Ein sicheres Zuhause -  Louise Penny

Ein sicheres Zuhause (eBook)

Spiegel-Bestseller
Der 18. Fall für Gamache

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
512 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70480-5 (ISBN)
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Nach einem harten Winter erwacht Three Pines zu neuem Leben. Während die Dorfbewohner Vorbereitungen für einen ganz besonderen Gedenktag treffen, machen sich Chief Inspector Armand Gamache und Jean-Guy Beauvoir zunehmend Sorgen: Ein junger Mann und seine Schwester sind nach Three Pines zurückgekehrt. Als die Ermittler sie kennengelernt haben, waren Fiona und Samuel noch Kinder. Ihre Mutter war ermordet worden, an einem trostlosen Novembermorgen am Ufer eines gottverlassenen Sees. Es war der erste gemeinsame Fall der Ermittler. Was wollen die Geschwister Jahre später in Three Pines? Während Gamache versucht, Antworten zu finden, wird der 160 Jahre alte Brief eines Steinmetzes entdeckt. Darin beschreibt der Mann, wie ihn die Angst überkam, als er im Dorf eine Dachkammer zumauerte. Die Bewohner von Three Pines finden den Raum und beschließen, ihn zu öffnen. Gamache merkt bald, dass mehr darin steckt, als man auf den ersten Blick sieht. Durch die Enthüllung betritt ein alter Feind ihre Welt und bedroht, was Gamache am meisten bedeutet: sein Zuhause.

Louise Penny, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst achtzehn Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde 2005 weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Que?bec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt.

Louise Penny, 1958 in Toronto geboren, arbeitete nach ihrem Studium der Angewandten Kunst achtzehn Jahre lang als Rundfunkjournalistin und Moderatorin in ganz Kanada. Mit dem Schreiben begann sie erst spät. Ihr erster Roman Das Dorf in den roten Wäldern wurde 2005 weltweit als Entdeckung des Jahres gefeiert, und auch die folgenden Gamache-Krimis wurden vielfach ausgezeichnet und eroberten die Bestsellerlisten in zahlreichen Ländern. Louise Penny lebt in Sutton bei Québec, einem kleinen Städtchen, das Three Pines zum Verwechseln ähnelt.

1


»Oh, merde

Harriet blickte in den Spiegel, die Zahnbürste ragte aus ihrem Mund. Es war der erste Juni, und sie hatte vergessen, rabbit, rabbit, rabbit zu sagen.

Rasch holte sie es mit Zahnpastaschaum auf den Lippen nach, aber sie befürchtete, dass es zu spät war. Dass die Worte nicht mehr wirken würden. Wo sie doch gerade an diesem Tag den Beistand einer höheren Macht brauchen konnte.

»Merde

»Es wird dir Glück bringen, mein Kleines«, hatte Auntie Myrna ihrer Nichte versprochen, als sie ihr die Beschwörungsformel beigebracht hatte. »Es wird dich beschützen.«

Das war vor vielen Jahren gewesen, aber so richtig saß die Rabbit-Formel immer noch nicht. An den meisten Monatsersten, an denen man sie sprechen musste, erinnerte Harriet sich daran, aber ausgerechnet an diesem, als sie Glück am nötigsten hatte, musste sie sie vergessen. Was vermutlich daran lag, dass ihr so viel anderes im Kopf herumging.

»Scheiße.«

Glaubte sie wirklich, dass es etwas brachte, wenn sie rabbit, rabbit, rabbit sagte? Nein. Natürlich nicht. Wie auch? Es war ein dummer Aberglaube. Die Worte hatten überhaupt keine Macht. Woher kamen sie überhaupt? Und warum ausgerechnet rabbit, Kaninchen?

Einfach albern.

Sie war Ingenieurin, sagte sie sich, als sie sich für ihre morgendliche Laufrunde fertig machte. Ein vernunftbegabtes Wesen. Aber das war ihre Tante auch. Benutzte Auntie Myrna die Beschwörungsformel überhaupt selbst? Oder war es ein Witz gewesen, den das schüchterne Kind zu ernst genommen hatte?

Sie schob den Gedanken an die Beschwörungsformel beiseite, rief sich zur Räson und begann ihren Tag.

Es wird schon klappen, sagte sie sich, als sie durch den warmen Junimorgen rannte. Alles wird gut.

Aber Harriet Landers irrte sich. Sie hätte besser rabbit, rabbit, rabbit sagen sollen.

 

Es war Anfang November, als der Chief Inspector Clotilde Arsenault das erste Mal sah. Er schloss den Kragen seines Parkas und kniete sich wie ein Büßer vor einem grausigen Altar neben sie.

