Tagebuch einer Mutter -  Liesbet Dill

Tagebuch einer Mutter (eBook)

rororo Entdeckungen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02008-5 (ISBN)
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Eine literarische Wiederentdeckung von großer erzählerischer und emotionaler Kraft, ein mitreißendes Leseerlebnis. Ein Roman über Mutterschaft, über Möglichkeiten, über Lebensentwürfe von Frauen. Oliva Nordeck lebt nach dem Kriegstod des Mannes nahezu mittellos mit ihren vier kleinen Kindern. Jahrelang schlägt sich die Familie mehr schlecht als recht durch, bevor sie ein kleines Häuschen am Stadtrand bezieht. Hier hat Oliva alle Hände voll zu tun mit den großen und kleinen Katastrophen des Alltags - sei es dem mit Ratschlägen freigiebigen, mit Geld aber geizigen Onkel Dolf, der Tratsch liebenden, aber treuen Haushaltshilfe Frau Korzfleisch oder der imposanten Tante Constanze, deren Besuch die Familie an nervliche und finanzielle Grenzen bringt. Ganz zu schweigen von den Eskapaden ihrer schwer zu bändigenden Kinder. Hier und da gelingt es ihr, ein paar Minuten für sich zu stehlen, um auf ihrem geliebten Flügel zu spielen, Bücher zu lesen oder eigene Texte zu schreiben, die sie dann heimlich an Zeitungen verschickt. Auch dabei bleibt sie immer Mutter: die Frau, die die eigene Selbstverwirklichung gegen das Glück ihrer Kinder abwägt ... Ein Roman über Mutterschaft, über Möglichkeiten und Lebensentwürfe als Frau.

Liesbet Dill (1877 - 1962) hat über hundert Romane, Erzählungen, Jugendbücher und Reiseskizzen verfasst und veröffentlich. In ihren Texten hat sie sich immer wieder mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigt. 

Liesbet Dill (1877 - 1962) hat über hundert Romane, Erzählungen, Jugendbücher und Reiseskizzen verfasst und veröffentlich. In ihren Texten hat sie sich immer wieder mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts beschäftigt.  Magda Birkmann ist seit ihrer Jugend begeisterte Schatzsucherin in Bibliotheken, Antiquariaten und auf Bücherflohmärkten, seit 2018 teilt sie diese Begeisterung für Literatur als Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlung Ocelot und als freiberufliche Literaturvermittlerin auch regelmäßig mit der Öffentlichkeit. 2021 war sie für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert. Nicole Seifert ist gelernte Verlagsbuchhändlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt in Hamburg und arbeitet frei als Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Ihr Literaturblog nachtundtag.blog wurde 2019 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels als bester Buchblog ausgezeichnet. Zuletzt erschien bei Kiepenheuer & Witsch ihr Buch FRAUEN LITERATUR, Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt. Magda Birkmann ist seit ihrer Jugend begeisterte Schatzsucherin in Bibliotheken, Antiquariaten und auf Bücherflohmärkten, seit 2018 teilt sie diese Begeisterung für Literatur als Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlung Ocelot und als freiberufliche Literaturvermittlerin auch regelmäßig mit der Öffentlichkeit. 2021 war sie für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert.

