In fernen Gefilden (eBook)

Werke 1

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Memoranda Verlag
978-3-910914-19-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In fernen Gefilden -  Joanna Russ
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Mit der wagemutigen, widerborstigen Abenteurerin Alyx schuf Joanna Russ ein Gegenbild zu den dominanten Heldenfiguren ihrer Zeit: In den vorliegenden fünf Erzählungen und dem Kurzroman »Picknick auf Paradies« kämpft eine Frau für ein selbstbestimmtes Dasein, ohne sich männlichem Rollenverhalten anzudienen. Alyx verschlägt es in antike Städte und auf ferne Planeten, aber eines bleibt stets gleich: Sie muss sich den Zumutungen entgegenstellen, mit denen voreingenommene Menschen und autoritäre Gesellschaftsformen sie konfrontieren. Band 1 der Werkausgabe enthält weiterhin eine repräsentative Auswahl von Essays und Rezensionen aus der ersten Schaffensphase von Joanna Russ. - Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jeanne Cortiel, Professorin für Amerikanistik an der Universität Bayreuth und Autorin der Monografie »Demand My Writing: Joanna Russ, Feminism, Science Fiction«.

Joanna Russ (1937-2011) ist die berühmteste und bedeutendste feministische Science-Fiction-Autorin unserer Zeit. Ihr avantgardistischer Roman »The Female Man« ist ein Welterfolg, ihre Erzählungen wurden vielfach ausgezeichnet. Darüber hinaus schrieb sie Buchrezensionen, Essays und mit »How to Suppress Women's Writing« das grundlegende Werk über die Unterdrückung und Auslöschung von weiblichem Schreiben.

Joanna Russ (1937–2011) ist die berühmteste und bedeutendste feministische Science-Fiction-Autorin unserer Zeit. Ihr avantgardistischer Roman »The Female Man« ist ein Welterfolg, ihre Erzählungen wurden vielfach ausgezeichnet. Darüber hinaus schrieb sie Buchrezensionen, Essays und mit »How to Suppress Women's Writing« das grundlegende Werk über die Unterdrückung und Auslöschung von weiblichem Schreiben.

Ich dachte, sie hätte Angst, bis sie mir über den Bart strich

Vor vielen Jahren, lange bevor die Welt in den Zustand geriet, in dem sie heute ist, wurde von jungen Frauen erwartet, dass sie ihren Ehemännern gehorchten. Doch niemand weiß, ob sie das taten oder nicht. In jenen Tagen trugen sie ihr Haar hoch aufgetürmt auf dem Kopf. Zusätzlich zu solchen Gewichten schleppten sie Wasser in zwei Eimern an den Enden einer langen Stange; dabei kannst du leicht ausrutschen. Eine rutschte aus, aber sie hielt den Mund. Sie stellte die Eimer auf dem Boden ab, und mit zwei Tritten seitwärts – wie zwei Tanzschritte, ein Tändeln mit dem linken Fuß, ein Tändeln mit dem rechten – leerte sie beide. Und schaute zu, wie das Wasser im Boden versickerte. Dann legte sie sich die Stange über die Schulter und trug die Eimer nach Hause. Sie war erst siebzehn. Ihr Ehemann hatte sie dazu gezwungen. Sie stieß mit der Schulter die Tür des Bauernhauses auf und sagte:

SIE: Hier ist dein verdammtes Wasser.

ER: Wo?

SIE: Das ist keine standesgemäße Tätigkeit für mich, und das weißt du.

ER: Du gehörst keinem Stand an. Nur ich gehöre einem an, weil ich ein Mann bin.

SIE: Ich würde das nicht mal machen, wenn du ein –

(Hier folgt etwas äußerst Unschönes.)

ER: Frau, geh mit deinen Eimern zurück. Heute Abend kommt Besuch.

SIE: Wer?

ER: Das geht dich nichts an.

SIE: Schmuggler.

ER: Scher dich fort!

SIE: Scher dich zum Teufel.

Vielleicht hatte er ein wenig Angst vor seiner kaltschnäuzigen, kleinen Frau. Sie stand auf der Treppe oder in der Tür und beobachtete ihn, immer mit dem gleichen Hass. Das kommt davon, wenn du ein Mädchen aus den Bergen heiratest, das nicht anständig erzogen wurde. Wenn er sie schlug, bekam sie schlechte Laune. Sie stapfte zum Wasser und wieder zurück, und dabei nahm sie ihn Schritt für Schritt auseinander, ein blondes Haar nach dem anderen, und sie brach ihm die langen Arme und Beine. Das bereitete ihr Vergnügen. Sie füllte die Wassertonne des Bauernhofs, zerrte die Dienstmagd aus dem Heu und gab ihr eine Ohrfeige; sie ging hinein, den Kopf voller Piraten. An jenem Tag spann sie ohne Unterlass, nähte, schälte, mahlte, wusch, staubte ab, fegte, machte immer wieder Feuer, und einmal war sie so sehr in Gedanken, dass sie einem Huhn, das schon tot war, mit Wucht den Hals umdrehte.

