In den Augen meiner Mutter (eBook)

Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44716-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In den Augen meiner Mutter -  Jo Leevers
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Ein Familienroman, der unter die Haut geht: Ist die schwangere Georgie bereit herauszufinden, was ihre Mutter 20 Jahre lang verheimlicht hat? Die 32-jährige Georgie ist im achten Monat schwanger, als sie durch Zufall einen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihrer Mutter Nancy erhält. Vor 20 Jahren hatte Nancy ihre Familie einfach so verlassen - ohne Erklärung, ohne Abschied. Jetzt, da Georgie selbst Mutter wird, kann sie das noch weniger verstehen als damals. Aber sie hat das Gefühl, Antworten zu brauchen, um in ihrem eigenen Leben endlich zur Ruhe zu kommen. Zusammen mit ihrem Bruder Dan reist Georgie in die schottischen Highlands, wo in den Medien über ihre Mutter berichtet wurde. Unterwegs kommen Erinnerungen an ihre Kindheit zurück, die mehr und mehr Fragen aufwerfen. War es etwa Georgies Schuld, dass Nancy gegangen ist? Und war ihr Vater wirklich der Held in der Geschichte? Was die Geschwister über ihre Familie herausfinden, erschüttert all ihre Gewissheiten. Und es stellt Georgies eigene Entscheidungen infrage. Einfühlsam und ergreifend, ohne kitschig zu werden, erzählt Jo Leevers' berührender Familienroman »In den Augen meiner Mutter« von den Dynamiken innerhalb einer Familie, von den Banden zwischen Müttern und ihren Kindern, von Lügen und Geheimnissen und davon, wie unsere Erinnerungen uns täuschen können. Eine bewegende Familiengeschichte, die Leser*innen von »Der Gesang der Flusskrebse« oder »Vom Ende der Einsamkeit« tief berühren wird.

Jo Leevers, geboren und aufgewachsen in London, schreibt für zahlreiche Magazine, u.a. für The Guardian, The Observer, The Telegraph, World Of Interiors und Living. Ihr Spezialgebiet ist Interior Design. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann und der Hündin Lottie in Kent. 

Jo Leevers, geboren und aufgewachsen in London, schreibt für zahlreiche Magazine, u.a. für The Guardian, The Observer, The Telegraph, World Of Interiors und Living. Ihr Spezialgebiet ist Interior Design. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann und der Hündin Lottie in Kent. 

Zwei


Georgie

Niemals würde sie das irgendwem gegenüber eingestehen, aber die Geburtsklinik wird für Georgie immer mehr zum verhassten Ort. Es sollte ein Ort der Freude sein, aber Georgie fühlt sich zutiefst unwohl, als sie in dem überheizten Wartezimmer sitzt. Wilf musste beruflich verreisen, deshalb ist sie allein hier. Aber im Zimmer sitzen einige andere zukünftige Väter, die allesamt peinlich berührt wirken, die Augen auf die Handybildschirme geheftet, um dem Anblick der aufgereihten geschwollenen Bäuche auszuweichen, die sagen: »Ja, ich hatte Sex.« »Ich auch.« »Und ich auch!«

Die erste Ultraschalluntersuchung hatte sie als etwas so Besonderes empfunden. Es war unglaublich gewesen, den pulsierenden Herzschlag zu sehen, die träge treibenden Gliedmaßen und sogar den Umriss einer Nase. Aber dann kamen all die Fragen, und auf die Hälfte davon wusste Georgie keine Antwort, also entschied sie sich einfach für das, was am besten klang. Jetzt hat sie jedes Mal, wenn sie wieder in der Klinik ist, Angst, dass man ihr auf die Schliche kommt. Womöglich fragt man noch einmal nach, ob es in ihrer Familie Fälle von Schwangerschaftsdiabetes, Präeklampsie oder postnataler Depression gegeben habe, und sie kann sich beim besten Willen nicht erinnern, welche Antwort sie das letzte Mal gegeben hat.

Heute Vormittag ist Georgie für das letzte Check-up da – »Bald ist es so weit«, mahnt Serena, die Hebamme. »Gerade mal zwei Wochen!« Sie nimmt Maß – mit einem anheimelnd altmodischen Maßband – und tastet dann mit der warmen, trockenen Hand rund um Georgies voluminösen Bauch, um herauszufinden, wo das Baby liegt.

Dann kommt die Blutdruckmanschette, das beruhigende Pumpen, als sie sich aufbläht, dann das traurige Zischen, mit dem sie abschwillt, und mit einem Ruck des Klettverschlusses wird ihr Arm freigegeben. Erst da runzelt Serena die Stirn. »Wie war das noch mal? Der niedrige Blutdruck liegt in der Familie, oder?«

»Ja«, antwortet Georgie. Denn das ist einfacher, als zuzugeben, dass sie keine Ahnung hat, welche körperlichen Eigenheiten sie möglicherweise von ihrer Mutter geerbt hat.

