Der Sommermordclub (eBook)
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60648-6 (ISBN)
Jan Beinßen, Jahrgang 1965, ist gebürtiger Niedersachse und lebt mit seiner Familie bei Nürnberg. Der langjährige Journalist der »Abendzeitung« schrieb zahlreiche Kriminalromane, darunter die beliebten Franken-Krimis mit Ermittler Paul Flemming sowie verschiedene Frankreich-Krimi-Reihen unter Pseudonymen.
Jan Beinßen, Jahrgang 1965, ist gebürtiger Niedersachse und lebt mit seiner Familie bei Nürnberg. Der langjährige Journalist der »Abendzeitung« schrieb zahlreiche Kriminalromane, darunter die beliebten Franken-Krimis mit Ermittler Paul Flemming sowie verschiedene Frankreich-Krimi-Reihen unter Pseudonymen.
Louanne
Louanne Chevalier lehnte an der Terrassenbrüstung, ließ sich den lauen Wind durchs Haar wehen und beobachtete die anderen beim Sektempfang.
Einer nach dem anderen waren sie im Laufe des Tages eingetroffen, erst Geraldine Walker, Kim Becker und Ruben van Dijk und am späten Nachmittag auch Kasimir Novak. Louanne hatte sie alle auf typisch französische Art mit bise, Küsschen links und Küsschen rechts, begrüßt und war ihnen dabei so nahe gekommen, dass ihr die Veränderungen förmlich ins Auge stachen – und das, obwohl es mit ihrer Sehkraft nicht zum Besten stand. Doch im Gegensatz zu den Vorjahren, in denen ihre Treffen von den zunehmenden Altersbeschwerden gekennzeichneten waren, fielen Louanne diesmal – o Wunder! – Tendenzen zum Positiven auf.
Nicht, was Falten oder schütteres Haar anbelangte, da gab es nun mal kein Zurück, außer vielleicht mithilfe sündhaft teurer Schönheitsoperationen. Und natürlich konnte Kim nicht plötzlich besser hören und sie selbst nicht schärfer sehen. Nein, nein, jedes weitere Jahr, das verstrich, forderte nun einmal seinen Tribut.
Und dennoch hatte sich einiges zum Besseren verändert. Geraldine wirkte zufriedener und ausgeglichener als sonst, was vielleicht damit zu tun hatte, dass sie vor einem halben Jahr erfolgreich ein Buch veröffentlicht hatte, das es in Großbritannien in die Bestsellerlisten geschafft hatte. Kim hatte ein paar Kilo abgespeckt, und Ruben, der alte Casanova, legte Louanne gegenüber mehr Respekt an den Tag – zumindest bis jetzt. Kasimirs Bemühungen, seiner schleichenden Demenz entgegenzutreten, zeigten Wirkung; im Gespräch mit ihm hatte Louanne den Eindruck gewonnen, als hätte er die gelegentlichen Aussetzer nun besser im Griff. Möglicherweise zahlten sich die Therapien aus, denen er sich in dem Wohnheim unterzog, in dem er seit einiger Zeit lebte. Das alles konnten auch bloß oberflächliche Feststellungen sein, erste Eindrücke. Insgesamt stimmte sie der Anblick aber optimistisch.
Nun betrat Marisa Ferraro die Terrasse, und Louanne merkte, wie ihr der Mund offen blieb, als sie diese wunderschöne junge Frau in ihre Mitte schreiten sah: mit italienischer Grazie, im hautengen, knöchellangen Kleid aus glutroter Seide, das rabenschwarze Haar offen und fast taillenlang, ihr Gesicht taufrisch wie der Morgen. Très beau!
Louanne war einst selbst eine Schönheit gewesen, und sogar mit zweiundsiebzig machte man ihr noch Komplimente. Doch in der Klasse von Marisa hatte sie nie mitgespielt. Wenn die junge Italienerin es darauf anlegte, brachte sie jeden Mann und vielleicht so manche Frau zum Schmelzen. Das las Louanne in den Augen der Anwesenden: Alfredo, der ihnen als Koch vorgestellt worden war, spähte durch die Verandatür und verzehrte sich ebenso nach der Grazie in Rot, wie es, seiner Miene nach zu urteilen, Kim tat – und auch Ruben, der Schuft, der doch eigentlich nach Louanne schmachten sollte.
Sie verließ ihren Beobachtungsplatz und stellte sich zu den anderen, die ihre Champagnergläser schon fast geleert hatten und angeregt miteinander diskutierten.
»Was haltet ihr von dieser Einladung?«, fragte Geraldine beiläufig.
»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete Kim mit zufriedenem Grinsen. »Außerdem, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, oder?«
»Man könnte aber auch sagen: Mit Speck fängt man Mäuse!«
Typisch, fand Louanne, Geraldine musste immer ein Haar in der Suppe suchen.
Ruben brummte: »Ist doch ganz einfach. Wir haben Marcello Ferraro aus dem Knast geholt, ohne unsere Hilfe hätte er lebenslänglich gesessen. Zum Dank lässt er uns ein paar Tage lang im Luxus schwelgen.«
»Diese Dankbarkeit hält sich aber in Grenzen«, musste Louanne einräumen. »Ferraro glänzt durch Abwesenheit, während wir uns hier verwöhnen lassen. Stattdessen schickt er seine Tochter vor.«
»Ist ihm nicht zu verübeln«, meinte Geraldine. »Es geht ihm bestimmt gegen den Strich, eine Woche lang mit lauter Ex-Cops unter einem Dach zu leben. Seine Geste ist trotzdem großzügig, isn’t it?«
Als Marisa zu ihnen trat und mit betörendem Lächeln noch einmal jede und jeden persönlich begrüßte, verstummte das Gespräch. Die tief stehende Sonne fiel auf ihr Haar, und es leuchtete wie glühende Lava. Wie passend, dachte Luanne, die Ferraro-Villa lag schließlich fast am Fuße des Vesuvs.
