Das falsche Blut (eBook)
347 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3143-0 (ISBN)
Philipp Gravenbach, geboren 1978 in St. Pölten, lebt und arbeitet nach vielen schönen Jahren in Berlin seit einiger Zeit wieder in seiner beschaulichen Heimatstadt in Österreich. Das Herz des promovierten Juristen schlug schon immer leidenschaftlich für das fiktionale Schreiben. Sein Erzählen ist geprägt von komplexen und vielschichtigen Figuren und einer bildhaften Sprache, die stets einen ganz eigenen Sog entwickelt.
Philipp Gravenbach, geboren 1978 in St. Pölten, lebt und arbeitet nach vielen schönen Jahren in Berlin seit einiger Zeit wieder in seiner beschaulichen Heimatstadt in Österreich. Das Herz des promovierten Juristen schlug schon immer leidenschaftlich für das fiktionale Schreiben. Sein Erzählen ist geprägt von komplexen und vielschichtigen Figuren und einer bildhaften Sprache, die stets einen ganz eigenen Sog entwickelt.
10
Wie immer empfing Faisal Bozkurt die Gäste in seinem persönlichen Hammam im Untergeschoss des beeindruckenden Stadtpalais im Quartier Latin, das er seit mehreren Jahren bewohnte. Der korpulente Chef der türkischen Mafia von Paris war an die Hitze und die enorme Luftfeuchtigkeit in diesem türkischen Bad seit Langem gewöhnt – ganz im Gegensatz zu den meisten seiner Gäste. Dieser eher psychologische Verhandlungsvorteil war aber nicht der einzige Grund, weshalb er kaum an einem anderen Ort zu einem Treffen zu bewegen war: Es war mehr oder weniger unmöglich, irgendwelche Waffen zu verstecken, wenn man mit nichts weiter als einem Handtuch bekleidet war.
Als Ishikli Caner in der Umkleide den Sport-BH öffnete und ihren Slip auszog, drehte Raschid sich blitzschnell zur Seite.
Ishikli zog die linke Augenbraue nach oben. Sie schlang sich das weiße Handtuch um den Körper.
»Nichts, was du nicht schon gesehen hättest«, sagte sie.
Raschid wickelte sein eigenes Handtuch um die Hüften und drehte sich wieder um. Er lächelte verlegen.
»Abgesehen von den vier Narben auf deiner Schulter und der Schussverletzung unter deinem rechten Busen, hast du recht«, sagte er. »Ich kann einfach noch immer nicht wirklich damit umgehen, dass du von einer Sekunde auf die andere wieder aufgetaucht bist. Du warst drei Jahre lang wie vom Erdboden verschluckt!«
»Ich hatte zu tun«, sagte Ishikli. »Außerdem: Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hast du mich damals abserviert, nicht umgekehrt.«
Raschid lachte kurz auf.
»Dein Bruder hatte damit gedroht, mich umzubringen!«, presste er heraus.
Sie trat an Raschid heran, legte ihm zärtlich ihre Hand auf die Wange. »Danke, dass du mir hilfst.«
Raschid küsste ihre Handfläche.
»Immer. Das weißt du«, sagte er. »Auf in den Kampf?«
Ishikli nickte.
Der private Hammam von Faisal Bozkurt war einer der prächtigsten, die Ishikli jemals zu Gesicht bekommen hatte: Der Hauptraum maß mindestens zwanzig Meter im Quadrat, seine Decke getragen von zahlreichen Gewölben, die auf strahlend weißen marmornen Säulen ruhten. Jede der Kuppeln war wiederum mit kunstvollen Mosaiken verziert, die Szenen der Geschichte von Scheherazade darstellten – jener Sklavin, die der Vergewaltigung durch den Herrscher dadurch entging, dass sie ihn mit Erzählungen und Märchen fesselte, tausend und eine Nacht lang. Die Wasserbecken waren in einem Achteck um das Zentrum herum angeordnet, ihre Ränder ebenfalls mit filigranen Einlegearbeiten verziert. Der Dampf und das goldfarbene Licht verliehen der Szenerie beinahe etwas Mystisches.
