DIE WELTEN DES KAI RIEDEMANN -  Kai Riedemann

DIE WELTEN DES KAI RIEDEMANN (eBook)

Die Welten der SF 3

(Autor)

Jörg Weigand (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
500 Seiten
p.machinery (Verlag)
978-3-95765-734-3 (ISBN)
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Kai Riedemann, geboren 1957 in Elmshorn, studierte Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft und schloss sein Studium 1987 mit dem Dr. phil. ab. Sein Interesse für unterhaltende Literatur ließ ihn ein besonderes Dissertationsthema finden: die Comicserie »Peanuts« des Amerikaners Charles M. Schulz. Er ging in den Journalismus und arbeitet seit vielen Jahren für eine bekannte TV-Programmzeitschrift. Die notwendige Detailgenauigkeit wirkt sich auch auf seine Arbeit als Kurzgeschichtenautor aus. In den Anfangsjahren konzentrierte sich Riedemann zunächst auf Science-Fiction-Szenarien - Folge einer intensiven Lektüre, die zum Selbermachen animierte. Die Themen Fantastik und Märchen folgten im Abstand von etwa einem Jahrzehnt. Kai Riedemann hat einen sicheren Blick für Details, vermeidet unnötige gedankliche Umwege und passt seinen Stil geschickt und gekonnt dem jeweiligen Genre an: hier Science-Fiction, da Fantastik und dort Märchen. Eine Kunst, die viele seiner Kollegen in der breiten Themenpalette der fantastischen Literatur in dieser Form nicht beherrschen.

Kai Riedemann, geboren 1957 in Elmshorn, studierte Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft und schloss sein Studium 1987 mit dem Dr. phil. ab. Sein Interesse für unterhaltende Literatur ließ ihn ein besonderes Dissertationsthema finden: die Comicserie »Peanuts« des Amerikaners Charles M. Schulz. Er ging in den Journalismus und arbeitet seit vielen Jahren für eine bekannte TV-Programmzeitschrift.

Zwei Schritte ins Chaos


(1977)

 

Jedes Mal, wenn ich vor ihrem Haus stehe, erfasst mich eine unerklärliche Unruhe. Es ist nur ein Gefühl, ein Unbehagen, ausgehend von den grauen Mauern, der massigen Eichentür, den verwinkelten Erkern, den stumpfen Fensterscheiben und den Bäumen und Sträuchern des Gartens, die kaum Sonnenlicht durchlassen. Ich rede mir ein, dass dieses merkwürdige Kribbeln im Bauch nichts anderes ist als die Folge gewisser alter Filme, die ich mit Vorliebe anschaue. Ich gebe Alfred Hitchcock die Schuld, aber so sehr ich auch über diesen Gedanken ins Schmunzeln gerate, ein Rest Angst bleibt.

Dagmar, ganz ehrlich, du passt einfach nicht in dieses Spukschloss. Kopfschüttelnd stehe ich vor der schweren Eichentür, blicke mich noch einmal um, mustere Dagmars Porsche Turbo in der Einfahrt, dann lasse ich den altmodischen Löwenkopfklopfer gegen das verwitterte Holz der Tür donnern. Es klingt gespenstisch, irgendwie unwirklich. Eine Klingel wäre wir lieber gewesen.

Im Inneren des Hauses bleibt es still. Dabei ist es genau neunzehn Uhr, die verabredete Zeit, und Dagmar ist gewöhnlich die Zuverlässigkeit in Person. Ich klopfe ein zweites Mal, und als sich daraufhin immer noch nichts rührt in der alten Villa, trete ich mit gemischten Gefühlen ein. Die Haustür ist sowieso stets unverschlossen.

Innen wirkt das Gemäuer noch unheimlicher. Von den hohen, leicht gewölbten Decken hängen Kronleuchter herab, die Wände sind mit geschmacklosen Ölgemälden, Jagdtrophäen und silbernen Kerzenhaltern bedeckt. Die Biedermeiermöbel in der Empfangshalle machen den Anblick nicht freundlicher. Eigentlich ein Wunder, dass Dagmar in diesem Museum leben kann, ohne einen seelischen Knacks zu bekommen.

Ihr Vater ist so eine Art Erfinder. Das ist ein eher befremdlicher Ausdruck, aber er passt. Professor Wegener arbeitet nicht in einem Forschungslabor oder einem Industriekonzern, sondern in eben diesem Spukschloss. Allein, ohne Assistenten, ohne finanzielle Unterstützung. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Einerseits scheint seine Lebens- und Arbeitsweise auf eine, neutral ausgedrückt, leichte Verwirrtheit hinzudeuten, andererseits macht er auf mich einen durchaus vernünftigen Eindruck. Und Dagmar fährt einen Porsche Turbo, was interessante Rückschlüsse auf die Erfolge des Professors zulässt. Zumindest die finanziellen.

