Café con Lychee (eBook)
352 Seiten
CroCu (Verlag)
978-3-98743-121-0 (ISBN)
Theo
Es heißt, kurz vor dem Tod ziehe das Leben noch ein letztes Mal an einem vorbei. Lasst mich eins klarstellen: Wer auch immer für meinen Clip zuständig ist, sorgt besser dafür, dass Gabriel Moreno kein einziges verdammtes Mal darin vorkommt, sonst geht die Sache vor Gericht.
Schlimm genug, dass ich vom Fußballrasen zu ihm hochblicken muss, während die Grasflecken sich in mein Trikot fressen – ich werde wohl die ganze nächste Woche mit Schrubben verbringen. Dämlich grinsend stammelt er eine Entschuldigung vor sich hin, als würde er mich nicht bei jedem zweiten Training umrennen.
Ich glaube, inzwischen sogar öfter.
»Tut mir total leid, Theo.« Er hält mir die Hand hin.
Widerwillig ergreife ich sie, wohl wissend, dass mich der Coach beobachtet, schließlich möchte ich nicht noch ein ›Kommt mit anderen nicht zurecht‹ im Zeugnis stehen haben.
Tja, so bin ich eben: schwach in der Schule, mies im Freundefinden und grottenschlecht darin, mit meinen Teamkollegen auszukommen, denn die sind höchstwahrscheinlich der einzige Grund, dass wir seit zwei Jahren kein Spiel mehr gewonnen haben. Unser Motto lautet buchstäblich: Ungeschlagen in Niederlagen. Naiverweise habe ich angenommen, wir könnten das Blatt noch wenden und unser drittes Jahr an der Highschool rocken. Das hätte mir vielleicht ein paar Bonuspunkte für spätere College-Bewerbungen eingebracht, und meine Eltern wären nicht ganz so enttäuscht von mir. Mit dem heutigen Debakel möchte mir das Universum offenbar mitteilen, dass ich meine großen Träume ein für alle Mal an den Nagel hängen kann.
»Kommt nicht wieder vor«, sagt Gabriel.
Wir starren einander ausdruckslos an. Diesen Quatsch glauben wir beide nicht.
»Na schön!«, ruft der Coach und pfeift ab. Die Trillerpfeife hat es ihm wirklich angetan. Es ist, als gäbe nur sie ihm ein Gefühl von Autorität, während er seine Zeit mit der schlechtesten Mannschaft der Geschichte verplempert. »Fangen wir einfach noch mal von vorne an, okay?«
Ich bin der Schnellste im Team und einer von vielleicht dreien, die tatsächlich treffen, darum kann mich der Coach gut leiden. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, er bleibt nur, weil wir noch nutzloser sind als er – so kommt er sich selbst weniger wie ein Versager vor. Warum sollte man sonst eine Mannschaft trainieren, die nie gewinnt, und all seine Nachmittage mit dem hoffnungslosen Versuch verschwenden, ihre Fähigkeiten zu verbessern? Vielleicht zögert er aber auch bloß hinaus, in sein leeres Haus heimzukommen: Er und seine Frau sind seit letztem Jahr geschieden.
Als es endlich fünf ist, schmerzt mein Rücken, entweder vom Sturz oder weil ich wieder einmal das Zugpferd der gesamten Mannschaft gewesen bin. Auf dem Heimweg holt mich Justin Cheng ein.
Der Vorteil an einer Stadt, die sich kaum über fünfundzwanzig Quadratkilometer erstreckt, ist der kurze Schulweg. Gerade einmal anderthalb Kilometer sind es, zu Fuß also machbar. Schwierig wird es erst im Winter, wenn man sich auf den Straßen durch hüfthohe Schneemassen kämpfen muss. Da wir aber erst Mitte September haben, macht mir das noch keine Sorgen. Ziel wäre natürlich, irgendwann woanders zu wohnen, zum Beispiel in New York, wo zu Fuß zu gehen tatsächlich praktisch ist und mir nicht an jeder Ecke Gabriel Moreno über den Weg läuft.
Die Nachbarschaft hier entspricht überwiegend dem, was man sich unter einem weißen Vorstadtviertel vorstellt. Obwohl gerade Rushhour ist, fahren kaum Autos auf den Straßen. Der Weg zum Café führt an dem einzigen, vertrauten Kreisverkehr vorbei, und wie üblich halten alle Fahrer kurz an, um die Fußgänger über die Straße zu winken. Mein Bruder zieht mich ständig auf: Anderswo werde man nicht so nett zu mir sein, sollte ich es je aus Vermont herausschaffen. Aber genau darin liegt ja der Reiz. Ich möchte irgendwohin, wo die Leute ansatzweise wie ich denken, statt in dieser grünen Bilderbuchkulisse voller Maple Creemees zu versauern.
»Hast den Schlag wie ein echter Champ weggesteckt«, kommentiert Justin.
Ich zucke mit den Schultern. »Tja, war wohl mein Muskelgedächtnis.«
Er lacht, als hätte er noch nie etwas Witzigeres gehört. Wir sind schon seit der zweiten Klasse befreundet. Da wir in unserem Jahrgang die einzigen beiden Ostasiaten sind, war es von Anfang an naheliegend, miteinander abzuhängen. Ich versorge ihn regelmäßig mit Bubble Tea, und er erinnert mich daran, was für ein verdammter Glückspilz ich bin, weil meine Eltern mich für meinen B-Minus-Durchschnitt nicht schon längst enterbt haben. Eine Symbiologie oder wie man so was nennt.
