Das Fenster zur Welt (eBook)

Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
528 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12289-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Fenster zur Welt -  Sarah Winman
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»Es gibt nicht genug Superlative, um die Schönheit dieses Romans zu beschreiben.« Sunday Independent  Ulysses und Evelyn begegnen sich in einem italienischen Weinkeller und sprechen über Kunst und das Leben, zu einem Zeitpunkt, an dem die Schönheit in der Welt nicht leicht zu finden ist. Diese Begegnung knüpft zwischen ihnen ein lebenslanges Band der Freundschaft. Von den sonnenbeschienenen Hügeln der Toskana bis hin zum Londoner East End ist »Das Fenster zur Welt« ein lebensbejahender Roman über Schicksal, Liebe und Familie. Er ist ein junger britischer Soldat, sie ist eine sechzigjährige Kunsthistorikerin, die ihre geliebten Gemälde vor den Bomben des zweiten Weltkriegs bewahren will. Ein einziger Abend eröffnet Ulysses eine Sichtweise auf die Welt, die ihn für immer verändert. Nach dem Krieg kehrt er aus Florenz in seine Heimat London zurück, zu den alten Bekannten, die sich täglich in Col's Pub treffen. Dort wartet auch Peg, die Liebe seines Lebens, die ihr Herz aber an einen amerikanischen Soldaten verloren hat. Ulysses hofft auf einen Neuanfang. Da ihn seine Jahre in Italien nie loslassen, bricht er in ein ungewisses Abenteuer auf: ein Leben in Florenz. Im Gepäck hat er nicht nur Pegs Tochter Alys, sondern auch den alten Cress und den Papagei Claude. Sarah Winman hat einen warmherzigen, atmosphärischen Roman über Freundschaft und Schönheit geschrieben und darüber, dass es nie zu spät für einen Neubeginn ist, auch wenn man sich selbst dafür zu alt fühlt. »Die Seiten wimmeln von ungestümem, überschwänglichem Leben ... Der Roman hat Schwung, Charme und ein großes Herz.« Sunday Times »Satz für Satz, Figur für Figur wird Das Fenster zur Welt zur Poesie« New York Times Book Review »Ein Stärkungsmittel für das Fernweh und ein Heilmittel für die Einsamkeit. Es ist dieser seltene, liebevolle Roman, bei dem man dankbar ist, dass er einen mitgenommen hat.« The Washington Post »Voller unvergesslicher Charaktere und voller Atmosphäre ist Das Fenster zur Welt eine fröhliche, sommerliche Ode an die Liebe, die Kunst und die Poesie.« Mail on Sunday »Eine wunderbare, großzügige Geschichte über freundliche Herzen und verwandte Geister ... Einhoffnungsvoller, glücklicher, zutiefst menschlicher Roman'« Daily Mirror »Umwerfend, opulent und klug« The Times »Die schiere Freude an Sarah Winmans Erzählkunst ist ansteckend. Ich habe es geliebt, Zeit mit dieser unvergesslichen Gruppe von Charakteren in außergewöhnlichen Zeiten und an außergewöhnlichen Orten zu verbringen.« Graham Norton

Sarah Winman, geboren 1964 in Essex, studierte an der Webber Douglas Academy of Dramatic Art und arbeitete anschließend als Schauspielerin bei Theater, Film und Fernsehen. Für ihren Roman »Lichte Tage« erhielt sie international viel Anerkennung. Sarah Winman lebt in London.

Sarah Winman, geboren 1964 in Essex, studierte an der Webber Douglas Academy of Dramatic Art und arbeitete anschließend als Schauspielerin bei Theater, Film und Fernsehen. Für ihren Roman »Lichte Tage« erhielt sie international viel Anerkennung. Sarah Winman lebt in London. Elina Baumbach, geboren 1981 in Berlin, war viele Jahre als Englisch-als-Fremdsprachenlehrerin in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt tätig, bevor sie nach Deutschland zurückkehrte, um nochmals ein Studium aufzunehmen. Nach einem Bachelor-Abschluss in Amerikanistik/Anglistik und Kunstgeschichte an der Universität Augsburg absolvierte sie erfolgreich den Masterstudiengang "Literarisches Übersetzen" an der LMU München. Seit 2019 ist sie als freischaffende Literaturübersetzerin tätig und arbeitet außerdem als Lehrbeauftragte für Übersetzung an der Universität Passau. 2020 erhielt sie für die Arbeit an "Lichte Tage" von Sarah Winman das Stipendium "Junge Kunst & Neue Wege" des Freistaats Bayern.