Als sie die Klinik endlich verlässt, hat sie den Bus nach Hause verpasst, und der nächste fährt erst in zwei Stunden – eine der Launen des Landlebens. Georgie macht sich zu Fuß auf den Weg, doch sie bereut die Entscheidung, kaum dass sie den Stadtrand erreicht und daran erinnert wird, dass der Gehsteig sich zunächst zu einem schmalen Streifen verengt und schließlich ganz verschwindet. Ein weiterer Aspekt des ländlichen Lebens, an den sie sich langsam gewöhnt.

Also gilt für den Rest des Weges, dass sie sich Bauch voran in die hohen Hecken presst, wann immer ein Auto vorbeirast. Während sie ihr Haar aus einem besonders stacheligen Busch entwirrt, denkt Georgie, um wie viel einfacher das Leben wäre, wenn sie Auto fahren könnte.

Es sind weitere fünfzehn Minuten stockenden Weges entlang einer stark befahrenen Landstraße, bis Georgie die Abzweigung zu dem ökologischen Bauprojekt erreicht, in dem Wilf und sie jetzt leben. Ihr Haus am Ende der Orchard Drive ist eines von gerade mal dreien, die fertiggestellt sind. Noch ist es keine richtige Straße, sondern eher ein breiter matschiger Feldweg, zerklüftet von den tiefen Reifenspuren der Lastwagen und Bagger, die kommen und – genauso wie die Arbeiter – für Wochen verschwinden.

»Lieferkettenprobleme«, erklärte ihr ein Vorarbeiter mit einem gelben Helm, der mit verschränkten Armen breitbeinig vor ihr stand. Georgie mutmaßt, dass es sich eher um Geldkettenprobleme handelt, aber das erwähnt sie Wilf gegenüber nicht, der unbeirrbar zuversichtlich bleibt angesichts ihres Lebens auf einer Baustelle. Er sagt Dinge wie: »Es wird ganz toll, wenn alles fertig ist« oder »Bestimmt bekommen wir ganz bald Nachbarn«, während er Abend für Abend die Schlammklumpen von seinen Schuhen kratzt.

Bis dahin sind Wilf und Georgie die ersten und einzigen Bewohner dieses bahnbrechenden Ökoprojekts, in dem jedes Haus aus nachhaltigen Materialien gebaut und mit einer effizienten Holzfaserdämmung versehen ist. Wilf meint, dass derartige Projekte die Zukunft seien und alle Menschen dem Klimawandel ins Auge sehen müssten. Allerdings musste Wilf für zehn Tage ins Ausland, und so ist Georgie die Einzige, die derzeit hier lebt, in einem Haus, das zwar möglicherweise zur Rettung des Planeten beiträgt, sich aber ziemlich einsam anfühlt.

Georgie schabt die Stiefel an der Kante der Türschwelle ab, um den gröbsten Schlamm zu entfernen, und drückt die Haustür mit einem Ruck auf. Sie klemmt ein bisschen, die Ränder müssen noch abgeschliffen werden, doch der Schreiner hat sich schon seit Wochen nicht mehr blicken lassen. Ähnlich wie der Fliesenleger, der nur etwas aus dem Lieferwagen holen wollte und nie mehr wiederkam. Georgie steht in der Diele und versucht, den noch unvertrauten Geruch im Haus zu bestimmen: Es hängt noch ein Hauch des Toasts vom Frühstück in der Luft, hauptsächlich aber riecht es nach feuchtem Putz.

Georgie setzt sich auf die Bank in der Diele und atmet bewusst aus. In fünf Tagen kommt Wilf nach Hause, ab dann sind sie auf der Zielgeraden: der Countdown zum Geburtstermin. Sie möchte nicht zu den Frauen gehören, die die Tage zählen, bis der Mann wiederkommt, aber wenn Wilf da ist, scheint alles so viel leichter zu bewältigen. Dann ist es, als würde Georgie in eine Parallelwelt treten, in der sie eine bessere Version ihrer selbst ist und vernünftige Entscheidungen trifft. In dieser Welt erzählt sie ihrer Hebamme keine ausgedachten Sachen und stapft nicht an stark befahrenen Straßen ohne Gehsteig entlang.

Vielleicht liegt es daran, dass Wilf die alte Georgie nie erlebt hat. Sie lernten sich während eines Jobs kennen, den sie ruhig und kompetent erledigte, und seitdem hat er Georgie nie hinterfragt. Genau so soll es bleiben, wenn es nach Georgie geht: Sie möchte nicht, dass er die Georgie von davor kennenlernt, die Frau, die ein orientierungsloses Wrack war, durchs Leben stolperte, Menschen verletzte und Leben zerstörte.

