Pfarrer Gruner -  Heinz Ruch

Pfarrer Gruner (eBook)

Burgdorf und Umgebung im 18ten Jahrhundert

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
222 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-6726-2 (ISBN)
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Im Buch wird das Leben von Pfarrer Johann Gruner geschildert, der im 18. Jahrhundert in Burgdorf gewirkt hat. Er ist der Begründer der Solennität, ein Kinderfest, das heute noch jährlich gefeiert wird. Es gibt Einblick in das Leben von damals, ohne den Wohlstand, den wir heute geniessen; ein Leben, das uns fremd ist. Es werden Freuden der damaligen Zeit erzählt, die in bescheidenem Rahmen gelebt wurden. Aber auch das Tragische, für das man damals keine Antworten fand, geschieht. Es lässt einen in eine Welt eintauchen, in die von der damaligen Einfachheit, der die Leute ausgeliefert waren. Wir von heute können uns das Leben ohne Elektrizität, ohne Fliessendwasser, Abwasserleitungen und Zentralheizung gar nicht mehr vorstellen.

Heinz Ruch, geb. 1942, lebt in Burgdorf. Nach Jahren auf dem erlernten Erstberuf als Konstrukteur, Ausbildung zum Sozialarbeiter. Arbeit auf einem Sozialdienst, in einem Kinderheim und bei der Bewährungshilfe. Infolge Erkrankung an Depressionen wurde er frühpensioniert. Schreiben war dann später die Leidenschaft, die jene des Malens verdrängte. Sechs erfolgreiche Ausstellungen führte er durch.

23. Mai 1699 – ein Jahr vor dem 18. Jahrhundert


Dicke Wolken hingen seit Tagen über dem Emmental. Die Sonne blieb fern, wie in den letzten drei Wochen. Der Frühling liess auf sich warten. Zwar war die Vegetation fortgeschritten, die Blust in voller Pracht. Aber wegen des Regens konnten die Bienen nicht fliegen. Die Bauern befürchteten wegen der Nässe Ernteausfälle. Das war Thema, das in dieser kaltnassen Zeit von Dauer war. Die Arbeiten auf dem Feld mussten trotzdem verrichtet werden. Am Samstagnachmittag, dem 23. Mai 1699, versammelten sich einige Leute aus dem Dorf. Auf dem Friedhof bei der Kirche von Trachselwald fand eine Bestattung statt. Es waren nicht viele erschienen, das Wetter hielt etliche ab. Esther Gruner, Ehefrau des Schuhmachers Josua Gruner, war vor zwei Tagen an Wassersucht gestorben. Der behandelnde Schärer aus Sumiswald, ein erfahrener Heiler, konnte mit seinen Arzneien nicht helfen. Einen überaus schmerzensvollen Tod hatte sie erlitten und wurde an diesem Tag beerdigt. Gross aufgefallen war sie nicht. Sie war eine stille, bescheidene Frau gewesen. Tatkräftig hatte sie ihrem Mann in der Schusterei geholfen. Dieser stand in tiefer Trauer am Grab, neben ihm sein einziger Sohn Johann Rudolf. Der Pfarrer hatte die Grabrede beendet und ihm die Hand geschüttelt. Ihm, dem Trauernden, zugesprochen, es werde und ist gegangen. Er begehrte ans Trockene zu gelangen. Und die Trauergäste standen hilflos im Regen, wussten nicht wie sich verhalten. Die Miene des 71-Jährigen Witwers verriet Hilflosigkeit. Sein 19-Jähriger Sohn Johann Rudolf stand neben ihm, in tiefer Trauer. Er sollte durch sein Theologiestudium in dieser Situation gefasst sein. Das war er nicht. Sprechen am Grab war ihm nicht möglich, zu tief war seine Betroffenheit. Seine Mutter hatte er verehrt. Jetzt lag sie unten im Grab im Sarg, auf den Erde und Steine rumpelten. Er war seit einer Woche in Trachselwald, extra von Bern, wo er studierte, hergereist. Seine Mutter sei schwer krank, hatte der Vater in einem Eilbrief geschrieben. Der Dekan hatte ihn vom Studium freigestellt.

Vater und Sohn standen wie versteinert vor dem Grab, das der Totengräber zuschüttete. Vom Sarg sah man nichts mehr. Nur Blumen, die am Schluss auf den Grabhügel gepflanzt werden sollten, lagen an der Seite. Die Leute hatten sich still verzogen.

