Das Haus Zamis 85 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6308-0 (ISBN)
Mit geübten Griffen legte der Henker der kreischenden Alten den Strick um den Hals. Mit Tritten zwangen die Amtmänner sie auf den Schemel. Wie so oft hatte die Hexe nur ein Jammern übrig. Es mochte daran liegen, dass ihre Zunge unter der Folter gelitten hatte. Für ein umfassendes Geständnis hatte es allemal gereicht.
Mit fachmännischem Blick begutachtete der Hexenjäger erst die eingeschüchterten Bauern, dann das wimmernde Häufchen Elend, das mit zitternden Knien auf dem Schemel stand, während der Pater die letzten Zeilen des letzten Absatzes herunterleierte.
Als das Kreischen in einem kurzen Gurgeln erstarb, löschte der Hexenjäger den Namen von einer langen Liste.
Eine Hexe weniger, aber nichtsdestotrotz hatte die Arbeit des Hexengenerals erst begonnen ...
2. Kapitel
Coco, England, Hadleigh (Gegenwart)
Die Pension »Sunny Meadow« war weder sonnig noch sonst sehr einladend, aber sie besaß den unschlagbaren Vorteil, die einzige freie Pension am Ort zu sein. Das Fünfhundert-Seelen-Dörfchen besaß sonst nur noch zwei Pubs an der Dorfstraße, ein »Dollhouse« genanntes Puppengeschäft und ein paar weitere kleine Läden, die wir bereits bei der ersten Durchfahrt entdeckt hatten. Außerdem verfügte der Ort über eine pittoreske alt-anglikanische Kirche und Fachwerkhäuser, die allesamt einem Charles-Dickens-Roman entsprungen sein konnten.
Miss Pickingales für den schmucken Ort erstaunlich schäbiges Hostel war das einzige Haus, an dessen Gartentür das typische hellblaue Schild mit dem Bett und dem Teller klebte. Betten und Frühstück. Mehr war zwischen den in die Jahre gekommenen Fachwerkwänden nicht zu erwarten. Dafür boten zumindest die nach vorne gelegenen Zimmer einen schönen Ausblick auf den Marktplatz.
Ich folgte Mutter durch die schmale niedrige Eingangstür in ein verräuchertes Empfangszimmer. Der Gestank von kaltem Tabak zog durchs ganze Haus, über Bauernmöbel aus Pressspan.
Von innen waren die Fenster noch vergilbter als von außen. Tageslicht fand nur schwer einen Weg durch staubergraute Spitzengardinen und billigen Plastikblumen auf den morschen Fensterbänken. Aber abgesehen vom allgegenwärtigen Tabakgeruch und der Tatsache, dass die Einrichtung seit Jahren nach Modernisierung schrie, war der Empfang durch die Hausbesitzerin angenehm freundlich.
Miss Pickingale war eine wohlbeleibte Mittfünfzigerin. Ihre schlecht blondierte Dauerwelle und eine hellgrüne Kittelschürze passten zur Umgebung. Eine brennende Zigarette im Mundwinkel offenbarte sich als Quelle des muffigen Odeurs.
Noch während wir die billigen Pensionszimmer bezogen, lungerte sie im Flur herum, offenbar in der Hoffnung auf Tratsch und die Gelegenheit, uns auszufragen. Ob wir hier Verwandte besuchten oder einfach nur Urlaub machten. Ob wir wegen der Hexengeschichten da seien.
Ich spitzte die Ohren. Auch Lydia, mit der ich mir ein Zimmer teilen musste – wir bedauerten das gleichermaßen – warf mir einen neugierigen Blick zu.