Es war Anfang November, und Old Cressy starrte einen kleinen Zierbaum an. Eine Prunus Serrulata, eine Japanische Blütenkirsche. Niemand wusste, wer ihn gepflanzt hatte, denn in der Gegend gab es überwiegend Platanen, aber irgendein brillanter Kopf hatte einst eine brillante Idee gehabt und dem Bäumchen in einem Akt fröhlicher Rebellion hier ein Zuhause geschenkt. Oder vielleicht hatte ein Vogel vor langer Zeit den Samen ausgeschissen, der für dieses erstaunliche Phänomen verantwortlich war. Doch wer oder was auch immer der Grund war, der Baum war für Cressy zu einem Symbol alles Guten geworden.

Was ihn am meisten erstaunte, war, dass der Baum den Blitzkrieg überlebt hatte, sowie die Explosion einer V2-Rakete, die die Gaswerke zerstört hatte, was wiederum die Fenster der umliegenden Gebäude bersten ließ und straßauf, straßab Kohle zum Plündern versprengte. Zwischen dem Heulen der Sirenen und haushohen Flammen hatte Cressy eine Hand auf den Stamm gelegt und ihm versichert, dass das Schlimmste vorbei wäre, da es sonst nicht besonders viel in der Gegend gab, das sich zu bombardieren gelohnt hätte. Sogar die Kirche war schon nicht mehr.

Es war nach diesem letzten Akt der Zerstörung, dass Cressy es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich um den Baum zu kümmern. Ursprünglich – so hatte er gelesen – war er in den Wäldern Zentralasiens beheimatet, was Cress für eine beachtliche Reise hielt. In vielerlei Hinsicht war Cressy sehr tiefgründig. Also goss er ihn und sprach mit ihm, wann immer er vorbeikam. Es machte nichts, dass die Frucht, die der Baum trug, für ihn ungenießbar war, denn Kirschen verursachten ihm Bauchschmerzen. Das war schon immer so gewesen. Mit Äpfeln kam er besser klar.

Jedes Jahr im April, wenn dicke Büschel weißer und rosa Blüten schwer und niedrig hingen und zum Gesprächsthema der Nachbarschaft wurden, ging Cressy zielbewusst mit Zen und einem Glas Starkbier von Col in der Hand los und setzte sich unter den blühenden Baum, um ganz bewusst die japanische Hanami-Tradition zu pflegen. Davon hatte er in der Bibliothek gelesen. Die Leute, die vorbeikamen, lachten, doch Cress schloss die Augen und lauschte dem Gesang des Windes in den Blüten. Nichts mehr existierte, außer dieser Moment. Kirschblüten und Starkbier. Schwer zu übertreffen.

Old Cress war nie Young Cress gewesen. Er kam als Alfred Cresswell zur Welt und wurde aufgrund seines frühzeitig kahl werdenden Schädels schon bald zu Egg. Frei nach der kulinarischen Vereinigung von Eiern und Kresse auf Toast folgte der Spitzname Egg ’n’ Cress, doch letztendlich blieb einfach nur Cress hängen. Er konnte alles reparieren, alles finden und war jedermanns Mädchen für alles. Erst mit dreißig hatte Cress lesen gelernt. Viel Scham steckte in dieser verlorenen Zeit.

