Das rabenschwarze Rätsel (eBook)
440 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4546-3 (ISBN)
Klaus-Dieter Soja, geboren 1945 in Berlin, wuchs in Espelkamp (Ostwestfalen) auf. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft wandte er sich der Informatik zu und blieb ihr 26 Jahre treu. Die letzten 15 Berufsjahre war er als Informatikleiter (Anwendungsentwicklung) in einem weltweit operierenden Chemiekonzern tätig. Mit 51 Jahren beendete er seine Informatik-Laufbahn. Seitdem widmet er sich seinen Interessen, als da sind: Mathematik, Physik, Astronomie, Kosmologie, Musik (Keyboard, Klavier) und Literatur. Mit dem achtbändigen Märchenroman (20 Arbeitsjahre) hat er sich einen Jugendtraum erfüllt. Klaus-Dieter Soja lebt heute auf einem Bauernhof nahe Münster (Westfalen).
Das Abenteuer
Die beißende Kälte sorgte dafür, dass Sarah und Rabea ungewohnt früh aufwachten. Ohren und Nasen fühlten sich taub an. Hinzu kam, dass der im Felsgestein wohnende Frost ihre Schlafsäcke durchdrungen hatte. Ein kurzer Blick verriet ihnen, dass es außerhalb ihrer Schlafsäcke noch ungemütlicher war. Die schneebedeckte Bergwelt ruhte in winterkalter Starre. Geblendet vom Schnee schlossen die Kinder die Augen.
Als sie ihre Augen wieder öffneten, sahen sie, dass der nächtliche Sturm ihre Nische nicht verschont hatte. Eine dünne Schneedecke bedeckte nahezu alles. Beide blickten wieder zur Bergwelt. Jetzt fiel ihnen auf, dass nicht alles weiß war. Dort, wo die Felsen steil abfielen, hatte sich der Schnee nicht festsetzen können. Sarah und Rabea hatten genug gesehen. Sie wandten sich von der Bergwelt ab, krochen tief in ihre Schlafsäcke und begnügten sich mit der dort vorhandenen Restwärme.
Beowulf testete den Bergpfad. Seine Hoffnung, dass der Sturm den Pfad weitgehend geräumt hatte, erwies sich als trügerisch. Zwar gab es blankgefegte Stellen zuhauf, aber es reichte nicht für einen sicheren Aufstieg. Immer wieder traf er auf kniehohe Schneeverwehungen, die die Beschaffenheit des Untergrunds verbargen. Als er feststellte, dass die Bedingungen nicht besser wurden, kehrte er um.
Die Kinder wachten zum zweiten Mal auf. Untätigkeit schied diesmal aus. Sie krochen aus ihren Schlafsäcken, wuschen sich die Gesichter mit Schnee und zogen ihre Jacken an. Danach schüttelten sie den Schnee von ihren Sachen und suchten sich ein windgeschütztes Plätzchen mit Morgensonne. Dort stärkten sie sich mit Schokolade – ihrer süßen Notration. Thor wurde nicht vergessen. Beide steckten ihm etwas zu.
Mittlerweile hatte Sarah Gefallen an den schneebedeckten Bergen gefunden. Erfreut rief sie: »Der Schnee ist der Brautschleier der Berge.«
»Was für den einen ein schöner Brautschleier ist, kann für den andern ein Leichentuch sein«, hielt Beowulf ihr entgegen und knabberte an der Schokolade, die Rabea ihm gereicht hatte.
»Warum siehst du alles so negativ?«
»Hätte der Schneefall rund vierundzwanzig Stunden gedauert, würdest du anders reden. Dann säßen wir hier tagelang fest.«
Sarah lag eine heftige Erwiderung auf der Zunge, schluckte sie jedoch im letzten Moment herunter.
