Dorian Hunter 141 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6289-2 (ISBN)
Das Zimmermädchen brach zusammen. Das Tablett entfiel ihren kraftlos gewordenen Händen. Sie musste längst schon von den Ratten zu Tode gebissen worden sein und konnte nur noch magisch belebt gewesen sein.
Dorian sah zwei graue Schatten auf sich zuspringen. Der einen Ratte konnte er ausweichen, die andere spießte er mit dem Kommandostab auf. Hinter ihm schrie Alfredo vor Entsetzen auf.
»Wir müssen fliehen«, rief Dorian. »Es sieht fast so aus, als wären die Ratten auf uns gehetzt worden.«
Sie eilten auf den Korridor hinaus. Die Ratten drängten sich dort so dicht, dass es kaum eine freie Lücke gab. Sie schritten über einen Teppich von Rattenkörpern ...
Dorian und Coco setzen die Suche nach ihrem Sohn Martin in Vigo in Galicien fort. Doch eine gegnerische Partei stellt sich ihnen in den Weg und hinterlässt eine erschreckende Fährte: die Spur der Ratten.
1. Kapitel
Er hatte sich schon ziemlich gut eingewöhnt und führte seine Dolchstöße gegen die Seelen der Menschen aus dem Hinterhalt heraus. Er wollte nicht im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Die Fäden zu ziehen, zu sehen, wie die Saat seiner Intrigen aufging, das machte für ihn den besonderen Reiz aus.
Er hatte schon einige Macht erlangt. Und er hatte ein Lieblingsprojekt. Im Augenblick feilte er an einem Schicksal herum, das mit diesem Projekt in engem Zusammenhang stand.
Da war Mutter Arosa. In den Augen der Menschen eine herzensgute, hilfreiche und selbstlose Person, voller Güte und Mildtätigkeit für die Hilfsbedürftigsten unter den Hilfsbedürftigen dieser Welt: die Kinder. Sie war wohlhabend und besaß ein großes Anwesen, in dem sie elternlose und verstoßene Kinder aus der ganzen Welt um sich geschart hatte. Eine Samariterin, würden die Menschen sagen.
Für ihn aber war Mutter Arosa ein williges Opfer, in ihrer Hilfsbereitschaft viel verletzlicher als andere Menschen. Aber ihr Leben wollte er – und das musste symbolisch gesehen werden – erst in einem großen Finale mit einem Paukenschlag zerstören. Zuerst wollte er ihr durch kleinere Schicksalsschläge nur kleine Nadelstiche versetzen, sozusagen, um ein ausgefülltes Leben langsam zu unterhöhlen.
Und dann war da Helene Courbert neben vielen anderen.
Helene Courbert war früher einmal das genaue Gegenteil von Mutter Arosa gewesen: gefühlsroh, egozentrisch, leichtlebig. Ein richtiges Flittchen. Was er nüchtern feststellte, ohne sie beschimpfen zu wollen. Inzwischen war sie geläutert. O ja, das gab es unter den Menschen. Sie waren so unglaublich wandlungsfähig, dass er nur staunen konnte. Selbst Mörder wurden später nicht selten fromm. So bereute auch Helene Courbert ihre früheren Verfehlungen. Und eine davon, die unter den Menschen als besonders verwerflich galt, reute sie besonders.
Vor vierzehn Jahren war sie von einem Sohn entbunden worden. Es war das Produkt eines unbedeutenden Abenteuers, das Helene Courbert längst schon vergessen hätte, wäre es ohne Folgen geblieben. Aber sie zeigte auch so recht deutlich, was sie von dem Seitensprung hielt: Ohne die Taufe ihres Kindes abzuwarten, gab sie es zur Adoption frei.
Jetzt, nach vierzehn Jahren, hatte sie deshalb ein schlechtes Gewissen. Inzwischen war sie durch Heirat zu Geld gekommen, zu viel Geld. Jetzt konnte sie es sich leisten, ihren Fehler von damals wiedergutzumachen.
