Die Zeit der Kinder -  Lena Riess

Die Zeit der Kinder (eBook)

Roman | Ein mitreißender Roman über die Gründung der Kindergärten

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3123-2 (ISBN)
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Eine Frau kämpft für die Rechte der Kinder 1830: Nicht nur in Preußen herrscht die Überzeugung, dass man von Kindern nichts hören und sehen sollte. Um sie vom Weg der Sünde abzubringen, ist körperliche Züchtigung notwendig. Entsetzt verfolgt die junge Luise Levin, wie ihre Neffen geschlagen werden und wie man die Kinder von Arbeiterinnen in Verwahranstalten diszipliniert. Als sie von einer neuartigen Erziehungsanstalt erfährt, die Friedrich Fröbel in Thüringen gegründet hat, bewirbt sie sich dort gegen den Willen ihrer Familie als Haushälterin. Fröbels Ideen sind revolutionär: Kinder sollen spielend die Welt begreifen, sie werden als Menschen respektiert und unabhängig ihrer Herkunft gefördert. Die Obrigkeit allerdings sieht durch Fröbels Methoden die öffentliche Ordnung gefährdet, ein Verbot folgt auf das nächste. Doch Luise verfolgt hartnäckig ihren und Friedrichs Traum: dass endlich die Zeit der Kinder anbricht.

Lena Riess hatte bereits in jungen Jahren den Wunsch Erzieherin zu werden und absolvierte im Rahmen ihrer Ausbildung ein Jahrespraktikum in dem Kindergarten, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Im Anschluss studierte sie Diplom-Pädagogik und Kulturwissenschaft und arbeitete danach in einem Kinderbuchverlag. Nach einer weiteren Station als Lektorin bei Bastei Lübbe begann sie schließlich selbst mit dem Schreiben und hat unter dem Pseudonym Rena Rosenthal mehrere Bestseller veröffentlicht. Sie ist in Norddeutschland aufgewachsen, lebt und arbeitet mittlerweile in Köln.

Lena Riess hatte bereits in jungen Jahren den Wunsch Erzieherin zu werden und absolvierte im Rahmen ihrer Ausbildung ein Jahrespraktikum in dem Kindergarten, den sie aus ihrer Kindheit kannte. Im Anschluss studierte sie Diplom-Pädagogik und Kulturwissenschaft und arbeitete danach in einem Kinderbuchverlag. Nach einer weiteren Station als Lektorin bei Bastei Lübbe begann sie schließlich selbst mit dem Schreiben und hat unter dem Pseudonym Rena Rosenthal mehrere Bestseller veröffentlicht. Sie ist in Norddeutschland aufgewachsen, lebt und arbeitet mittlerweile in Köln.

Prolog


Oberweißbach im Thüringer Wald, 1788

Friedrich strich mit den Fingern über die weichen Spitzen der Wildgräser, als er durch den Garten des Pfarrhauses lief. Aurikeln, Tausendschön, Nelken, Rosmarin. Was sollte er ihr heute mitbringen? Er pflückte jeweils eine Blüte. Das Tor zum angrenzenden Friedhof protestierte leise, und der steinerne Sonnenuhrwürfel thronte wie immer mystisch geheimnisvoll zwischen den Gräbern. Vier Reihen zählte er ab und legte die Blumen samt eines kleinen Grußes auf ihr Grab.

Und nun? Der gesamte Tag erstreckte sich vor ihm, ohne dass er mit den Dorfkindern hätte spielen dürfen. Ja, es war ihm nicht einmal gestattet, den Garten zu verlassen. Er warf einen Blick über die Schulter hin zur großen Kirche, deren Turm in den Himmel ragte. Morgen würde der Herr Vater feierlich in seinem Talar den schnurgeraden, mit Taxusstauden bepflanzten Weg hinunterschreiten und in seiner Sonntagspredigt der Unzucht und dem Aberglauben zu Leibe rücken. In dieser Hinsicht war er sehr streng.

Schon zu Beginn seiner Amtszeit hatte er die alten Volksbräuche abgeschafft. Julfeste und Oktoberfeuer entsprachen nicht den sittlichen Forderungen der neuen Zeit. Heute würde er den gesamten Tag seine Predigt vorbereiten, die er stets voller Inbrunst vortrug. Oft dauerte sie so lange, dass das Mittagessen in den Töpfen verkochte. »Kloßverderber« nannten die Dorfbewohner seinen Vater hinter vorgehaltener Hand und trieben ihn damit jedes Mal erneut zur Weißglut.

