Mein Leben mit dem Lymphödem (eBook)
324 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-08114-8 (ISBN)
Kirsten Schade, geboren 1961 in Moers, ist seit ihrer Geburt an einem einseitigen primären Lymphödem erkrankt. Leider ist diese Erkrankung bei vielen Ärzten und Patienten immer noch relativ unbekannt. Doch durch zahlreiche Reha- und Krankenhausaufenthalte hat sie schon in jungen Jahren viele Patienten über diese Krankheit aufklären können. Seit 2004 arbeitet sie freiberuflich in ihrer eigenen Beratungspraxis für kranke und schwerbehinderte Menschen sowie deren Angehörige. Hier berät sie von der Pflege bis zur Patientenverfügung und Nachlassabwicklung nicht nur Patienten, die an einem Lymphödem erkrankt sind. Seit 2016 schreibt sie Bücher zum Thema 'Lymphödem und Lipödem' und anderen gesundheitlichen Themen.
Kirsten Schade, geboren 1961 in Moers, ist seit ihrer Geburt an einem einseitigen primären Lymphödem erkrankt. Leider ist diese Erkrankung bei vielen Ärzten und Patienten immer noch relativ unbekannt. Doch durch zahlreiche Reha- und Krankenhausaufenthalte hat sie schon in jungen Jahren viele Patienten über diese Krankheit aufklären können. Seit 2004 arbeitet sie freiberuflich in ihrer eigenen Beratungspraxis für kranke und schwerbehinderte Menschen sowie deren Angehörige. Hier berät sie von der Pflege bis zur Patientenverfügung und Nachlassabwicklung nicht nur Patienten, die an einem Lymphödem erkrankt sind. Seit 2016 schreibt sie Bücher zum Thema "Lymphödem und Lipödem" und anderen gesundheitlichen Themen.
KAPITEL 1
MEIN LEBEN VOR DER DIAGNOSE
Als ich mich dazu entschloss, ein Kapitel über mein Leben vor der Diagnosestellung einseitiges, primäres, kongenitales Lymphödem zu schreiben, wusste ich noch nicht, dass ich ziemlich tief graben muss und manch unangenehme Dinge wieder an die Oberfläche kommen.
1. MEINE KINDHEIT UND JUGEND
Ich wurde im September 1961 geboren, als mittleres Kind mit zwei Brüdern. Es war das Jahr, in dem das Kindergeld eingeführt wurde, die ersten Zivildienstleister ihren Dienst antraten und die Antibabypille in der BRD zugelassen wurde.
Aber auch ein Jahr, in dem der Zusammenhang zwischen Contergan und den vielen Missbildungen bekannt wurde, worauf das verschreibungspflichtige Schlafmittel vom Markt genommen wurde. Ich muss wohl schon 13 oder 14 Jahre alt gewesen sein, als meine Mutter, die leider schon 2001 verstarb, mir erzählte, dass sie in meiner Schwangerschaft auch Schlafmittel genommen hatte, jedoch kein Contergan. Konnte ich jetzt erleichtert sein? Gab es einen Zusammenhang? Diese Fragen stellte ich mir erst einige Jahre später, denn eine Diagnose für mein „Anderssein“ gab es noch nicht und verkürzte oder verstümmelte Gliedmaßen hatte ich auch nicht. Ich hatte einfach nur ein ganz dickes – doppelt so dickes – rechtes Bein. Nur der Vorfuß war untypischerweise normal. Ansonsten war ich sehr groß und schlank. Mein Vater sagte immer: „Da kommt eine lange Dürre“. Meine Brüder waren beide gesund und darum beneidete ich sie häufig. Wenn mein Vater das bemerkte, sagte er nur: „Mein Mädchen ist so stark. Das würden ihre Brüder zusammen nicht schaffen“. Er hat wohl recht behalten.
Bei meiner Geburt waren die Ärzte über meinen Anblick so erschrocken, dass ich direkt zur Untersuchung gebracht wurde. Mein Vater war bei meiner Geburt nicht im Kreißsaal und verstand nicht, weshalb er sein Kind nicht sehen durfte. So haben sich beide natürlich große Sorgen gemacht, was mit mir ist. Ich wurde erst einige Stunden später zu ihnen gebracht. Die Ärzte hatten keine Erklärung für die Missbildung und ich glaube, das war am schlimmsten für meine Eltern. Einfach nicht zu wissen, was ihr Kind hat und wie es behandelt werden kann. Sie sind mit mir zu Kliniken und Ärzten gefahren, aber alle waren ratlos. Einer bescheinigte ihnen schriftlich, „dass sich das noch auswächst“. Gut, darauf warte ich noch heute. Meine Mutter sagte immer: „Wenn ich dir das doch nur abnehmen könnte“ und war sehr unglücklich. Doch bemerkte sie auch, dass ich von klein auf versuchte, mich durchzusetzen. Intuitiv wusste ich wohl, dass ich nur mit Selbstbewusstsein, Zielstrebigkeit, aber auch Neugier meinen Weg machen kann und werde.
