Das Büro für Vorahnungen -  Sam Knight

Das Büro für Vorahnungen (eBook)

Die Geschichte eines außergewöhnlichen Experiments

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3178-9 (ISBN)
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Der Überraschungsbestseller über die Wissenschaft des Paranormalen.

Im März des Jahres 1967 sagt der Telefonist Alan Hencher einen Flugzeugabsturz im Mittelmeerraum mit 123 oder 124 Toten voraus. Genau 30 Tage später wird eine Bristol Britannia am Flughafen Nikosia, Zypern, in den Boden geflogen. 124 Menschen sterben sofort. Diese wahrgewordene Prophezeiung ist der erste von vielen »Erfolgen« des »Büros für Vorahnungen«, das in den 1960er Jahren unter der Leitung des Psychiaters John Barker Vorahnungen, Prophezeiungen, Träume und Visionen zahlreicher Menschen sammelt, um sie wissenschaftlich nutzbar zu machen. Denn Alan Hencher ist nicht der einzige beunruhigend Begabte unter den Informanten des Büros ...

Sam Knights Buch bewegt sich zwischen Schicksal und Zufall, lotet die Grenzen der Wissenschaft und unseres Verstandes aus - und konfrontiert uns mit unserer ureigenen Angst vor dem Paranormalen. 

»Ein fulminantes, beunruhigendes Buch, großartig geschrieben und tiefgründig.« Patrick Radden Keefe.

»Wunderschön geschrieben, menschlich und allumfassend.« Hilary Mantel.

»Ich habe dieses faszinierende Buch geliebt.« Emma Cline.



Sam Knight wuchs in London auf und arbeitete nach seinem Studium für die Times, die er 2007 verließ. Danach erschienen seine journalistischen Arbeiten in Harper's, der Financial Times, der New York Times und dem Guardian. Heute ist er Mitarbeiter des New Yorker. Für seine journalistische Arbeit stand er auf der Shortlist für den Orwell Prize 2018. Regina M. Schneider ist Amerikanistin und Literaturübersetzerin aus dem Englischen (darunter Werke von Anita Desai und Slavoj ?i?ek und Biografien u. a. von Michael Moore, Rose McGowan und dem Dalai Lama). Für ihre Arbeit erhielt sie mehrere Stipendien und Auszeichnungen. Daneben ist sie Dozentin für deutsche Sprache.

I.


Die Musikschule. Ein einfaches Reihenhaus mit einer Fassade aus Kieselrauputz an einer der Hauptstraßen, die aus London hinaus nach Norden führen. Mit Vorhängen aus Spitze und schön gepflegten Rosensträuchern unterhalb der Erkerfenster, ein Blendbogen aus rotem Backstein umrahmt die Eingangstür. Links daneben prangt ein schwarzes Schild mit goldenen Lettern in einer bunten Mischung an Schriftarten:

Miss Lorna Middleton

Teacher of Pianoforte &

Ballet  Dancing

69 Carlton Terrace – New Cambridge Road

Kaum einer nannte sie Lorna. Ihr bevorzugter Vorname war Kathleen, ihre Briefe unterschrieb sie mit Kathy oder Kay. Und für fast alle, die sie kannten, war sie ohnehin Miss Middleton. Sie spielte wunderschön Klavier, mit ihren kleinen Händen, hatte dunkle, wellige Haare, vorstehende Zähne, dazu einen ausgeprägten New England-Akzent sowie ein gewisses Maß an natürlicher Ausstrahlung, womit sie im Edmonton der Nachkriegszeit auf viele eine eigentümliche Faszination ausübte. Die Schülerinnen und Schüler begannen schon im Alter von drei bis vier Jahren mit dem Unterricht bei ihr. Und viele behielten sie ihr Leben lang als eine einzigartige Persönlichkeit in Erinnerung.

