Das große Blau (eBook)
176 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3493-3 (ISBN)
Das neue Buch von Katja Eichinger über den Sehnsuchtsort Côte d'Azur
Mit exklusiven Bildern des Fotografen Christian Werner
»Was für ein kluges Sommerbuch.« ELKE HEIDENREICH
Ultramarinblaues Meer, weiße Strandpromenaden, Palmen, Mimosen und ein einzigartiges Licht: die Côte d'Azur. Nirgends sonst ist die Dichte der Geschichten und der Künstlerinnen und Künstler, die sie verewigt haben, höher. Nietzsche war hier, Coco Chanel, Marlene Dietrich, Pablo Picasso, Henri Matisse, James Baldwin und die Rolling Stones. Ein Ort, an dem Extreme und Exzess, die Yachten und Bauten der Superreichen, die Glitterati und Easyjet-Touristen vor der unbeeindruckt bezaubernden Natur aufeinandertreffen. Auf Spaziergängen unterwegs in Cannes, Nizza, Monaco und Saint-Tropez durchstreift Katja Eichinger in persönlichen Anekdoten die Geschichte der französischen Riviera und enthüllt ihr Wesen. Das Buch für alle, die sich ans Meer träumen und brillant unterhalten werden möchten.
Katja Eichinger studierte am British Film Institute und arbeitete als Journalistin in London, u. a. für Vogue, Dazed & Confused und die Financial Times. Nach ihrem Bestseller »BE«, der Biographie von Bernd Eichinger, erschienen bei Blumenbar 2020 der Essayband »Mode und andere Neurosen« und 2022 »Liebe und andere Neurosen«, die ebenfalls Bestseller wurden. Neben ihrer Arbeit als Autorin produziert Katja Eichinger Musik. Sie lebt in München und Berlin. Der Fotograf Christian Werner, geboren 1977, arbeitet für Zeitschriften wie ZEITMagazin, 032c, SSENSE und Numéro. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht und lebt in Berlin. Mehr unter www.christianwerner.org
Winter is coming.
Jon Snow, Game of Thrones
Das Meer ist milchig blau. Am Horizont geht es fast nahtlos in den wolkenlosen Himmel über. Die Palmen zittern leicht im Nachmittagswind. Ihre Blätter schimmern silbern in der immer noch etwas kühlen Maisonne. Unter dem Vogelgezwitscher der Gärten brummt der entfernte Straßenlärm von Cannes. Kaum bemerkbar und doch immer präsent. Wie ein leichtes Unbehagen, das sich auf unerklärliche Weise ins Paradies geschlichen hat. Von meinem Fenster aus kann ich in den Nachbargarten schauen. Hinter einer hohen Eukalyptushecke verbirgt sich ein Swimmingpool, in dem fast nie jemand schwimmt. Der Wind kräuselt sich auf dem Wasser. Wie so oft stelle ich mir vor, dass dieser von grandiosen Zedernbäumen eingerahmte Pool der perfekte Schauplatz für einen Thriller wäre. Eine Geschichte über Sex, Glamour und mörderische Intentionen. Dass in diesem an heißen Tagen so begehrenswert kühl anmutenden Becken ein menschlicher Abgrund lauert. Ein Pfuhl aus Eifersucht, Scham und Erniedrigung. Bisher hat sich nichts davon verwirklicht. In all den Jahren, in denen ich nun schon hier an meinem Schreibtisch aus dem Fenster schaue, hat sich keine meiner Phantasien bewahrheitet. Der Pool strahlt mich weiterhin türkis-unschuldig an. Und doch weiß ich, dass ich der Sache nicht trauen kann. Schließlich sind wir hier nicht irgendwo am Mittelmeer. Strahlendes Blau, Palmen und duftenden Eukalyptus mag es auch anderswo im südlichen Europa geben. Aber nur hier, an der Côte d’Azur, ist die Dichte der Geschichten sowie der KünstlerInnen, die sie verewigt haben, so unerhört hoch. Kaum ein anderer Küstenstreifen hat so viele Menschen aus Politik, Literatur, Kunst, Mode, Film und Musik angezogen. Dieses kleine Stück Erde ist getränkt mit Geschichten. Das 20. Jahrhundert mit all seinen hohen Idealen sowie den menschgemachten Katastrophen, mit denen diese Ideale auf das Schändlichste betrogen wurden, hat hier seinen Ausdruck gefunden. Auch jetzt im 21. Jahrhundert gehen die Geschichten weiter. Die Realitäten der digitalen Konsumgesellschaft und wie sich diese auf globale Machtverhältnisse und den einzelnen Menschen auswirken, spiegeln sich in hoher Konzentration an der Côte d’Azur. Unsere Narrative nehmen hier neue, mitunter extreme Wendungen. Der Eros des Erzählens, er ist an diesem Ort zu Hause.
