Das Haus Zamis 84 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-5938-0 (ISBN)
Die Tür öffnet sich, und Lord Cullum betritt die Bühne. Er selbst ist kein Apollo, er ist ein hässlicher, kleiner Zwerg. Doch die Liege, auf der ich angeschnallt bin, ist so tief angelegt, dass er auf mich herabblickt.
Das Skalpell in seiner Linken funkelt im gleißenden Neonlicht. Wie im Spiel senkt er die scharfe Klinge und fährt mit ihr über mein Gesicht.
»Du bist vollkommen, Coco Zamis«, sagt er und sabbert. »Dein Gesicht, dein Körper ... fast habe ich Skrupel, dieses Kunstwerk zu zerstören ...«
Sein Skalpell sinkt tiefer, meine Halsschlagader entlang und verweilt kurz über der Vertiefung zwischen meinen Brüsten. Ich spüre die Klinge als sanftes Kitzeln ...
2. Kapitel
Den brauchte ich allerdings nicht. Ich hatte alle Hände voll zu tun, mich Lord Cullums zu erwehren. Bereits während er mir den Stuhl zurechtrückte, begrapschte er mich. Ich musste an mich halten, ihm keine zu knallen. Niemand schien sich jedoch daran zu stören. Selbst Mutter schaute weg.
Ansonsten war das Dinner sehr interessant. Rund drei Dutzend Patienten tummelten sich am Büffet. Wie schon des Nachmittags im Park waren die meisten bandagiert oder trugen bizarre Tiermasken. Ich fragte Lord Cullum nach der Bedeutung. Dabei schenkte ich ihm ein freundliches Lächeln, das mindestens so falsch war wie seine Zähne.
»Die meisten Patienten sind Langzeitpatienten«, erklärte er. »Sie kommen hierher und vertrauen sich meiner Kunst an, um meinem Ideal zu entsprechen. Bei manchen dauert es Jahre, bis ich mit der Modellierung zufrieden bin.« Er deutete auf eine hässlich wirkende Frau, die sich soeben vom Büffet bediente. Sie hielt den Teller direkt vor ihr froschartiges Maul. Eine lange, gespaltene Zunge zuckte blitzschnell daraus hervor und verleibte sich die Speisen ein.
»Damit kann sie Fliegen fangen!«, sagte ich angewidert.
»Das tut sie sogar«, erklärte Lord Cullum. »Die Frau ist seit drei Monaten hier. Eigentlich wollte sie nur ihre Lippen etwas aufspritzen lassen. Ich überzeugte sie, dass es besser wäre, sich auf eine Totaloperation einzulassen.«
»Sie sieht aus wie ein Monster!«, hielt ich ihm vor.
»Oho, höre ich da etwa eine Spur von Kritik an meiner Kunst heraus?«, fragte er spöttisch.
»Kann schon sein«, erwiderte ich bockig. »Ich finde es nicht sehr spaßig, was Sie mit Ihren Patienten anstellen. Sie gaukeln Ihnen vor, besser auszusehen als zuvor. Und dabei machen Sie nur Monster aus ihnen!«
»Ist Schönheit nicht relativ? Wir können uns gerne darüber näher unterhalten.«
Ich hatte keine Lust dazu. Stattdessen fragte ich: »Warum tragen einige die merkwürdigen Masken?«
»Weil ich Spaß daran habe. Ich verlange von den neuen Patienten, dass sie sie tragen, um sich zu ihrer Unwürdigkeit und Hässlichkeit zu bekennen.«
»Es ist entwürdigend«, stellte ich fest.
»Coco!«, rief mich meine Mutter zur Räson. »Bedenke, dass wir hier zu Gast sind. Also benimm dich entsprechend!«
»Aber nicht doch, meine Liebe«, sagte der Lord. »Coco ist jung und temperamentvoll. Es ist das Recht der Jugend, alles zu hinterfragen.« Dabei tätschelte er meine Hand, zog sie an sich und schmatzte einen Kuss darauf. »Die Allerwenigsten möchten wieder fort«, stellte er fest. »Auch habe ich viele Patienten aus der Schwarzen Familie ...«
Ich erblickte unsere speziellen Freunde aus dem Reisebus. Die ganze Sippe – es waren sechs – war an einem Tisch versammelt.
