Das Blut der Herzlosen - Die Legende vom Tränenvogel 1 (eBook)

Roman

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2024 | 1. Auflage
560 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30866-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Blut der Herzlosen - Die Legende vom Tränenvogel 1 -  Young-do Lee
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Der Millionenbestseller aus Korea!
In einem einsamen Gasthaus am Rand der Punten-Wüste treffen drei Gestalten aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Der Lekon Tinahan ist ein mächtiger Krieger mit dem Kopf eines Hahns. Bihyung ist ein Dokebi, ein Feuerwesen, immer zu Scherzen aufgelegt. Und Kaygon Draka ist ein Mensch, der das legendäre Schwert eines Königs trägt und ein düsteres Geheimnis verbirgt. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg ins Reich der Nagas, schuppigen Gedankenlesern, die verborgen im Dschungel von Kiboren leben und sich die Herzen herausschneiden, um unsterblich zu werden. Sie folgen dem Ruf einer uralten Prophezeiung - doch kann ein Wesen ohne Herz wirklich der Retter der Welt sein?

Magisch, fesselnd und atemberaubend spannend - der Auftakt zu einer epischen Fantasy-Serie vom koreanischen Genre-Großmeister!

Lee Young-do, geboren 1972, studierte Koreanische Sprache und Literatur an der Kyungnam University. Seinen ersten Roman »Dragon Raja« veröffentlichte er zuerst in Fortsetzungen über eine der ersten Internet-Plattformen, ehe er 1998 in Korea als Buch veröffentlicht wurde. Er verkaufte sich millionenfach und läutete eine neue Ära der Fantasyliteratur in Korea ein. Seither hat Lee Young-do mehrere Romanserien veröffentlicht, darunter »Die Legende vom Tränenvogel«. Die Bücher um den »koreanischen Witcher« werden von Krafton Montreal Studios als Videospiel adaptiert. Lee Young-do lebt mit seiner Familie in Masan.

Ryun Pey lag auf einem Altar.

Es herrschte vollkommene Dunkelheit. Er spürte den kalten Stein an seinem Rücken, aber abgesehen davon gab es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass er wirklich da war. Während er sich umschaute, kam es Ryun so vor, als sei er zum Gegenstand eines Gemäldes geworden, das noch keinen Hintergrund hatte.

Augenblicklich zuckte er zusammen. Malerei war, wie Gesang, ein Kulturgut, das bei den Nagas nicht existierte. Wegen ihres schlechten Gehörs interessierten sie sich nicht für Musik. Und bildende Kunst hatten sie nicht, weil ihr Sehvermögen phänomenal war. Nagas konnten Wärme sehen. Für sie war selbst das Meisterwerk des bedeutendsten menschlichen Malers nicht prächtiger als ein Stück Stoff derselben Größe. Die Farbpalette, die ein Naga sehen konnte, war sehr umfangreich, aber weil es weder kalte noch heiße Ölfarben gab, malten Nagas nicht.

Es war also alles andere als natürlich, dass ein Naga sich vorstellte, Teil eines Gemäldes geworden zu sein. Wie er darauf gekommen war und wie er das Wissen um diese Kunst erworben hatte, durfte Ryun nicht unbedacht hinausnirmen. Es war ein Geheimnis, das ihn mit Scham erfüllte. Er schaute sich hastig um, um festzustellen, ob sein Nirm von irgendjemandem gelesen worden war.

Aus der Dunkelheit traten kalte Schatten, als hätten sie nur darauf gewartet.

Er konnte die Dolche sehen, die jene Schatten in den Händen hielten. Sie hatten eine noch kältere Farbe. Ryun schrie auf, aber das Geräusch hatte keine Wirkung auf die Schatten. Ihnen war keinerlei Unruhe anzumerken, als sie sich dem Steinaltar näherten. Ryun wollte schnell etwas nirmen, nachdem sein Schrei verklungen war, aber er konnte es nicht.

Bin ich etwa kein Naga?, fragte er sich und wollte seine Arme bewegen, musste aber feststellen, dass er mit Händen und Füßen an den Altar gefesselt war. Während er sich vergeblich wand und krümmte, umstellten die Schatten den Altar. Einer von ihnen zerriss Ryuns Hemd. Das Geräusch versetzte ihn in Panik. Er blickte auf seine entblößte Brust hinunter. Unter den harten Schuppen nahm er undeutlich sein pulsierendes Herz wahr. Es pochte heiß, nur deswegen konnte er es sehen. Er schaute die Wesen um den Altar an, entdeckte nur kalte Dunkelheit in ihren Körpern und begann am ganzen Leib zu zittern. Ihnen allen war das Herz entfernt worden.