Faisal saß nackt, flankiert von zwei Leibwächtern und einem weiteren, deutlich kleineren Mann, auf der Marmorbank neben dem Hauptbecken. Ein Grinsen, das wirkte, als würde es von einem Ohr zum anderen reichen, lag auf seinem breiten Gesicht. Schweiß tropfte von seinem kahl rasierten Kopf und fing sich in den buschigen grauen Augenbrauen. Mit einer freundlichen Geste lud er Raschid und Ishikli ein, auf der gegenüberliegenden Bank Platz zu nehmen.
»Als ich dich zum letzten Mal gesehen habe«, wandte er sich mit tiefer Stimme an Ishikli, »hast du mit deinem Bruder zusammen noch Drogen auf den Straßen von Istanbul verkauft.« Er lachte ein heiseres, sehr durchdringendes Lachen, das seinen ganzen massigen Körper erbeben ließ. »Und jetzt sieh dir an, was aus dir geworden ist! Wie lange ist das inzwischen her? Vierzehn, vielleicht fünfzehn Jahre?«
»Siebzehn«, sagte Ishikli. Sie senkte ihren Blick zu Boden, versuchte, ihre Kräfte zu sammeln. »Faisal«, begann sie und bemühte sich, ihren Worten Entschlossenheit zu verleihen, »ich will deine Gastfreundschaft nicht länger strapazieren als unbedingt notwendig. Ich brauche …«
»Du brauchst?«, unterbrach Faisal sie schneidend, kaum hörbar. »Du hast wirklich Nerven, hier aufzutauchen und mich um einen Gefallen zu bitten!«
Ishikli zuckte zusammen wie ein geprügelter Hund, verschränkte die Arme vor der Brust und krümmte ihren Oberkörper nach vorne.
»Faisal«, bemühte Raschid sich, etwas Spannung aus der Luft zu nehmen. »Hör sie doch erst einmal an!«
Faisal funkelte den Araber an.
»Ist schon gut«, flüsterte Ishikli und legte Raschid sanft die Hand auf die Schulter.
Sie stand auf, kniete sich direkt vor Faisal auf den Boden und senkte ihren Kopf.
»Ich bin nicht gekommen, um dich um einen Gefallen zu bitten«, begann sie mit fester Stimme. »Ich bin gekommen, um dir einen Handel vorzuschlagen.«
Faisal schwieg für ein paar Sekunden. Dann griff er nach vorne und zog Ishiklis Kopf langsam an ihrem Kinn nach oben, bis sie ihm direkt in die Augen blickte.
»Dein Onkel hat immer noch ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar auf dich ausgesetzt«, zischte er. »Sag mir einen einzigen guten Grund, warum ich es mir nicht holen sollte.«
»Bülent«, sagte Ishikli leise, aber sehr deutlich. »Ist das Leben deines einzigen Sohnes fünf Millionen wert?«, setzte Ishikli nach.
Faisal ließ sie los und lehnte sich wieder zurück. Sein Unterkiefer bewegte sich langsam hin und her.
Ishikli konnte beinahe körperlich spüren, wie sehr es in diesem Moment in dem Türken arbeitete.
»Du hast recht«, sagte er. »Bülent wäre ohne dein Eingreifen vermutlich nicht mehr am Leben.«
Ishikli setzte sich wieder auf die Bank.
»Dann betrachte deine Schuld als eingelöst«, sagte sie.
Erneut nickte Faisal. »Was willst du dafür?«
»Informationen«, sagte Ishikli.
Faisal lachte auf.
»Warum sollte ich dir vertrauen?«, schnappte er. »Du hast deine gesamte Familie verraten, hast dich selbst an den deutschen MAD verkauft und alle betrogen, die dir jemals vertraut haben!«
Jetzt hatte sie ihn endlich dort, wo sie ihn haben wollte.