»Die van Eijks sind in der Tat etwas aus der Art geschlagen. Ich behandle sie nur, weil ich Ihrem Familienoberhaupt etwas schuldig bin. Robert van Eijk hat mir die ganze Bagage geschickt, damit sie endlich lernt, sich wie Vampire zu benehmen. Es sind einige Missgeburten unter ihnen.«
»Wir haben sie bereits kennengelernt«, sagte Georg. »Aber sagen Sie, Lord Cullum, Sie wollen nicht wirklich behaupten, aus einem stinkigen Ghoul einen Vampir zaubern zu können?«
»Nicht zaubern, mein Junge. Es ist eine äußerst komplizierte Synthese von Magie und chirurgischer Kunst, die ich praktiziere.« Er betrachtete mich. »Wie ich von Ihrer Mutter weiß, liebste Coco, sind auch Sie, nun, ein wenig aus der Art geschlagen.«
Ich warf Mutter einen giftigen Blick zu. Seit wann wurden Familieninterna öffentlich zu Markt getragen? Und erst recht ging den Widerling, ob Lord, Doktor oder Scharlatan, das überhaupt nichts an!
Er tat, als hätte er meinen Blick nicht bemerkt und fuhr ungerührt fort: »Ich hätte bereits einige Ideen, wie wir Ihre emotionalen Störungen operativ beheben könnten ...«
Mir reichte es. Wütend stand ich auf. »Stecken Sie sich Ihre operativen Störungen in den Arsch, mein Bester!«, sagte ich. Ohne seine Antwort abzuwarten, stolzierte ich hinaus.
Es war mir egal, ob Mutter jetzt sauer auf mich war oder nicht. Von mir aus konnte Lord Cullum uns hinauswerfen. Wir würden schon eine Bleibe finden. Ich jedenfalls hatte keine Lust, mich von ihm weiter verspotten zu lassen!
Ich begab mich auf mein Zimmer, legte mich angezogen, wie ich war, aufs Bett und ließ meinen finstersten Gedanken freien Lauf.
Als ich erwachte, war es weit nach Mitternacht. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriffen hatte, wo ich mich befand. In meinem Zimmer. Gemeinsam mit Lydia.
Ich lauschte nach ihren Atemzügen. Doch ich vernahm als einzigen Laut nur ein weit entferntes Kichern unten vor dem Fenster.
Ich erhob mich und huschte zum Vorhang. Als ich nach draußen sah, sah ich unten die blonde Vampirin wieder. Sie flirtete mit einem der Gäste und zog ihn tiefer ins Gebüsch hinein. Es ging mich nichts an. Auch die meisten Menschen waren nun mal ihres Glückes Schmied. Nicht immer waren es nur die Dämonen, die den Menschen eine Falle stellten. Manche Menschen zog das Dämonische regelrecht an.
Ich schloss das Fenster und zog den Vorhang zu. Dann machte ich Licht.
Lydias Bett war leer.
Musste ich mir jetzt etwa Sorgen machen? Sie war alt genug und hatte ihren eigenen Kopf. Bestimmt ging es ihr wieder besser, und sie hatte beschlossen, sich auf eigene Faust umzusehen. Garantiert würde sie bald wieder auftauchen.
Und wenn nicht? Ich musste an die Van Eijks denken. Die hatten versprochen, noch ein Hühnchen mit uns zu rupfen. Wenn sie Lydia in die Fänge bekamen, würde das für meine Schwester sicherlich nicht gerade ein Vergnügen werden.