Die Rosen sind verblüht, es wird Herbst. Mein Garten liegt morgens im leichten Nebel. Wenn ich die Läden öffne, sitze ich eine Weile auf der Fensterbank und lausche den Vögeln. Bald ziehen sie fort … Der Specht ist noch da und hämmert an dem Birnbaum, dessen Blätter der Wind leicht bewegt. Ein paar grüne Birnen hängen noch an seinen Zweigen, im betauten Gras liegen dicke, gelbe Pflaumen, die Dahlien fangen an zu blühen, ein Zeichen, dass der Sommer sich zu Ende neigt. Schade. Es ist immer wie ein Abschied. Ich liebe keine Abschiede. Ich will, wenn es einmal so weit ist, niemand um mich haben, keine Kinder um mich versammeln, ich will mich dann still in eine Ecke zurückziehen und … es wird aus sein. Im Sommer fühle ich nichts von Abschied, aber im Herbst kommt es über mich. Abschied. Wovon? Von diesem Leben, der Erde, meinem Haus, dem blauen Zimmer, den Kindern, die mich nicht vermissen werden und mich nicht mehr brauchen? Von wem sonst? Von Onkel Dolf oder Tante Constanze, die ewig auf Reisen ist? Meine rheinischen Verwandten sehe ich nie mehr. Sie kommen nicht nach dem Norden. Berlin ist für sie zu weit. Es zieht sie nichts hierher in unsere Stadt. Meine Freundin Beate schreibt immer seltener. Alles, was früher so wichtig war, verebbt einmal. Die Kinder sind mit Onkel fortgefahren. Sie wollen mit dem Schiff nach der Mayburg. Ich bin allein. Ich feire Sonntag. Die Straße ist still und leer. Die Häuser sind geschlossen. Alles benutzt den letzten schönen, sonnigen Tag zu Ausflügen … Es ist still um mich. Ich kann mich wieder auf mich selbst besinnen.

Über den alten Grabstätten da drüben flattern gelbe und weiße Schmetterlinge in der Nachmittagssonne, ein Rabe, sitzt unbeweglich auf der Mauer und sieht zu mir herüber. Wie ist er hergekommen? Auf der alten Burg hausen Raben, schon seit vielen Hundert Jahren. Sie gehen nicht fort von dieser finsteren Stätte, auf der einst das Femgericht tagte, sie bleiben wie die Raben im Tower auf dem Richtplatz der Anne Boleyn. In der Ferne schlägt eine Kirchenuhr langsam vier.

Ich sitze in der warmen Herbstsonne im Liegestuhl vor der Laube, neben mir steht mein Teetisch. Meine Bücher liegen da, aber ich schlage sie nicht auf. Heute hätte ich Ruhe zum Dichten, aber heut fällt mir nichts ein. Mir fällt nur etwas ein, wenn ich keine Zeit habe. Ich lasse mich von der Sonne durchwärmen. Alle Fenster der Wohnung sind geöffnet, damit die letzte Sonne meine Zimmer durchdringt. In den Vasen leuchten gelbe Sonnenblumen und große Sträuße von rosa Flox. Mein Flügel ist aufgeschlagen. Ich habe heute Morgen zwei Stunden gespielt … Bach’sche Etüden und etwas Schubert … Niemand hörte mir zu. Ich spiele gern, wenn mir niemand zuhört. Es zieht mich zu meinem Flügel. Ich schlage ein paar Akkorde an, und dann fang ich an zu spielen … Die große Sonate von Schumann … Feierlich klingt sie durch mein stilles Zimmer. Nicht immer spiele ich so gut, aber heute ist mir’s, als hätte ich Flügel bekommen und flöge über diese Erde … Schumann!! –

Er packt mich, er bewegt mich, er ist herrlich und ernst. Plötzlich schaue ich mich um … Es ist mir, als sei doch jemand da, der mir zuhört … Alles ist still um mich … ich höre nichts, keine Schritte, keine Türe … der Rabe auf der Mauer ist verschwunden … aber statt seiner sehe ich einen Männerkopf über dem Mauerrand, der neben der Trauerweide unbeweglich zu mir herübersieht … Ein Kopf mit einem hellen Hut … Ich unterbreche mein Spiel, im selben Augenblick ist der Kopf verschwunden. Er ist untergetaucht wie in einer Versenkung auf einer Bühne … Nun ist er nicht mehr da.

