Wie ein Hauch im Wind (eBook)
320 Seiten
OKTOPUS by Kampa (Verlag)
978-3-311-70502-4 (ISBN)
Josephine Tey ist das Pseudonym der schottischen Autorin Elizabeth MacKintosh (1896-1952), die vor allem für ihre Kriminalromane bekannt geworden ist. Mit dem Schreiben begann sie, nachdem sie ihre Arbeit als Sportlehrerin aufgeben musste, um ihre Mutter zu pflegen, die an Krebs erkrankt war. Nach deren Tod kümmerte sich Tey um den Vater und blieb auch danach in ihrem Elternhaus wohnen. Tey lebte sehr zurückgezogen, mied Interviews und öffentliche Auftritte. Sie starb im Alter von 55 Jahren während einer Reise nach London. Ihr Roman Alibi für einen König wurde von der englischen Autorenvereinigung Crime Writers' Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt und 1969 mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet.
Josephine Tey ist das Pseudonym der schottischen Autorin Elizabeth MacKintosh (1896–1952), die vor allem für ihre Kriminalromane bekannt geworden ist. Mit dem Schreiben begann sie, nachdem sie ihre Arbeit als Sportlehrerin aufgeben musste, um ihre Mutter zu pflegen, die an Krebs erkrankt war. Nach deren Tod kümmerte sich Tey um den Vater und blieb auch danach in ihrem Elternhaus wohnen. Tey lebte sehr zurückgezogen, mied Interviews und öffentliche Auftritte. Sie starb im Alter von 55 Jahren während einer Reise nach London. Ihr Roman Alibi für einen König wurde von der englischen Autorenvereinigung Crime Writers' Association zum besten Kriminalroman aller Zeiten gewählt und 1969 mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet.
1
Grant hielt inne, den Fuß auf der untersten Treppenstufe, und horchte auf die schrillen Schreie, die vom oberen Stockwerk herunterdrangen. Neben den Schreien hörte er ein dumpfes, gleichmäßiges Grollen; ein elementarer Klang wie ein Waldbrand oder ein Fluss, der Hochwasser führt. Widerwillig stieg er hinauf und kam zu dem unvermeidlichen Schluss – die Party war ein Erfolg.
Er kam nicht als Gast. Literarische Sherrypartys, selbst die besseren darunter, waren nichts für Grant. Er wollte lediglich Marta Hallard abholen und sie dann zum Essen ausführen. Zugegeben, es war nicht gerade üblich, dass Polizisten mit großen Schauspielerinnen ausgingen, deren Leben sich zwischen dem Haymarket und dem Old Vic abspielt; nicht einmal, wenn es sich bei diesem Polizisten um einen Detective-Inspector bei Scotland Yard handelte. Drei Gründe gab es für seine privilegierte Stellung, und Grant kannte sie alle drei. Zunächst einmal konnte er sich als Begleiter sehen lassen, zum anderen konnte er es sich leisten, bei Laurent’s zu Abend zu essen, und zum Dritten fiel es Marta Hallard nicht leicht, jemanden zu finden, der mit ihr ausging. Wegen ihrer Eleganz und des großen Ansehens, das sie genoss, fürchteten sich die Männer ein wenig vor Marta. Deshalb hatte sie auch, als Grant, zu der Zeit noch ein kleiner Detective-Sergeant, in ihr Leben getreten war – es war damals um gestohlene Diamanten gegangen –, darauf geachtet, dass er nicht wieder ganz daraus verschwand. Und Grant war gerne geblieben. So nützlich er Marta war, wenn sie einen Kavalier brauchte, so viel nützlicher war sie für ihn als ein Fenster zur Welt. Je mehr Fenster zur Welt ein Kriminalbeamter hat, desto mehr steigen die Chancen, dass er erfolgreich bei seiner Arbeit ist, und Marta war Grants Guckloch in die Welt des Theaters.
Das Getöse der rauschenden Party schwallte Grant durch die offenen Türen vom Treppenabsatz her entgegen, und er hielt inne, um die wie Sardinen in den lang gestreckten klassizistischen Raum gepackte kreischende Menge zu betrachten und sich zu überlegen, wie er Marta da herausbekommen sollte.
Gleich hinter der Tür stand ein junger Mann, dem diese dichte Mauer aus schwatzenden und trinkenden Menschen offenbar die Sprache verschlagen hatte, und machte einen verlorenen Eindruck. Er hatte den Hut noch in der Hand und war wohl eben erst eingetroffen.
»Schwierigkeiten?«, fragte Grant, als sich ihre Blicke trafen.
»Ich habe mein Megaphon vergessen«, antwortete der junge Mann.
Er sagte es mit einer sanften, schleppenden Stimme und versuchte gar nicht erst, gegen den Lärm anzukommen. Doch gerade dieser Unterschied im Tonfall ließ seine Worte durchdringender erscheinen, als wenn er gebrüllt hätte. Grant warf ihm einen zweiten, anerkennenden Blick zu. Nun, als er sich ihn genauer ansah, stellte er fest, dass der junge Mann wirklich ausgesprochen gut aussah. Zu blond für einen reinrassigen Engländer. Womöglich ein Norweger?
Oder Amerikaner. Etwas an der Art, wie er »vergessen« ausgesprochen hatte, ließ darauf schließen, dass er von der anderen Seite des Atlantiks stammte.