Er war ihr dabei behilflich. Er half ihr, die verschlungenen Pfade zu ihrem verstoßenen Kind zu finden. Und jetzt wartete er in lustvoller Vorfreude darauf, was bei der schicksalhaften Gegenüberstellung passieren würde.
Es war eigentlich nur eine kleine Episode am Rande, aber er war sicher, dass er auf seine Rechnung kommen würde. Seine Erregung steigerte sich fast ins Unerträgliche.
Mutter, bitte!
Nein, mein Junge, du darfst dich mir nicht verschließen.
Aber wenn Theo merkt, dass ich mich hinter seinem Rücken mit dir unterhalte, wird er sehr böse werden.
Wenn du dich vor ihm fürchtest, dann verrate es ihm einfach nicht!
Ich habe keine Angst vor ihm. Er ist mein Freund.
Dann kann er dir die Unterhaltung mit mir nicht verbieten.
Theo ist sehr eifersüchtig.
Magst du ihn mehr als deine Eltern?
Ich mag dich am liebsten, Mutter.
Es ist schön, das zu hören. Ich will dich auch nicht lange ablenken, sondern dir nur sagen, dass ich ganz in deiner Nähe bin.
Wo bist du?
In Vigo. In einem Hotel in der Nähe des Hafens. Es heißt »Puerto Romano«. Und wo bist du?
Auf einer Finca. Ich weiß schon, dass Finca »Gut« heißt, und diese Finca ist ein großes Gut. Aber ich habe ehrlich keine Ahnung, wie der Ort heißt. Es gefällt mir hier von Tag zu Tag besser. Ich habe einen neuen Freund, der ein wenig Deutsch kann. Aber Theo ist auf ihn eifersüchtig und will nicht, dass ich mit ihm spiele.
Wie heißt dein neuer Freund?
Alfredo, aber ich sage Alfie zu ihm.
Bitte Alfie, dass er auf dich achtgibt! Versprichst du mir das, mein Junge?
Wenn du meinst, Mutter. Lass mich jetzt, bitte! Theo kommt.
Sei vorsichtig.
Ja, ja.
Fürchte dich nicht vor Theo! Wir sind bald bei dir.
Theo ist mein Freund. Und er ist gut zu mir.
Leb wohl, mein Junge!
Leb wohl, Mutter!
Trotz seiner vierzehn Jahre hatte Alfredo schon eine große Verantwortung zu tragen. Er hatte die Aufsicht über fünf Jungen von fünf bis zehn Jahren. Alfredo kümmerte sich um ihre Erziehung, machte mit ihnen die Aufgaben, sofern sie schon zur Schule gingen, und sorgte für ihr leibliches Wohl. Mutter Arosa sprach nur in den höchsten Tönen des Lobes von ihm, und das machte Alfredo stolz.
Irgendwie war ihm vor dem Tag bang, an dem er alt genug war, um auf eigenen Beinen zu stehen, und Mutter Arosa ihn fortschicken würde. Das tat sie mit allen ihren Schützlingen, wenn sie volljährig waren; von diesem Prinzip ging sie nicht ab.
Alfredo hatte aber auch aktuellere Sorgen. Diese bereiteten ihm die beiden Kinder, die vor vierzehn Tagen in seine Obhut gegeben worden waren. Sie hießen Theo und Martin und waren deutscher Abstammung. Es hieß, dass sie fünf Jahre alt seien, und so sahen sie eigentlich auch aus. Ja, sie waren vielleicht sogar intelligenter als andere Fünfjährige. Aber Martin hatte ihm im Vertrauen gesagt, dass er erst dreieinhalb war.
Mit Martin verstand sich Alfredo eigentlich blendend. Aber ihr Verhältnis hätte noch besser sein können, wenn Theo nicht gewesen wäre.
