Hätte hätte Fahrradkette (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
552 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-11678-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hätte hätte Fahrradkette -  Petra Bera
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Melli lebt in ihrem kleinen LKW auf einem Berliner Wagenplatz. Als sie sich in Moritz verliebt, beginnt für sie eine neue Liebe. Gleichzeitig wird sie in einen Konflikt mit hineingerissen, der sich auf ihr ganzes Umfeld ausweitet und ihr gesamtes Leben aushebelt. 'Ich glaube, für die sind wir Dreck', sagt sie über die Typen, die ihr das Leben vermiesen, über die sie aber anfänglich nicht viel weiß. In einem Kreuzberger Hofdurchgang geschieht etwas, dass ihre Vermutung untermauert. Neben ihren Erlebnissen nimmt Melli uns auch mit in ihre Musik- und Bücherwelt und teilt mit uns die politischen und sozialen Themen, die sie umtreiben.

1.

Verknallt

Ich hatte ein Buch beendet, das spannend und lustig war, aber unbefriedigend endete. Die ganze Zeit war klar, irgendwann würden sie miteinander schlafen. Und dann hört das Buch auf. Es ist sicher, es wird passieren, aber das steht nicht in diesem Buch. Das musste die Fantasie alleine erledigen. Ich wollte es lieber lesen!

Es war schon spät, ich wollte dennoch ein neues Buch anfangen. Es kam nur eines mit Liebe in Frage. Leider war kein solches in meinem Regal vertreten. Also machte ich stattdessen noch ein Kreuzworträtsel.

Ich lese sehr gerne. Oft ist mein Leben aber zu rasant, da geht abends nur noch Licht aus und einschlafen.

Am nächsten Morgen stand ich um halb neun auf, heizte ein, kochte Kaffee und las die Zeitung, die mir mein Mitbewohner Alex erst kurz zuvor durch die Katzenklappe reingelegt hatte. Er holte sie morgens aus dem Briefkasten, der vorne am Eingangstor hing, las sie beim Frühstück und ging dann arbeiten. Davon profitierte ich, denn bevor er ging, bekam ich meine Zeitung fast ans Bett.

Meine Katze hieß TheCat und hatte breite graue und schwarze Streifen auf dem Rücken. Das Muster auf ihrer Stirn sah aus wie ein großes M wie Melli oder auch Melanie, mein Name.

Ich bewohnte einen kleinen LKW. Ein untermotorisierter Sechstonner (er fuhr nur ca. 80 km/h) mit einem Koffer, in dem Zwei-Meter-Menschen den Kopf einziehen mussten und sich mein Schlafzimmer, die Küche, Wohn- und Esszimmer und das Klo in einem Raum befanden. Nicht nur ich lebte so: Um mich herum standen weitere LKWs, Bauwagen, Zirkuswagen und andere mobile Wohnstätten. Wir waren eine Wagenburg, in der nicht nur Menschen verschiedenen Alters, auch Kinder, mit Hunden und Katzen zusammenlebten, sondern es gab auch Kultur: Einmal die Woche wurde gekocht. Manchmal kamen über hundert Leute zu unserer Vokü (Volxküche), um warm und günstig zu essen, zu trinken und sich in angenehmem Ambiente zu unterhalten. Viele Leute, die dort hinkamen, wohnten in besetzten oder ehemals besetzten Häusern oder Wohngemeinschaften, viele waren politisch aktiv oder interessiert. Der Versuch, die allgemeine Bevölkerung, Leute, die nicht so in diesen Zusammenhängen unterwegs waren, ins Boot zu holen, gelang oft nicht. Im Winter fand es etwas familiärer in einem großen Zirkuswagen, in dem wir auch Plenum machten und der Gemeinschaftswagen hieß, statt. Es gab auch Feste, Konzerte, Infoveranstaltungen, tendenziell alles eher im Sommer. Dann war es schön und grün, bunt und lustig. Natürlich gab es auch Stress untereinander, wie überall, wo Leute zusammenleben, wo Entscheidungen gemeinschaftlich gefällt werden, das Konsensprinzip gilt oder auch wie überall anders, wo es offenere Hierarchien gibt. Sie existieren ja leider überall, auch dort, wo sie eigentlich vermieden werden.

