste Ecke bog und mich von dem schwachsinnigen Gedanken an einen Schlafanzug für die Wüste verabschiedet hatte. Eine Jeans würde für die Wüste ja reichen. Als ich mir das Auto mietete, um die dreihundert Kilometer runter in die Wüste zu fahren, verhandelte ich mit dem Besitzer der Autovermietung eine halbe Stunde lang, weil ich gehört hatte, dass man das halt so macht.

Das Geld war mir eigentlich egal. Und es war auch nichts zu machen. Als das Auto bereit war, und sie den ganzen Müll und vielleicht sogar ein paar benutzte Kondome aus dem Auto gezerrt hatten, weil es hier die Autos sind, in denen der meiste uneheliche Sex stattfindet, sah ich den Besitzer herausfordernd an, zeigte ihm die Faust und sagte ihm, dass ich noch einen Tee wolle. Er brüllte nach Tee, ich trank den Tee und gab mich geschlagen. Das sagte ich ihm und wir rauchten gemeinsam. Er fragte mich, wo ich herkam und sagte: „Welcome to Jordan!“ Als ich losfuhr, brüllte er mir noch hinterher, dass ich auf keinen Fall Anhalter mitnehmen solle.

Das hatte ich schon öfter gehört, von den Einheimischen und die sogenannten Internationalen haben es auch immer wieder gesagt. Nach den ersten fünfzig Kilometern auf dem Highway stand gleich einer, der den Daumen zeigte. Ich hielt sofort an und ließ ihn einsteigen. Er erklärte mir alles über seine Familie und wie wohlhabend sie sei und von seinem Namen, seinen Namen sagte er ganz oft. Er roch nach Schafhirten und ich mochte den Geruch, fragte mich aber, weshalb es den Leuten so wichtig war, selbst vor einem Fremden, der einem auch fremd bleiben würde, einen überschwänglich positiven Eindruck von sich zu hinterlassen. Und dann sagte er wieder seinen Namen. In der Türkei ist es oft noch die Stadt, aus der man kommt. Bei uns ist es mittlerweile der Beruf, der wichtig ist. In Jordanien reden sie von ihren Namen, wenn es gute sind. Der Name sagt hier viel und entscheidet manchmal sogar über die Bekleidung von Ämtern. Wasta ist das Wort, was vielleicht Nepotismus bezeichnet oder Vitamin B. Aber ich hatte ihn einfach so mitgenommen, nicht wegen seines Namens, nicht wegen seiner Beziehungen. Nach weiteren Kilometern standen zwei Rucksackbepackte mit ihren Daumen am Straßenrand. Ich fragte den Schafhirten, ob wir sie mitnehmen sollten. Er machte gleich mehrmals eine unmissverständliche Handbewegung, schüttelte den Kopf und sagte mit Nachdruck zweimal: „La!“ Zu seiner Entgeisterung hielt ich an. Er öffnete das Fenster und erklärte den so schwer am Rucksack Tragenden etwas auf eindringliche Art und sie wendeten sich ab. „Bruder, das ist doch mein Auto,“ sagte ich ihm auf Deutsch und rief die Anhalter zu uns ins Auto. Der Schafhirte schwieg und ich lernte Mohammed und seine Freundin kennen, die auf halber Strecke zwischen Amman und meinem Ziel Wadi Rum ein wenig wandern wollten. Später einmal würden sie uns in Amman besuchen und Nudeln kochen, nachdem ich den ganzen Tag für zwölf Personen Dolma und alles andere gekocht hatte. Aber das ist eine andere Geschichte eines anderen netten Abends, der so nett war, dass ich ihn fast schon vergessen hatte.

Jetzt warf ich sie erst einmal zum Wandern aus dem Auto und etwas später den Schafhirten. Bevor ich die Wüste erreichte, kaufte ich noch ein Skateboard. Ich handelte zwei Minuten mit der Verkäuferin, aber es half nichts. Ich sagte ihr, ich brauche doch überhaupt kein Skateboard, und wer braucht schon ein Skateboard und rannte aus dem Laden. Aber es half nichts. Als ich wieder kam und ihr das Geld für das Skateboard reichte, nahm sie es gelangweilt und fragte noch, wo ich herkam. „Welcome to Jordan!“ Dann fuhr ich auf den Parkplatz bei diesem Touristenhaus ein, wo sie den Leuten, die in die Wüste wollten, noch Geld abknöpften.

Das Touristenhaus hatte ich noch niemals von innen gesehen. Ich parkte das Auto und lief in die Wüste hinein. Zwei Felsen rechts, die große Düne links und dann wieder rechts den Felsen, oder wie war der Weg nochmal? Bisher hatte ich den Weg ja immer nur als Beifahrer oder auf der Ladefläche des Pickups des Beduinen erlebt. Und als Beifahrer achtet man ja immer auf alles, nicht aber auf den Weg.