Als wir ankommen, wischt Mom gerade mit hängenden Schultern den vorderen Tresen. So geht das schon die letzten paar Wochen: Wann immer ich gegen fünf hier eintreffe, wirkt das Café noch ausgestorbener als die Tribünen bei einem unserer Fußballspiele, und meine Mutter schrubbt dieselbe blitzblanke Stelle. Letztes Jahr hätten um diese Zeit mindestens eine Handvoll Kunden angestanden, um sich Milchtee oder Ähnliches zu gönnen. Damals hat allerdings auch noch nicht jeder Eis-, Froyo- und Donutladen das Gleiche angeboten.
Dazu kommt noch unser Problem mit den Morenos. Von Zeit zu Zeit sprießen hier zwar Cafés aus dem Boden, die ihr Glück mit Ethno-Food versuchen. Die Stadt ist jedoch insgesamt so weiß, dass die meisten nicht einmal wissen, was Mungbohnen sind, und so gehen diese Läden alle in ein bis zwei Jahren pleite. Das Café der Morenos und unseres sind die einzigen Ausnahmen, die bis jetzt überdauern konnten. Vielleicht unterscheiden wir uns gerade genug voneinander, dass die Leute bei beiden gern vorbeischauen. So befinden wir uns jedoch in einem ständigen Tauziehen mit den Morenos, damit sie nicht zu viele Kunden abwerben und uns in den Ruin treiben. Und aus diesem Grund würde ich Gabriel in jedem Fall bis aufs Blut hassen, selbst wenn er nicht die größte Nervensäge der Welt wäre.
»Ach, Theo«, begrüßt mich Mom überrascht, als würde ich nicht jeden Tag zur gleichen Zeit nach Hause kommen. »Du darfst mir gern helfen, das Trinkgeld zu zählen.«
Sie bittet mich nie um etwas. Es heißt immer nur »Du darfst gern«, als wäre es ein besonderes Privileg, ihr Dienstbote zu sein.
»Hey, Mrs. Mori«, sagt Justin. »Krieg ich ’n Taro-Bao und einen dieser coolen Sunset-Becher?«
Noch ehe sie antwortet, spüre ich ihre Anspannung. »Was soll denn ein Sunset-Becher sein?«
»Na, einer dieser coolen bunten Tees. Sekunde, gleich hab ich’s.«
Er zieht sein Smartphone aus der Hosentasche; wahrscheinlich zeigt er Mom gleich ein Video von den Try Guys oder so. Endlich hält er ihr das Display vor die Nase. Sie kräuselt die Oberlippe. »Was soll das denn sein? Tee ganz bestimmt nicht! Sieht eher aus wie ’ne Lavalampe.«
»Aber alle posten dauernd Bilder davon!«
Ich lege Justin die Hand auf die Schulter. »Dann geh ich mal das Trinkgeld zählen«, verkünde ich und begebe mich hinter den Tresen.
Im Hintergrund höre ich ihn immer noch quengeln; dabei müsste er doch wissen, dass er sich den Atem sparen kann. Tradition wird bei meinen Eltern großgeschrieben – soweit das bei einem chinesisch-japanischen Paar überhaupt möglich ist. Sie trauen nur bekannten Marken, die sie außerdem nie zum vollen Preis einkaufen. Und was am wichtigsten ist: Sie laufen keinen Trends hinterher. Steht es nicht von alters her im Familienrezeptbuch, bieten sie es auch nicht an. Bis auf dieses Bubble-Tea-Zeug, aber da schlägt wohl die alte chinesische Gewohnheit durch, den Taiwanern ein Getränk abzuluchsen und es als eigene Erfindung auszugeben.
Hinter mir fällt die Bürotür ein wenig zu laut ins Schloss. Immerhin schirmt sie mich vor der Diskussion ab, die gleich am Tresen losbrechen wird. Justin wird um seinen komischen Regenbogenbecher betteln, und Mom wird nicht nachgeben. So sind die beiden nun mal.
Während ich mich auf den Schreibtischstuhl setze, wird mir wieder einmal bewusst, dass ich in unserer Familie mit Abstand der Großmütigste bin: Ich lasse Justin seine Marotten und Mom ihre althergebrachten asiatischen Gepflogenheiten, bezeichne diesen Raum hier sogar als Büro, obwohl Abstellkammer mit Schreibtisch treffender wäre.
Ich hole die kleine Frühstücksfleischbüchse hervor, die Dad als Blechtresor für die täglichen Trinkgelder benutzt, und fange mit dem Zählen an. Sieht ziemlich mau aus, wenn man bedenkt, dass die meisten unserer Kunden ältere Asiaten auf der Suche nach den einzig authentisch-heimatlichen Backwaren der Stadt sind. Was aber in Ordnung geht: Fürs Zählen...
Erscheint lt. Verlag | 10.4.2024 |
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Übersetzer | Elena Helfrecht |
Verlagsort | Ludwigsburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Bubble Tea • Diversität • enemies to lovers • Fußball • lgbtqia+ • Liebesgeschichte • Outing • Queer • Romantik • Schwul • Young Adult |
ISBN-10 | 3-98743-121-0 / 3987431210 |
ISBN-13 | 978-3-98743-121-0 / 9783987431210 |
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