Regenwurm Johannes - Unvollständige Tagebuchaufzeichnungen -  Zola Lucia

Regenwurm Johannes - Unvollständige Tagebuchaufzeichnungen (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
312 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-7200-7 (ISBN)
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Missmutig hat sich Johannes an sein Leben als Regenwurm gewöhnt. Eines Tages findet Regenwurm Johannes in der braunen, feuchten Erde seine unvollständigen Tagebuchaufzeichnungen wieder, die er einst als Mensch geschrieben hat. Melancholisch denkt er an seine Liebschaften zurück. Beim Lesen der Monologe im Tagebuchs lässt Johannes seine Biografie als Mensch Revue passieren. Schonungslos beschreibt Johannes in den Tagebuchaufzeichnungen seine Gefühle der kontinuierlichen Benachteiligung und der unerfüllten Erwartungshaltung. Er führte als Mensch mehrere Liebesbeziehungen, in denen seine Verhaltensformen Stück für Stück gewalttätiger wurden, bis sein Leben komplett aus den Fugen geraten ist. Sein fortgesetztes Leben als Regenwurm erscheint Johannes wie eine absurde Strafe. War Johannes stets nur das Opfer der Umstände, oder warum hat sich der Mensch Johannes zu so einer Bestie entwickelt?

Zola Lucia ist nach ihrem Studienabschluss künstlerisch tätig und fühlt sich in globalen Großstädten am wohlsten. In ihren künstlerischen Arbeiten setzt sie sich mit dem Individuum in der Gesellschaft auseinander. Inwieweit benötigen sich die beiden Pole für ihre gegenseitige Bestätigung? Wo verzahnen sie sich? Wo sind ihre Grenzen? Bis jetzt arbeitete sie nur visuell, da die Künstlerin an einer leichten Grammatikschwäche leidet. Nun ist sie mutig genug, um ihr erstes Buch zu veröffentlichen.

Kindheit Nachkriegszeit


Geschätztes Tagebuch,

zwischen all der harten Arbeit war jetzt ich da. Meine Mutter versorgte mich. Gab mir Essen. Badete mich. Zog mir frische Sachen an. Legte mich schlafen. Nach dem Baden lag ich immer nackt, frisch gewaschen und frierend auf der Kommode im Bauernhaus meines Vaters. Fasziniert war ich weiterhin von meinem Penis. Kaum war die Windel weg, musste ich ihn anfassen. Ihn lang ziehen. Ich hatte pure Freude daran mit meinen Penis zu spielen. Zur Scham meiner Mutter. Sie schlug mir jedes Mal die Hand weg. Sagte, dass sich so was nicht gehört. Dass der liebe Gott so was gar nicht gerne sieht. Dass der liebe Gott bei jeder Sünde einen Strich in seinem großen Buch macht. Hatte man zu viele Striche im Buch vom lieben Gott, so konnte man nicht mehr in sein Paradies einkehren, ermahnte mich meine Mutter. Immerzu betete meine Mutter zum lieben Gott, dass er mich auf den richtigen Pfad leiten möge. Weg von der Sünde, die ich täglich einging, indem ich meinen Penis berührte. Stellvertretend für Gott bestrafte meine Mutter mich. Als Dienerin Gottes schlug meine Mutter mir auf die Hand, wenn ich wieder unzüchtiges Verhalten aufzeigte. Sie wollte nur das Beste für mich. Sie zeigte ihre Liebe zu mir, indem sie mich züchtigte. Ich verstand die Welt nicht. Ich verstand das Verhalten meiner Mutter nicht. Ich verstand nicht, was ich Schlimmes getan habe. Dafür brannte meine Hand wie Feuer, nachdem meine Mutter sie schlug. Ich weinte. Kein Trost. Keine liebevolle Umarmung. Keine Erklärung. Stattdessen wurde ich fertig gewickelt, angezogen und in meiner Wiege gelegt. Im Bauernhaus herrschte Kälte. Nicht nur aufgrund der fehlenden Öfen in den einzelnen Zimmern. Auch die emotionale Kälte war in unserem Bauernhaus täglich spürbar. Zuneigungen hat meine Familie unterdrückt.