Irgendwann kam ich dann aber doch am Martian Desert Camp an. Der Beduine machte große Augen und vergaß fast, mich zu drücken, weil noch niemand zu Fuß in sein Camp gekommen war. Ich sagte nur, gib mir Wasser, ich verdurste gleich. Dann rannte ich gleich wie selbstverständlich in die Küche, drückte Abu Saeed und wir begannen auf Englisch bis zehn zu zählen. Ich zählte, und er sprach mir nach: Onetwo…onetwo…onetwothree… onefive…onefive…threefourfive…oneten… oneten! Und zwischendurch rief ich: „How are you?“ und dann wieder „I´m fine“. Und er sang mir immer nach.

Die Didaktik stand nicht im Vordergrund. Wir brauchten nur einen guten Spülrhythmus. Aus der Küche hörte man uns laut zählen. Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte wirklich richtig verstanden habe. Abu Saeed ist so etwas wie ein moderner Sklave.

Seine Familie lebt in Ägypten und der Beduine hier bezahlt irgendeinem Typen woanders hier in Jordanien, Geld dafür, dass er Abu Saeed in der Küche beschäftigen darf. Vielleicht ist das aber auch eine Arbeitsvermittlung, wobei Abu Saeed sich ja nicht entscheiden durfte.

Nach unserem Spülgesang gärtnerte ich ein wenig und erzählte allen, die dort herumliefen, dass ich der Wüstengärtner sei, dann montierte ich die Räder und Achsen vom Skateboard und boardete die Sanddünen hinunter.

Und dann waren die Touristen ja erst einmal beschäftigt und standen gruppenweise auf den Dünen und versuchten die Dünen abzuboarden. Der Beduine lächelte und deshalb war ich hier, damit er wieder lächeln kann.

Er rief mich zu sich und wir spielten kurz Schach, aber der Beduine hatte keinen Schachkopf und so rauchten wir und tranken diesen übel verzuckerten Cay, den sie dort den Tag über tranken. Dann spielten wir Tavla, Wüstenbackgammon. Die Beduinen legen nicht einmal ihre Steinchen auf das Spielfeld. Sie würfeln und werfen sie dann auf das Brett. Ich dachte immer, es muss so gewesen sein: Die Sonne brannte heiß. Ahmad sagte zu Khaleed: „Lass Tavla spielen, du baust auf.“

Und Khaleed zu Ahmad: „Ich mach Tee, du baust auf.“ Und dann baute keiner auf und keiner machte Tee. Abu Saeed kam, brachte den Tee und sagte: „Ihr Esel, keiner muss aufbauen“, und würfelte die Spielsteine auf das Feld. Ahmad und Khaleed guckten Abu Saeed lange hinterher und begannen zu würfeln. Das beduinische tawlh war geboren. Ich liebte diese Spielvariante. Aber weder in der Türkei und in Griechenland noch in Armenien will irgendjemand davon etwas wissen. So vergingen die Tage.

Manchmal tanzten wir oder sangen uns gegenseitig Lieder vor. Die Beduinen mochten die deutschen Lieder nicht, also stieg ich auf die Türkischen um.

Die fanden sie schön. Manchmal wanderte ich in der Wüste herum oder lernte, die arabischen Buchstaben zu schreiben, ließ mir von Ahmad die längste Sure des Korans erklären und wenn ein paar Touristen da waren und Kamel reiten wollten, dann zwang mich Ahmad auch die Kamele zu reiten.

Abends gab es immer ein Lagerfeuer.

In der kargen Landschaft aus Sandstein und Granit suchten wir den Wüstensand nach Feuerholz ab und gruben ein paar Wurzeln aus, die verbrannt werden konnten. Und irgendwann kam dann diese riesige internationale Touristengruppe an.

Sie fragten die Beduinen gleich, warum die Sterne am Himmel nicht wie die Sterne auf den Bildern aussahen.

Und die Beduinen redeten dann von der Jahreszeit und manchmal auch davon, dass Bilder ja Bilder seien. Und ich weiß nicht, aber vielleicht wollten die Touristen dann gleich die Bilder sehen und fragten die Beduinen deshalb nach dem WLAN-Schlüssel. Die Beduinen lachten nicht einmal. Und die Touristen mussten dann ja gleich auf die Felsen, um auf den Felsen Yoga zu machen. Dann versicherten sie sich auf ihren Felsen sitzend von ihren Yoga-Matten zu, wie herrlich das alles war. Dabei muss ihnen die Weichheit ihrer Matten in den Kopf gestiegen sein. Das muss aufhören, dachte ich und erzählte ihnen wie nebenbei von den Skorpionen, die da oben auf den Felsen wohnten. Später wollten die Touristen plötzlich klettern und schmissen ihre Kletterausrüstung auf alle Pickups und die Beduinen fuhren sie zu einem der Kletterfelsen. Ein Beduine fragte, da wollt ihr hoch? Was wollt ihr da oben? Aber den Touristen war nicht zu helfen und sie mussten da hoch. Und den Beduinen war auch nicht zu helfen,...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
ISBN-10 3-7583-4867-6 / 3758348676
ISBN-13 978-3-7583-4867-9 / 9783758348679
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