Das Einstein-Vermächtnis (eBook)

Roman
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2024 | 1. Auflage
176 Seiten
Memoranda Verlag
978-3-910914-17-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Einstein-Vermächtnis -  Samuel R. Delany
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In einer weit entfernten Zukunft gelten die Gesetze von Raum und Zeit nicht mehr, und auf der Erde haben sich Geschöpfe angesiedelt, die uns Menschen nur auf den ersten Blick ähnlich sehen. Lobey ist einer von ihnen: Selbst ein begnadeter Musiker, kann er die Musik im Geist der anderen hören. Als er die eigenwillige, anscheinend taubstumme Friza kennenlernt, glaubt er eine Seelenverwandte gefunden zu haben. Doch dann wird Friza getötet, und Lobey zieht aus, um sie zu rächen - und vielleicht gar aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Der zweite Band der Werkausgabe dieses außergewöhnlichen Autors; ein Roman von überwältigender Ideenvielfalt und großer sprachlicher Kraft.

Samuel R. Delany (*1942) ist Autor und Literaturwissenschaftler. Sein Roman Dhalgren (1975) zählt zu den Klassikern der Science Fiction, und mit dem Nimmèrÿa-Zyklus (1979-1987) begründete er die postmoderne Fantasy-Literatur. 2010 war er Mitglied der fünfköpfigen Jury des National Book Award. Er schrieb zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Comics, Essays und Pornos ? aber keine Gedichte.

Samuel R. Delany (*1942) ist Autor und Literaturwissenschaftler. Sein Roman Dhalgren (1975) zählt zu den Klassikern der Science Fiction, und mit dem Nimmèrÿa-Zyklus (1979–1987) begründete er die postmoderne Fantasy-Literatur. 2010 war er Mitglied der fünfköpfigen Jury des National Book Award. Er schrieb zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Comics, Essays und Pornos − aber keine Gedichte.

Es flämmert (lösch, lisch), unser ganzes Funoptikum.

James Joyce, Finnegans Wake

Indessen habe ich mich noch nicht abschließend da­rüber geäußert, ob jede Täuschung der Sinne der des Geistes mit dem Begriff Wahnsinn zu bezeichnen ist..

Erasmus von Rotterdam, Das Lob der Torheit

In meiner Machete verläuft, vom Griff bis zur Spitze ein hohler, durchlöcherter Zylinder. Wenn ich über das Mundstück am Griff blase, mache ich mit meiner Klinge Musik. Wenn alle Löcher bedeckt sind, klingt sie traurig, so rau – wie ein Ton eben sein darf, úm ihn gerade noch als sanft zu bezeichnen. Wenn alle Löcher offen sind, erklingt ein helles Pfeifen, wie das Schillern von Sonnenlicht auf Wasser, von zerdrücktem Metall. Zwanzig Löcher gibt es. Und seit ich musiziere, wurde ich in so ziemlich jeder Hinsicht ein Narr gescholten – öfter jedenfalls, als die Leute Lobey zu mir sagen, mein eigentlicher Name.

Wie ich aussehe?

Hässlich, und meistens grinse ich. Eine große Nase und graue Augen und ein breiter Mund drängen sich auf einem kleinen braunen Gesicht, das eher zu einem Fuchs passen würde. Das, und darum herum Haare wie hingekritzelt aus gesponnenem Messing. Etwa alle zwei Monate hacke ich mir mit meiner Machete das meiste davon ab. Wächst schnell wieder nach. Was seltsam ist, weil ich dreiundzwanzig bin und noch keinen Bart habe. Ich habe die Form eines Kegels, die Schenkel und Füße eines Mannes (Gorillas?) von doppelter Größe (ich bin etwa einsfünfundsiebzig) und dazu passende Hüften. Im Jahr meiner Geburt gab es Unmengen von Hermaphroditen, und die Heiler meinten, ich sei vielleicht auch einer. Irgendwie bezweifle ich das.

Hässlich, wie schon gesagt. Die Zehen an meinen Füßen sind fast so lang wie meine Finger, und die großen Zehen lassen sich halbwegs wie Daumen verwenden. Auf diese Füße lasse ich nichts kommen: Einmal habe ich Klein-­Jon damit das Leben gerettet.

Wir sind die Beryllwand hochgeklettert und dabei immer wieder an dem glasigen Gestein abgerutscht, als Klein-­Jon den Halt verlor und nur noch an einer Hand hing. Ich hing selbst an den Händen, streckte aber meinen Fuß nach unten, packte ihn am Handgelenk und zog ihn hoch, um ihn abzusetzen.

