Alpstein (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-125-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alpstein -  Silvia Götschi
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Hochspannung vor der majestätischen Kulisse der Appenzeller Bergwelt. Eigentlich sollte es der schönste Tag im Leben werden. Doch die romantische Hochzeit im Appenzellerland verwandelt sich jäh in einen Alptraum, als der Bräutigam kurz nach der Trauung in den Tod stürzt. Milagros von Wirth, die zu den Gästen gehört, glaubt nicht an einen Unfall, denn das Opfer war ein erfahrener Bergsteiger. Sie bittet ihren Sohn, Privatdetektiv Max von Wirth, und seine Kollegin Federica Hardegger um Hilfe, aber sie können nicht verhindern, dass es weitere Tote gibt - und Fede unter Mordverdacht gerät.

Silvia Götschi, Jahrgang 1958, zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen der Schweiz. Ihre Krimis landen regelmäßig auf den vordersten Plätzen der Schweizer Belletristik-Bestsellerliste. Für zwei ihrer Krimis wurde sie mit dem GfK No 1 Buch Award ausgezeichnet. Sie hat drei Söhne und zwei Töchter und lebt heute mit ihrem Mann im Kanton Aargau. www.silvia-goetschi.ch

Silvia Götschi, Jahrgang 1958, zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen der Schweiz. Ihre Krimis landen regelmäßig auf den vordersten Plätzen der Schweizer Belletristik-Bestsellerliste. Für zwei ihrer Krimis wurde sie mit dem GfK No 1 Buch Award ausgezeichnet. Sie hat drei Söhne und zwei Töchter und lebt heute mit ihrem Mann im Kanton Aargau. www.silvia-goetschi.ch

EINS

Der Briefumschlag hatte eine rosa Farbe und eine Geruchsnote, die an Veilchen erinnerte. Die Schrift kannte sie nicht. Milagros von Wirth schloss den Briefkasten und ging mit der Post zurück in ihr Appartement: mit der Tageszeitung, einer Reklame für die ultimative Sonnencrème und einem Prospekt für eine Kreuzfahrt im Mittelmeer, was in Milagros ein ambivalentes Gefühl zwischen Wehmut und Ärger auslöste. Wehmut, weil sie vor zwei Jahren eine achttägige Reise nicht hatte richtig beginnen, geschweige denn beenden können, Ärger, weil ihr das Geld dafür bis heute nicht zurückerstattet worden war, trotz Annulationsversicherung. Milagros warf die beiden Flyer in den Abfallkübel, der beim Aufgang zum Spielplatz stand und kaum gebraucht wurde. Der gelbe Kleber mit der Aufschrift »Öffne und benutze mich« wurde selten gelesen. Seit sie hier eingezogen war, war sie mit Ausnahme einer eigensinnigen mittelalten Frau die einzige Bewohnerin in diesem Haus, welches zu einer modernen Überbauung gehörte. In den anderen Häusern sah es unwesentlich besser aus. Die Feriengäste blieben fern, und für Familien, für die man die Häuser errichtet hatte, war der Mietpreis unerschwinglich, außer sie gehörten zu den Superreichen. Aber diese kamen nicht hierher.

Der Sommer war heuer eine einzige Zumutung. Die wenigen Meter zwischen Briefkasten und Wohnung hatten Milagros zum Schwitzen gebracht. Sie war außer Atem, als hätte sie einen Halbmarathon bewältigt. Eigentlich war an dem Resort nichts auszusetzen. Das Appartement im Haus Rosengarten erfüllte alle Ansprüche. Die Küche war mit modernsten Gerätschaften ausgestattet. Nebst dem Backofen gab es einen Steamer, und der Kühlschrank verfügte über eine separate Eismaschine. Beim Induktionsherd war eine Ausbuchtung für den Wok eingelassen, und die Kaffeemaschine war integrierter Bestandteil des Geschirrschranks. Hightech vom Feinsten und farblich perfekt aufeinander abgestimmt. Ganz ihr Geschmack.

Milagros schritt zum Fenster und sah hinab auf den Brienzersee. Seine Farbe erinnerte an das türkise Meer vor der Karibikinsel San Blas, auf der sie den Winter um drei Wochen verkürzt hatte. Gut essen, trinken und baden, in Erinnerungen schwelgen an die Zeit, als sie mit Kaspar rund um die Welt gejettet war. Von einem erfrischenden Bad im Brienzersee sah Milagros hingegen ab, seit sie erfahren hatte, was für Altlasten auf dem Grund lagerten.