Ishikli hob den Blick, senkte die Lider ein wenig und sagte kühl: »Genau deshalb.« Sie ließ bewusst ein paar Momente verstreichen, ehe sie fortfuhr: »Weil ich beabsichtige, es wieder zu tun. Mit dem Wissen, das ich über die Organisation meines Onkels besitze, und den Möglichkeiten, die mir als Agentin des deutschen MAD zur Verfügung stehen, kannst du ihn endgültig fertigmachen. Du kannst den mächtigen Ishmail Gübkal fertigmachen und selbst Kapo von Istanbul werden. Und wer Istanbul kontrolliert …«
» … kontrolliert die Türkei«, vollendete Faisal ihren Satz. Nachdenklich kratzte er sich am Hals. »Einverstanden«, sagte er schließlich. »Wenn du mich verarschst, werde ich dich finden. Dich und alle, die dir jemals lieb und teuer waren.«
»Ich weiß«, sagte Ishikli trocken. »Allerdings habe ich vor, zu meinem Wort zu stehen.« Der Gedanke daran, ihrem Onkel mit Faisals Hilfe ein für alle Mal all seine Grausamkeiten heimzahlen zu können, legte sich mit wohliger Genugtuung über ihr Herz, auch wenn sie wusste, dass sie drauf und dran war, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.
»Was willst du wissen?«, erkundigte sich Faisal.
Ishikli zeigte ihm das Foto der verschollenen Mossad-Agentin, das sie bislang in der Hand gehalten hatte. Die Gesichtszüge der Frau wirkten auf der Aufnahme seltsam artifiziell, beinahe so, als wären sie in irgendeiner Form modelliert worden – doch immerhin war sie dadurch vermutlich auch leicht wiederzuerkennen.
»Wer ist diese Frau?«, fragte Ishikli.
Faisal runzelte die Stirn. Er winkte den schmächtigen Mann, der die ganze Zeit über regungslos hinter ihm gestanden hatte, heran und zeigte ihm die Aufnahme. Der Mann flüsterte Faisal etwas ins Ohr, verschränkte die Hände vor seinem Becken und trat wieder zurück.
»Eine Illegale aus Syrien«, sagte Faisal. »Wir haben sie vor etwas mehr als einem Jahr rübergebracht. Arbeitete in einer unserer Nähereien. Vor ein paar Tagen haben wir dann wieder ein Kind verkauft. Irgendwie muss diese Frau Wind davon bekommen haben, obwohl es ja an sich kein außergewöhnlicher Vorgang ist. Bei der Kleinen jetzt ist sie aber komplett durchgedreht und seitdem verschwunden.«
Ishikli kniff die Augen zusammen.
»An wen habt ihr das Mädchen verkauft?«
»Wir erhalten unsere Zahlungen über eine Offshore-Firma auf den Cayman Islands«, sagte er. »Danach bringen wir die Ware in eine verlassene Fabrik in Clichy und kümmern uns nicht weiter drum. Ich habe keine Ahnung, wer die Käufer sind.«
Ishiklis Brustkorb verkrampfte sich, als hätte man Stahlbänder darübergelegt, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Wie viele von den Kindern habt ihr verkauft?«, fragte sie mit brüchiger Stimme.
Erneut gab Faisal sein kehliges Lachen von sich.
»Keine Ahnung!«, sagte er. »Ein paar Dutzend vielleicht? Aber diese Leute interessieren sich zum Glück nicht nur für die Kids, sondern auch für die Erwachsenen, die wollen sie allerdings eher … mieten.«...
Erscheint lt. Verlag | 30.5.2024 |
---|---|
Reihe/Serie | Ishikli-Caner-Serie | Ishikli-Caner-Serie |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | action • Assassinen • Asyl • Ausbeutung • Clan • Ermittlerin • Erpressung • Experiment • Geheimdienst • Impfung • Kinder • Kinderhandel • Medikamententest • Menschenversuch • Migration • Pharmaindustrie • Pharmakonzern • Politik • Thriller • Virus • weibliche • Zwangsarbeit |
ISBN-10 | 3-8437-3143-8 / 3843731438 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3143-0 / 9783843731430 |
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