Geschätztes Tagebuch,

die Zuneigungen zwischen meiner Mutter und meinem Vater ebneten sich ebenfalls ab. Erloschen war das Feuer zwischen ihnen. Das Feuer der Leidenschaft. Das Feuer der Liebe. Meine Mutter wendete sich immer mehr Gott zu. Mein Vater wendete sich immer mehr dem Alkohol zu. Er betrank sich immer öfter in der Kneipe. Kam immer öfter sturzbetrunken nach Hause. Lallte, dass er immer noch meine Mutter liebte wie am ersten Tag. Lallte, dass er unter der emotionalen Kälte von meiner Mutter litt. Lallte, dass sie immer noch perfekt ausschaute und er sie gerne wieder liebkosen möchte, wie am ersten Tag. Lallte, dass ihm das gottestreue Getue von meiner Mutter nervte. Mein Vater litt unter der Situation. Das war offensichtlich. Er trank regelmäßig seine Sorgen nieder.


Geschätztes Tagebuch,

die strenge Erziehung von meiner Mutter sollte mich abhärten. Ich sollte nicht verweichlichen. Ich sollte stark werden. Mich durchsetzen können. Im späteren Leben erfolgreich sein. Meine Mutter meinte es gut mit mir. Daher ließ sie die emotionale Zuneigung nicht zu. Meine Mutter wollte nicht, dass die emotionale Zuwendung meine Stärke zunichtemachte. Mich verweichlichte. Meine Mutter wollte einen starken Sohn. Einen Soldatensohn. Einen gesunden Sohn. Keinen vor sich hin kränkelnden Sohn. Sie wollte stolz auf ihren Sohn sein. Stolz auf ihren Sohn, der in der Lage war, sich durch das Leben zu kämpfen. Keinen Schmerz kannte. Kein zurück kannte.


Geschätztes Tagebuch,

im kalten Schlafzimmer meiner Eltern musste ich Nacht für Nacht allein in meinem Kinderbettchen ausharren. Satt, aber allein. Keinen guten Nachtkuss. Keine liebevolle Umarmung. Keine gute Nachtgeschichte. Ich schrie häufig, wenn ich im kalten Zimmer allein in meinem Bettchen lag. Ich hatte Angst vor der Dunkelheit. Ich wollte beschützt werden. Aber keiner war bei mir. Im Schlafzimmer meiner Eltern lebte ein Monster. Regelmäßig kam es aus seinem Versteck, wenn ich allein im kalten, dunklen Zimmer lag. Ich sah das Monster ganz real, obwohl es im Zimmer dunkel war. Und kalt. Das Monster sah ich wenn es aus seinem Versteck kroch. Wenn es zu mir kam. Es hatte einen riesigen Kopf. Es befanden sich riesige Fühler auf dem Kopf. Auf den Fühler befanden sich riesengroße Augen. Die Fühler mit den riesengroßen Augen baumelten unkontrolliert hin und her. Das Monster streckte an meinem Bett seine großen Pranken aus. Die großen Pranken zeigten in meiner Richtung. Es wollte mich schnappen. Es wollte mich aus dem Bett zerren. Es wollte mich entführen. Wegzerren von meiner Mutter. Das Monster wollte mich entführen. Ich schrie, und schrie und schrie. Ich wollte nicht, dass das Monster mich entführt. Ich wollte hier bleiben. Hier bei meiner Mutter. Ich wollte, dass meine Mutter mich beschützt. Aber meine Mutter kam nicht. Niemand kam und tröstete mich. Niemand beschützte mich. Was sollte ich tun? Ich wollte nicht entführt werden. Ich wollte nicht, dass das Monster mich aus meiner gewohnten Umgebung wegzerrt. Ich wollte von meiner Mutter im Arm genommen. Ich wollte von ihr getröstet werden. Ich wollte, dass meine Mutter das Monster vertreibt. Ich wollte jetzt und sofort den vertrauten Körpergeruch meiner Mutter riechen. Der Körpergeruch meiner Mutter beruhigte mich. Der war mir vertraut. Bei ihrem Geruch fühlte ich mich sicher. Geborgen. Ich wollte die Wärme meiner Mutter spüren. Ich schrie weiter und weiter und weiter. Sie musste doch spüren, dass ich Angst hatte. Sie musste doch in mein Zimmer kommen und nachschauen, ob alles in Ordnung war. Mein Hals kratzte vom Schreien. Meine Mutter kam nicht. Sie schaute nicht nach mir. Sie wollte nicht wissen, was mit mir los war. Ich war allein. Ich war müde. Müde vom vielen Schreien. Ich war erschöpft. Meine Augen fielen zu. Dann schlief ich ein. Es war ein unruhiger Schlaf.


Geschätztes Tagebuch,

ein paar Tage später war das Monster schon wieder in meinem Zimmer. Schon wieder hatte ich Angst. Ich schrie. Aber nur ganz kurz. Meine Mutter kam nicht. Das wusste ich jetzt. Das habe ich jetzt gelernt. Dass ich schreien konnte, wie ich wollte. Das meine Mutter mein Schreien ignorierte. Dass ich allein blieb. Allein mit meiner Sorge. Allein mit meiner Angst. Schnell machte ich meine Augen zu. Versuchte zu schlafen. Versuchte zu beten. Versuchte das Monster zu vergessen. Ich wollte, dass das Monster ganz schnell aus meinem Zimmer verschwand.