Die Côte d’Azur, die azurblaue Küste – auch die französische Riviera genannt, aber das klingt so banal –, beschreibt den Küstenabschnitt der französischen Mittelmeerküste zwischen Cassis in der Nähe von Marseille, über Sanary-sur-Mer, Toulon, Saint-Tropez, St. Raphael, Cannes, Antibes, Nizza, Monaco bis hin zu Menton kurz vor der italienischen Grenze. Es war der französische Dichter Stéphen Liégeard, der 1887 ein Buch mit dem Titel La Côte d’Azur veröffentlichte, und so dieser Region ihren Namen gab.
Ich komme nun schon seit mehr als 29 Jahren hierher. Anfangs nur im Mai, weil ich nach meinem Filmstudium in London bei den Filmfestspielen von Cannes erst als Pressebetreuerin und später als Journalistin arbeitete. Seit zwölf Jahren habe ich hier eine Wohnung im 5. Stock eines alten Apartmentgebäudes, die mein Rückzugsort geworden ist. Hier schreibe ich. In den Sommermonaten bedeutet das, dass ich bei heruntergelassenen Rollos in einem dunklen Wohnzimmer sitze, die Fenster offen, damit durch den Durchzug etwas kühle Luft in die Wohnung gelangt. Morgens und abends gehe ich entweder hinunter zum Strand und schaue aufs Meer oder in ein nahegelegenes Naturschutzgebiet, wo Einheimische ihre Hunde spazieren führen. Angeblich treffen sich dort nachts Leute, um Sex zu haben, aber außer einer unangenehmen Begegnung mit einem Exhibitionisten ist mir diesbezüglich noch nichts Konkretes aufgefallen. Tagsüber im Dunkeln schreiben, morgens und abends spazieren gehen – über die Jahre hinweg hat sich das als guter Tagesrhythmus bewiesen, um ein Buch oder Drehbuch zu schreiben. Schöner ist es natürlich, wenn es nicht so heiß ist, und ich die Rollos oben lassen kann. Denn das Beste an meiner Wohnung ist der Blick von meinem Schreibtisch. Das Gebäude liegt an einem kleinen Berg, so dass ich vom Fenster aus nicht nur den Swimmingpool nebenan beobachten kann, sondern einen Blick auf das etwa einen Kilometer entfernte Meer habe. Der Meereshorizont mit seinen ständig wechselnden und an manchen Tagen unübertrefflich strahlenden Blautönen ist hier mein ständiger Begleiter. Groß und unwiderstehlich, manchmal heiter, manchmal übel gelaunt, fühlt er sich nicht so sehr an wie ein Naturereignis, sondern wie eine Person, ja, mittlerweile ist er ein guter Freund. Wenn ich hier oben an meinem Schreibtisch sitze, weit weg vom Rest der Welt, und mir durch das Fenster dieses große Blau entgegenstrahlt, dann fühlt sich das an, als würde ich wie ein Satellit über die Erde hinweg fliegen und mir dabei vom Blau etwas erzählen lassen.
Als der Maler Claude Monet sich 1888 von seinem Freund Guy de Maupassant zu einer Reise an die Côte d’Azur überreden ließ und hier innerhalb kurzer Zeit 36 Bilder malte, sagte er über diesen Horizont: »Man ist hier so durchtränkt von Azurblau, dass es einem fast Angst macht.« Das Blau ist in der Tat radikal. Es überstrahlt alles und lässt keine Alternative zu. Mir persönlich macht das keine Angst. Es erinnert mich vielmehr daran, dass bei allen negativen oder schwierigen Dingen, die einem im Leben widerfahren, doch immer auch Gutes passieren kann. Das hatte mir vor etwa elf Jahren mal meine Freundin Claire gesagt. Claire war mit Anfang 40 nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe an die Côte d’Azur gezogen und hatte sich hier einen neuen Beruf und ein neues Leben aufgebaut. Durch Claire habe ich die Côte d’Azur erst wirklich kennengelernt. Als einen Ort der Geschichten und der Kultur, wo Exzess und Reichtum zwar existieren, aber ein naturverbundenes Leben ohne täglichen Luxusrausch möglich ist. Dieses Blau, was immer es sonst noch bedeuten kann, für mich steht es immer auch für Hoffnung.