Friedrich beschloss, sich über das Gebot des Vaters hinwegzusetzen. Er lief bis zum Ende des Gartens und von dort weiter in den Wald. Tief sog er die frische Luft in sich ein. Kiefernnadeln mit einem Hauch von Moos. Das Vogelgezwitscher und das Knacken der Äste unter seinen Schuhen vertrieben langsam die zeternde Stimme aus seinem Kopf. Er solle ihr aus den Augen gehen, hatte sie gesagt.

Anfangs war es schön gewesen, sie im Haus zu haben. Von den anderen hatte sich kaum je einer für ihn interessiert; der Vater war mit den Schäfchen seiner Gemeinde beschäftigt, und bis auf Traugott standen alle Geschwister längst in Lohn und Brot. Niemand hatte etwas übrig für einen Knirps wie ihn.

Aber sie, sie hatte mit ihm geredet. Wenn sie lächelte, waren ihre Augen warm geworden und gesäumt von unzähligen Fältchen. Und wenn sie ihm seinen Teller hinstellte, hatte sie ihm danach über sein braunes Haar gestrichen.

So musste es sein, eine Mutter zu haben. Ein wolkenweiches Gefühl im Bauch. Aber seit einiger Zeit war es anders. Friedrich blieb stehen, beugte sich über die Schwertlilien, die ihm entgegenstrahlten. Der weiße Dom in der Mitte wurde von einem zartlila Band gekrönt, und die Hängeblätter waren in einem tiefen Violettton. Vorsichtig stieg er darüber hinweg, um seinen Weg zum See fortzusetzen. Oder sollte er lieber auf den Bärenfelsen klettern? Aber er hatte, nachdem der Frost in die Ritzen geflossen war und den Stein gesprengt hatte, bereits jeden Winkel nach neuen Schätzen für seine Sammlung abgesucht. Einhundertsiebenundzwanzig Steine hatte er jetzt beisammen. Jeder von ihnen ein von der Natur geformtes Wunderwerk. Einige rau und ursprünglich, andere samtweich. Jedem gebührte ein Ehrenplatz auf der schmalen Borte in seinem Zimmer, das einst seinen großen Brüdern, Christian und Christoph, gehört hatte und das er nun ganz alleine bewohnte.

Friedrich kam oft in den Wald, er kannte so gut wie jeden Winkel. Heute entschied er sich für den See, wo er eine Angelschnur unter einem Dornenbusch versteckt hielt. Wenn er eine Forelle mit nach Hause brachte, war sie ihm vielleicht wieder wohlgesinnt.

Wenn er nur wüsste, was er falsch gemacht hatte! Er würde alles versuchen, um es wiedergutzumachen. Aber sie sprach kaum noch mit ihm. Oder war er es einfach nicht wert, gemocht zu werden? Musste man dazu niedliche Zöpfe wie Nachbars Tineke haben? War er wirklich solch ein Teufelsbraten, wie alle sagten? Neulich hatte er auf seinen Ausflügen in den Wald nicht gut genug auf seine Knickerbocker achtgegeben, sodass sie Flecken bekommen hatten. Zürnte sie ihm noch deswegen? Oder war das Herz einer Mutter nur groß genug für ein Kind?

Er sprang über den Bach, der leise gurgelte, und seine Finger glitten wie von selbst in die borkige Rinde der Eiche, um am anderen Ufer Halt zu finden. Wenn sie auch nicht mehr wollte, dass er in den Wald ging, würde er es lassen – obgleich er manchmal dachte, dass er ohne den Wald gar nichts mehr hätte.

Ein ungewohntes Geräusch ließ Friedrich innehalten. Das Rascheln der Blätter wies ihm den Weg, und da stand er, ein wahrer Kapitalhirsch. Friedrich hielt die Luft an, während der Hirsch unwirsch den Kopf schüttelte, als wolle er etwas loswerden. Friedrichs Großvater, der Förster, hatte ihm davon erzählt, dass die Rothirsche einmal im Jahr ihr Geweih abwarfen. Er wusste nicht mehr, warum, aber es war faszinierend. Hinter einer Tanne verborgen, beobachtete er den merkwürdigen Tanz des Hirsches. Schütteln, an Bäumen und Sträuchern reiben, immer wieder. Bis die Geweihstange schließlich zu Boden fiel.

Auch danach verweilte er noch eine ganze Zeit lang in sein Versteck gekauert, bis der Hirsch mit nur mehr halbem Geweih, aber nicht weniger anmutig, davongeschritten war. Andächtig ging Friedrich auf die Stelle zu, wo es dem Hirsch geglückt war, und beugte sich darüber. Die Geweihstange wirkte in ihren gedeckten Tönen wie ein verzweigter Ast und wäre leicht zu übersehen gewesen. Mit den Fingern fuhr der Junge darüber, fast erstaunt, dass sie noch etwas warm war. In der Mitte fühlte er kleine Erhebungen, an den heller werdenden Spitzen wurde es glatt. Sophie würde Augen machen! Er konnte es kaum abwarten, ihr diesen besonderen Fund zu zeigen.