Willst du mein Geheimnis wissen?

»Ja«, flüsterte Armand Gamache. »Erzähl es mir.«

Er achtete nicht auf das spöttische Schnauben hinter sich, sondern sah weiter in die besorgten Augen der Toten.

Der Leiter der Sûreté du Québec war vom Sonntagsfrühstück mit seiner jungen Familie weggerufen worden. Von seiner Heimatstadt Montréal war er nach Nordosten geflogen, um am Ufer dieses gottverlassenen Sees neben einer Leiche zu knien, die halb in dem eiskalten Wasser lag. Die grauen Wellen, die mit jeder Minute an Kraft zunahmen, hatten sie an Land gespült.

Weiter draußen auf dem See waren weiße Schaumkronen zu sehen, und selbst in dieser geschützten Bucht schlugen sie gegen die Frau und bewegten ihre Gliedmaßen, als wollten sie das Leben verspotten oder als hätte die Frau beschlossen, gar nicht tot zu sein und würde sich jeden Moment erheben.

Das machte die ohnehin morbide Szene zusätzlich makaber.

Es war ein trostloser Tag. Der erste November. Der Nordwind verhieß Regen. Vielleicht Schneeregen. Vielleicht Eisregen. Oder sogar Schnee.

Der Wind peitschte die Wellen noch mehr auf und jagte sie über den See. Stieß die Frau weiter, bot sie Gamache dar. Drängte sie ihm auf.

Aber er konnte nicht. Noch nicht. Auch wenn er sie am liebsten ans steinige Ufer gezogen hätte. Er wollte ihr Gesicht trocken reiben, die glasigen Augen schließen. Sie in die warme Hudson’s-Bay-Decke wickeln, die auf dem Rücksitz des Streifenwagens lag, der ihn hierhergebracht hatte.

Natürlich tat er nichts dergleichen. Stattdessen betrachtete er sie weiter aufmerksam. Um jedes Detail zu erfassen. Alles Sichtbare und nicht Sichtbare.

Ihr Alter ließ sich nur schwer schätzen. Nicht jung. Nicht alt. Das Wasser und der Tod hatten ihre Züge geglättet und die Altersspuren weggewischt. Dennoch sah sie sorgengeplagt aus.

Und sie hatte ganz offensichtlich Grund dazu gehabt.

Blonde Haare, die wie ein Gespinst über ihr Gesicht gebreitet waren. Eine feine Strähne lag über einem ihrer offenen Augen. Unwillkürlich blinzelte Gamache an ihrer statt.

Er musste ihr Alter nicht schätzen, weil er es kannte. Sechsunddreißig. Und ihren Namen kannte er auch, obwohl sie die Leiche noch nicht nach einem Ausweis abgesucht und sie nicht offiziell identifiziert hatten.

Sie war die Frau, die von ihren beiden Kindern zwei Tage zuvor als vermisst gemeldet worden war.

Kinder, die jetzt Waisen waren.

»Fotos?«, fragte er und sah sich nach seiner Stellvertreterin um.

»Schon erledigt«, sagte Inspector Linda Chernin. »Die Spurensicherung hat die nähere Umgebung abgesucht. Auf dem See und am Ufer sind Teams unterwegs, die nach der Stelle suchen, an der man sie ins Wasser geworfen hat. Wir warten auf den Leichenbeschauer, bevor wir sie bewegen, patron

Hinter ihm war ein »Pfff« und ein gemurmeltes »Patron, ja leck mich« zu hören.

Inspector Chernin kniff die Lippen zusammen, und ihr Blick wurde hart. Sie wollte sich den Agent vorknöpfen, aber ein Blick von Gamache ließ sie innehalten.

Gerade noch.

 

Harriet lief durch den strahlenden frischen Junimorgen in der Mitte der Schotterstraße, die aus Three Pines hinausführte.

Ihr Blick suchte die Umgebung ab. Ständig war sie sich des dichten Waldes und dessen, was sich darin verbergen mochte, bewusst. Bären. Elche. Tollwütige Füchse. Borreliose übertragende blutsaugende Zecken.

Bigfoot. Das ermordete Kind, das jetzt andere Kinder ermordete.

Bei der Erinnerung an die albernen Geistergeschichten, die im Dorf am Lagerfeuer erzählt wurden, lächelte sie. Dennoch legte sie einen Zahn zu. Harriet war schon viel in ihrem Leben gerannt. Und jetzt mit Anfang zwanzig rannte sie immer schneller. Immer weiter. Nur weg.

 

»Verletzungen?«, fragte Gamache.