Geschätztes Tagebuch,

das Essen gab es zu festen Zeiten: 7:00 Uhr; 12:00 Uhr; 18:00 Uhr. Wenn ich zwischendurch Hunger hatte, dann hatte ich Pech. Dann musste ich meinen Hunger aushalten, bis zur Essenszeit. Meine Hände musste ich vor dem Essen waschen. Mit ungewaschenen Händen durfte ich mich nicht an den Esstisch setzen. Meistens verspürte ich keine Lust meine Hände vor dem Essen zu waschen. Ich empfand das Ritual überflüssig. Meine Hände schauten nicht dreckig aus. Warum sollte ich sie dann waschen? Wenn ich Widerstand gegen das Händewaschen leistete, schleifte meine Mutter mich zum Waschbecken. Meine Mutter wusch mir mit eiskalten Wasser die Hände. Ich heulte. Ich verstand ihre Kälte mir gegenüber nicht. Ich verstand nicht, warum sie es mir antat. Kein liebevolles Wort. Kein tröstendes Wort. Sie schwieg und wusch meine Hände mit eiskalten Wasser. Mit sauberen und kalten Händen ging es zum gedeckten Tisch. Am Tisch musste ich ruhig sein. Durfte nicht reden. Musste still sitzen. Nur die Hände durften auf dem Tisch ruhen. Die Ellbogen nicht. Gerade sitzen. Vor dem Essen falteten meine Mutter und ich unsere sauberen Hände zum Gebet. Mein Vater nicht. Er glaubte nicht an Gott. Er fand den Glauben überflüssig. Meine Mutter sprach das Tischgebet: „Komm Herr Jesus, sei unser Gast. Und segne das, was du uns beschert hast. Amen.“ Schöne Bescherung. Wir hatten kaum was zu essen. Es war kurz nach dem Krieg. Jeden Tag das gleiche Essen. Das Wirtschaftswunder, was man uns versprach, war nicht eingetreten. Schnell schlang ich mein Essen herunter. Ich wollte schnell mit dem Essen fertig werden. Ich wollte beim Essen meine Tageserlebnisse erzählen. Durfte es aber nicht. Ich musste schweigen. „Beim Essen redet man nicht!“ So lehrte es mich meine Mutter. Als ich mit dem Essen fertig war, wollte ich aufstehen. Durfte ich aber nicht. Ich durfte erst aufstehen, wenn alle mit dem Essen fertig waren. Bei jedem Essen wurde ich von meiner Mutter ermahnt. Dass ich mich zusammenreißen soll. Dass ich mich benehmen soll. Dass ich unerzogen sei. Endlose Zeit benötigten die Erwachsenen für ihr Essen. Unendlich lange Zeit. Langweilig war mir, während sie aßen. Sich ihre gierigen Schlünde öffneten, um in Zeitlupe das Essen hineinzuschieben. Stundenlang auf das Essen herumkauten. Immer musste ich so lange warten, bis die Erwachsenen mit ihrem Essen fertig waren. Bis sie all ihr Essen ordentlich zermahlt haben und herunterschluckten. Bis ihre Teller bis auf den letzten Krümel leer waren. Es langweilte mich, die Erwachsenen beim Essen zuzuschauen. Ich wurde ungeduldig. Ich zappelte herum. Ich balancierte die Gardinenstange, die hinter meinen Rücken baumelte, auf meiner Nase herum. Zack! Da war die Gardinenstange weg von meiner Nase. Noch eine Ermahnung. Im strengen Ton. Ich sollte mich benehmen. Ich sollte ruhig sein. Ich sollte ruhig sitzen und warten, bis die Erwachsenen mit ihrem Essen fertig sind. Immerzu ruhig sein. Die ganze Zeit. Die ganze Zeit ruhig sitzen und den Erwachsenen beim Essen zuschauen. Die Zeit verging im Schneckentempo. Der Sekundenzeiger wird zum Stundenzeiger. Tick - Tack, Tick - Tack, Tick – Tack.


Geschätztes Tagebuch,

mein immer wiederkehrender Alptraum war nach wie vor nicht verschwunden. Das Monster tauchte weiterhin regelmäßig in meinem Zimmer auf und wollte mich holen. Ich stand...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7565-7200-5 / 3756572005
ISBN-13 978-3-7565-7200-7 / 9783756572007
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