Nach uns der Sturm -  Vanessa Chan

Nach uns der Sturm (eBook)

Roman | »Mutig, humorvoll und zutiefst berührend - eines der stärksten und souveränsten Debüts, die ich je gelesen habe!« ?(Tracy Chevalier, Bestseller-Autorin)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
416 Seiten
Ecco Verlag
978-3-7530-0109-8 (ISBN)
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»Mutig, humorvoll und zutiefst berührend - eines der stärksten und souveränsten Debüts, die ich je gelesen habe!«Tracy Chevalier

Bintang Estate, Malaya, 1945. Cecily Alcantaras Familie ist in großer Gefahr: Ihr 15-jähriger Sohn ist verschwunden, ihre älteste Tochter wird von Tag zu Tag wütender, und ihre jüngste ist im Keller versteckt, damit sie nicht in eines der Kriegsbordelle für japanische Soldaten verschleppt wird. Cecily ist sich nur in zwei Punkten sicher: dass alles ihre Schuld ist, und dass ihre Familie nie erfahren darf, warum.

Ein Jahrzehnt zuvor sehnte sich Cecily im britisch kolonialisierten Malaya verzweifelt nach einem besseren Leben. Die zufällige Begegnung mit General Fuijwara, einem charismatischen japanischen Spion, lockte sie in ein Leben als Spionin, das ihr die Chance bot, mehr als nur Mutter und Ehefrau zu sein. Doch während Cecily in Fuijwaras Pläne verwickelt wurde, trug sie dazu bei, eine neue und noch brutalere Ära der japanischen Kolonialisierung einzuleiten ...?

Aus vier Blickwinkeln - Cecilys und dem ihrer drei Kinder Jujube, Abel und Jasmin - werden diese Jahre erzählt, die sowohl aus Schmerz als aus Triumphen bestehen.?



Vanessa Chan ist eine malaysische Schriftstellerin, die sich mit Identität, Kolonialisierung und Frauen beschäftigt, die sich nicht anpassen wollen. Ihre Prosa wurde für zahlreiche Preise nominiert, außerdem wurde Vanessa Chan mit einer Vielzahl von Stipendien ausgezeichnet. Sie wuchs in Malaysia auf, studierte für ihren MFA an der New School in New York und lebt jetzt in Brooklyn. »Nach uns der Sturm« erscheint in 22 Ländern.

KAPITEL ZWEI


CECILY

Bintang, Kuala Lumpur

1935

Zehn Jahre zuvor, britisch besetztes Malaya

Cecilys Familie war eurasisch, Nachkommen von Portugiesen, die als Erste in einer Reihe weißer Kolonisten Anfang des 16. Jahrhunderts per Schiff an den Küsten Malayas gelandet waren, bewaffnet mit Gewehren und getrieben vom Ehrgeiz, die Gewürzstraßen und unermesslichen Bodenschätze der Region zu kontrollieren. Cecilys Mutter genoss den weißen Tupfer in ihrem Namen und ihrem Blut und betrachtete die Menschen in ihrer Umgebung herablassend und wertend. Ihr ewiger Refrain: »Wir sind nicht als Land- und Minenarbeiter hierhergekommen wie die Chinesen und Inder. Wir wurden nicht erobert wie die Malaien. Wir wurden von weißen Männern gezeugt, wir sind Christen, wir beten die gleichen Götter an, und sie gaben uns ihre Namen: Rozario, Oliveiro, Sequiera.«

Als Kind war Cecily verwirrt, weil ihre eurasischen Freunde und deren Familien alle möglichen Hautfarben hatten – braun, schwarz, gelb –, aber sie kannte nicht einen Menschen mit so weißer Haut und rosa Flecken wie die Briten.

»Wir sind fast so weiß wie sie«, behauptete ihre Mutter und betrachtete bewundernd jeden Briten in ihrer Nähe, der wegen der ungewohnten Hitze ziemlich schwitzte: einen Lehrer, einen Verwaltungsbeamten, einen Priester.

Cecily hatte sich nie zu den Schönen und Vornehmen gezählt. Sie war ein nettes Mädchen, aber unscheinbar, nicht hübsch genug, um viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihre Mutter ließ es sie spüren, wenn sie Cecilys schlammbraunes Haar, ihre Augen und ihren Teint gleichgültig und an manchen Tagen enttäuscht betrachtete. Ihre vier Jahre ältere Schwester Catherine war die große Hoffnung. Catherine, olivfarbener Teint und graugrüne Augen, heiratete schließlich einen britischen Offizier namens Abbott, der sie mit nach England nahm, damit sie seinen Lordtitel annahm. Und so wurde Catherine zu Lady Abbott. Aber schlichten Mädchen wie Cecily, selbst solchen mit eurasischer Herkunft, die in den frühen 1900er-Jahren in kleinen strohgedeckten Häusern in erstickend heißen britischen Kolonien aufwuchsen, war ein stilles Leben vorbestimmt, in dem sie die ihnen zugedachten Rollen erfüllten – zunächst als Mädchen, das die Fähigkeiten einer guten Ehefrau erwarb, dann als Ehefrau, die den Haushalt führte und gut mit den Nachbarn auskam, und schließlich als Mutter, die sich durch die Geburt und Erziehung einer angemessenen Zahl von Kindern ihrer Rolle als würdig erwies.