Es gab viele Wagenburgen in Berlin, anderen Städten und Ländern. Meistens waren sie besetzt worden. Oft wurden sie geräumt. Manchmal gab es Einigungen mit dem Staat oder Privateigentümer*innen in Form von Pachtverträgen. Viele waren aber auch einfach geduldet und mussten befürchten, geräumt zu werden. Auch gab es hin und wieder Demos gegen Räumungen, für Legalisierungen, für mehr Möglichkeiten alternativen Lebens.

Was ein Plenum ist? Ein Meeting, Treffen, eine Versammlung, um das gemeinsame Zusammenleben zu organisieren, Entscheidungen zu treffen: Wollen wir besetzt bleiben oder lassen wir uns auf Verhandlungen ein? Kann er oder sie einziehen? Welche Konflikte gibt es? Wollen wir den Küchenwagen renovieren? Die Themen waren endlos. Ich war eine Verfechterin von regelmäßigen Treffen, damit die Punkte sich nicht so ansammelten, dass es jedes Mal eine ewige Veranstaltung wurde, die alle furchtbar fanden. Damit war ich aber auf dem Platz in einer Minderheit, daher gab es nur hin und wieder Plena, die oft stressig verliefen und daher alle grauenhaft fanden. Aus meiner Sicht eben, weil zu viel in kleinen Gruppen oder einzeln und zu wenig gemeinsam besprochen wurde.

Kennst du das, wenn deine ganze Perspektive sich krass verändert, weil du ein bestimmtes Buch liest oder gelesen hast? Ähnlich geht es manchmal auch mit Filmen: Ich sehe einen Film und will gar nicht mehr in meine eigene Welt zurück, wünsche mir, ich würde in der Zeit weiterleben, in der der Film spielt.

Mein ganzer Tag stand unter dem Omen des ausgelesenen Buches.

Ich erledigte Überweisungen, besorgte ein paar Dinge, ging in die Bibliothek, führte ein Anwaltsgespräch und verbrachte einige Stunden zu Hause, in denen ich aufräumte und putzte.

Es war ein Freitag, da war ein kleiner Club geöffnet, den ich gerne mochte. Er bestand nur aus einem Raum mit Tresen und Sitznischen und einer Tanzfläche, die durch kleine Details und coole Beleuchtung herausstach. In einer Ecke hing ein Drachen, der aus Altmetall zusammengeschweißt worden war. Er wurde lila angeleuchtet. Es gab auch eine Discokugel, sie hatte aber unregelmäßige Spiegelscherben, sodass auch die Lichtpunkte unterschiedlich waren, die durch den Raum liefen. Ab und zu ging ein Stroboskop an, zwischendurch auch etwas Nebel, was ich eher eklig fand. Außerdem hingen unterschiedliche Plakate für Demos, Konzerte und andere Veranstaltungen überall verteilt. Sie klebten auch übereinander, sodass oft noch der Rand vom vorigen herauslugte. Der Laden wurde im Kollektiv betrieben, das hieß, zehn bis fünfzehn Personen organisierten und entschieden alles gemeinsam und die Preise dienten den Selbstkosten, waren also recht günstig.

Ich tanzte und schaute mir Männer an. Ich sah natürlich auch Frauen und es waren wunderschöne dabei, aber mein Hauptaugenmerk lag auf Männern.

Ich dachte aber an einen, der weit weg war.

Es war nicht mein Plan mich zu verlieben, weil ich das nur anstrengend fand und ich froh über meine Unabhängigkeit war.

Trotzdem übte das Buch einen starken Einfluss auf mich aus. Hätten sie doch bloß miteinander geschlafen …

Ich tanzte und tanzte. Hiphop lief.