Sonderbar. Ich habe noch nie an einem Sonntag jemand auf dem alten Friedhof gesehen … es muss jemand sein, der ein Grab dort drüben besucht oder sich für die alten bemoosten Grabstätten interessiert. Die Erscheinung hat mich in meinem Spiel gestört … ich warte, ob der Kopf noch einmal auftaucht, aber ich sehe ihn nicht mehr und beginne weiterzuspielen. Da tönt meine Hausschelle.

Das ist er!, denke ich. – Mein Herz fängt an zu klopfen … Ich bin allein im Hause … die Straße ist leer, im Nachbarhaus ist niemand als der Papagei. Ich gehe zur Haustür und öffne.

Vor mir steht ein großer, blonder Herr, der höflich den Hut lüftet.

«Ich bitte um Verzeihung», sagt er, «wenn ich zu dieser Stunde hier eindringe. Ich kam zufällig hier vorbei und sah die Tafel an Ihrem Hause … Darf ich fragen, ob das Zimmer noch frei ist?»

Es ist ein elegant gekleideter Herr von etwa fünfundvierzig Jahren, in hellgrauem, gut geschnittenem sportlichen Anzug. Leicht ergraute Schläfen, ein sympathisches Gesicht, helle Augen, bartlos, hellgraue, gesteppte Wildlederhandschuhe in der Hand und einen Stock mit sehr schönem Silbergriff. «Darf ich eintreten?»

«Bitte», sage ich, «aber ich glaube nicht, dass das Zimmer etwas für Sie ist.»

«Darf ich es mir ansehen?»

Ich führe ihn die knarrende enge Treppe hinauf, öffne die weiße Türe, und er schaut hinein, ohne es zu betreten. Er sieht sich nur um … Das Zimmer präsentiert sich heute, von der Nachmittagssonne durchleuchtet, besonders freundlich und hell, als wollte es sich von seiner besten Seite zeigen mit den einfachen weiß lackierten Möbeln, den frischen weißen Gardinen, sonst sieht es ziemlich kahl aus, ohne Blumen und Wandschmuck, den ich hinter das Bett gestellt habe.

Der Herr tritt an das Fenster und schaut lange hinaus. «Eine schöne, weite Sicht hat man von hier … Was ist das dort, der kleine Wald?»

«Das ist die Heide …»

«Und diese Ruine, die man von hier aus sieht?»

«Unsere Burg. Sie liegt gerade unterhalb der Halde am Wasser … Den Fluss kann man nicht sehen. Die Halde fällt steil ab zum Ufer. Sie sind wohl fremd hier?»

«Ja. Ich bin erst seit einer Woche hier. Ich wohne im Continental am Bahnhof. Aber es ist mir dort zu laut. Ich möchte ruhig wohnen. Ich bin auf den Wreschener Werken draußen beschäftigt.» Er reicht mir seine Visitenkarte. Ich lese darauf: Dr. Ing. Rolf Stetten. Oberingenieur.

«Ist Heizung hier?» Er sieht sich um.

«Nein, nur Öfen.»

«Aber ein Kachelofen wenigstens … Ich komme aus den Tropen … Ich bin etwas verwöhnt. Ich friere ungern. Aber Kohlen haben wir ja hier genug.»

Er scheint Lust zu haben, das Zimmer zu nehmen.

«Ich bin wenig zu Hause, viel unterwegs. Ich brauche nur ein Asyl, das freundlich und warm ist. Aber wohin mit meinen Büchern? Ich habe mehrere Kisten mitgebracht, sie stehen noch auf dem Bahnhof … Es ist eine kleine Bibliothek, von der ich mich nie trenne. Gibt es hier noch einen anderen Raum, eine Kammer vielleicht?»

Die Kammer ist schon da. Nebenan ist ein kleiner Raum, schräg und eng, mit einfachen, gescheuerten Tannendielen, die Firma Kumpel benutzte sie nie.

Es wäre möglich, dass man sie mir freigäbe.