Sie holte ein Messer aus der Küchenschublade und schnitt damit den Umschlag auf. Der Veilchenduft intensivierte sich, und das Rosarot setzte sich auf dem Briefbogen fort. Sie faltete das Papier auseinander, neugierig und ungeduldig. Es war lange her, seit sie solche Briefe erhalten hatte, und Melancholie überkam sie. Die letzten Jahre waren dahingeflossen, ohne nennenswerte Höhepunkte. Ein wenig machte es ihr Angst. Die Namen am unteren Rand sprangen ihr ins Auge.

Aurora Antoniazzi und Heinrich Manser.

Heini! Milagros musste sich setzen. Sie hatte ihn unlängst gesehen. Im März war es gewesen, in der Berner Altstadt, unter den Lauben. Er war zügig aus einem Sportgeschäft gekommen, als Milagros hineingehen wollte, und hätte sie beinahe umgerannt. Heinrich Manser, einst ein guter Freund ihres Mannes Kaspar, hatte sie auf Anhieb wiedererkannt. Milagros durfte dies als Kompliment deuten. Er hatte von seinen Plänen gesprochen, von seinen Expeditionen in den Schweizer Alpen, vom Klettern und Bergsteigen – davon, dass er heiraten würde, nicht.

Das Foto in Herzform untermalte das Geschriebene. Ein ungleiches Paar, das in die Kamera lächelte. Sie, die blonde Ausgabe von Liz Taylor, er, der Alte, dem Wind und Wetter Furchen ins Gesicht gezeichnet hatten. Aurora Antoniazzi, der Inbegriff der Perfektion. Eine Schönheit, die ihren Zukünftigen überstrahlte. Wie war er bloß an diese Frau geraten?

Alter Narr!

Der eingefleischte Junggeselle und Lebemann hatte die sechzig längst überschritten. Wenn Milagros sich nicht täuschte, hatte er sogar den gleichen Jahrgang wie sie. Ob er Udo Jürgens’ Lied zum Anlass genommen hatte, seinem Lebensherbst einen neuen Frühling einzuhauchen? »Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an.« Ein Ohrwurm, wie sie ärgerlich feststellte. Sie würde die Melodie in ihrem Kopf nicht mehr losbekommen.

Heini hatte sich eine Jüngere geangelt, als wären die Frauen um die sechzig nicht interessant genug.

Aurora, ein Küken, im Vergleich zu Milagros, das auch mal groß werden und dem Alten den Gnadenstoß geben würde. Milagros öffnete den Kühlschrank und nahm eine angebrochene Flasche Louis Roederer heraus. Sie würde sich volllaufen lassen, hatte endlich einen Grund, ihren Frust zu ertränken. Sie setzte die Flasche an den Mund und nahm einen Schluck daraus, nicht ladylike, aber das sah ja niemand. Augenblicklich schämte sie sich für ihr Sich-gehen-Lassen. Trotzdem: Die alten Männer konnten sich eine junge Frau anlachen, ohne schräg angesehen zu werden, wogegen man eine Sechzigjährige belächelte, sollte sie sich einen Jüngeren geangelt haben.

Milagros besah sich die Frankatur und wann der Brief abgestempelt worden war. Vor einem Tag in Appenzell. Eine so kurzfristige Einladung zu einer Hochzeit übermorgen hatte sie nie zuvor erhalten. Es kam ihr ein wenig suspekt vor. Ob sie eine Lückenbüßerin war für jemanden, der verhindert war, am Fest teilzunehmen? Vielleicht hatte Heini sich spontan an sie erinnert und daran, welch fröhliche Feste sie früher miteinander gefeiert hatten. Damals, als sie in ihrer jugendlichen Sorglosigkeit überbordet und manchmal nicht gewusst hatten, wie ausgelassen sie sich benehmen wollten. Milagros war kaum in die Schweiz gekommen, da führte Kaspar sie in die verruchtesten Spelunken, was sie ihrem korrekten späteren Ehemann nie zugetraut hätte. Sie hatten die Nächte zu Tagen gemacht und umgekehrt. An den Wochenenden hatten sie getanzt bis in die Morgenstunden, nicht nur in Hergiswil, und den Tag darauf in entspanntem Nichtstun verbracht. Kaspar und Heini, der eine distinguierter Bankier, der andere Erbe eines rentablen Familienunternehmens, das er nach dem frühen Tod seiner Eltern verkauft hatte. In den Jahren danach hatte er nicht arbeiten müssen, und wahrscheinlich war es heute noch so. Sein Vermögen hatte er bei Kaspar angelegt, was diesen daraufhin zum Direktor der Nidwaldner Bank erhoben hatte.