Miss Middleton kam nie einfach nur so in einen Raum oder stand gewöhnlich herum. Alles war Bewegung. Alles war Pose. Das Konzept ihrer Schule, so ihr erklärter Anspruch, hatte vieles gemein mit dem Unterricht am renommierten Trinity College, an der Guildhall und der Royal Academy. Jede ihrer Übungsstunden begann damit, dass sie den Teppich im vorderen Salon aufrollte und sämtliche Stühle aus dem Weg schob, während sechs Mädchen und ab und zu auch ein Junge hereindefilierten, sich einen Platz suchten, um, auf ein Bücherbord gestützt, ihr Port de Bras zu üben. Miss Middleton saß dabei am Klavier, mit dem Rücken zu ihren Schülern, griff in die Tasten und wiegte sich im Takt der Musik. Das Mobiliar ringsum war dunkel und recht gediegen. Unter dem Fenster stand ein Ledersofa mit Zierbeschlägen aus Messing, ein Hinweis auf ererbten Reichtum, der nicht so recht passen wollte zu den billigen Fotoabzügen an der Wand, mit Kavalieren und genierlichen Schönheiten aus dem 18. Jahrhundert. Auch der Papieraushang, der an der Vitrine klebte und vor Fehlstunden oder Zahlungsverspätungen warnte, brach das Bild. Draußen im Flur wartete stets bereits die nächste Klasse, saß auf der Treppe, um Miss Middletons kleiner, grimmiger Mutter Annie nicht im Weg herumzugehen, die einst wohl eine wahre Schönheit gewesen war und, so munkelte man, eine Kurtisane in Paris.

Miss Middleton nannte ihre Schüler die »Merry Carltons«. Mehrmals im Jahr inszenierte sie ambitionierte Schulaufführungen, die sie jedes Mal in nervöse Anspannung versetzten. Annie nähte die Kostüme, während Miss Middleton mit bis zu 40 Kindern probte, Musikstücke sowie ein Ensemblespiel einstudierte, das von allen zusammen aufgeführt werden sollte – eine musikalische Komödie etwa. Dafür hegte sie eine große Leidenschaft. Während der Proben zu diesen Aufführungen bekamen die »Merry Carltons« mehr als einmal zu hören, dass Miss Middleton selbst einst eine große Karriere als Tänzerin gehabt hatte. Der vordere Salon hing voll mit alten Auftrittsprogrammen, auf denen jeweils sämtliche Datumsangaben sorgsam entfernt worden waren. Darunter war ein Zeitungsausschnitt aus der Zeit, als sie an den Theatern rund um den Boston Common Park getanzt hatte, vor fünfzigtausend Zuschauern. Und auch das Foto einer jungen Frau, die ein Grand Jeté springt, aufgenommen von einem »Bruno von Hollywood«.

Aber all das verlor sich im Nebulösen. Miss Middletons Schülerinnen und Schüler teilten deshalb lediglich das diffuse Gefühl von etwas Großem, das nie geschehen war, und von verborgenen Ambitionen ihrer Lehrerin, die ihre eigenen weit übertrafen. Oft trennte sich Miss Middleton von ihren Schülerinnen und Schülern, sobald sie ins Teenager-Alter kamen und anfingen, den Unterricht weniger ernst zu nehmen. Was ihren Eleven auch auffiel, war, dass sie ihre Lehrerin außerhalb von Hausnummer 69 kaum je zu Gesicht bekamen. Sie schien nicht einmal einkaufen zu gehen. Dafür schnappten sie allerlei Gerede über sie auf, wonach ihr amerikanischer Akzent eventuell nur vorgespielt oder aufgesetzt sei. Miss Middleton war nicht alt (wie alt genau, wusste niemand so recht), und dennoch war offensichtlich, dass ihre großen Hoffnungen der Vergangenheit angehörten, dass ihre wahren Träume unerfüllt geblieben waren.

In späteren Jahren stellte Miss Middleton eine Liste mit musikdidaktischen Anleitungen zusammen. Für wen sie diese schrieb, blieb unklar. Regel No. 5 ist an Lernende gerichtet: »Nicht nach Gehör spielen.« Regel No. 7 an Lehrende: »Möglichst früh mit der Oktavenlehre beginnen.« Unter Regel No. 9 stand nichts. Viele dieser Regeln waren keine wirklichen Regeln, sondern beschrieben Miss Middletons Erfahrungen und persönliche Ansprüche:

12. Möglichst präzise spielen und dabei auch immer daran denken, dass Lehrer wie Schüler Kopfschmerzen bekommen und die Geduld verlieren können.