Die unteren Räume der Villa scheinen menschenleer zu sein, in das Arbeitszimmer des Professors wage ich mich lieber nicht. Also steige ich beunruhigt die Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock, in dem Dagmars Zimmer liegt. Hier beginnt eine andere Welt, gewissermaßen eine Oase in der bedrückenden Fremdheit des Hauses. Dagmar hat ihr Zimmer so eingerichtet, wie man das von einer jungen, lebenslustigen Studentin erwartet: Die Hälfte des Raums wird von einer Liegewiese eingenommen, daneben gibt es natürlich noch Fernsehgerät, Musikanlage, moderne Grafiken an den lila getünchten Wänden und teure Designerlampen. Auf dem Schreibtisch liegen neben ihrem Computer die Aufzeichnungen von den letzten Seminarsitzungen, die wir durcharbeiten wollten.

»Dagmar?«, rufe ich laut, und das Echo meiner Stimme hallt durch die ganze Villa. Unwillkürlich muss ich daran denken, welch atemberaubende Akustik das bei unseren Feiern zu geben pflegt. Heute aber dringt nur das Ticken der alten Pendeluhr in der Empfangshalle durch die Stille. Ich gehe wieder zurück ins Erdgeschoss und bleibe unschlüssig vor dem Arbeitszimmer Professor Wegeners stehen. Manchmal soll er sich tagelang in seine Experimente vertiefen und ausgesprochen unhöflich reagieren, wenn man ihn dabei stört. Andererseits finde ich das Verschwinden Dagmars derart beunruhigend, dass ich nicht einfach ohne weitere Nachforschungen nach Hause fahren kann.

Nach kurzem Zögern öffne ich die schwere Tür, blicke vorsichtig in den dahinterliegenden Raum – und beginne ernsthaft an meinem Sehvermögen zu zweifeln. Insgeheim habe ich mit einem dunklen, verräucherten Alchemistenlabor gerechnet, mit Reagenzgläsern, Erlenmeierkolben voller sprudelnder Flüssigkeiten, mit Destillatoren, Versuchsanordnungen, mit Ratten und weißen Mäusen in Käfigen, mit einem schwarzen Raben auf einem Totenschädel. Stattdessen blinken mir die Kontrollleuchten eines Elektronenrechners entgegen. Messuhren, Diagramme, Schalter, Regler, Terminals, Apparaturen, deren Sinn ich nicht einmal mit größter Fantasie zu entschlüsseln vermag. Diese Ausstattung muss Millionen verschlungen haben.

»Du darfst nicht nur das Äußere sehen«, hat Dagmar mal gesagt, als wir über ihren Vater sprachen, und ich habe damals gelacht. Weil ich einen Forscher, der Tag und Nacht in einer Spukvilla an geheimen Experimenten herumwerkelt, einfach nicht ernst nehmen konnte. Ich habe mich geirrt. Aber damit wird das Geheimnis, das in dieser Villa verborgen liegt, nur noch größer.

Nachdenklich gehe ich an den elektronischen Geräten entlang, sorgsam darauf achtend, keinen Schalter, keinen Kontrollregler, keine Terminaltaste zu berühren. Wozu mag das alles dienen? Vielleicht steht der Professor doch mit einem wissenschaftlichen Institut in Verbindung?

Plötzlich setzt mein Herzschlag für Sekunden aus, mir wird kalt, eiskalt. Denn neben einem mit rätselhaften Kontrollleuchten übersäten Pult liegt eine regungslose Gestalt.

Es ist ein Mann, groß, schlank, kahlköpfig. Er liegt auf dem Rücken, die Arme und Beine in unnatürlicher Verkrampfung ausgestreckt, die Augen weit geöffnet und gegen die weiße Decke gerichtet. Er kann höchstens zwanzig Jahre alt sein, und in seiner Brust steckt ein antiker spanischer Dolch. Ein Dolch, der mir nur allzu bekannt vorkommt. Dagmar hat ihn mir erst vor wenigen Tagen gezeigt. In der Waffensammlung ihres Vaters.