Feierlich hob er die Geweihstange hoch, der Moment erschien ihm so heilig wie die Momente bei seinem Vater in der Kirche, wenn das Orgelspiel einsetzte. Mit gemäßigten, aber großen Schritten ging er auf direktem Weg nach Hause und stellte sich vor, wie sie auf der Stelle ihren Platz an der Wiege verlassen würde. Er legte sich Worte zurecht, wie er ihr das Fegen des Hirsches so gut wie möglich beschreiben könnte. Gewiss würde sie die Spitzenhandschuhe ausziehen, um das Geweih zu betasten.

»Sophie«, rief er, noch bevor er das Haus betreten hatte. Dann stürmte er doch etwas die Stufen zur Haustür hinauf, gab aber auf das Geweih acht. »Sophie, du glaubst nicht, was ich gefunden habe!«

Wie immer antwortete sie nicht. Die Küche lag verwaist da, also suchte er sie in der Wohnstube. Dort saß sie. In ihrem weißen Teekleid direkt neben Karlchens Wiege und stickte. »Sophie«, sagte er, und Stolz quoll aus seiner Stimme. Jetzt würde sie ihn gewiss wieder liebhaben. »Schau mal, was ich hier habe.« Er ächzte, als er die Geweihstange höher hob.

Endlich sah sie von der Stickarbeit auf. Ihre Nase zog sich nach oben. »Pfui, was ist denn das?«

Noch ehe Friedrich antworten konnte, hatte seine Stiefmutter die Stickarbeit beiseitegelegt und war zwei Schritte auf ihn zugekommen. Voller Abscheu betrachtete sie das Geweih. »Ist das etwa Blut? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Schaff das sofort hier raus, du Teufelsbraten!«

Karl begann lauthals zu plärren, ihr Blick wurde noch zorniger, also duckte Friedrich sich und beeilte sich, ihrer Aufforderung nachzukommen. Die Geweihstange legte er hinter dem Haus ab. Ob wenigstens Traugott sie sich ansehen würde?

Schuldbewusst trottete er zurück ins Haus. Er wusste nicht, wofür, aber er wusste, dass er um Verzeihung bitten musste.

»Es tut mir leid«, stammelte er in der Wohnstube, wo Sophie das wieder eingeschlafene Karlchen gerade zurück in die Wiege legte. Sie nickte knapp. Ob er ihr zumindest sein Abenteuer aus dem Wald erzählen sollte? Waren Abenteuergeschichten nicht für alle aufregend? Sophie hatte gerade den Stickrahmen wieder aufgenommen, da freute sie sich doch sicher über etwas Unterhaltung.

»Weißt du«, setzte er vorsichtig an, doch an der Art, wie sie enerviert den Rahmen in den Schoß sinken ließ, merkte er, dass er wieder einen Fehler gemacht hatte.

»Ich habe mir etwas überlegt, Friedrich«, sagte sie dann und sah ihm in die Augen.

»Ja?«, fragte er hoffnungsvoll. So direkt hatte sie lange nicht mit ihm gesprochen. Was mochte sie sich Schönes für ihn überlegt haben? Vielleicht einen Ausflug? Oder würden sie zusammen Häuser aus Bauklötzen bauen? Das hatten sie im vergangenen Jahr einmal gemacht, und es gehörte zu seinen schönsten Erinnerungen. Vielleicht wollte sie ihm auch zeigen, wie man stickte? Vielleicht war das gar nicht so langweilig. Immerhin dürfte er dann an ihrer Seite sitzen. »Was denn?«

»Ich wünsche nicht mehr, dass er mich duzt.«

Sie musste ihm angesehen haben, dass er nicht verstand, worauf sie hinauswollte.

»Fortan sagt er wieder Frau Fröbel und redet mich mit Sie an.«

Er? Vorsichtig blickte er über die Schulter. Es war niemand sonst im Raum.

Sein Hals fühlte sich auf einmal ganz heiß an. Sprach sie von ihm? Sollte er die neue Frau seines Vaters siezen wie eine Fremde? Gehörte er denn nicht mehr...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Buch für den Urlaub • eBooks • Erziehung • Familie • Frauen • Fröbel • historisch • Kaiserzeit • Kindergarten • Kinderrechte • Lehrerin einer neuen Zeit • Montessori • neuerscheinung 2024 • Pestalozzi • Waisenhaus
ISBN-10 3-8437-3123-3 / 3843731233
ISBN-13 978-3-8437-3123-2 / 9783843731232
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