Und jetzt wollten sie auch sein Herz herausnehmen.

»Halt! Ich bin kein Naga! Ihr irrt euch! Wenn ihr mein Herz herausnehmt, sterbe ich!«, schrie Ryun so laut, wie er nur konnte. So schlecht ihr Hörvermögen auch sein mochte, die Nagas mussten ihn gehört haben! Doch sie blieben vollkommen regungslos. Nein, einer von ihnen bewegte sich. Der Naga, der rechts von ihm stand, hob seinen Dolch. Die Klinge glänzte prachtvoll in der Dunkelheit, reflektierte die Wärme in allerlei Farben.

Als Ryun erneut schreien wollte, fuhr der Dolch erbarmungslos auf ihn nieder.

Es war nicht rot, wie die Ungläubigen behaupteten. Die heißen Blutstropfen, die in einer Fontäne aus ihm herausschossen, schillerten in allen möglichen Farben. Für einen kurzen Moment vergaß er die Schmerzen und betrachtete dieses Feuerwerk, das die Wärme, die seinen Körper verließ, vor ihm in die Lauft zauberte.

Unversehens streckte der Naga seine Hand aus. Ryun blieb die Luft weg, als er zusah, wie diese Hand, die nicht die seine war, in seine aufgeschnittene Brust griff. Etwas, das wie eine Flut aus Licht wirkte, strömte daraus hervor. Sein eigenes Blut.

Die wühlende Hand zog schließlich etwas aus seiner Brust, das wie ein brennendes Juwel aussah. Eine Aurora pulsierender Hitze strahlte in alle Richtungen. Es war sein Herz. Es pulsierte so heiß, dass es die Dunkelheit um sich herum verbrannte. In diesem herrlichen Licht konnte Ryun das Gesicht des Nagas erkennen, der ihm das Herz entfernt hatte.

Es war sein eigenes.

[Das ist ein vollkommen unsinniger Traum, Ryun. Erstens findet die Entnahmezeremonie nicht auf diese Art statt. Und zweitens lässt mich das Herz, das du beschrieben hast, an das der heißblütigen Ungläubigen denken. Du hast zu viel Fantasie. Aber ich muss zugeben, dass dein Traum etwas Geheimnisvolles an sich hat.]

Hwarit Makerow lächelte, als amüsierte ihn der Traum seines Freundes, doch Ryuns Miene blieb unverändert starr. Hwarits Lächeln verschwand.

[Verzeih. Es muss ein schrecklicher Traum gewesen sein. Es scheint, dass du dir wegen der Herzentnahme wesentlich größere Sorgen machst, als ich angenommen habe. Aber dein Traum ist nichts anderes als ein Fantasiegebilde, hervorgerufen durch deinen unruhigen Geist. Nur Dokebis glauben, dass einem Traum eine Bedeutung oder die Macht der Vorhersage innewohnt.]

[Auch Menschen glauben an Träume.]

[Ist das so? Mag sein, schließlich nehmen sie und die Dokebis sich nicht viel, wenn es um Dummheit geht.]

[Auch ich möchte daran glauben.]

Hwarit schloss seinen Geist und starrte seinen Freund resigniert an. Ihm fiel nichts ein, was er Ryun entgegnen konnte, weswegen er seine Aufmerksamkeit auf den Tisch richtete. Darauf lagen Ratten. Sie zitterten kaum merklich, waren aber unversehrt, und sie rannten auch nicht weg. Dieses Kunststück hatte Samo Pey, Ryuns zweite Schwester, vollbracht: Sie war eine Geistesbändigerin und konnte Tieren ihren Willen aufzwingen.

Der Name Samo Pey löste bei den Bewohnern von Hatengrazu zwiespältige Reaktionen aus. Positiv reagierten hauptsächlich die Männer. Das lag daran, dass Samo ihnen gegenüber nett und zuvorkommend war, ohne sie in ihr Bett locken zu wollen. Selbst Somero Makerow, Hwarits älteste Schwester, die sich durch einen sanften Charakter auszeichnete und Ehrlichkeit als eine hohe Tugend ansah, hatte dazu einmal genirmt: [Was haben die Männer von ihr, wenn sie nicht mit ihnen schläft? Das ist bloß Heuchelei.]

Die Frauen Hatengrazus reagierten negativ auf Samo, denn die Männer bevorzugten ihretwegen das Haus Pey, weil sie der Ansicht waren, dort ihre Tage unbekümmert und frei von der Anspannung, jederzeit ins Schlafzimmer gezerrt zu werden, verbringen zu können.

Hwarit nahm eine der warmen Ratten und fragte sich, ob Samo Peys merkwürdige Einstellung vielleicht ein Kompromiss war, den sie für sich gefunden hatte.