Mit klopfendem Herzen haste ich ins Wohnzimmer, wo der Professor seine historischen Waffen in einer verschlossenen Glasvitrine aufbewahrt. Meine Vermutung wird zur Gewissheit: Die Vitrine steht weit offen, mehrere Messer und Dolche fehlen. Deutlich zeichnen sich noch ihre Umrisse auf dem roten Samtbelag ab. Eine dieser primitiven und doch gefährlichen Waffen steckt jetzt in der Brust des Mannes im Labor. Die anderen …

Ich denke an Dagmar. Wie sie damals zum ersten Mal vor mir stand. Ihre dunklen Augen hatten mich über den Rand der Brille hinweg gemustert, der Wind hatte ihre kurzen schwarzen Haare zerzaust. Sie hatte mich sofort auf unerklärliche Weise fasziniert, obwohl sie nicht unbedingt als hübsch bezeichnet werden kann. Wir besuchten dann zusammen ein Linguistikseminar und lernten uns so näher kennen. Und jetzt? Jetzt stehe ich hier in ihrem Haus, nur wenige Schritte entfernt liegt ein Toter in einem futuristischen Labor, und von Dagmar selbst fehlt jede Spur. Ich frage mich, ob ich die Polizei verständigen soll.

Unbewusst nehme ich einen weiteren Dolch aus der Vitrine, und das Gefühl der kalten Waffe in meiner Hand verschafft mir eine erstaunliche Beruhigung. Ich betrete wieder das Labor. Der Tote liegt natürlich unverändert neben dem Instrumentenpult. Es fällt mir nicht schwer, den Weg des Mannes durch den Raum zu verfolgen. Die Blutspuren sind unübersehbar. Sie führen zunächst zur gegenüberliegenden Seite des Labors, biegen dann nach rechts ab und enden vor einer scheinbar fugenlosen glatten Wand. Könnte es hier eine Art Geheimtür geben? Prüfend streiche ich mit der linken Hand über das unerwartet kühle Material, aber es gibt weder haarfeine Fugen noch versteckte Öffnungsmechanismen. Irgendwie muss der Kahlköpfige trotzdem an genau dieser Stelle den Raum betreten haben. Eine andere Möglichkeit lassen die Spuren nicht zu.

Ich klopfe mit der flachen Klinge des Dolchs gegen die Wand, und die gleitet im selben Moment lautlos zur Seite. Sie gibt den Blick frei auf eine undurchdringliche Finsternis. Ein Schwarz, das man nicht beschreiben kann, samtener, tiefer, ungreifbarer. Als stände man vor dem absoluten Nichts.

Plötzlich glaube ich, Stimmen zu hören. Leise nur, wie aus weiter Ferne, aber ich bin mir sicher, Dagmars Rufe herauszuhören. Ängstlich, flehend, verzweifelt. Daneben andere Stimmen, tiefer, unverständlich, hart. Dazu ein dumpfes Grollen wie das Nahen eines Gewitters. Ich zögere, die entscheidenden Schritte zu wagen, schließlich weiß ich nicht im Mindesten, was mich auf der anderen Seite der Finsternis erwartet. Etwas unsagbar Fremdes, Unwirkliches, etwas, das sich vermutlich meinem durchaus nicht geringen Vorstellungsvermögen entziehen muss. Dann denke ich wieder an Dagmar. Ich sehe sie vor mir, und mir wird zum ersten Mal richtig klar, dass ich mehr für sie empfinde, als ich wahrhaben wollte. Viel mehr.

Also werfe ich noch einen letzten Blick auf das hinter mir liegende Labor und den unbekannten Toten, dann gehe ich in Nichts.

 

Ein leichtes Schwindelgefühl ist alles, was ich spüre. Vor mir liegt das mittlerweile vertraute Labor. Auch dort scheint sich auf den ersten Blick wenig verändert zu haben. Die Elektronenrechner, Messinstrumente, Schalter, Skalen, Kontrollpulte stehen weiterhin wie Kulissen für einen fantastischen Film an den Wänden – doch sie sind alle tot. Während eben noch verwirrende Zahlen blinkten und Zeiger zitterten, liegt die ganze komplizierte Apparatur jetzt still. Hastig blicke ich mich um. Aber meine Befürchtungen sind unbegründet, das schwarze Loch in der Wand existiert weiterhin.

Kopfschüttelnd trete ich an das Kontrollterminal zu meiner Rechten und fahre mit einem Finger über die Schalter. Zentimeterdick liegt Staub auf den Armaturen. Wie ist das möglich? Noch vor wenigen Augenblicken … Da fällt mein Blick auf die Stelle, an der eben noch der Tote gelegen hat, und ich beginne zu begreifen. Dort, neben dem Instrumentenpult, liegt ein in...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
ISBN-10 3-95765-734-2 / 3957657342
ISBN-13 978-3-95765-734-3 / 9783957657343
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