In der Nähe mancher Ortschaften bietet sich dir, wenn du nachts zum Strand hinuntergehst, ein äußerst merkwürdiger Anblick: Auf dem Wasser tanzen, Insekten gleich, einige Lichtpunkte, und an Land antworten ihnen ebensolche, und dann kommt etwas über die schwarzen Wellen geschaukelt und verschmilzt mit einem noch schwärzeren Wirrwarr, das sich unmittelbar am Saum des Sandes gebildet hat. Sie streiten sich um Geld. Die junge Frau schaute zu, wie ihr Ehemann in der Küche schwitzte. Es stimmte sie fröhlich, dass er so verzweifelt schacherte und doch den Kürzeren zog. Die Magd beschwerte sich, einer der Männer hätte ihr etwas Unanständiges antun wollen. Ihre Herrin beobachtete alles aus dem Halbdunkel neben dem großen Herd, und was sie sah, gefiel ihr immer besser. Als der letzte Mann fortgegangen war, schickte sie die Magd ins Bett, und während sie wie eine anständige Ehefrau die Gläser und Teller einsammelte und spülte, sagte sie:

»Sie haben dich über den Tisch gezogen, hab ich recht?«

»Halt den Mund«, sagte der Ehemann über die Schulter hinweg. Er bemühte sich, Ordnung in sein Rechnungsbuch zu bringen, trug Kreise und Kreuze ein und leckte sich, wenn er umblätterte, den Finger.

»Der Große«, sagte sie, »wie heißt der?«

»Was geht dich das an?«, sagte er in scharfem Tonfall.

Sie trocknete sich an einem Handtuch die Hände ab und sah ihn an. Dann zog sie Schürze und Jacke aus, streifte ihre Ringe ab; zog die Nadeln aus ihrem schwarzen Haar. Es fiel ihr bis über die Taille, und zum letzten Mal in dieser Geschichte stand sie unmittelbar in einer schwarzen Wolke.

Sie ließ eine Tasse fallen und lächelte ihn an, als diese zerbrach. Es heißt, Taten sprechen lauter. Er sprang auf, er brüllte: »Was machst du da?«, wieder und wieder in der stillen Küche, er schüttelte sie, bis ihre Zähne klapperten.

»Ich verlasse dich«, sagte sie.

Er schlug sie. Sie stand auf und hielt sich das Kinn. Sie sagte: »Du siehst gar nichts. Du weißt überhaupt nichts.«

»Geh nach oben«, sagte er.

»Du bist ein Tier«, rief sie, »du bist ein Narr«, und sie wand sich, als er sie am Handgelenk packte, und versuchte sich zu befreien. Sie lassen es sich nicht nehmen zu weinen, diese Frauen, sie stellen Forderungen, sie widersprechen allem. Sie kämpfen sich von einer Seite des Zimmers bis zur anderen. Sie biss ihm in die Hand, und er brüllte und schlug ihr damit gegen den Kopf. Er schimpfte sie eine kleine Hure. Er versperrte ihr den Weg zur Tür, starrte sie wütend an und hielt sich die Hand. Ihr war schwindlig. Sie lehnte sich gegen die Wand und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. Dann sagte sie:

»Du willst mich also nicht gehen lassen.«

Er sagte nichts.

»Du kannst mich nicht zwingen hierzubleiben«, sagte sie und dann lachte sie. »Nein, nein, das kannst du nicht«, fügte sie kopfschüttelnd hinzu, »das kannst du einfach nicht.« Sie blickte zu Boden und lächelte geistesabwesend, wiederholte diese Tatsache in Gedanken, wieder und immer wieder.

Ihr Ehemann rieb sich die Knöchel.

»Was hast du denn vor?«, murmelte er.