„Vater komm, wir gehen heim“, sagte Johann nach einer Weile. „Es hat keinen Sinn mehr, hier zu stehen.“

„Sie starb viel zu früh. Sie war keine sechzig. Keinen Sinn habe es?, sagst du. Hier unten liegt mein Alles. Vierundzwanzig Jahre hat sie mir in der Schusterei geholfen. Freud und Leid haben wir geteilt. Und du sagst, es habe keinen Sinn mehr. Was lernst du bei diesen Pfaffen?“, begehrte der Vater auf.

Johann ergriff den Arm des Vaters und zog ihn sachte fort.

„Komm. Wir sind nass.“ Er zog seinen Hut tiefer in die Stirn. Langsam schritten sie ins Dorf und zum Haus des Schuhmachers. Bevor sie eintraten, schüttelten sie die Hüte. Das Wasser tropfte ab; der Jacken entledigten sie sich, hängten sie in der Laube auf. Der Vater setzte sich in der Küche ermüdet an den Tisch. Wie ein Häufchen Elend, Kopf auf die Brust gesenkt, sass er still auf dem Stuhl. Johann sagte in die Stille: „Vater, wir beten.“

„Beten? Für was sollen wir beten? Lass mich mit diesem Unsinn in Ruh!“

Für einen Moment kehrte Kraft des Aufbegehrens ein. Stille durchzog das Haus. „Was gedenkst du zu machen, Vater? Bleibst du in Trachselwald?“, fragte Johann nach einer Weile.

„Wo soll ich hin und von was leben? Ich muss arbeiten, verstehst du? Dein Studium kostet. Oder willst du aufhören? Es war Wunsch von Mutter, dass du ein Pfaffe wirst. Ich war der Meinung, dass du einen ehrbaren Beruf erlernst ...“

„Ehrbar – Vater, Pfarrer ist ehrbar. Der Ehrbarste – Gott ergeben. Du solltest die häusliche Andacht, die Mutter pflegte, weiterführen. So, dass du in des Herrgotts Fürbitte gnädig wirst. Sei nicht wider Gott. Zudem war dein Vater Pfarrer.“

„Ja, das war er. Ein Pfaffe. Das Leben hat mich anderes gelernt. Wo ist Gott? Was hat er Mutter gebracht? War er ihr gnädig? Mit 59 ist sie gestorben. Ist das gerecht? Johann, du bist jung. Was weisst du mit deinen neunzehn Jahren vom Leben? Es ist harte Arbeit – tagtäglich von früh bis spät bist du dran. Schuhmacherei ist sinnlos, bringt kaum genug zum Essen. Keine vollständige Grebt konnte ich den Trauergästen anbieten. Es ist eine Schande, verstehst du?“

„Es macht nichts wegen der Grebt, sei zuversichtlich. Die Leute werden es verstehen. In der freien Zeit – wir haben im Sommer eine Ruhepause – komme ich und helfe. Bitte, hab Vertrauen zu Gott. Er wird dir gnädig sein.“

„Gnädig ist dein Zauberwort. Gnädig, sagst du. Er hat mir das Liebste genommen. Warum?“

„Gottes Wege und sein Handeln sind unergründlich ...“ „Eine Redewendung von euch Pfaffen. Hat mir unser Pfarrer gepredigt. Nun denn, es ist Mutters Wunsch, dass du studierst. So soll es bleiben. Lass mich allein.“

Johann verliess die Stube und ging in sein Zimmer. Gedankenvoll setzte er sich an das Fenster und begann zu beten. Er wünschte, dass sein Vater aus seinen trüben Gedanken aufwache und zu Gott finden könne. Auf dass seine Seele nicht verderbe.

Am Sonntagmorgen in der Früh verabschiedete Johann sich vom Vater. Er verliess ihn nicht ohne Bitte, sich Gott zuzuwenden. Was der Vater mit einem Grunzen abtat. Traurig nahm der Sohn die Ablehnung des Vaters wahr. Er ermahnte ihn, nicht der Gotteslästerung anheim zu fallen. Beladen mit einem Rucksack begann er den zehnstündigen Weg nach Bern.