»Hexengeschichten?«, hakte ich nach. »Wir wollten eigentlich die Landschaft genießen.«
»In Hadleigh?« Die ältliche Miss kicherte. »Was gibt es denn hier schon zu sehen? Ein paar Hügel und Schafe und ein paar Hügelgräber. Sonst gibt es hier nichts. Wilmington hat den langen Mann, Avesbury einen richtigen Steinkreis und Glastonbury immerhin das alte Avalon. Leute, die durch Hadleigh reisen, sind meistens solches Esoterikervolk, die des alten Cunnings wegen kommen. Aber die werden schnell enttäuscht. Hier gibt es keine wilden Leute mehr, keine Elfen und auch keine Zauberei. Na ja, das werden Sie selbst noch merken.«
»Aber ihr habt doch sicher einen Friedhof.« Georg polterte mit Mutters Koffern über den Flur. »Ich mag englische Friedhöfe. Der Geruch dort erinnert mich immer an was.«
»Ach«, machte Miss Pickingale verdutzt, während mein Bruder gut gelaunt grinsend an unserem Zimmer vorbeizog. Mit der Information konnte sie scheinbar nichts anfangen. Sie sah Georg verdutzt nach, als er in Mutters Zimmer verschwand.
Auch Lydia schüttelte den Kopf angesichts solcher Aussagen. »Der hat immer noch einen Knall«, murmelte sie.
»Rede nicht so über unseren Bruder«, wies ich sie zurecht.
Daraufhin tippte sie sich an die Stirn.
Die jähe Stimme im Flur erinnerte mich daran, dass unsere Vermieterin sicher neugierig lauschte, und so bat ich sie um einen Erfrischungstee. »Natürlich. Ich serviere um vier Uhr Cream Tea im Salon.«
»Cream Tea?«, tönte Georgs Stimme durch die Sperrholztür des Gästezimmers. »Ausgezeichnet!« In diesem Haus blieb anscheinend nichts geheim.
»Was ist das überhaupt?«, maulte Lydia missgelaunt. »Bestimmt irgendein widerlicher Fraß aus der Mikrowelle. Ich hab diese Reise sowas von satt.«
Cream Tea bezeichnete, wie sich herausstellte, die verführerischste Attraktion Südenglands. Kräftiger belebender Assamtee mit viel Milch und Zucker, dazu ofenwarme Scones mit hausgemachter Sahne und Marmelade. Sogar Lydia war sich ausnahmsweise nicht zu fein, kräftig zuzulangen.
Wieder fragte uns Miss Pickingale aus. Längst hatte ich sie in Gedanken Miss Picky getauft. Diesmal antwortete ihr Mutter. Ja, auf einer Erholungsreise. Nein, an Hexenwerk und Esoterik nicht interessiert. Nein, wir seien keine Deutschen. Nein, auch nicht aus Bayern. Nein, das sei nicht dasselbe wie Österreich.
Dann würgte Mutter das Gespräch ab, und wir aßen schweigend unsere Scones, während Miss Picky vorgab, den Essensraum zu schrubben. Mutter beobachtete sie dabei eindringlich. Irgendetwas an ihrem Verhalten kam mir spanisch vor. Und erst recht die folgende Frage:
»Sagen Sie, Miss Pickingale, haben Sie vielleicht meine Großeltern gekannt? Sie waren 1934 schon mal in Hadleigh. Hier, in Ihrer Pension! Sie haben mir sogar Fotos hinterlassen. Die Inhaberin muss eine Ihrer Vorfahren gewesen sein. Sie sieht Ihnen sehr ähnlich. Eigentlich wie aus dem Gesicht geschnitten ...«
»Das kann sein«, erwiderte Miss Pickingale wie aus der Pistole geschossen. »Wir Pickingales sehen alle sehr ähnlich aus.«
Sie wollte weiterschrubben, doch die nächste Frage meiner Mutter brachte sie vollends aus dem Takt.