Cecily erfüllte all das mit stiller Beharrlichkeit. Mit dreißig hatte sie zwei Kinder, Jujube und Abel, sowie einen Ehemann – Gordon, einst ein rundlicher eurasischer Junge, der zwei Straßen weiter wohnte und ihr genügend Annehmlichkeiten bot. Sie lebten in einem kleinen Haus mit hellrotem Dach, alles andere als schön, aber zweckmäßig. Trotzdem war sie maßlos unzufrieden. Jeden Morgen stand sie in der heißen Küche und machte halb gekochte Eier für ihren Mann und die Kinder. Mit einem Lächeln im Gesicht und manchmal sogar singend, goss sie Kaffee in kleine Blechbecher. Doch während sie kochte und sang und alle Aufgaben erfüllte, die eine ruhige Welt häuslichen Glücks vortäuschten, stellte sie sich vor, wie sie die kochenden Eier auf dem Kopf ihres Mannes zerschlug und ihren Kindern heißen Kaffee ins Gesicht schüttete. Es machte sie krank vor Scham. Sie wusste nicht, wann, warum oder wie sich dieser innere Wandel vollzogen hatte, wusste nicht, wie sie es rückgängig machen könnte. Selbst wenn sie aus dem Haus war und auf dem Markt mit Händlern um den Preis für Fisch oder Auberginen feilschte, verspürte sie mitunter den Drang, den Händlern schreiend die schuppigen Fische und das blutige Schweinefleisch um die Ohren zu hauen.

Am letzten Dienstag im November 1935 betrachtete Cecily argwöhnisch den Himmel. Es drohte zu regnen, graue Wolken ballten sich zusammen wie eine Kirchengemeinde. Sie stand knietief in stinkendem Abfall und presste Halt suchend die Füße so fest in ihre Schlappen, dass die Zehen weiß wurden. Die im tropischen Malaya übliche Schwüle am Spätnachmittag drückte umso schwerer, weil die Regenwolken sich gleich entladen würden. Cecily befürchtete, ihren Auftrag nicht rechtzeitig beenden zu können. Sie wühlte sich durch den Dreckhaufen, durch Kohlblätter, Fischgräten und etwas, das verdächtig nach Tierhoden aussah. Die Hitze wehte ihr den Fäulnisgeruch in die Nase. Sie unterdrückte ein Würgen, verfluchte den Auftrag und wollte gerade aufgeben, als sie das gesuchte Dokument fand: ein Blatt aus einem Notizbuch, das oben in dem Müllbeutel lag, den sie gerade durchsucht hatte. Es war fleckig, aber glatt und lag da, als hätte es darauf gewartet, gefunden zu werden. Sie hob es auf, schüttelte es ein bisschen und bereute es sogleich, weil ihr ein paar schmutzige Tropfen ins Gesicht spritzten. Aber die Schnörkel, Diagramme und Striche auf dem Papier, die von ihrem Mann stammten, waren unversehrt.

»Gute Arbeit, Cecily.«

Die brüchige Stimme erschreckte sie, und sie verlor den Halt in der Hocke. Sie konnte gerade noch verhindern, dass sie kopfüber in den Abfallhaufen fiel, eine widerliche Vorstellung. Sie stand auf und drehte sich um, die Hände von sich gestreckt, um ihre Kleider nicht zu beschmutzen. »Was machen Sie hier?«

Fujiwara stand drei Schritte hinter ihr. Seine Hände waren hell und sauber, ein starker Kontrast zu den ihren, die braun und dreckig waren. Die Knitterfalten in seinem Leinenanzug wiesen darauf hin, dass er zu Fuß durch die Stadt gelaufen war. Er trat einen Schritt auf Cecily zu und bedeutete ihr, ihm das Blatt zu geben. Sie sah ihn verärgert an. Ihre Abmachung war eine andere, und er wusste, sie mochte es nicht, wenn er sich nicht daran hielt. Es schwächte ihre vorsichtig aufgebaute Beziehung und damit auch sie.

Fujiwara zog ihr das Blatt an einer sauberen Ecke aus der Hand und schüttelte es zum Trocknen in der Luft. Es funktionierte nicht. In der feuchten Luft wellte sich das Papier noch stärker.

