Eine grenzenlose Welt - Aufbruch -  Sonja Roos

Eine grenzenlose Welt - Aufbruch (eBook)

Roman - Die packende Auswanderer-Saga 1

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30087-6 (ISBN)
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Vier junge Auswanderer suchen ihr Glück in der Neuen Welt ...
Hamburg 1892: Während eine Choleraepidemie in der Stadt wütet, verlassen die junge Marga und ihre Cousine Rosie ihre Heimat für immer. Auf einem Auswandererschiff wagen sie die Fahrt nach Amerika in der Hoffnung auf ein Leben fern von Not und Armut. Während der langen Reise schließen die beiden Freundschaft mit zwei jungen Männern, Simon und Nando, die wie sie auf ein besseres Los in der Neuen Welt hoffen. Die vier beschließen, gemeinsam in New York das Glück zu suchen. Doch dann kommen Rosie und Simon einander näher. Ihre aufkeimende Liebe, aber auch dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit treiben einen Keil zwischen die Freunde, und die Gruppe droht schon bald nach der Ankunft zu zerbrechen ...

Sonja Roos, 1974 geboren, wuchs in einem kleinen Dorf im Westerwald auf. Sie studierte Germanistik und Anglistik und arbeitete als Redakteurin und Kolumnistin bei der Rhein-Zeitung. Sonja Roos lebt heute mit Mann, drei Töchtern und einem Hund in ihrer alten Heimat, dem Westerwald.

1


Hamburg, August 1892


Hamburg stank zum Himmel in diesem Sommer. Es roch nach dem fauligen Wasser aus den innerstädtischen Kanälen, den Fleeten. Es roch nach dem Chlor der Desinfektionsmittel, die großzügig von Zweimanngespannen mit Handkarren dort verteilt wurden, wo es Ausbrüche gab. Und es roch nach der Angst der Menschen, die sich bange fragten, wen die Seuche als Nächstes holen würde. Die Mittagshitze lag dabei wie ein träges, vollgefressenes Raubtier über der Stadt, ließ die Luft flirren und die wenigen Passanten, die unterwegs waren, leise stöhnen.

Das pralle Bündel Hemden, mit dem Marga Stahl sich abmühte, wog deshalb heute besonders schwer. Wie jeden Freitag hatte sie neue Wäsche bei Kreipes Schneiderei zum Ausbessern abgeholt. Mama war eine gute Näherin und konnte sie beide mit dieser Arbeit einigermaßen über Wasser halten. Marga hingegen war lange nicht so geschickt mit Nadel und Faden, doch sie versuchte anderweitig zu helfen, wo es ging. Mit solchen Botengängen zum Beispiel.

Sie blieb einen Augenblick stehen, um Atem zu holen. Zum Glück hatte Frau Kreipe ihr einen Fahrschein für die Pferdebahn geschenkt. Der fast einstündige Fußmarsch zurück in die Gängeviertel wäre mit dieser Last und bei den Temperaturen kaum zu bewältigen.

Von Weitem sah sie das Gespann, das der Haltestelle entgegentrabte. Trotz ihres Gepäcks begann Marga nun zu rennen. Keuchend erreichte sie zeitgleich mit der Bahn den Haltepunkt. Der Schaffner schob die Tür auf, doch bedeutete ihr hektisch, stehen zu bleiben. Dann trugen er und der Fahrer eine junge Frau heraus. Die beiden Männer hatten sich Tücher um Mund und Nase gebunden, während einer die halb Bewusstlose unter den Armen gegriffen hatte und der andere die Beine umfasste. Das Mädchen, das kaum älter als sie selbst sein konnte, stöhnte leise. Der Fahrer brachte sie zu einer Bank, wo sich die offenkundig Kranke schwerfällig niederließ, während der Schaffner den Boden der Bahn mit einem Eimer Lysol abspülte. Die wenigen anderen Fahrgäste hatten sich so lange wartend draußen aufgestellt, bis das Wasser mit dem chlorhaltigen Desinfektionsmittel die Stufen herabtroff, dann stiegen sie ungerührt wieder ein. Von der Bank hörte man nun ein leises Wimmern. Marga ließ das Bündel Hemden sinken und wollte zu der Frau gehen, um zu sehen, ob sie helfen konnte, doch da fasste sie ein älterer Herr am Arm.