«Das wäre schön», sagt der Herr … «Ich würde sie natürlich bezahlen. Ist Bedienung im Hause? Eine Frau? Das genügt. Ich brauche nur hin und wieder, wenn ich abends heimkomme, einen Tee. Ich esse sonst außerhalb, in unserem Kasino oder unterwegs. Kein Frühstück morgens. Sie hätten mit mir wenig Arbeit!» Er sieht mich an und lächelt.

«Es gefällt Ihnen wirklich, das Zimmer?», frage ich.

«Ja, es gefällt mir hier draußen. Das ist es, was ich suche …»

«Aber das Haus ist nicht immer so ruhig wie heute», wende ich ein. «Ich habe vier Kinder …»

«Kleine Kinder?»

«Nein, von elf bis siebzehn.»

«Nun, die schreien ja nicht mehr», sagt er lächelnd. «Kinder stören mich nicht, außerdem bin ich tagsüber meist nicht da. Wenn es Ihnen also recht ist, nehme ich das Zimmer.» Es ist mir schon recht, aber ich weiß nicht, ob es seinen Ansprüchen genügt. Diese Herren, die aus den Tropen kommen, sind große Hotels und viele Diener gewöhnt. Ich zögere noch. Seine gepflegte Eleganz verrät einen Herrn, der auch sonst verwöhnt ist. Nach dem Preis hat er gar nicht gefragt. Wir gehen die Treppe hinunter. «Ist ein Bad vorhanden?» Er sieht sich um. Ich öffne ihm die Badestube, in der an allen Haken Badetücher und Mäntel hängen. «Ja, aber nur dieses eine.»

«Nun, das genügt für meine kalte Morgendusche. Ich habe schon unter weit primitiveren Verhältnissen gewohnt, wo es nicht einmal Wasser gab. Das schreckt mich nicht. Ich kann nur eins nicht vertragen: die Stadt … Ich hasse Städte …»

«Ich auch», sage ich. «Deshalb bin ich so weit hinausgezogen.»

Da er immer noch nichts von dem Preis gesagt hat, wende ich zaghaft ein: «Das Zimmer kostet vierzig Mark … mit Frühstück.»

«Das ist viel zu billig», sagt er und bleibt im Flur stehen. Das hat mir noch niemand gesagt, und es nimmt mich sofort für diesen Mieter ein, der mir auch sonst sympathisch und vertrauenerweckend ist.

«Mit der Kammer würde ich einhundert Mark bezahlen, ist das recht? Ich werde unseren Schreiner vom Werk, der mir die Bücherregale aufstellt, herschicken. Und wann kann ich einziehen?»

«Wann wollen Sie denn einziehen?», frage ich etwas ängstlich.

«Am liebsten schon morgen», sagt er und sieht mich an. «Das Haus hat’s mir angetan, die Gegend hier draußen, die nette Straße und der Garten … Selbstverständlich richte ich mich nach Ihnen, das Zimmer ist ja eben unbewohnt.»

«Gut, also bis übermorgen!»

«Einverstanden. Meine Koffer lasse ich morgen herbringen.» Er wirft...

Erscheint lt. Verlag 14.5.2024
Reihe/Serie rororo Entdeckungen
Nachwort Magda Birkmann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alleinerziehende Mutter • Anspruchsvolle Literatur • bücher literatur • Bücher Neuerscheinungen 2024 • Deutsche Literatur • Deutsche Romane • Emanzipation • Erster Weltkrieg • Frauenromane • Gegenwartsliteratur • Geschenke für Frauen • Historische Bücher • Klassiker • kleine geschenke für frauen • literarische Wiederentdeckung • Literatur von Frauen • Moderne Klassiker • Mutter • Romane für Frauen • romane neuerscheinungen 2024 • Roman Frauen • Unterhaltungsroman • Wiederentdeckte Literatur • Zeitgenössische Literatur
ISBN-10 3-644-02008-6 / 3644020086
ISBN-13 978-3-644-02008-5 / 9783644020085
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