»Stecken Sie es weg, man könnte uns erwischen«, sagte Cecily. Sie versuchte, ihre Nervosität durch einen möglichst kühlen Tonfall zu überspielen, doch ihre Stimme klang hoch und schrill. Ein Hauch von Enttäuschung wallte in ihr auf.

Eigentlich sollte Cecily das Dokument heute, so wie an allen anderen Tagen auch, in Chongs Gemischtwarenladen bringen. Sie sollte mit den Fingern zwischen der splittrigen Wand und dem wackeligen Regal mit den Damenbinden entlangfahren, bis sie auf eine winzige Lücke stieß, in der sie die geheime Information verstaute. Es war ein genialer Übergabepunkt – versteckt vor aller Augen an einem der belebtesten Orte der Stadt –, weil Männer diesen Gang und das Regal aus Berührungsangst vor solchen intimen weiblichen Artikeln mieden und Frauen schnell hindurchhuschten, damit man sie dort nicht sah. Fujiwaras vertrauenswürdige Köchin nahm bei ihrem Einkauf die versteckten Informationen mit und übergab sie ihm. So handhabten sie es seit Monaten, und es gab keinen Grund, warum Fujiwara die Vorgehensweise ändern sollte.

»Mir gefällt das nicht«, fauchte Cecily. »Ich könnte erwischt werden, wenn ich mit Ihnen rede.« Ihr Blick huschte von der belebten Hauptstraße zur Ecke der Gasse, in der sie standen. Ein Auto fuhr vorbei, dann eine Rikscha, dann ein Fahrrad, doch niemand schien sie zu beachten.

»Cecily«, murmelte Fujiwara. Das Schlimmste von allem, was Cecily an ihm verrückt machte, war seine Stimme, die nie über ein Flüstern hinausging. War er sich bewusst, dass es im Grunde ein aggressives Mittel war, das andere zwang, innezuhalten und sich ihm zuzuneigen, um ihn zu verstehen?

Sie wandte sich von ihm und seiner markanten Nase ab, bei deren Anblick ihr immer ganz warm ums Herz wurde. Fujiwara war kein schöner Mann, aber seine klaren und symmetrischen Züge verliehen ihm etwas Aristokratisches. Sie griff nach dem in der Nähe liegenden Schlauch, um sich den fischigen Geruch von den Händen zu spülen. Als das kalte Wasser über ihre linke Hand lief, spürte sie einen stechenden Schmerz im Arm, und ein hellroter Strom floss auf den Boden.

»Cecily, Sie bluten.«

Er trat einen Schritt vor, und der Minzduft seiner Haarcreme schwebte in der warmen Luft und erinnerte sie daran, dass sie ihm für immer verfallen war.

»Ist nicht schlimm, nur ein Kratzer«, sagte Cecily. Weil du mich zwingst, im Abfall herumzuwühlen, dachte sie, sagte es aber nicht. Stattdessen setzte sie ein sanftes, fast spöttisches Lächeln auf, eine Miene, so hoffte sie, die über ihr Verlangen, seine Hand zu nehmen und ihm ihre Sehnsucht zu gestehen, hinwegtäuschen konnte. So ging das schon seit Monaten: Bei den wenigen Malen, die sie sich getroffen hatten, wurde ihr ganz flau im Magen, und sie fühlte sich hungrig und zugleich berauscht.

»Tut mir leid. Ich weiß, Sie mögen keine Veränderungen«, sagte er.

Cecily hielt ihre Hand unters Wasser und zuckte zusammen, als der Schmerz der Schnittwunde sie durchfuhr.

»Aber ich muss Ihnen etwas sagen, das nicht warten kann«, sagte er.

Da war es wieder, das wunderbare weiche Gefühl in ihrem Bauch. Er hatte nie angedeutet, dass er genauso empfand. Tatsächlich hatte er nie zu erkennen gegeben, dass er überhaupt etwas fühlte.

Fujiwara hob die rechte Hand, drückte die Finger auf das fleckige Papier und glättete es am Oberschenkel. Cecily zog ihre Hand aus dem Wasserstrahl und wischte sie an ihrem geblümten Rock ab. Der Blutfleck verdunkelte die Blütenblätter einer Blume auf dem Stoff, war aber kaum zu...

Erscheint lt. Verlag 25.6.2024
Übersetzer Brigitte Jakobeit
Sprache deutsch
Original-Titel The Storm We Made
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Asien • Debütroman • Familiengeschichte • Familienroman • Feminismus • Geheimnis • Invasion • koloniales Erbe • Kolonialherrschaft • Kolonialisierung • Malaysia • Roman • Spionage • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-7530-0109-0 / 3753001090
ISBN-13 978-3-7530-0109-8 / 9783753001098
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