In seinem Alter wollte Heinrich Manser also jetzt heiraten. Himmel noch einmal! In zwei Tagen. Milagros legte den Brief auf die Ablage beim Herd und las den Rest. Natürlich gab es einen Dresscode. Das Brautpaar wünschte sich eine folkloristisch-sportliche Garderobe, passend zur Hochzeitsmesse, die in einer der Wildkirchli-Höhlen oberhalb von Wasserauen stattfinden würde. Bergschuhe waren ein Muss. Die Anfahrt war beschrieben. Ab Wasserauen mit der Luftseilbahn bis auf die Ebenalp, dann zu Fuß Richtung Äscher.

Milagros seufzte. Was sollte sie bloß anziehen? Folkloristisch-sportlich. Diesen Ausdruck hatte sie noch nie gehört. Eine Appenzeller Tracht mit Wanderschuhen? Von einem Rucksack stand da nichts.

Heini hatte sie oft besucht, wenn er vom Ausland zurückgekehrt war. Ihn hatte eine alte Freundschaft mit Kaspar verbunden, deren Ursprung Milagros nicht kannte. Zwei Wochen nach Kaspars Tod hatten sie sich aus den Augen verloren. Milagros erinnerte sich an den ergreifenden Nekrolog, den Heini in der Kirche gelesen hatte. Im Anschluss hatte er seine Gitarre zur Hand genommen und die Zeremonie mit Kaspars Lieblingslied untermalt. »Knocking on Heaven’s Door« von Bob Dylan, eine herzbewegende Interpretation. Im Grunde hatte Heini immer wieder seine Kreativität spielen lassen. Musik, Schreiben, Fotografieren – er war der Virtuose auf der Bühne seines selbst gewählten Daseins, der Lebenskünstler, dessen Berufung aber im Klettern und Bergsteigen lag. Das pure Gegenteil von Kaspar. Heinis Leidenschaft waren die Berge. Auf den Gipfeln der Welt fühlte er sich zu Hause, sie waren Gebet und Religion, Schöpfung und Inspiration. Und wie er ihr unter den Lauben erzählt hatte, war das bis heute so. Mit dem einen Unterschied, seit seinem Sechzigsten die Schweizer Berge denen im Ausland vorzuziehen.

Milagros öffnete den Gläserschrank und griff nach einem Glas. Sie ließ Wasser aus dem Hahn und füllte es bis fast zum Rand. Alkohol am Vormittag bekam ihr nicht gut. Sie könnte doch einfach auch absagen. Heini würde es begreifen. Sie hatte noch nicht einmal ein Zimmer. Der Weg mit dem Auto vom Brienzersee ins Appenzellerland betrug mehr als drei Stunden, mit der Bahn waren es über viereinhalb.

Sie suchte vergebens nach einer An- oder Abmeldung. Man erwartete offenbar, sie würde die Einladung annehmen. Eine Fahrt ins Blaue. Aber genau das hatte ihre Existenz bis anhin lebenswert gemacht. Und die Einladung kam zur richtigen Zeit. Sie wollte allen beweisen, eine fidele Rentnerin zu sein.

Der Juli wirkte einschläfernd. Die Tage waren in jene Hitze gehüllt, mit der selbst eine wie Milagros, die seit ihrer Kindheit heiße Sommer gewohnt war, Mühe bekundete. Wenn der Morgen dämmerte, unternahm sie ausgedehnte Spaziergänge, fuhr nach Interlaken oder nach Brienz und spazierte die Aare oder den See entlang. Sie frühstückte in einem Café und kehrte in ihr Appartement zurück, wenn die Sonne hoch am Himmel stand. Den Vormittag verbrachte sie lesend im Schatten. Diese Lebensart war eigentlich nicht Milagros’ Ding. Sie bevorzugte Geselligkeit, Besuche in Museen, Konzerte und Lesungen. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie ihr Leben umgekrempelt und so gestaltet, damit ihr die Decke nicht auf den Kopf fiel. Eine Zeit lang hatte sie zum Zeitvertreib einen jungen Freund an ihrer Seite gehabt, einen Cellisten aus Luzern. Aber irgendwann war sie ihm zu alt geworden. Nicht einmal ihr...

Erscheint lt. Verlag 25.6.2024
Reihe/Serie Mximilian von Wirth
Mximilian von Wirth
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Alpen-Krimi • Appenzell • Bergwelt • detektivroman • Gesellschaftskrimi • Heiratsschwindel • humorvoll • Kriminalroman • Mord • spannend • Urlaubskrimi
ISBN-10 3-98707-125-7 / 3987071257
ISBN-13 978-3-98707-125-6 / 9783987071256
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