»Sind Sie sicher, dass es hier keine Hexen gibt?«, fragte Mutter ganz plötzlich in scharfem Ton. Selbst für uns Kinder kam die Frage unerwartet. Miss Picky ließ verdutzt den Schrubber fallen. »Wie?«, fragte sie verwirrt. »Sie haben doch gerade gesagt, dass Sie nicht deswegen ...«
»Ich meine ja nur. Es könnte schließlich sein. Man erkennt nicht jeden Dämon sofort. Es wäre ziemlich närrisch, sich heutzutage als dunkles Geschöpf jedem Erstbesten zu erkennen zu geben. Passen Sie auf, dass Ihnen niemand einen Fluch anhext.«
»Mir?« Miss Picky hatte sich wieder gefangen. Lächelnd stellte sie Schrubber und Wischeimer beiseite. »Ich lebe hier doch unbehelligt. Mich verflucht niemand. Außerdem gibt es ja auch keine Hexen.«
»Dann stehen die Chancen ja gut, dass Ihr Haus auch weiterhin eine fluchtfreie Zone bleibt.«
»Nun kommen Sie schon.« Mit verschmitztem Lächeln räumte die Wirtin unseren Tisch ab. »Sie können es doch sagen. Sie sind also doch wegen der Hexengeschichten hier, nicht wahr?«
»Vielleicht.« Mutter erwiderte das Lächeln. Aber etwas in der Art, wie sie die allzu neugierige Miss musterte, verhieß nichts Gutes. Eine kitschige Schwarzwälder Kuckucksuhr krähte sechsmal, Miss Picky entschuldigte sich. »Jetzt kommt meine Lieblingsserie. Wenn Sie mich noch brauchen, ich bin hinten im Zimmer am Ende des Flurs. Klingeln Sie einfach. Eine Glocke steht am Empfang.«
Mutter schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht, dass das nötig sein wird.« Ihr Lächeln war kühl und verunsicherte Miss Picky sichtlich.
»Diese neugierige Fragerin sind wir fürs Erste los«, verkündete Mutter zufrieden, kaum dass die Vermieterin nebst Geschirr verschwunden war.
Aber auch uns gegenüber hüllte sich Mutter in Schweigen. Selbst mit vereinten Kräften bekamen wir lediglich ein paar Andeutungen aus ihr heraus.
Ich wollte mich bewegen. Wir hatten viel zu viel Zeit im Auto verbracht. Nicht nur Lydia ging die»Reise«, wie sie es nannte, auf die Nerven. Ich nannte es »Flucht«. Niemand sprach es gern aus, aber mit jedem Tag erschien mir unser Verhalten planloser. Wir wurden gejagt. Adalmar mochte unseren Häschern zum Opfer gefallen sein oder auch nicht. Wir unternahmen jedenfalls nichts dagegen. Wir setzten unsere Flucht fort. Aber hatte Mutter überhaupt ein Ziel? Hier? In England? Oder hoffte sie einfach, genug Abstand zu gewinnen, um in Ruhe unterzutauchen? Ich hatte das Gefühl, dass sich die Schlinge um unseren Hals jeden Tag weiter zuzog.
Bevor ich darüber länger grübeln konnte, drangen spitze Schreie an mein Ohr. Alarmiert sprang ich auf und folgte dem Gekreisch. So viel zum Stichwort Untertauchen.
Wo wir auch hinkamen, der Ärger folgte uns. Aber diesmal traf er das falsche Ziel. Miss Pickingale stürmte mir in der Diele entgegen. Ihre Schürze stand in Flammen. Rasend schnell breitete sich die gelbe Lohe über ihren Körper aus. »Runter!«, brüllte ich und griff mir das erstbeste Stück Stoff in Reichweite.
Es handelte sich um eine Tischdecke. Die warf ich der panischen Frau über, dabei murmelte ich einen Spruch, der das Feuer erstickte. Zugleich fragte ich mich, warum ich mir überhaupt die Mühe gab, meine Magie zu verschleiern. Wahrscheinlich hätte mich Miss Picky in diesem Augenblick nicht einmal gehört, wenn ich lautstark »Heil dir im Siegerkranz« gesungen hätte. Aber sicher war sicher.
Mein schnelles Eingreifen hatte nicht nur Miss Schweinchen, sondern auch ihre Inneneinrichtung gerettet. Erste Flammenzungen hatten bereits auf den Teppich übergegriffen.
Als...
Erscheint lt. Verlag | 13.1.2024 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-6308-2 / 3751763082 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6308-0 / 9783751763080 |
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