Nun wandte sich Marisa an alle. »Benvenuti! Mein Vater Marcello stellt euch seine Villa mit all ihren Annehmlichkeiten für die folgende Woche zur Verfügung«, sagte sie und zeigte wieder ihr strahlendes Lächeln. Louanne konnte es nicht lassen, Vergleiche zu ziehen. Sie erkannte in Marisa die eigene, längst vergangene Jugend – zumindest wäre sie damals gern so gewesen.
»Die Idee kam von mir, aber auch er möchte seinen Dank dafür ausdrücken, dass Sie ihn vom Verdacht des Mordes reingewaschen haben«, fuhr Marisa fort.
»Meine Worte«, warf Ruben ein, woraufhin Marisa ein schmales Lächeln zeigte.
»Er selbst wird in den nächsten Tagen allerdings nicht anwesend sein«, fuhr sie fort. »So groß ist seine Lust, Sie alle wiederzusehen, nun auch wieder nicht.«
»Meine Worte!«, rief Geraldine.
Alle lachten.
»Damit es euch an nichts fehlt, hat euch mein Vater nicht nur die Villa, sondern auch das Personal überlassen«, verkündete Marisa. »Eine tolle Truppe, ihr werdet schon sehen. Euch wird jeder Wunsch von den Lippen abgelesen.«
Sie klatschte in die Hände. Daraufhin löste sich Koch Alfredo aus seiner Warteposition auf der Veranda, und über eine schmale Steintreppe tauchte ein betagter Gärtner auf, mit dem sich Marisa mit Gesten verständigte und den sie als Silvio vorstellte. Er war ein hutzeliger kleiner Mann, der laut Marisa weder hören noch sprechen konnte. Aber vielleicht war er imstande, von den Lippen abzulesen?, dachte Louanne bei sich. Die durchtrainierte Chauffeurin Tindara, die sie vom Bahnhof abgeholt hatte, trug einen Camouflage-Anzug und erfüllte für die Ferraros vermutlich noch andere Aufgaben, als lediglich hinter dem Steuer zu sitzen. Louanne erkannte in ihrem trainierten Körper, der sprungbereiten Haltung und dem entschlossenen, wachen Blick die Qualitäten eines erfahrenen Bodyguards, was sie durchaus beruhigend fand. In letzter Zeit spürte sie eine gewisse Beklommenheit, fühlte sich nicht mehr sicher. Das mochte an den bedrohlichen Nachrichten liegen, die sie zu Hause in Lyon immer wieder im Briefkasten fand …
Nicoletta, eine Hausangestellte, die mit einem Tablett herumging und Getränke verteilte, deutete bei der Erwähnung ihres Namens einen Knicks an. Die etwas unscheinbare Frau, die so klein und zierlich war wie Louanne, musste bereits nahe am Rentenalter sein. Wie es hieß, hatte sie einst die kleine Marisa als Kindermädchen gehütet. Eine treue Seele.
Zuletzt trat Lorenzo vor, der Masseur, dessen Expertise Kim gleich nach seiner Ankunft in Anspruch genommen hatte und in den höchsten Tönen lobte. Lorenzo hatte die Statur eines Ringers, und auch bei ihm tippte Louanne auf eine Doppelqualifikation. Wer beim Kneten von Muskeln, Fleisch und Fett so fest zupacken konnte, wurde auch mit unerwünschten Eindringlingen fertig, mutmaßte sie.
Also hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie sich dafür entschied, Marisas Einladung anzunehmen und nach Italien zu reisen. Hier war es allemal sicherer als in ihrem abgeschiedenen Landhaus, wo sie, seit ihr Mann im Pflegeheim war, allein mit ihren zwei bejahrten Hunden lebte. Didier und Maxime schlugen zwar an, wenn sich jemand dem Gehöft näherte, aber sie waren träge geworden, langsam – und bestechlich. Die gutmütigen Rüden konnten einer Leckerei nicht widerstehen; auf diese Weise hatte der Postbote sie bereits für sich gewonnen. Angesichts der anonymen Drohungen, die Louanne ins Haus geflattert waren, war das nicht gerade beruhigend.
»Die Sorgenfalten stehen dir nicht, mein Schatz«, raunte Ruben ihr zu, der plötzlich neben ihr stand, obwohl Marisa ihre Ansprache noch längst nicht beendet hatte. »Was bedrückt dich, meine Liebe?«
»Ich bin weder dein Schatz noch deine Liebe«, stellte Louanne etwas schroffer als beabsichtigt klar. Sie mochte es nun mal nicht, wenn Ruben seine Besitzansprüche auf diese Weise geltend machte. Das musste er inzwischen doch wissen. Oder...
Erscheint lt. Verlag | 28.3.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Agatha Christie • Cosy Crime • Fortsetzung • Hobbydetektiv • humorvoll • lustig • Miss Marple • Murder Mystery • Neapel • Pensionär • Rentner Buch • Rentner Geschenk • Richard Osman • Senioren • Seniorenkrimi • Sommerkrimi • Verbrechen • Wintermordclub |
ISBN-10 | 3-492-60648-2 / 3492606482 |
ISBN-13 | 978-3-492-60648-6 / 9783492606486 |
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Größe: 6,3 MB
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