Elbtrio (eBook)
776 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4613-2 (ISBN)
Nicole Wollschlaeger, 1974 in Pinneberg geboren, absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Buchhändlerin. 2004 schloss sie ihr Schauspielstudium in Hamburg ab. Sieben Jahre lang lieh sie ihre Stimme der Kinderbuchreihe Das magische Baumhaus und tourte mit ihren Lesungen durch ganz Deutschland. 2013 erschien ihr erster Roman Schatten über Nargon im Carlsen Verlag. Mit "Elbschuld" startete 2016 die Krimireihe um das Kophusener Ermittler-Trio.
1
Kommissar Philip Goldberg schloss die Haustür und ging in die Küche. Sein Spaziergang hatte ihm gutgetan, und jetzt freute er sich auf einen Kaffee. Obwohl er schon vor einer Woche das Umzugsunternehmen mit einem ansehnlichen Trinkgeld verabschiedet hatte, standen immer noch reihenweise Kartons herum. Nicht dass ihm die Zeit fehlte, sie auszupacken, nein, in Kophusen ging es eher gemächlich zu. Aber er war immer noch auf der Suche nach dem richtigen Platz für einige seiner Sachen. Dieser Neuanfang sollte etwas ganz Besonderes werden, und das brauchte eben Zeit.
Für seine Bialetti hatte er allerdings nicht viel Zeit benötigt. Die hatte schon am Tag seines Einzugs den richtigen Platz auf dem Herd gefunden. Er nahm die Schraubkanne, füllte den kleinen Bauch mit Wasser, den Filtereinsatz mit der gemahlenen Espressomischung und drehte den Gasherd auf. Während er die beiden Teile wieder aufeinanderschraubte, dachte er an den letzten Besuch in seiner Leib-und-Magen-Rösterei in Berlin. Der neue Barista hatte in einer dramatischen Geste die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Die Schraubkanne war seiner Meinung nach die schlechteste Wahl, wenn es um guten Kaffee ging. Aber Goldberg hatte nur mit den Schultern gezuckt. Er liebte seine Bialetti, und kein Barista der Welt würde sie ihm abspenstig machen können, egal wie hip und kompetent er war. Schmunzelnd stellte er die Kanne auf die Gasflamme. Dann setzte er sich an den kleinen Holztisch am Fenster und wartete.
Sein Blick wanderte hinaus in den Garten. In dieses Kleinod hatte er sich bei der Hausbesichtigung sofort verliebt. Besonders der Apfelbaum im Zentrum des Gartens hatte es ihm angetan. Im Schatten des alten Baumes hatte er seinen Holzstuhl aufgestellt. Weiter vorne plante er bereits eine Reihe von Beeten mit Gemüse und Kräutern. Das war schon lange ein Traum von ihm gewesen. Warum nur hatte es erst zu dieser Katastrophe kommen müssen? Warum hatte er sich nicht schon viel früher zurückgezogen? Dann wäre das alles nicht passiert. Oder doch?
Das leise Röcheln der Kanne entlockte ihm einen wohligen Seufzer. Hier werde ich die Ruhe finden, die ich so dringend brauche, dachte er. Ruhe vor seiner Vergangenheit. Von jetzt an wollte er nur noch für den Augenblick leben.
Nur während der Arbeit würde er sich noch mit der Vergangenheit befassen müssen. Aber das war nicht weiter schlimm. Schließlich war es die Vergangenheit von anderen Leuten. Was hatte die schon mit ihm zu tun? Nichts. Sie konnte ihm nicht gefährlich werden. Kophusen hatte rein gar nichts mit Berlin gemein. Diese beiden Orte waren wie Feuer und Wasser. In Kophusen würden die alten Geister ihn niemals finden.
Als das Fiepen sich zu einem schrillen Pfeifen hochschraubte, stand Goldberg auf. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er die Kanne vom Herd. Seine Tasse stand schon bereit. Die wichtigen Dinge hatte er vorsorglich in der kleinen Reisetasche verstaut, damit er sie sofort nach dem Einzug griffbereit hatte. Sanft sog er den Duft des Kaffees ein. Ja, das war seine Gegenwart. Die einzige, die ihm geblieben war.
Mit der Tasse in der Hand ging er zur Gartentür hinaus und setzte sich unter den Apfelbaum. Einige Strahlen der heißen Julisonne brachen durch die grünen Blätter und blendeten ihn ein wenig. Er schloss die Augen und nahm gerade den ersten Schluck, als seine Hosentasche zu vibrieren begann. Widerstrebend öffnete er die Augen und kramte sein altes Nokia-Handy hervor.
»Goldberg.«
»Moin, Herr Goldberg, entschuldigen Sie, dass ich Sie am Sonntag stören muss, aber wir haben einen Notfall.«
Polizeihauptmeister Hauke Thomsen, einer seiner beiden neuen Mitarbeiter, klang völlig entnervt.
»Was ist los?«
»Es geht um Hilde Deterding. Sie ist völlig außer sich. Will nur mit dem neuen Kommissar sprechen. Ich kriege sie einfach nicht beruhigt. Sie macht hier einen Höllenaufstand.«
»Ist er das?« Die schrille Frauenstimme am anderen Ende des Telefons ließ Goldberg zusammenzucken.
»Können Sie bitte kommen?«, flehte Thomsen, der anscheinend kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.
»Gut. Ich …« Aber Goldberg wurde rüde unterbrochen.
»Hauke, sag ihm, er soll sofort herkommen!«
»Frau Deterding, würden Sie bitte endlich …« Thomsens Stimme brach ab, und Goldberg vernahm Geräusche, die sich gefahrenträchtig nach einem Handgemenge anhörten.