Da hörte ich den Schrei. Er kam irgendwo aus dem Innern des Schlosses und gellte markerschütternd bis in mein Zimmer. Ich warf alle Bedenken über Bord und stürzte zur Tür.
Sie war verschlossen! Der Schlüssel war verschwunden.
Das gab es doch nicht! Ich war mir sicher, sie zuvor von innen abgeschlossen zu haben. Da hatte der Schlüssel noch gesteckt. Hatte etwa Lydia das Zimmer hinter sich abgeschlossen, damit mich niemand behelligen konnte? Nein, so viel Einfühlungsvermögen traute ich Lydia nicht zu – vor allen Dingen nicht in Bezug auf meine Person.
Vorsichtig rüttelte ich an dem Knauf. Nichts tat sich. Aber wozu war ich eine nicht gerade untalentierte Hexe?
Der Schrei war verstummt. Draußen auf dem Korridor glaubte ich trippelnde Schritte zu vernehmen.
Ich konzentrierte mich und murmelte einen Zauber.
Normalerweise wäre die Tür nun von selbst aufgesprungen. Doch es tat sich nichts. Ich versuchte es mit einer noch stärkeren Magie. Wieder musste ich passen.
Da ich nicht davon ausging, dass meine Hexenkunst versiegt war, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder waren in Lord Cullums Schloss sämtliche Türen mit einem Bann versehen – oder in diesem speziellen Fall nur die zu meinem Zimmer. Und noch immer glaubte ich nicht, dass Lydia dahintersteckte. Wollte jemand verhindern, dass ich ihr nachging?
Ich begab mich wieder zum Fenster. Als ich hinunterschaute, kam gerade wieder die blonde van Eijk hinter einem Busch hervor. Sie leckte sich die blutigen Lippen, die im Mondlicht rot und feucht glänzten. Offensichtlich hatte sie ihr Opfer genüsslich angezapft.
Sie schien zu spüren, dass sie beobachtet wurde, denn sie schaute auf, und unsere Blicke trafen sich. Die Vampirin verzog die Lippen zu einem hässlichen Grinsen. Die spitzen Vampirzähne blitzten gefährlich auf.
Eigentlich interessierte mich weniger die Dämonin als vielmehr eine Möglichkeit, durchs Fenster nach draußen zu gelangen. Allerdings lag das Zimmer im dritten Stock, und die wenigen Vorsprünge waren gefährlich schmal. Ich unterdrückte jeden weiteren Gedanken, das Fenster als Fluchtmöglichkeit zu nutzen.
Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Lydias Tagesdecke zurückgeschlagen war.
Merkwürdig, ich hätte schwören können, dass sie zuvor glatt auf dem Bett gelegen hatte!
Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, um sicherzugehen, dass ich allein im Zimmer war. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ob sich Emmy, der Hausgeist, irgendwie hereingeschlichen hatte? Ich hielt nach ihrem Schatten Ausschau und rief ihren Namen. Vergeblich.
Die Vorhänge, die ich eben noch vorgezogen hatte, flatterten leicht.
Hielt sich dahinter jemand verborgen? Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt und näherte mich ihnen auf indirektem Wege. Blitzschnell zog ich sie beiseite.
Nichts! Auch das Fenster war nach wie vor geschlossen.
Entweder begann ich durchzudrehen, oder jemand versuchte mich zu reizen.
Mein Blick fiel auf meine Glaskugel, die neben meinem Bett auf dem Nachttisch stand. Sie erglühte in einem violetten Lichtschein. Im nächsten Moment materialisierte sich ein Augenpaar darin. Das eine Auge war doppelt so groß wie das andere. Lord Cullum!
»Was soll das?«, zischte ich. »Warum spionieren Sie hier herum?«
»Was heißt spionieren, liebste Coco?«,...
Erscheint lt. Verlag | 30.12.2023 |
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Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-5938-7 / 3751759387 |
ISBN-13 | 978-3-7517-5938-0 / 9783751759380 |
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Größe: 2,3 MB
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