„Nimm dich vor Wegelagerer in acht. Derer hat es viele“, sagte der Vater und sah ihm sinnend nach, bis er nach einer Wegbiegung verschwand.

„Gott befohlen, würdest du sagen“, sinnierte er leise. Sein Denken glitt in jene Zeit, als er in Strassburg in einem grossen Schuhmachergeschäft arbeitete. Er war auf dem Weg aus dem Norden heimzu. Hatte als Soldat in schwedischen Diensten gedient und dort die Schusterei gepaukt. Er blieb im Elsass hängen, lernte Esther Weber kennen, die am 12. Mai 1675 seine Frau wurde. Vierundzwanzig Jahre waren sie verheiratet. Der Tod hatte sie getrennt. Vor neunzehn Jahren gebar sie ihm Johann.

„Der wird ein Pfaffe, – dabei lächelte er –‚ wie mein Vater. Es war ihr Wunsch.“

Johann schritt zügig voran. In Oberburg bog er ab Richtung Krauchthal. Auf halbem Weg holte ihn ein Bauer auf einem Wagen ein. Er hielt an und fragte: „Wohin des Wegs, junger Mann? Wollt Ihr zusteigen?“

„Danke für das Angebot, gerne. Es ist ein weiter Weg bis Bern“, sagte Johann erleichtert. Er stieg auf den Bock. In flottem Trab ging es weiter.

„Ihr wollt nach Bern? Was treibt Ihr dort?“

„Ich studiere Theologie.“

„Ein Pfaffe wollt Ihr werden. Welch ehrbarer Beruf. Ist

Euer Vater ein Pfarrer?“

„Nein, er ist Schumacher in Trachselwald.“

„Der Gruner Josua ist Euer Vater? Den kenne ich; habe Schuhe bei ihm gekauft – haltbare Ware. Ich benötige demnächst ein neues Paar. Übrigens, Ihr könnt bis Bolligen mitreiten. Ich gehe zu einer Base, die mir allerlei Ware feil hält. Habt Ihr Geschwister?“

„Nein, leider nicht.“

„Seid dem nicht gram. Ich habe einen Bruder und eine Schwester. Seit dem Tod unserer Eltern sind wir im Streit – Erbsache. Eine leidige Angelegenheit. Das entzweit Familien.“

Johann schwieg.

Im letzten Kolloquium Ende Juli vor dem Studienunterbruch im August war die Aufgabe: Fragen zur Gestaltung des Gottesdienstes. Der Dekan äusserte die Meinung, man müsse die Menschen zur Fürbitte anhalten. Den Gottesdienst am Schluss, bevor sich die Gläubigen wieder der „Welt“ zuwenden, nicht mit weltlichen Dingen beenden. Was nur den geistlichen Gedanken zerstreuen würde.

„Was meint Ihr dazu?“, fragte er.

Johann, einer von sieben Studenten, warf ein, die Mitteilungen seien für die Gemeinde wichtig. Mit dem abschliessenden göttlichen Segen könne man die Leute im geistlichen Sinn entlassen. Nach der Predigt seien die wichtigen Hinweise ein Entlassen in den Alltag. Es runde den Gottesdienst ab. Scheinbar war kein Bedarf, zu einer längeren Diskussion. Keiner hackte nach. Dafür warf ein anderer Student die Frage nach dem Abendmahl auf. Er habe von Kaspar Schwenkfeld gelesen. Das fuhr dem Dekan heftig ein. Gereizt sagte er: „Schwenkfeld war der Meinung, dass die Heiligen Sakramente aus der Kirche verbannt werden sollten. Er lehnte die Kindstaufe ab – sogar das Abendmahl. Er hat sich mit Luther gestritten, war ein harter Verfechter seiner Ideen. Er wurde letztlich überall aus den Städten verbannt – zuletzt aus Ulm. Lasst Euch nicht von diesem Gedankengut verblenden.“

„Aber ist nicht sein Gedanke wunderbar, auf das innere Wort zu hören sei wichtig. Das verändere den Menschen, er sei Gott näher. Mit den Sakramenten werde der Mensch nicht besser“, vertrat der Student seine Gedanken.

Dem Dekan stieg Zornesröte ins Gesicht: „Junger Mann, Ihr...

Erscheint lt. Verlag 21.12.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7562-6726-1 / 3756267261
ISBN-13 978-3-7562-6726-2 / 9783756267262
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