Rabeas Blick wanderte die Bergwelt entlang. Die Felsen, die gestern noch kalt und drohend auf sie herabgeblickt hatten, schimmerten jetzt in warmen Rot- und Goldtönen – zumindest dort, wo die Sonnenstrahlen sie erreichten und kein Schnee lag. Trotz des schönen Anblicks wurde Rabea das unbestimmte Gefühl nicht los, dass alles, was sie sah, nur die ungeheuren Gliedmaßen eines lebendigen Ganzen waren.
Und dieses lebendige Ganze hat die Gestalt einer großen Kugel, die der Sonne dienen muss. Wem muss die Sonne dienen? Fragend schaute Rabea zum Himmel hoch, vermied aber den direkten Blick zur Sonne. Da eine Antwort ausblieb, wanderten Rabeas Gedanken weiter. Wer ist Herr über die Sterne? Wer bestimmt über die riesigen Sternennester, die sich Galaxien nennen? Warum ist ...
»Wann werden wir das Mutantenland erreichen?« Obwohl Sarah das Mutantenland fürchtete, zog sie es den Grauen Bergen vor. Inmitten der Bergwelt gab es nur Fels, Eis und Schnee. Alles Lebendige schien gewichen oder vernichtet worden zu sein. Sarah hatte den tosenden Sturm der letzten Nacht nicht vergessen.
»In zwei bis drei Tagen«, antwortete Beowulf, »sofern uns das Wetter keinen erneuten Strich durch die Rechnung macht.«
Die Kinder nahmen es kommentarlos hin und musterten die Felsen in ihrer näheren Umgebung. Jeder sah anders aus. Nur eins war allen gemeinsam: Die Felsen schienen sie anzustarren. Sarah und Rabea wähnten sich umzingelt, wagten aber nicht, laut darüber zu reden. Der nicht totzukriegende Gedanke, dass Felsen nicht nur steinerne Augen, sondern auch steinerne Ohren haben, hielt sie davon ab.
Hier ist nichts so, wie es sein sollte, dachte Rabea. Nicht ein Tierchen haben wir aufgescheucht. Kein Vogel zwitschert. Richtig gemein ist es hier.
Sarah versuchte, die unangenehme Gegenwart zu verdrängen. Schon bald werden die Grauen Berge hinter uns liegen. Das Mutantenland ist viel lebensfreundlicher, aber … In ihr wurden zwiespältige Gefühle wach, die jeden weiteren Gedanken abwürgten. Als sie es nicht mehr aushielt, rief sie: »Wir wollen dir jetzt erzählen, wer wir sind.«
Beowulf schaute überrascht auf.
»Wir … Wir sind im Mutantenland aufgewachsen.« Sarah schaute ängstlich. Dazu hatte sie allen Grund. Hätte sie in einer Dorfkneipe, in einem Dorfladen oder auf der Straße über ihre Herkunft geredet, wäre sie weggejagt oder gesteinigt worden.
»Seid ihr Mutanten?«, fragte Beowulf erstaunt zurück und mutmaßte: »Euer Aussehen spricht dagegen – eure geistigen Fähigkeiten sprechen dafür. Was ist mit euren Eltern? Was wisst ihr über Vater und Mutter?«
»Unsere Mutter ist rätselhafter Abstammung«, antwortete Rabea, »und unseren Vater kennen wir nicht. Weil das so ist, können wir nicht genau sagen, wer oder was wir sind.«
Sarah ergänzte: »Unsere Mutter hatte sich im Mutantenland sicher gefühlt. Sie sagte stets, dort würden sich keine Schatten hinwagen.«
Beowulf sah die Kinder lange an.
Schließlich erwiderte er: »Letztlich ist es egal, ob ihr Mutanten seid oder nicht. Die Mutanten gehören zu den Menschen. Wahrscheinlich sind sie die unglücklichsten Menschen.«
»Wir sehen das anders.« Sarahs Stimme zitterte, als sie hinzufügte: »Die Mutanten haben unsere Mutter umgebracht.« Die Erinnerung daran machte sie wütend. Erbost rief sie: »Loki, der Herrscher der Mutanten, ist der Mörder unserer Mutter.« Tränen schimmerten in ihren Augen. Hastig wischte sie sie fort.