»Zehn Minuten!«, rief Goldberg ins Telefon und unterbrach die Verbindung.
Er leerte seine Tasse und ging zurück ins Haus. In Gedanken noch immer bei dem ungewöhnlichen Anruf, nahm er ein frisches Hemd und eine Jeans aus seinem Kleiderschrank im Schlafzimmer. In der gesamten letzten Woche war es im Gegensatz zu seinem Berliner Polizeialltag auf der neuen Wache geradezu entspannt zugegangen. Aber ein bisschen Action konnte nicht schaden. Schließlich war er noch nicht in Rente. Fünf Minuten später machte er sich auf den Weg zur Wache.
Kophusen war ein kleiner Ort. Aber immerhin gab es noch einen inhabergeführten Supermarkt, eine Bäckerei und eine erstaunlich gepflegte Kneipe. Auf dem Deich entlang der Elbe standen Schafe. Ihr lautes Mäh durchbrach die Stille, und Goldberg hatte den Eindruck, dass es ihn vorwurfsvoll mahnte, besser schnell zu verschwinden. Er tat wie ihm geheißen und beschleunigte seine Schritte. Als er das bescheidene Einfamilienhaus betrat, das seine neue Wache darstellte, war es mit der sonntäglichen Ruhe schlagartig vorbei. In dem Tumult bemerkte ihn niemand, und Goldberg blieb einige Sekunden lang im Türrahmen stehen.
Sein Blick fiel zuerst auf Polizeiobermeister Peter Brandt, den Dienstältesten auf der Wache. Er stand über den ockerfarbenen Tresen gebeugt und redete mit Engelszungen auf eine ältere Dame ein, die aber allem Anschein nach ganz und gar nicht die Absicht hatte, sich beruhigen zu lassen. Polizeihauptmeister Hauke Thomsen hatte den eben noch tobenden Kampf um den Hörer offensichtlich verloren, denn er saß jetzt kopfschüttelnd auf einem der Besucherstühle links vom Tresen und starrte zu Boden. Mit seinen ein Meter achtzig, eigentlich so groß wie Goldberg, war er allerdings wesentlich breiter gebaut, und zugegeben auch viel muskulöser. In seinem jetzigen Zustand aber glichen seine herabhängenden Schultern eher der wahrscheinlich für jedes Revier obligatorischen Zimmerpflanze, die bereits einige Vitalfunktionen eingestellt hatte. Armes Ding, dachte Goldberg noch, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Brandt richtete, der mit einer, beinah artistischen Körperbewegung den Tresen eroberte. Brandt war zwar deutlich kleiner als Thomsen, aber ungeheuer drahtig, und in der Art und Weise, wie er sich jetzt über den Tresen beugte, konnte er den Artisten des Chinesischen Staatszirkus ohne Probleme Konkurrenz machen. Seine akrobatischen Fähigkeiten verblüfften Goldberg. Machte der Mann etwa Yoga? Sein blondes Haar dagegen, akkurat gescheitelt, stand wie sein Charakter im krassen Gegensatz zu dem seines Kollegen. Goldberg war ehrlich fasziniert von ihren Eigenarten, die wie ein Kunstwerk perfekt aufeinander abgestimmt waren. Er mochte sie. Beide.
Deshalb erbarmte sich Goldberg ihrer und entschied sich, seinen Kollegen unter die Arme zu greifen. Mit einem lauten Knall ließ er die schwere Glastür ins Schloss fallen. Brandt erstarrte mitten in der Bewegung, die Hände zu der alten Dame gereckt. Thomsen hob den Kopf und beide sahen ihren neuen Chef erstaunt an. Nur die alte Dame schien völlig unbeeindruckt. Sie drehte sich langsam zu Goldberg um und betrachtete ihn eingehend, während er gelassen zu ihr an den Tresen trat.
»Sind Sie der Neue?«, fragte sie in strengem Ton, der exakt zu ihrer Erscheinung passte.
Sie war klein und stämmig. Das schneeweiße, perfekt frisierte Haar zierte eine Haarnadel mit einem goldenen Apfel. Der Stehkragen ihrer hellen Bluse wurde von einer dunklen Perlenkette umrandet, die farblich genau auf ihr eng anliegendes Kostüm abgestimmt war. Man hatte fast den Eindruck, Queen Mum sei auf Staatsbesuch nach Kophusen gekommen.
»Goldberg. Philip Goldberg«, begrüßte er sie und reichte ihr die Hand. Den Impuls, ihr einen angedeuteten Handkuss zu geben, unterdrückte er wohlweislich.
»Sie sind der Vorgesetzte von diesen Landeiern hier?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und Goldberg sah, wie Thomsens Gesicht sich bedrohlich verfinsterte.
»Das hören meine Kollegen gar nicht gerne, Frau Deterding.«
»Das ist mir egal. Ich bin hier, weil ich Polizeischutz brauche. Man sagt, Sie waren mal Hauptkommissar. In Berlin. Dort wird man wohl wissen, wie man mit potenziellen Mordopfern umzugehen hat.«
Ihr stechender Blick durchbohrte Goldberg. Wie die Haarnadel ihre Frisur, dachte er und verscheuchte das Bild eines »Haarnadel-Massakers« aus seinem Kopf.
»Gehen wir doch in mein Büro, Frau Deterding.«
Er deutete auf seine Tür, die sich neben der offenen Küche hinter dem Tresen befand. Die alte Dame schien für den Augenblick besänftigt zu sein und setzte sich gehorsam in Bewegung. Als Goldberg an Thomsen vorbeiging,...
Erscheint lt. Verlag | 7.2.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
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ISBN-10 | 3-7583-4613-4 / 3758346134 |
ISBN-13 | 978-3-7583-4613-2 / 9783758346132 |
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