Er konnte keine erkennen, aber der Leichenbeschauer würde ihnen mehr sagen können. Hoffte er.

»Hier.« Inspector Chernin deutete auf den Kopf des Opfers.

Gamache beugte sich über die Leiche, um die Stelle an der Seite des Kopfs besser sehen zu können. Ein Schatten verdrängte das bisschen Sonne, das durch die dunkelgrauen Wolken fiel.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen?«, fragte er und warf einen Blick über die Schulter. Der Schatten verschwand, und er beugte sich weiter vor.

Ein heftiger Schlag hatte den Schädel der Frau eingedrückt.

»Das könnte auch post mortem passiert sein«, sagte Chernin. »Die Kinder des Opfers haben den Kollegen erzählt, dass sie getrunken hat und depressiv war.«

»Gehen Sie von einem Selbstmord aus?«, fragte Gamache und hockte sich auf die Fersen. Er spürte, wie seine Beine vom Knien und von der Kälte langsam taub wurden.

Eine Böe wehte ihm feine Wassertröpfchen ins Gesicht. Er drehte dem See den Rücken zu, nicht um sich, sondern um die Tote zu schützen. Nicht, dass sie es noch spüren würde, es war reiner Reflex.

Hinter sich hörte er erneutes Schnauben, dieses Mal amüsiert.

»Selbstmord? Soll das ein Witz sein? Nach allem, was man hört, hat sie gesoffen und rumgehurt. Umgebracht hat sie sich sicher nicht. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock. Wobei man es ihr nicht vorwerfen könnte. Ich an ihrer Stelle hätt’s getan. So jemand verschwendet nur Ressourcen.«

Gamache wechselte noch ein paar ruhige Worte mit Inspector Chernin, dann stand er auf. Langsam und bedächtig drehte er sich zu dem unglückseligen jungen Mann um.

Wäre der Agent etwas schlauer gewesen, wäre er nicht so vernagelt und darauf aus gewesen, sich selbst ein Bein zu stellen, hätte er vielleicht den Ausdruck in Chief Inspector Gamaches Augen bemerkt.

»Kommen Sie bitte mit mir mit.«

Gamache streckte die Hand aus, und der Agent wappnete sich gegen den absehbaren Stoß. Aber es kam kein Stoß. Stattdessen deutete der Chief Inspector auf eine abseits gelegene Felszunge.

Dort blieb er stehen. Nachdem er den jungen Mann einen Moment lang betrachtet hatte, sprach er. Seine tiefe Stimme klang ruhig. Gelassen. Aber sie war kraftvoller als jedes Gebrüll, das der Agent jemals gehört hatte. Und er war oft angebrüllt worden.

»Agent Beauvoir, wagen Sie es nie wieder …«

 

»… Ich frage mich, was passiert wäre, wenn dein Vater und ich uns nie kennengelernt hätten«, sagte Jean-Guy Beauvoir.

Er sah zu seiner Frau Annie, die ihre kleine Tochter Idola badete. Dann versuchte er wieder, dem zappelnden Honoré, der es eilig hatte, zu seinen Freunden auf den Dorfanger zu kommen, einen Pullover überzustreifen.

Dass die beste Freundin ihres Sohnes die derangierte alte Dichterin Ruth Zardo war, amüsierte die Eltern und beunruhigte sie zugleich.

»Du meinst, wenn er dich nicht in der öden Sûreté-Dienststelle aufgestöbert hätte, wo du in einem Spind geschmachtet hast?«

»Ich meine, wenn er nicht mein Genie erkannt und mich gebeten hätte, ihm beim Lösen des schwierigsten Mordfalls aller Zeiten zu helfen.«

»In ganz Kanada«, sagte Annie, die das nicht zum ersten Mal hörte.

»Auf der ganzen Welt«, ergänzte Jean-Guy.

Er ließ Honoré los, der aus dem Bad flitzte, die Treppe hinunterhüpfte und die Fliegentür hinter sich zukrachen ließ, als er ins Freie lief.

»Die Frau im See«, sagte Annie.

»Ja. Und übrigens, ich war in keinem Spind.«

»Aber nur, weil du zu groß warst, um da reingesteckt zu werden.«

»Weil ich so ein harter Hund war. Und das bin ich immer noch.« Er...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Reihe/Serie Ein Fall für Gamache
Ein Fall für Gamache
Übersetzer Andrea Stumpf, Gabriele Werbeck
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bestseller • Kanada • Mordkommission • Quebec • Québec • Three Pines
ISBN-10 3-311-70480-0 / 3311704800
ISBN-13 978-3-311-70480-5 / 9783311704805
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