Peg hasste den Winter. Sie hasste den Geruch von feuchter Wolle und Kohlenrauch. Sie hasste Nächte, die um drei Uhr nachmittags begannen, und Tage, die kaum ihren Kopf vom Kissen hoben. Sie hasste das immer gleiche Lied, das der Winter sang. Sie hasste die Trümmergrundstücke und die Entbehrung und die Spiegel, die niemals logen. Sie hasste Zeitschriften, die das Leben in Amerika zeigten, mit weiten Ebenen und schicken Autos und dem Schriftzug Hollywood, der die Menschen von Größerem träumen ließ. Sie hasste die sonnengebräunten Frauen mit ihren riesigen Sonnenbrillen vor ihren riesigen, weiß eingezäunten Häusern und die Werbeanzeigen für Zigaretten mit knurrigen Cowboys und rotlippigen Schönheiten. Sie hasste Eddie Claytons Verschwinden vor zwei Jahren. Sie hasste den Wind, der ihre Zähne klappern ließ, und sie hasste es, dass der Sommer noch viel zu weit weg war und dass Weihnachten zwischen ihr und einem weiteren Jahr stand.

Als sie die Treppe herunterkam, verhakte sie sich mit ihrem Strumpf und ließ sich auf die unterste Stufe plumpsen. Peggy weinte nie, denn sie hatte keine Tränen mehr, doch das bedeutete nicht, dass sie nichts fühlte. Manchmal fühlte sie das Verlangen zu sterben, aber wer will das schon hören?

Klack, klack, klack, die Straße entlang. Peggys Song.

»Alles klar, Peg?«, fragte Old Cress unter seinem Baum.

Peg nickte und ging weiter.

»Es ist nie so schlimm wie …«

»Es ist beschissen heute, Cress. Spar dir die Mühe.«

Col stand in der Tür zum Pub und rauchte. Ach, die Einsamkeit in seiner Seele. Sie manifestierte sich als Säurereflux, und der Winter brachte ein unaufhörliches Brennen in seiner Speiseröhre zusammen mit dunklen, diesigen Tagen und einem diesigen Verlangen nach der Frau, die seine Ehefrau gewesen war. Agnes Agnew mit hugenottischen Genen und Namen war für Col ein Quantensprung gewesen. Wer war er damals, und wer war er jetzt? Weiter war er auf den Umwegen seiner existenziellen Grübeleien nicht gekommen. Er wusste, dass etwas schiefgelaufen war, aber er wusste beim besten Willen nicht, wie er es wieder in Ordnung bringen sollte.

Agnes war immer noch irgendwo da draußen. Auf einem Felsbrocken Schafe hüten, oder vielleicht Ziegen. Die Leute hätten mehr Mitleid mit ihm gehabt, wäre sie gestorben, und das hätte ihm gefallen, ein bisschen mehr Mitleid. Gott sei Dank hatte er Ginny, um ihn auf dem rechten Weg zu halten. Ach, Ginny. Mittlerweile ähnelte sie Agnes. Cressy fand sie faszinierend, und sie war faszinierend, so lange, bis sie ihren Mund öffnete und zum Kleinkind wurde. Ginny machte sich ständig aus dem Staub (die Säure beginnt zu brodeln, wenn er daran denkt, wie oft sie verschwindet). Während des Blitzkriegs hatte sie ein paarmal Unfug angestellt – er hatte sie knutschend mit einem Matrosen erwischt. Der Matrose wollte nicht verstehen, als Col auf ihn einschlug und immer wieder sagte: »Sie ist erst zehn, du Arschloch.« Und so verbrachte der Matrose seinen Landurlaub im Krankenhaus.

Col wickelte ein Pfefferminz aus. Heftige Blähungen bahnten sich gleich einem Güterzug ihren Weg durch seinen Dünndarm.

So sah das London aus, in das Ulysses zurückkehrte. Winter 1946, zwei Monate bevor die Schneestürme kamen. Eine graue Stadt, die am Hungertuch nagte, wie ein alter Kerl vor der Suppenküche, aufrecht, aber abgehalftert.

Ulysses nahm den Bus Richtung Osten, stieg in der Kingsland Road aus und lief neben dem hastenden Verkehr zu dem Trümmergrundstück, das einst die Werkstatt seines Vaters gewesen war. Cressy hatte ihn vor dem Anblick gewarnt und ihm einen Brief im Telegrammstil nach Nordafrika geschickt:

Ulysses. STOP. Werkstatt deines Vaters getroffen. STOP. Ein Globus und Kupferplatten gerettet. STOP. Keine Toten. STOP. Hoffe Afrika ist interessant. STOP. Cress.