An dieser Stelle verschränkt Lo Falke die Arme über der Lederweste, nickt weise, sodass sein Bart auf seinem sehnigen Hals auf und ab wippt, sagt: »Und was hattet ihr beiden jungen Lo-­Männer überhaupt an der Beryllwand zu suchen? Dort ist es gefährlich, und du weißt, dass wir Gefahren meiden. Die Geburtenrate fällt immer weiter. Wir können es uns nicht leisten, unsere produktiven jungen Leute wegen solcher Dummheiten zu verlieren.« Natürlich fällt sie nicht. Lo Falke sagt das nur so. Er meint lediglich, dass die Anzahl absoluter Norms heruntergeht. Geburten gibt es haufenweise. Lo Falke stammt aus einer Generation, in der die Zahl der Nicht-­Funktionsfähigen, der Idioten, Mongoloiden und Kretins fünfzig Prozent weit überstieg. (Wir hatten uns noch nicht an euer Ebenild angepasst. Halb so wild.) Inzwischen gibt es deutlich mehr Funktionsfähige als Nicht-­Funktionsfähige; also besteht kein Grund zur Sorge.

Jedenfalls kaue ich nicht nur auf meinen Fingernägeln, was erbärmlich genug wäre, sondern auch auf meinen Fußnägeln.

Und in diesem Moment fällt mir ein, wie ich am Eingang der Quellhöhle sitze, wo das Wasser aus der Dunkelheit herabströmt und zwischen den Bäumen eine Sichel aus Licht bildet, und wie eine Blutspinne so groß wie meine Faust sich mit seitlich vorgewölbtem, pulsierendem Bauch neben mir auf dem Fels sonnt, während über mir Blätter rascheln. Dann kommt La Carol mit einem Tragetuch voller Früchte über der Schulter und dem Kind unterm Arm vorbei (einmal haben wir uns darüber gestritten, ob es von mir ist oder nicht. Einmal hatte es meine Augen, meine Nase, meine Ohren. Dann wieder: »Siehst du nicht, dass der Junge von Lo Bummler ist? Schau doch mal, wie stark er ist!« Dann haben wir uns beide in andere Leute verliebt, und jetzt sind wir wieder Freunde), verzieht das Gesicht und sagt: »Lo Lobey, was machst du denn da?«

»Ich kaue auf meinen Zehennägeln. Wonach sieht es denn aus?«

»Also wirklich!« Und sie schüttelt den Kopf und verschwindet in Richtung Dorf zwischen den Bäumen.

Im Moment möchte ich vor allem auf dem flachen Fels sitzen, schlafen, nachdenken, Nägel kauen oder meine Machete schärfen. Das ist mein Vorrecht, sagt La Herb immer zu mir.

Bis vor Kurzem haben Lo Klein-­Jon, Lo Bummler und Lo Ich zusammen Ziegen gehütet (ebendas haben wir auf der Beryllwand getrieben haben: Weideland gesucht). Als Dreiergespann waren wir nicht übel. Klein-­Jon ist zwar ein Jahr älter als ich, aber er wird bis zu seinem Tod aussehen wie ein kleiner schwarzer Vierzehnjähriger mit einer Haut so glatt wie Vulkanglas. Er schwitzt nur an den Handflächen, den Fußsohlen und über die Zunge (er hat keine richtigen Schweißdrüsen: Er pieselt wie ein Diabetiker am ersten Wintertag oder wie ein sehr nervöser Hund). Auf dem Kopf hat er ein Nest aus Silberhaar – nicht weiß, sondern silbern. Die Pigmentierung rührt tatsächlich von dem Metall her und die schwarze Haut von einem Protein, dass sich um das Oxid bildet. Keine Spur vom rostigen Eisenfarbton des Melanins, das unsereins bräunt. Da er etwas einfach gestrickt ist, singt er und springt zwischen den Steinen und Ziegen umher, und dabei blitzt er vom Kopf bis zum Schritt und zu den Achselhöhlen, hält dann inne, um (ja, wie ein nervöser Hund) das Bein an einem Baum zu heben und schaut sich mit seinen schwarzen Augen peinlich berührt um. Wenn er lächelt, dann werfen seine Augen nicht weniger Licht zurück als sein glitzernder Kopf, aber auf einer anderen Wellenlänge. Krallen hat er auch – harte, scharfe, hornige Krallen, wo bei mir nur Stummel sind. Ein Lo, den du besser nicht wütend machst.