Ich schaute oft nach unten beim Tanzen, manchmal machte ich auch die Augen zu. Wollte für mich sein.

Ich öffnete die Augen und sah geradewegs in ein Gesicht, das mich anvisierte und sofort einen Helikopterrotor in meinem Bauch starten ließ. Meine Güte, es war nur ein Gesicht, zugegeben recht hübsch: Ein schmales Gesicht und irgendwie verschmitzt. Seine Haare waren kurz, schwarz und struppelig. Seine Statur war schmal, aber nicht dürr, irgendwie lässig. Er schaute mich an, zuerst Stirnrunzeln und dann ein strahlendes Lächeln.

Ich schaute schnell weg und tanzte weiter.

War nicht mehr entspannt.

Fühlte mich angestiert.

Ich ging zu meinem Drink, lehnte mich an die Wand und schaute auf die Tanzfläche.

Er war weg.

Was nun kam, ist ungefähr der Klassiker. Mal tanzen, mal stehen, glotzen.

Er tauchte wieder auf, tanzte, stand herum, glotzte, Blicke begegneten sich.

Irgendwann bin ich gegangen, weil ich dachte, da ist kein Anfang und ich kann nicht die ganze Nacht so weiter zappeln.

Jeder Schritt arbeitete in mir. Ja, Berlin ist ein Dorf, aber dann auch wieder nicht. Einige Leute traf oder sah ich häufig: Auf Demos und Kundgebungen, öffentlichen Plena oder Konzerten. Aber ich kannte auch die gegensätzliche Erfahrung: Ich hoffte, einen bestimmten Typ zu treffen, und bewegte mich sogar in dessen näherem Umfeld und er lief mir Ewigkeiten nicht über den Weg.

Auf halbem Wege bin ich wieder zurückgerannt und er war weg. Da bin ich dann auch wieder abgezischt. Hab mich geärgert. Ich Idiotin!

Vielleicht gut so, dachte ich und ärgerte mich noch mehr.

Als der Club das nächste Mal geöffnet war, hatte ich den ganzen Tag gearbeitet und war total kaputt. Meine Arbeit bestand daraus, mit einem Kleintransporter alles mögliche Zeug von A nach B zu befördern, eine Art Shuttle-Service für Gegenstände.

Wir machten das zu dritt: Karl, Gerdi und ich.

Karl koordinierte mehr, Gerdi und ich fuhren mehr.

Karl wohnte in einer Hausgemeinschaft in Kreuzberg. Das Haus war in den Achtzigern besetzt und auch legalisiert worden. Er war älter als Gerdi und ich, Anfang Dreißig, ich war erst zweiundzwanzig, Gerdi etwas älter, aber das wirkte nicht so.

Karl hatte einen Iro, der oft die Farbe wechselte und das einzige darstellte, was auf Eitelkeit oder Selbstdarstellung hindeutete. Ansonsten war er praktisch veranlagt, auf das Wesentliche fokussiert und gut im Organisieren und Papierkram machen. Auch in seinem Hausprojekt verhielt er sich verantwortungsbewusst und übernahm häufig wichtige Aufgaben.

Gerdi war mehr so die Partynudel und derjenige, mit dem ich auch privat mehr unternahm.

Wir hatten für einen Musikanlagenverleih, von dem wir häufig Aufträge bekamen, ein Schulkonzert versorgt, danach Aktenkartons transportiert und einen Schrank geschleppt. Touren zu zweit mochte ich, sie waren finanziell nicht so ergiebig, aber besonders mit Gerdi hatte ich immer viel Spaß. Obwohl er ein Tattoo mit einer kleine Träne unter dem linken Auge hatte, lachte er viel und sagte...

Erscheint lt. Verlag 4.2.2024
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alternative Lebensformen • Berlin • Rollheimer • Subkultur • Wagenburg
ISBN-10 3-384-11678-X / 338411678X
ISBN-13 978-3-384-11678-9 / 9783384116789
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