Es stimmte, sein Vater war nicht bei dem Bombardement ums Leben gekommen. Er war einige Jahre zuvor an seltenem Blutkrebs gestorben.

»Wenigstens ist es nicht meine Lunge«, hatte er gesagt, als sie zusammen das London Hospital verließen.

Zwei Wochen später bestellte man ihn wieder ins Krankenhaus.

»Es ist Ihre Lunge«, wurde ihm gesagt.

Sein Vater, Wilbur, glaubte, er würde ›diesen Krebs‹, wie er es nannte, besiegen. Er glaubte das mit derselben unangebrachten Gewissheit, dank derer er zu seinen Lebzeiten Tausende von Pfund und ein paar enge Freunde verloren hatte. »Das Glück ist auf meiner Seite, Junge, das spür ich«, sagte er. Das Rezept für Desaster schlechthin.

Es war September, als sie zu Tubby Folgates gingen, um eine letzte Wette abzuschließen, die folgendermaßen lautete: Sein Vater würde das neue Jahr noch erleben. Tubby lachte und meinte, er würde ihm bessere Quoten für eine weiße Weihnacht bieten.

Am gleichen Abend saßen sie in dem kleinen, von Ziegelmauern umgebenen Hof. Keiner wusste, was er zum anderen sagen sollte. Mrs Ashleys Sopranstimme drang aus dem benachbarten Klo, und sie gab sich jede Mühe, die bevorstehende Abschiedsszene zwischen Vater und Sohn mit rührender Zärtlichkeit auszuschmücken. So feinfühlig.

Wilbur holte sein Notizbuch hervor und sagte mit leiser Stimme: »Ich hab die Zahlen durchgesehen, Junge, und die Rechnung geht auf.« Sein schmaler Finger glitt über die Seite und folgte dem unleserlichen Mysterium der Wahrscheinlichkeit. »Siehst du?«, fragte er. Und dann stach er mit seinem Finger in den nächtlichen Himmel und entblößte seine erschreckend transparente Haut.

»Schau«, sagte er.

Und plötzlich lichtete sich der Nebel, als ob der Himmel nur für ihn einen Vorhang öffnete. Derselbe schmale Finger glitt über das Himmelsgewölbe, über Konstellationen in all ihrer Besonnenheit und mit all ihren Hoffnungen. Und der Spieler als Philosoph sagte: »Ich habe unter dem launenhaften Lauf planetarischen Abenteuers gelebt, und ich hatte lange, dunkle Nächte, als die Sirenen heulten. Aber sobald die Sterne günstig stehen und frischer Wind dich von einem süßen Morgen grüßt, dann wird aus Rätseln Offenbarung und aus glücklicher Fügung Liebe …«

Nora steckte ihren Kopf aus der Haustür.

»Was erzählt er da, Schatz?«

»Keine Ahnung, Mum. Ich glaube, das ist das Morphium.«

»… und am Ziel seines Flugs lässt sich Tausende Kilometer von zu Hause entfernt ein kleiner Vogel nieder, mit Hitze im Gefieder und in stiller Freude über die Kunst seiner Navigation.«

Wilbur verwelkte. Noch im selben Monat begann seine Lunge zu rasseln wie ein altersschwacher Heizkessel, und er wurde Zähne und Knochen und Essenz. »Alles auf Schwarz«, waren seine letzten Worte. Er starb mitten in der Nacht auf dem Sofa unten im Wohnzimmer.

Ulysses hielt in einem Sessel neben ihm Nachtwache, und als er sich zu seinem Vater drehte, lag dieser in Licht getaucht auf dem Bett. Der Schein einer Straßenlaterne hatte sich zwischen den Vorhängen hereingeschlichen und den alten Jungen...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2024
Übersetzer Elina Baumbach
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-608-12289-3 / 3608122893
ISBN-13 978-3-608-12289-3 / 9783608122893
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