22. Es gab mal einen Schüler, der beim Üben Handschuhe trug.

26. Nicht ständig alles wiederholen.

*

An einem kalten Wintertag, als Miss Middleton ungefähr sieben Jahre alt war, kam sie zum Mittagessen von der Schule nach Hause und sah zu, wie ihre Mutter am Herd stand und Spiegeleier briet. »Nach etwa zwei Minuten, aus heiterem Himmel, stieg eines der Eier in die Luft, wie von selbst, schwebte nach oben, immer höher, bis fast an die Decke«, schrieb Miss Middleton in ihren selbstpublizierten Memoiren, die 1989 erschienen. Sie geriet ganz aus dem Häuschen und rannte zurück in die Schule, um ihren Freund:innen davon zu erzählen. »Nachdem ich die Geschichte tausendmal erzählt hatte, warteten alle förmlich darauf, dass auch ich gleich abheben und in die Wolken fliegen würde«, schrieb sie. Ihre Mutter Annie hingegen bekam es mit der Angst zu tun. Sie wandte sich an eine Wahrsagerin, von der sie erfuhr, dass ein Ei, das der Pfanne entschwebt, für den Tod eines geliebten Menschen steht. Wenige Wochen später starb eine von Annies besten Freundinnen, die frisch verheiratet war und in ihrem Brautkleid zu Grabe getragen wurde.

Plötzliche Ahnungen oder Eingebungen, in der ein oder anderen Form, hatte Miss Middleton zeitlebens. »Wie sich das genau anfühlte oder auch heute noch anfühlt, kann ich nicht sagen«, schrieb sie, verglich es aber mit dem Gefühl, bereits im Vorhinein die Antworten zu einer Klausur zu kennen. Namen oder Zahlen tauchten einfach vor ihr auf. »Ich werde gleichsam hineingesogen in diese Dinge, wie von einem gleißend hellen Licht, einer Glühbirne.« Einmal, als Elfjährige, verspürte sie den unwiderstehlichen Drang, ihren Klavierlehrer anzurufen, einen jungen Deutschen, der unlängst erst wegen psychischer Probleme in einer Klinik gewesen war. Sie gab keine Ruhe, bis ihre Eltern schließlich nachgaben und es ihr erlaubten. Sie erfuhr, dass er sich in seiner Wohnung vergiftet hatte. »Kann sein, dass das Schicksal zugeschlagen hatte und seine Zeit gekommen war«, sinnierte sie. »Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass, hätte ich ihn noch erreicht, er wie immer zum Abendessen bei uns gewesen wäre, und wir hätten alle Probleme besprechen können.«

Miss Middleton war ein Einzelkind mit der Gabe, andere Welten zu erfühlen, die ihr in besonderer Weise zugänglich und verständlich waren. »Alles passiert immer genau so, wie ich es vorhersehe«, schrieb sie an eine Cousine. Ihre Mutter war davon jedoch nicht sehr angetan und bat sie, doch endlich damit aufzuhören, irgendwelche Vorhersagen zu machen.

Miss Middleton betrachtete ihre Kindheit als die glücklichste Zeit ihres Lebens. Sie erzählte gerne von dem »großen Haus mit seinen zwölf Zimmern«, in dem sie als Kind gewohnt hatte, und davon, wie ihr Vater »eine Stelle in Amerika angeboten bekam«. Die Wahrheit aber war weit weniger rosig. Annie und Henry, ihr Vater, waren beide aus England. Henry stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Seine Familie besaß eine Möbeltischlerei sowie 30 Liegenschaften in den Bezirken Islington und Hackney im Norden von London. Annie wuchs mit fünf Geschwistern in Liverpool auf. Kennengelernt hatten sich die beiden in Paris, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Auf einem Schiff namens ...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2024
Übersetzer Regina M. Schneider
Sprache deutsch
Original-Titel The Premonitions Bureau. A True Account of Death Foretold
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Außergewöhnliche Ereignisse • Experiment • Forschung • Paranormales • Parapsychologie • Präkognition • Prophezeiung • Psychologie • Übernatürliche Fähigkeiten • Übernatürliches • Vorhersagen • Weissagung • Wissenschaft • Wissenschaft des Übernatürlichen • Wissenschaftsgeschichte
ISBN-10 3-8412-3178-0 / 3841231780
ISBN-13 978-3-8412-3178-9 / 9783841231789
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