Die Bank hier in der Diele ist wie fast alles in diesem Haus ein abgelegtes Möbelstück von Wilfs Eltern. Seine Mutter ist Beschäftigungstherapeutin und sein Vater Direktor an einer Förderschule. Sie leben nicht weit von hier in einem viktorianischen Bauernhaus, in dem sie ihre drei Söhne großgezogen haben. Das ganze Haus strahlt einen verblassten eleganten Charme aus, und in den Zimmern türmen sich Möbel, die sie über die Jahre auf Landauktionen aufgegabelt haben. »Spottbillig. Im Grunde ist das alles Feuerholz«, hatte seine Mutter Ruth gesagt und sich die Hände an der Schürze abgewischt, während sie Wilf und Georgie dabei zusah, wie sie die ausgemusterten Stücke in den gemieteten Transporter luden.

Infolgedessen herrscht in Wilfs und Georgies neuem Zuhause eine merkwürdige Mischung unterschiedlichster Stile: massige Holztruhen, ein Büfett aus den Siebzigern und durchgesessene Sessel aus nicht genau zu bestimmenden Epochen. Die Möbel, die im Bauernhaus Teil der unkonventionellen Boheme-Atmosphäre waren, wirken in den hallenden Räumen verunsichert – ganz ähnlich wie Georgie.

In der Küche öffnet sie den Kühlschrank und nimmt sich eine Handvoll grünen Salat aus dem Gemüsefach. Im Augenblick hat Georgie Heißhunger auf alles, was frisch und knackig ist: feuchten Eisbergsalat, große Stücke taubenetzter Gurke, frisch gewaschene Karotten. Manchmal drückt sie ein paar Eiswürfel aus der Gummiform, zerkaut sie und genießt ihre harte, knirschende Konsistenz.

Mit etwas mehr Sinn für die Etikette arrangiert Georgie den restlichen Salat auf einem Teller und legt als Proteinspender einen Brocken Käse dazu. Dann sieht sie die Teevorräte in der winzigen Küchenschublade durch, die eigens für Teebeutel konzipiert wurde. Kamille reizt den Magen am wenigsten, beschließt sie. Sie dreht den Heißwasserhahn auf, der sprudelnd zum Leben erwacht.

Georgie vermisst das Ritual, den Kessel aufzusetzen und abzuwarten, bis das Wasser kocht, doch angeblich ist dieser Hahn energieeffizienter. Sie tunkt den Teebeutel ein paarmal ein, holt ihn dann an seinem Faden heraus und legt ihn zu den getrockneten Beuteln von gestern, die auf einer Untertasse zusammenkauern wie graue Babymäuse in ihrem Nest.

Offiziell ist Georgie noch nicht im Mutterschutz, aber ihre Arbeit als Hochzeitsfotografin ist abgeflaut. In London hatte sie sich ein solides Netz aus Kontakten und Weiterempfehlungen aufgebaut, doch jetzt, nach dem Umzug, wird sie noch einmal von vorn anfangen müssen. Wilf meint, sie solle die regionalen Hochzeitsmessen besuchen und sich dort vorstellen und außerdem in den Zeitungen annoncieren. Ihr ist klar, dass diese Vorgehensweise für Wilf funktionieren würde – er ist die Extrovertiertheit und Zuversicht in Person −, sie allerdings ist ein ganz anderer Mensch. Meistens weiß sie Wilfs Wir-schaffen-das-Haltung zu schätzen, die ein guter Ausgleich zu ihrer eigenen Herangehensweise ans Leben ist: Bei ihr ist das Glas halb leer, nicht halb voll. In diesem Fall aber, denkt sie, täuscht sich Wilf. Ihr Stil zu fotografieren kam in London gut an, doch sie ist nicht davon überzeugt, dass die Menschen in dieser Ecke Devons einen Sinn dafür haben.

Denn Georgie macht keine konventionellen Hochzeitsfotos. Natürlich weiß sie, dass die meisten Menschen eine Hochglanzversion dieses Tages sehen wollen, Bilder, die man in silberne Rahmen steckt und auf den Kaminsims stellt. Georgies Bilder hingegen ähneln eher Erinnerungsschnipseln. So erwischt sie die Braut dabei, wie sie ihrer besten Freundin etwas ins Ohr flüstert, oder sie fängt den Eröffnungstanz des Brautpaars mit...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2024
Übersetzer Maria Hochsieder
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aussprache mit Mutter • berührende Romane • bücher wie vom ende der einsamkeit • Der Gesang der Flusskrebse • dramatische Romane • Familie • Familienbande • familiengeheimnisse romane • Familienroman • Familientragödie • Frauenromane • Frauenschicksal • Gegenwartsliteratur • Gegenwartsromane • Geheimnisse • Geschwister • Inspirierendes Buch • literatur bücher • Lügen • Mütter • Mutterschaft • Romane • romane bestselller • Romane Frauen • Romane für Frauen • romane über familiengeschichten • romane über frauen • romane über mütter • romane wie der gesang der flusskrebse • Schottland • Schwangerschaft • spannende Romane für Frauen • Suche nach der biologischen Mutter • Suche nach Platz im Leben • tiefgründige Bücher • tiefgründige bücher über das leben • Vergangenheitsbewältigung • Verlust der Mutter
ISBN-10 3-426-44716-9 / 3426447169
ISBN-13 978-3-426-44716-1 / 9783426447161
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