Wirklich bewusst gemerkt, dass ich anders bin, habe ich erst in der Grundschule. Ich kann mich an eine Situation erinnern, als ich von der Schule nach Hause ging. Ein älterer Junge lief die ganze Zeit hinter mir her und rief immerzu: „Die Kirsten hat ein dickes Bein, die Kirsten hat ein dickes Bein.“ Ich lief immer schneller und schämte mich so sehr, dass diesen Satz jemand hören könnte. Ich wollte doch einfach nur normal sein.
Schwierig wurde auch der Schuh- und Stiefelkauf. Damals war es noch so, dass die Schuhverkäufer passende Modelle an den Platz brachten und beim Anprobieren halfen. Doch nur wenige Modelle kamen für mich in Frage. Dann hörte ich immer wieder dieselbe Frage, leise an meine Eltern gerichtet: „Was hat denn das Kind? Wieso ist denn das eine Bein so dick? Sie ist doch sonst so dünn.“ Wenn doch nur jemand eine Antwort darauf gehabt hätte! Ich hatte das Gefühl, dass ich Schuld sei an diesem dicken Bein. Wie stolz war ich dann aber, wenn wir einen passenden Schuh fanden und ich diesen freudig meinen Freundinnen vorführen konnte. In diesen Momenten vergaß ich mein Anderssein und war einfach nur ein fröhliches, junges Mädchen.
Da ich auch noch angeborene Herzfehler habe, war ich von klein auf immer in verschiedenen Krankenhäusern zur Behandlung. Heute weiß ich, dass Menschen mit einem angeborenen Lymphödem oftmals noch weitere Begleiterkrankungen haben. In den Krankenhäusern gab es wie überall die unterschiedlichsten Ärzte. Einige waren einfühlsam, einige unsensibel. Bei den Visiten habe ich mich oft nicht getraut, die Bettdecke wegzuziehen. Denn was sollte ich auf die Frage antworten, wieso ich ein dickes Bein habe, wenn es noch nicht einmal die Ärzte wussten? Wenn ich einige Tage im Krankenhaus liegen musste, gab es einen großen Vorteil: Mein Bein wurde sichtlich schlanker. Damals war es wohl erst noch das Stadium 1–2, denn ich kann mich erinnern, dass ich noch Dellen in den Unterschenkel drücken konnte.
Hätte ich damals schon die Komplexe Physikalische Therapie (KPE) nutzen können, hätte man dieses Ergebnis sicherlich verbessern und gut halten können. Doch da es weder Diagnostik noch eine Therapie gab, wurde mein Bein natürlich sofort nach Verlassen der Klinik wieder dick. Wenn ich jetzt in den Fachkliniken Säuglinge oder Kinder mit einem Lymphödem sehe, bin ich einerseits traurig, was den Kindern noch bevorsteht, andererseits aber glücklich über all die Möglichkeiten und die weitere Entwicklung. Allerdings sind hier insbesondere die Eltern und die Familie gefragt, denn es ist wichtig, den Kindern das notwendige Selbstwertgefühl zu geben, damit sie zum einen die Erkrankung, zum anderen aber auch die Therapie nachhaltig akzeptieren und zu Hause umsetzen. So werden die Eltern der Kinder bei stationären Aufenthalten geschult, um die Technik der Manuellen Lymphdrainage und das Anlegen von Kompressionsbandagen zu erlernen und in den Alltag zu integrieren.
2. DAS PRIMÄRE LYMPHÖDEM DES KINDES
Laut der Studie „Das Primäre Lymphödem des Kindes: Langzeittherapieverlauf und Lebensqualität“ von Johanna Schöhl (2010) „vergehen im Durchschnitt zwischen Ödemmanifestation und der ersten Vorstellung in der Klinik viereinhalb Jahre. Es ist wünschenswert, diesen Zeitraum zu verkürzen bzw. so gering wie möglich zu halten. Eine rasche Therapieeinleitung kann in der Regel eine Progredienz aufhalten, Komplikationen verringern und führt somit zu besseren Ergebnissen. Insbesondere hier nochmal ein Appell an alle Kinderärzte, sensibel auf mögliche Ödeme zu reagieren und auch an spezielle Kliniken zu überweisen.“
Es sollte also so früh wie möglich mit der Komplexen Physikalischen Therapie begonnen und Eltern sowie Familienmitglieder in die Therapiemaßnahmen eingewiesen werden. Lassen Sie sich alles genau erklären und reden Sie mit Ihren Kindern über jegliche Fragen, das gibt Sicherheit. Ein gutes Vertrauensverhältnis Ihnen und auch dem Therapeuten gegenüber ist ein wichtiger Faktor, auch im Hinblick auf die Pubertät. Dabei sind der Kontakt und Austausch zu anderen Betroffenen sehr positiv und wichtig, gerade auch außerhalb der Familie.