Theo tyrannisierte Martin geradezu, ohne dass dieser es zu merken schien. Oder er ließ es sich gefallen, weil er vor Theo Angst hatte. So genau war das nicht festzustellen, weil Martin sich glattweg weigerte, dazu Stellung zu nehmen. Er war seinem Freund hörig. Alfredo konnte nichts dagegen tun.
Als er sich einmal Theo vorgenommen hatte, da hatte dieser eine Drohung ausgestoßen, die Alfredo eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
»Wenn du versuchst, mir Martin abspenstig zu machen, dann reiße ich dir die Eingeweide bei lebendigem Leib heraus!«
Theo wurde Alfredo immer unheimlicher. Er hatte Mutter Arosa nichts davon gesagt, weil er auch bisher mit allen seinen Problemen allein fertig geworden war; er würde es auch diesmal schaffen.
Einmal hatte ihm Martin, der nur deutsch sprach, anvertraut: »Ich bleibe nicht lange. Meine Mutter wird mich bald holen.«
»Wieso bist du dann überhaupt hier?«, wollte Alfredo in seinem schlechten Deutsch wissen. Französisch und Englisch beherrschte er besser.
»Ich weiß es nicht genau«, hatte Martin geantwortet. »Mutter tut so geheimnisvoll. Ich bin sicher, dass sie mir etwas verschweigt. Außerdem mag sie Theo nicht. Das sagt sie mir immer, wenn ich mit ihr spreche. Darum führe ich nicht viele Gespräche mit ihr.«
»Wann sprichst du denn mit ihr?«
Martin presste die Hand auf den Mund. »O je, jetzt habe ich zu viel ausgeplaudert.«
Alfredo ließ nicht locker, bis Martin ihm gestand, dass er manchmal – eigentlich wann immer er wollte – die Gedanken seiner Mutter hören konnte und umgekehrt. Bevor Alfredo mehr darüber in Erfahrung zu bringen vermochte, erschien Theo, und Martin zog sich zurück. »Lass endlich die Finger von Martin!«, zischte Theo im Vorübergehen Alfredo zu. »Sonst breche ich dir alle Knochen im Leib.«
Alfredo hätte viel darum gegeben, Theo loszuwerden. Er ertappte sich sogar einmal dabei, wie er sich wünschte, dass er sich das Genick brach. Er bat daraufhin den Heiligen Jakob inständig um Vergebung.
Aber in seinem Innersten begann er Theo mehr und mehr zu hassen.
Und sein Hass bekam immer neue Nahrung. So wie eben.
Martin saß im Gemeinschaftsraum über einem Puzzle, das er schneller zusammensetzte, als es selbst Alfredo gekonnt hätte. Plötzlich erstarrte er und war für einige Minuten wie abwesend. Dabei bewegte er die Lippen, als führte er ein Selbstgespräch.
»Martin, was ist?«, erkundigte sich Alfredo besorgt.
Martin schreckte hoch und lächelte, als er Alfredo sah. »Ich habe mich gerade mit Mutter unterhalten«, sagte er. »Ich habe ihr von dir erzählt, Alfie.«
Alfredo schluckte. »Was hat deine Mutter gesagt?«, fragte er, nur um etwas zu sagen.
»Sie sagte, dass sie ganz in der Nähe sei. In Vigo, in einem Hotel, das ›Puerto Romano‹ heißt. Was bedeutet dieser Name?«
»Römischer Hafen«, übersetzte Alfredo. »Weiß deine Mutter endlich, wo du bist?«
»Nein!«, rief Martin erschrocken aus. »Ich habe doch Theo versprochen, es ihr nicht zu verraten. Und ein Versprechen muss man halten.«
»Aber willst du denn nicht zu ihr zurück?«
Martin versteifte sich. »Hör bitte damit auf,...
Erscheint lt. Verlag | 20.1.2024 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-6289-2 / 3751762892 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6289-2 / 9783751762892 |
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