»Nicht, Fräulein«, sagte er eindringlich. Unschlüssig ließ Marga ihren Blick zwischen der Kranken und dem anderen Fahrgast hin- und herschweifen. Es fiel ihr unendlich schwer, einen anderen Menschen, ja überhaupt eine Kreatur, leiden zu sehen. Schon als Kind hatte sie jeden verletzten Vogel gesund gepflegt und jeden Streuner mit nach Hause gebracht, der ihren Weg kreuzte. Du hast ein zu großes Herz, Margalein, hatte Mama dann immer kopfschüttelnd getadelt, doch Papa hatte sie später zur Seite genommen, um ihr augenzwinkernd zu sagen, dass ein Herz gar nicht groß genug sein konnte.

Nun aber war sie zur Untätigkeit verdammt. Sie hatte Mama versprochen, auf sich achtzugeben. Ich hab doch nur noch dich. Das sagte Helga Stahl seit Ausbruch der Epidemie mehrmals täglich. Ginge es nach ihr, sie würde Marga einsperren, bis die Cholera zu Ende gewütet hatte. Die mahnende Stimme ihrer Mutter, die ihr im Hinterkopf schwirrte, hielt sie schlussendlich schweren Herzens davon ab, ihrem Impuls nachzugeben und sich um die Kranke zu kümmern.

»Sie können doch nichts tun, außer sich anstecken. Es wird gleich jemand kommen. Die Sanitätskolonnen sind den ganzen Tag in der Stadt unterwegs«, sagte der ältere Herr mit einem Schulterzucken. Dann stieg er ein, ohne der zusammengekrümmten Gestalt auf der Bank auch nur noch einen Blick zu schenken. Leider waren solche Szenen seit Ausbruch der Krankheit an der Tagesordnung in Hamburg. Wochenlang hatten die Behörden versucht, den Ausbruch zu vertuschen. Es wurde von vermehrten Fällen von Brechdurchfall gesprochen, das Wort Cholera hatte niemand in den Mund nehmen wollen. Erst seit der Pathologe Eugen Fraenkel den Nachweis des Bakteriums erbracht hatte, mussten die Hamburger auch offiziell eingestehen, dass sie der Epidemie nicht mehr Herr wurden. Die Cholera kam für ihre Opfer ohne Vorwarnung, die Befallenen konnten in der einen Minute noch gesund in eine Pferdebahn steigen und in der nächsten todkrank zusammenbrechen. Die Alltäglichkeit solcher Vorfälle ließ die Menschen abstumpften. Marga wusste nicht, ob sie dankbar dafür sein sollte, dass das Leid der anderen sie immer noch zu berühren vermochte. Die Hilflosigkeit, die sie an manchen Tagen empfand, setzte ihr mehr und mehr zu.

»Wollen Se nu mit, Fräulein?«, fragte der Schaffner ungeduldig und riss Marga damit aus ihren Gedanken. Sie balancierte das Bündel Hemden auf ihrer Hüfte, um eine Hand freizubekommen, mit der sie ihm den Fahrschein reichte. Dann holte sie noch einmal tief Luft, schob sich ihren Seidenschal über Mund und Nase und stieg in die Bahn. Zum Glück waren alle Fenster geöffnet, sodass sie nur noch einen Hauch des Lysols in der Luft wahrnahm, das ohnehin alle anderen Gerüche überdeckte. Sie wählte einen Platz gegenüber dem älteren Herrn, der sie eben davon abgehalten hatte, zu der Kranken zu eilen. Das Bündel Hemden legte sie neben sich auf den freien Sitz, weil der Boden noch feucht war. Der Fahrer war auf seinen Platz zurückgekehrt, und die durch zwei Pferde gezogene Bahn fuhr nun ruckelnd an. Erleichtert sah sie, wie ein Gespann um die Ecke bog, auf dessen Wagen das rote Kreuz prangte. Das Klinikum Eppendorf war nicht weit, und Helfer patrouillierten den ganzen Tag in der Stadt, um Infizierte schnellstmöglich ins Hospital zu schaffen. Als die Straßenbahn um eine Kurve fuhr, verlor Marga die Frau aus den Augen, doch sie sandte ein stilles Gebet nach oben, dass ihr geholfen werden konnte.

Der ältere Herr hatte die Tageszeitung aufgeschlagen, hinter der er einen großen Schluck aus einem silbernen Flachmann nahm. Es hieß, Schnaps sei gut gegen die Cholera. Mit einem Nicken hielt er ihr den kleinen Flacon hin, doch Marga lehnte mit einem freundlichen Lächeln ab.

»Ich bin erst siebzehn«, sagte sie zur Erklärung.

»Ist wie Medizin«, befand der Fahrgast und gönnte sich noch einen Schluck, bevor er den Flachmann wieder in seiner Jacke verschwinden ließ.