3. ICH BIN ANDERS ALS DIE ANDEREN
Ich ging auf die weiterführende Schule. Jetzt begann die Problematik der Pubertät. Ein Thema war natürlich auch die passende Kleidung. Es war die Zeit der Miniröcke – was bei mir gar nicht ging – und der engen Jeans – was natürlich auch ein Riesenproblem war. Hier die passende Garderobe zu finden, war fast wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen.
Ich wollte einfach vermeiden, dass irgendjemand sah oder bemerkte, dass ich ein dickes und ein dünnes Bein hatte. Denn was hätte ich sagen sollen, zumal ich groß und sehr dünn war? Viele meiner Schulfreundinnen meinten, ich wäre ein geeignetes Model, sehr schlank und groß. Was sollte ich darauf antworten, weshalb das für mich gar nicht in Frage kommen kann? So entschloss ich mich, schöne lange Mäntel, die damals sehr in Mode waren, anzuziehen. Und einfach nicht mehr auszuziehen. Ja, richtig, ich habe sie einfach immer und überall angelassen. Im Klassenraum, in der Disco und auch bei 30 Grad im Sommer. Auf die Frage, warum ich denn immer meinen Mantel anlasse, versuchte ich fadenscheinige Ausreden zu erfinden, was mal mehr, mal weniger gut klappte. Heute bin ich einfach nur traurig, dass ich meine Kindheit und Jugend nie richtig genießen und leben konnte.
Ich weiß auch nicht, warum, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals ein ernstes Gespräch mit meinen Eltern über diese Problematik geführt hätte. Irgendwie wurde das immer totgeschwiegen. Es traute sich keiner so richtig, darüber zu sprechen. Ich am allerwenigsten. Ich weiß, dass ich immer den Menschen zuerst auf die Beine geschaut habe, um zu sehen, ob es auch noch andere mit dem gleichen Schicksal gibt. Das erste Mal, dass ich eine Frau mit einem dicken – linken – Bein gesehen habe, war in der Földiklinik. Ich kann mich noch genau daran erinnern.
Wir saßen beide vor dem Arztsprechzimmer, sahen uns an, sahen auf die Beine der anderen und waren erst einmal sprachlos. Dann kamen wir ganz schnell ins Gespräch und da wir auch im gleichen...
Erscheint lt. Verlag | 31.1.2024 |
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Reihe/Serie | Ratgeber zum Thema Lymphödem | Ratgeber zum Thema Lymphödem |
Illustrationen | Sandra Schönwald |
Mitarbeit |
Cover Design: Heike Thormann Sonstige Mitarbeit: Heike Thormann |
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Armlymphödem • autologe Lymphgefäßtransplantation • Beinlymphödem • Erysipele • Gefäßmedizin • Genitallymphödem • intermittierende pneumatische Kompressionstherapie • IPK • Kompressionsstrümpfe • Kompressionstherapie • Kompressionsverband • Kompressionsverbände • Kompressionsversorgung • Lip-Lymphtherapie • Lipödem • Lipödemtherapie • Lipolympödem • Liposuktion • Lippatient • LVA • Lymphabfluss • Lympharzt • lymphatische Versorgung • Lymphbahnen • Lymphbehandlung • Lymphbläschen • Lymphchirurgie • Lymphdrainage • Lymphe • Lympherkrankung • Lymphfisteln • Lymphfluss • Lymphflüssigkeit • Lymphgefäß • Lymphgefäße • Lymphgefäßleiden • Lymphgefäßtransplantation • Lymphklinik • Lymphknoten • Lymphkrankheit • Lymphliga • Lymphnetz • Lymphödemtherapie • Lymphöden • Lympho Drain • Lymphologe • Lymphologie • lymphologische Fachkliniken • lymphologische Krankheitsbilder • lymphomat • lympho-venöse Anastomosen • Lymphozelen • Lymphpatient • Lymphselbsthilfe • Lymphstau • Lymphsystem • Lymphtherapeut • Lymphzentrum • Lymphzyste • Manuelle Lymphdrainage • Nachtkompression • Ödemkrankheit • ödempatient • Ödemtherapeut • primäres Lymphödem • sekundäres Lymphödem • vaskulärer Lymphknotentransfer • VLNT |
ISBN-10 | 3-384-08114-5 / 3384081145 |
ISBN-13 | 978-3-384-08114-8 / 9783384081148 |
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