»Warum hat man sie umgebracht?«
»Unsere Mutter besaß die Geistkraft. Man traute ihr nicht.«
»Wisst ihr das genau oder vermutet ihr das nur?«
»Wir wissen es«, sagte Rabea mit leiser Stimme. »Mutter hat uns wenige Tage vor ihrem Tod vor den Mutanten gewarnt.« Auch sie hatte jetzt Tränen in den Augen.
Beowulf sagte nichts und gab so den Kindern Zeit, sich zu sammeln.
»Nach dem Tod unserer Mutter wurden wir in eine Pflegefamilie gesteckt«, fuhr Sarah tapfer fort. »Uns war praktisch alles verboten. Jeder unserer Schritte wurde überwacht.«
Rabea korrigierte ihre Schwester: »Pflegefamilie ist nicht das richtige Wort. Wir lebten in einem Gefängnis, das nur für unsere Gefängniswärter ein normales Wohnhaus war.«
Sarah nickte und erklärte: »Jeder noch so nichtige Anlass brachte uns Schläge ein. Und so was lässt sich auf Dauer keiner gefallen.« Sie holte tief Luft und stieß hervor: »Rabea hat unsere Pflegeeltern getötet. Es war die gleiche Kraft, mit denen ich die Schatten in Rydaheim getötet habe.« Hilflos erklärte sie: »Sie brechen aus uns heraus, ohne dass wir etwas dagegen tun können. Es hat mit unserer Angst zu tun. Sobald sie groß genug ist, wehrt sich etwas in uns.«
Rabea spann den Schicksalsfaden weiter: »Danach sind wir geflohen. Dennis brachte uns über die Berge. Jetzt wirst du verstehen, warum Laurin seinen Sohn Dennis erwähnte. Den Rest kennst du ja.«
»Aber einer hat euch letztlich gefunden«, sagte Beowulf.
»Ja! Tanelorn.« Halblaut murmelte Rabea: »Komisch! Was wollte er von uns?«
»Habt ihr mal darüber nachgedacht, warum die Mutanten euch nicht umgebracht haben?«
»Nein!«, antworteten beide fast gleichzeitig.
Empört fügte Rabea hinzu: »Willst du damit sagen, es war ein Fehler, uns nicht umzubringen?«
»Meine Frage zielt in eine andere Richtung.«
»Vielleicht widerstrebt es ihnen, Kinder zu töten?«, mutmaßte Sarah.
Beowulf schüttelte den Kopf. »Das glaube ich weniger.«
»Und was glaubst du?«
»Sie wollten euer geistiges Potenzial für ihr Volk gewinnen.«
Beide Kinder starrten Beowulf verständnislos an.
»Sie wollten euch vereinnahmen, damit sich eure Begabungen in ihrem Volk vererben. Sie haben es nur falsch angefangen.« Beowulf fügte hinzu: »Wahrscheinlich hat eure Mutter begriffen, um was es den Mutanten ging und sich dagegen gewehrt.«
Sarah und Rabea schauten sich sprachlos an. Alles, was die Mutanten ihnen angetan hatten, ergab auf einmal einen Sinn. Doch lange hielt ihre Sprachlosigkeit nicht an.
»Willst du damit sagen, dass wir nichts mehr von ihnen zu befürchten haben?«, schlussfolgerte Sarah und schaute hoffnungsvoll.
»Wenn sie euch nicht für ihr Volk gewinnen können, werden sie euch töten. Ihr seid in ihren Augen eine zu große...
Erscheint lt. Verlag | 28.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7583-4546-4 / 3758345464 |
ISBN-13 | 978-3-7583-4546-3 / 9783758345463 |
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