Bummler hingegen ist groß (an die zweieinhalb Meter), pelzig (sein ganzer Körper ist mit dunkelbraunen Löckchen bedeckt, und vorne ringeln sie sich auf seinem Bauch), stark (diese hundertachtundvierzig Kilo sind eher ein Haufen schartiger Steine in einem Pelz; seine Muskeln haben Kanten) und sanft. Einmal, als eine der fruchtbaren Zicken in einen Felskamin hinabfiel, bin ich wütend auf ihn geworden.

Ich sah es kommen. Es war die große, blinde Aue, die uns seit acht Jahren makellose Normdrillinge schenkte. Ich stand auf einem Fuß und warf mit den anderen drei Gliedmaßen Steine und Stöcke. Du musst Bummler schon mit einem Stein am Kopf erwischen, damit er dir Beachtung schenkt; er war viel näher an ihr dran als ich.

»Pass doch auf, du nicht-­funktionaler, Lo-­vergessener Mongoloide! Sie fällt gleich in den …« Und in ebendiesem Moment geschah es.

Bummler bedachte mich mit einem seiner Warum bewirfst du mich mit Steinen?-­Blicke, sah sie am Felsrand straucheln, stürzte sich auf sie, griff daneben, und beide fingen sie an zu blöken. Ich legte meine ganze Kraft in den Steinwurf, der ihn an der Hüfte traf. Ich hätte heulen können. Bummler heulte tatsächlich.

Er kauerte am Rand des Kamins, und Tränen nässten den Pelz auf seinen Wangen. Die Ziege hatte sich am Grund des Kamins den Hals gebrochen. Bummler blickte hoch und sagte: »Tu mir nicht mehr weh, Lobey. Das da« – er rieb sich mit den Knöcheln die blauen Augen und deutete nach unten – »tut schon genug weh.« Mit so einem Lo ist wirklich nichts anzufangen. Bummler hat auch Krallen. Aber er benutzt sie nur, um an Palmen hochzuklettern und für die Kinder Mangos zu pflücken.

Im Großen und Ganzen haben wir unsere Sache mit den Ziegen allerdings gut gemacht. Einmal sprang Klein-­Jon aus den Ästen einer Eiche auf den Rücken eines Löwen und schlitzte ihm die Kehle auf, bevor er zur Herde gelangen konnte (und dann erhob er sich von dem Kadaver, schüttelte sich und verschwand mit einem Blick über die Schulter hinter einem Felsen). Und so sanftmütig er auch sein mag, einmal hat Bummler einem Schwarzbären mit einem Holzknüppel den Schädel eingeschlagen. Und ich habe meine Machete und bin Beidhänder, linksfüßig und rechtshändig oder andersherum. Ja, wir haben unsere Sache gut gemacht.

Aber damit ist es vorbei.

Weil die Sache mit Friza dazwischengekommen ist.

»Friza« oder »La Friza« war seit jeher ein Streitpunkt zwischen den alten Heilern und den Ältesten, die die Titel vergaeen. Sie sah normal aus: schlank, braunhäutig, mit vollen Lippen, einer breiten Nase und messingfarbenen Augen. Wenn ich mich nicht irre, ist sie mit sechs Fingern an einer Hand zur Welt gekommen, aber der zusätzliche Finger war nicht funktionsfähig, und ein reisender Heiler hat ihn abgenommen. Ihr Haar war dicht gelockt und schwarz. Sie trug es kurz, aber einmal fand sie ein rotes Stück Schnur und wob es hinein. An jenem Tag trug sie Armbänder und Kupferperlen, Schnüre über Schnüre. Sie war wunderschön.

Und schweigsam. Als Kleinkind war sie zu den anderen Nicht-­Funktionsfähigen in den Kävig gesperrt worden, weil sie sich nicht bewegte. Also kein La mehr für sie. Dann fand ein Aufpasser heraus, dass sie sich deshalb nicht bewegte, weil sie es ohnehin schon konnte; sie war so flink wie der Schatten eines Eichhörnchens. Also wurde sie aus dem Kävig geholt. Und bekam ihr La zurück. Aber sie redete nie. Als sie schließlich acht wurde und auf der Hand lag, dass das wunderschöne Waisenkind stumm war, verlor sie ihr La wieder. Doch wir konnten sie schlecht zurück in den Kävig sperren. Schließlich war sie funktionstüchtig, wob Körbe, pflügte und...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Reihe/Serie Carcosa
Übersetzer Jakob Schmidt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Drachen • Eurydike • Geschlechterverhältnisse • Klassiker • Musik • Mutation • Mythologie • Orpheus • Roman • Science Fiction • Umweltzerstörung • Werkausgabe
ISBN-10 3-910914-17-9 / 3910914179
ISBN-13 978-3-910914-17-9 / 9783910914179
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