[Wie viele Männer wohnen jetzt im Haus Pey?]

[Acht, glaube ich.]

Hwarit nickte. In der Familie Pey gab es zwei Frauen, die momentan gebärfähig waren. Wenn ihnen acht Männer zur Verfügung standen, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie schwanger würden, sehr hoch. Schon bald würden im Haus Pey noch mehr Mitglieder der nächsten Generation umherlaufen. Die Familie würde weiter gedeihen. Samo hatte den Freuden der Schwangerschaft und der Erziehung entsagt und dafür ihren Frieden und die Hochachtung ihrer Familie gewonnen.

[Acht also. Deine Entnahmezeremonie wird prächtig, Ryun. Es gibt nicht viele, die ihren Weg zum Herzturm in Begleitung von so vielen Männern antreten. Samo Pey ist wirklich beeindruckend. Was sie alles bewerkstelligt!]

[Ja, das denke ich auch. Schade, dass ich sie nur noch neun Tage sehen werde.]

Hwarit sah Ryun überrascht an. Seinen Freund bedrückte außer der Herzentnahme noch etwas anderes.

Ryun erhob sich. [Ich habe keinen Appetit. Gehst du nach dem Essen nach Hause?]

[Ja, das habe ich vor.]

[Dann verabschiede ich mich jetzt. Mach’s gut.]

Bevor Hwarit etwas nirmen konnte, hatte Ryun den Speisesaal schon verlassen. Er überlegte kurz, ob er ihm folgen sollte, entschied sich aber dagegen. Er kannte den Charakter seines Freundes und wusste, dass es zum Streit kommen würde, falls er versuchte, ihn aufzuhalten.

Nach dem Essen suchte Hwarit Makerow seine Begleiter auf und erfuhr zu seinem Erstaunen, dass zwei von ihnen sich den Männern im Hause Pey anschließen wollten. Dusena, die Matriarchin der Makerows, würde vor Wut kochen. Hwarit konnte mit der Tatsache leben, dass sich die Anzahl seiner Begleiter halbiert hatte, aber angesichts des zu erwartenden Zorns seiner Matriarchin hatte er ein ungutes Gefühl. Im Haus Makerow gab es momentan fünf gebärfähige Frauen, aber lediglich vier Männer – und jetzt nur noch zwei. Dusena würde ihrem Sohn, der in neun Tagen nicht mehr zu ihrem Haus gehören würde, die Schuld daran geben.

Für eine Weile spielte Hwarit mit dem Gedanken, ebenfalls im Haus Pey zu bleiben. Einerseits wäre es gut, etwas Zeit mit seinem Freund zu verbringen und gemeinsam auf die Entnahmezeremonie zu warten. Das Haus Pey würde sich nicht sonderlich für ihn interessieren, da er ein Novize war. Nach der Zeremonie würde er ein Hüter werden, der sein Leben der Göttin widmete. Aber mit ihm würden noch zwei Männer ins Haus kommen, was die Familie Pey sicher freuen würde, auch wenn damit insgesamt zwölf Männer im Haus lebten.

Andererseits gäbe es dann im Haus Makerow keinen einzigen Mann mehr. Wohnten dort keine gebärfähigen Frauen, wäre das keine große Sache. Doch bei fünf Frauen war es eine Katastrophe. Hwarit konnte seiner Familie, die ihn zweiundzwanzig Jahre lang großgezogen hatte, unmöglich einen so großen Schaden zufügen.

Also verließ er mit seinen verbliebenen zwei Begleitern das Haus Pey.

Die Straßen in Hatengrazu waren still, wie jeden Tag seit der Gründung der Stadt. Natürlich hätte Hwarit das Genirme der Passanten vernehmen können, wenn er seinen Geist geöffnet hätte, aber er hielt ihn geschlossen, weil er ungestört seinen Gedanken...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2024
Reihe/Serie Die Legende vom Tränenvogel
Die Legende vom Tränenvogel
Übersetzer Hyuk-Sook Kim, Manfred Selzer
Sprache deutsch
Original-Titel 눈물을마시는새1부〈심장을 적출하는 나가〉(The Bird that Drinks Tears – Blood of the Heartless, Book 1)
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2024 • abenteuer-fantasy neuerscheinung 2024 • Computerspiel • eBooks • epische Fantasy • Fantasy • Fantasy-Serie • High Fantasy • High Fantasy Bücher • Korea • koreanische fantasy • Neuerscheinung • The Witcher
ISBN-10 3-641-30866-6 / 3641308666
ISBN-13 978-3-641-30866-7 / 9783641308667
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