»Wenn du mich einsperrst, kann ich nicht arbeiten«, sagte seine Ehefrau, und dann begann diese Frau mit dem Messer, mit dem sie das letzte halbe Jahr Gemüse geschält hatte, an ihrem langen Haar zu sägen. Sie nahm den ganzen Büschel in die Hand und säbelte daran herum. Ihr Ehemann wollte sich auf sie stürzen. Sie blieb wie angewurzelt stehen, ihre Hände mit ihren Haaren beschäftigt, und betrachtete ihn ernst, während er sich mit der Zungenspitze über die Zähne fuhr und, ohne den Blick von ihr abzuwenden, hinter der Tür nach etwas tastete – er wusste, eine Sache half immer. Seine Ehefrau wurde bleich. Haarsträhnen fielen zu Boden, und sie ließ die Arme sinken. Langsam trat sie beiseite, und als er das geflochtene Leder, mit dem er das Vieh zusammentrieb, hinter der Tür hervorholte, als er es in hohem Bogen durch die Luft schwang und es knallend dort herabsauste, wo sie – nicht dort, wo sie war, sondern dort, wo sie gewesen war –, da hatte diese außergewöhnliche junge Frau die Hälfte der Entfernung zwischen ihnen bereits mit einem Sprung überwunden und riss ihm den Peitschenstiel aus der Hand. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte; mit grimmiger Miene schlug sie ihm den Stiel kurz und fest auf den Kopf. Als sie über ihm stand, hatte sie alle ihre fünf Sinne beisammen.

Aber sie konnte es nicht fassen. Sie beugte sich vor, und das kurzgeschnittene schwarze Haar fiel ihr ins Gesicht; sie schalt ihn einen Lügner; sie erklärte ihm, dass er nicht blutete. Langsam richtete sie sich auf, voller Stolz, mit einer gewissen Ehrfurcht. Gütiger Himmel!, dachte sie und betrachtete ihre Hände. Sie schlug ihm ins Gesicht, beschimpfte ihn, aber als der am Boden liegende Mann sich ein wenig bewegte – oder sie das zumindest glaubte –, lief ihr ein Schauer vom Rücken über den Kopf, so etwas wie ein lautloses Frösteln, und sie hob das Gemüsemesser auf und sprang wie ein Pfeil, der vom Bogen schnellt, in die Nacht hinaus, die überall um das Haus herum darauf wartete, alles zu verschlingen.

Bäume ziehen nicht ihre Wurzeln aus der Erde und laufen los, und die Nacht ist auch nicht mit Augen gespickt. Steine können nicht sprechen. Alles Neue jedoch stellt die Welt auf den Kopf. Sie hatte entsetzliche Angst, war außer sich vor Glück und lachte in einem fort. Die Bäume beiderseits des Pfades sahen, wie sie für einen Moment aus der Finsternis auftauchte, in wilder Eile, wie eine Statue angespannt. Dann rannte sie im Zickzack zwischen den Baumstämmen hindurch und schoss über den Rand der Klippe hinweg ins Meer.

Auf der ganzen weiten Landzunge funkelte nirgends ein Licht. Das Schiff lag noch immer vor Anker, aber weit draußen, und während sie sich, wie eine Napfschnecke oder eine Felsmuräne unter einem Stein, an der Linie orientierte, wo das Wasser auf den Himmel traf, sah sie eine Spur gelber Leuchtpunkte, die auf der Meeresoberfläche erschienen: eins, zwei, drei, vier. Die Schmuggler hatten ihr Werk vollbracht. Hastig und außer Atem tauchte sie in das Dunkel unter dem schwarzen Rumpf, trat Wasser und wurde hin und wieder vom wogenden Meer gegen die Bordwand des Schiffs geworfen, die zu flach und hart war, um ihr Halt zu bieten. Sie lauschte auf die Geräusche über ihr: Knarren, Ächzen, Stimmen, Schritte. Alles klang hohl und laut, vom Gurgeln der Wellen begleitet. Sie dachte: Denen werde ich eine schöne Überraschung bereiten. Sie spürte, wie in ihr etwas Gestalt annahm, etwas Seltsames, Düsteres und Hartes, wie die Merkwürdigkeit merkwürdiger Gebräuche oder das geschwärzte Gesicht der Glücksgöttin, deren Bildnis, an Wegscheiden aufgestellt, in drei Richtungen gleichzeitig blickt, ein Sinnbild sich überschneidender Einflusszonen. Lautlos zog diese junge Frau ihren Ledergürtel aus und wickelte sich das schnallenlose Ende um die rechte Hand. Mit der linken stieß sie sich ab und schwamm auf die Strickleiter des Schiffs zu, versank...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Reihe/Serie Carcosa
Übersetzer Hannes Riffel, Erik Simon, Thomas Ziegler
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Antike • Erzählungen • Essays • Feminismus • Geschlechterverhältnisse • Klassiker • Originalausgabe • Rezensionen • Roman • Science Fiction • Städte • Weltraum • Werkausgabe • Zeitreisen
ISBN-10 3-910914-19-5 / 3910914195
ISBN-13 978-3-910914-19-3 / 9783910914193
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 629 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Thriller

von Marc Elsberg

eBook Download (2023)
Blanvalet (Verlag)
19,99
Das Licht von Coelum

von Runa Rugis

eBook Download (2023)
epubli (Verlag)
6,99