Marga starrte versonnen zum Fenster hinaus, wo die Häuser der Stadt jetzt kleiner und baufälliger wurden. Ihre Finger spielten wie so oft, wenn sie in Gedanken war, mit dem Stoff ihres Seidenschals. Sie liebte das kühle Material und die bunten Farben, auch wenn das Halstuch mittlerweile eine stete Erinnerung daran war, wie viel sie verloren hatte.

Papa hatte es ihr von einer seiner Reisen mitgebracht. Nur zwei Tage später war er an einem Herzinfarkt gestorben, kurz vor seinem dreiundvierzigsten Geburtstag. Marga war damals vierzehn gewesen und hätte nie geglaubt, wie grundlegend sich ihr Leben nach seinem Tod verändern würde. Sie war behütet und in relativem Wohlstand groß geworden, hatte die Schule besucht, und Papa hatte sie stets ermutigt, weiter zu lernen, um sich ihre eigene Meinung über die Dinge zu bilden. Er hatte mit seiner Begeisterung für Bücher ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort entfacht. Seine Einstellung zum Leben, zu Bildung und der Gleichheit aller Menschen hatten sie in der Gewissheit aufwachsen lassen, dass sie auch als Frau ihren Weg in dieser Welt gehen konnte. Doch diese Gewissheit war mit ihm gestorben, die kleine Wohlstandsblase, in der sie lebten, zerplatzt. Man kam schnell von Haus und Hof, wenn der Haupternährer der Familie wegfiel. Vor allem, wenn nach dessen Tod herauskam, dass der Schritt, sich als Handelsvertreter selbstständig zu machen, um die Geschäfte seines Vaters weiterzuführen, ein großer Fehler gewesen war. Hatte er zuvor als leitender Angestellter in einer Fabrik gut verdient, so geriet er als Einzelkämpfer schnell in finanzielle Schieflage. Papa hatte viel Geld in die Textil- und Kurzwaren gesteckt, die er an den Haustüren feilbot. Doch er war zu gutmütig, verschenkte oft Muster an die Armen und schreckte davor zurück, mit minderwertigen Produkten größeren Gewinn zu erzielen. Am Ende hatte er eine Hypothek auf sein Elternhaus, in das sie nach dem Tod der Großeltern gezogen waren, aufgenommen und sich das Geld aus seiner Lebensversicherung auszahlen lassen, um seine Außenstände zu begleichen.

Als er so plötzlich starb, blieben Mutter und sie deshalb mit nichts als Schulden zurück. Mehr als die kleine Wohnung in den Gängevierteln hatten sie sich am Ende nicht leisten können, nachdem sie alles veräußert hatten, um wenigstens schuldenfrei zu sein. Trotzdem waren weder Mama noch sie bitter geworden. Papa war eben zu gutmütig, um als Geschäftsmann erfolgreich zu sein. Seine Bestimmung wäre es vielleicht gewesen, in einer Bibliothek zu arbeiten oder als Lehrer an einer Schule zu unterrichten, doch sein Vater hatte ihn schon früh dazu genötigt, ihn bei seinen Haustürgeschäften zu begleiten, damit er die Profession von der Pike auf lernen konnte. Vermutlich war er deshalb nie seinen eigenen Weg gegangen, sondern nur den Fußstapfen seines Vaters gefolgt.

Marga dachte trotzdem mit nichts als Zuneigung an ihn.

Nach seinem viel zu frühen Tod hatte sie jedoch aufgehört, von einem selbstbestimmten Leben zu träumen. Solche Träume – das hatte sie schmerzlich gelernt – waren etwas für die Wohlhabenden.

Entschlossen schob sie die trüben Gedanken zur Seite. Sie verbat es sich, selbstmitleidig zu werden, wo um sie herum so viel Elend war.

Der ältere Herr neben ihr blätterte geräuschvoll seine Zeitung auseinander und breitete...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2024
Reihe/Serie Eine grenzenlose Welt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2024 • Amerika 19. Jahrhundert • Auswanderer • auswandererschiff • dramatisch • dunkles Geheimnis • eBooks • gefühlvoll • Historische Liebesromane • Historische Romane • Immigration • Jahrhundertwende • Jeffrey Archer • Liebesgeschichte • Liebesromane • Miriam Georg • Neuanfang • Neuerscheinung • New York • Überfahrt
ISBN-10 3-641-30087-8 / 3641300878
ISBN-13 978-3-641-30087-6 / 9783641300876
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