Trotzdem kann der Blick aus dem Fenster auch existenzielles Grauen in mir auslösen. Nämlich immer dann, wenn in den Sommermonaten gigantische Kreuzfahrtschiffe in der Bucht von Cannes haltmachen. Oft sind es zwei, manchmal sogar drei dieser schwimmenden Hochhäuser, die hier vor Anker liegen. Tausende von Touristen überschwemmen dann die Innenstadt. Das Wasser an den Stränden wird trübe und schmutzig, und der Himmel verdunkelt sich von den Wolken, die aus den Schornsteinen dieser Schiffe ausgestoßen werden. Als Übertourismus bezeichnet man dieses Phänomen. Zu viele Menschen besuchen einen Ort und zerstören dabei genau das, was sie hier suchen. Trotzdem sind diese Ungetüme in Cannes besser aufgehoben als an anderen Orten, die bis vor einigen Jahren noch gar keine Tourismusindustrie kannten. Mit Tourismus kennt man sich hier aus. Man weiß, wie man die verwirrt-neugierig und doch immer irgendwie misstrauisch dreinblickenden Menschenmassen in Freizeitkleidung und extrabequemen Schuhwerk durch die Gegend schleust und damit auch Geld verdient. Die Côte d’Azur kann als Vorreiter des Tourismus betrachtet werden und hat über die Jahrhunderte hinweg eine Infrastruktur dafür aufgebaut. In anderen Teilen Europas verbreitete sich das Konzept des »Gardinenwechsels« und der Gedanke, sich in einem fremden Land zu erholen und Kraft für den Alltag zu schöpfen, erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als Arbeitsgesetze weiten Teilen der Bevölkerung Zugang zu bezahltem Urlaub verschafften. Doch schon die römische Kaiserin Cornelia Salonia soll in das spätere Nizza gereist sein, um in den dortigen Heilbädern ihre Nerven wiederherzustellen. Die französische Filmemacherin Agnès Varda nennt in ihrem sehr unterhaltsamen Dokumentarfilm Côte de la Côte (1958) den französischen Kardinal Maurice de Savoy als den Erfinder des »Migrationstourismus«, weil dieser im 17. Jahrhundert im Alter von 50 Jahren höchst skandalös die Kirche verließ, um seine Nichte Louise-Christine zu heiraten. Auf der Flucht vor den bösen Zungen zog sich das Paar an die Côte d’Azur zurück und überwinterte hier. Statt Schneematsch und Eiseskälte fanden sie hier Palmen, Mimosen, Zypressen und Oleander. Vor allem Russen und Engländer folgten in den darauffolgenden Jahrhunderten ihrem Beispiel. Die Côte d’Azur wurde präferierter Ort für alle die, die dem kalten Winter des nördlichen Europas entkommen wollten.
Es war die Witwe von Zar Nikolai I., Alexandra Fjodorowna geboren als Charlotte von Preußen, die in den 1850er Jahren an die Côte d’Azur reiste, und zahlreiche russische Adelige taten es ihr nach. Ihr Enkel Nikolai, der Sohn von Zar Alexander II., war – wie so viele andere – hierher verschickt worden, weil er an Tuberkulose litt. ...
Erscheint lt. Verlag | 17.4.2024 |
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Illustrationen | Christian Werner |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Reisen ► Reiseberichte | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Technik | |
Schlagworte | Blau • Cannes • Côte d'Azur • Essays • Frankreich • Meer • Monaco • Natur • Reise • Sommer • Strand • St.Tropez • Urlaub • Wasser |
ISBN-10 | 3-8412-3493-3 / 3841234933 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3493-3 / 9783841234933 |
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