Es dämmerte bereits an diesem Nachmittag im Vorfrühling, und die Lampen brannten. Durch den Zigarettenrauch konnte Grant Marta am entgegengesetzten Ende des Raumes sehen; sie lauschte dem Dramatiker Tullis, der ihr von seinen Tantiemen erzählte. Er brauchte nicht zu hören, was Tullis sagte, um zu wissen, dass er über seine Tantiemen sprach; Tullis sprach nie über etwas anderes. Tullis konnte einem auf Anhieb sagen, was sein Abendessen für drei am Ostermontag 1938 in Blackpool eingespielt hatte. Marta tat nicht einmal mehr so, als ob sie zuhören würde, und machte ein mürrisches Gesicht. Wenn ihr Adelstitel noch lange auf sich warten ließ, dachte Grant, würde die Enttäuschung Marta noch so zusetzen, dass sie sich liften lassen müsste. Er beschloss, an Ort und Stelle zu bleiben, bis es ihm gelänge, sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie waren beide groß genug, um über die Köpfe einer gewöhnlichen Menschenmenge hinwegzublicken.
Als eingefleischter Polizist ließ er automatisch den Blick über die Menge zwischen ihnen gleiten, aber er fand nichts, was der Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Es war die übliche Versammlung. Die sehr wohlhabende Firma Ross and Cromarty gab einen Empfang anlässlich der Veröffentlichung von Lavinia Fitchs einundzwanzigstem Buch, und da es hauptsächlich Lavinia zu verdanken war, dass die Firma prosperierte, flossen die Getränke in Strömen, und die Gästeschar war erlesen. Erlesen zumindest, soweit es ihre Kleidung und ihren gesellschaftlichen Bekanntheitsgrad anging. Diejenigen, die durch Leistung wohlverdiente Anerkennung gefunden hatten, feierten weder die Geburt von Maureens Liebhaber, noch tranken sie den Sherry der Messrs Ross and Cromarty. Auch Marta, deren Erhebung in den Adelsstand nur noch eine Frage der Zeit war, war nur hier, weil sie und Lavinia auf dem Lande Nachbarn waren. Und Marta mit ihrer Eleganz in Schwarz und Weiß und ihrem grimmigen Gesichtsausdruck war das Vornehmste, was in diesem Saale zu finden war.
Es sei denn, dass dieser junge Mann, den er nicht kannte, zur Party mehr beitragen konnte als nur sein gutes Aussehen. Er überlegte, womit der Fremde wohl sein Geld verdiente. Ein Schauspieler? Aber ein Schauspieler würde nicht hilflos vor einer Menschenmenge stehen bleiben. Und da war etwas in dem indirekten Kommentar gewesen, den er in seiner Bemerkung über das Megaphon hatte anklingen lassen, hatte etwas in der Distanziertheit, mit der er die Szene betrachtete, gelegen, das ihn von den anderen Anwesenden abhob. War es möglich, überlegte Grant, dass jemand mit einem so edel geschnittenen Gesicht im Büro eines Börsenmaklers versauerte? Oder schmeichelte etwa das sanfte Licht der teuren Lampen von Messrs Ross and Cromarty dieser geraden Nase und dem glatten blonden Haar, und bei Tageslicht war der junge Mann gar nicht so gut aussehend?
»Vielleicht können Sie mir sagen«, fragte dieser nun und ließ sich nach wie vor nicht dazu verleiten, die Stimme zu erheben, »welche der Damen Miss Lavinia Fitch ist?«
Lavinia war die kleine rotblonde Frau, die am mittleren Fenster stand. Sie hatte speziell für diese Feier einen modischen Hut erstanden, aber nichts getan, um für ein passendes Umfeld zu sorgen; so hing denn der Hut auf dem rötlichen Haar, das an ein Vogelnest erinnerte, als ob er aus einem Fenster heruntergefallen sei, als sie gerade die Straße entlangging. Sie hatte ihr übliches freudig überraschtes Gesicht aufgesetzt und war ungeschminkt.
Grant zeigte dem jungen Mann, wo sie stand.
»Fremd in der Stadt?«, fragte er und machte sich eine Wendung zu eigen, die in jedem guten Western vorkam. Eine so höfliche Formulierung wie »Miss Lavinia Fitch« verriet unzweifelhaft die amerikanische Herkunft.
»Eigentlich bin ich auf der Suche nach Miss Fitchs Neffen. Ich habe im Telefonbuch nachgeschaut, aber er steht nicht drin, und ich hatte gehofft, ihn hier zu finden. Kennen Sie ihn vielleicht zufällig, Mr …?«
»Grant.«
»Mr Grant?«
»Ich kenne ihn vom Sehen, aber er ist nicht hier. Walter Whitmore meinen Sie, nicht wahr?«
»Ja. Whitmore. Ich kenne ihn überhaupt nicht, aber ich möchte ihn gern kennenlernen, weil wir einen gemeinsamen guten Freund haben … hatten, meine ich. Ich war überzeugt, dass er hier sein würde. Sind Sie sicher, dass er nicht doch da ist? Schließlich sind ja ziemlich viele Leute hier.«
»In diesem Saal ist er jedenfalls nicht. Da bin ich sicher, denn Whitmore ist genauso groß wie ich. Aber er kann natürlich irgendwo in der Nähe sein. Soll ich Sie nicht mit Miss Fitch bekannt machen? Durch die Menschenwand kommen wir schon durch, wenn wir wirklich wollen.«
»Sie stemmen sich dagegen, und ich wusele mich durch«, meinte der junge Mann und spielte auf ihrer beider Statur an. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Grant«, sagte er, als sie auf halbem Wege stehen blieben, um Luft zu schnappen, eng aneinandergedrückt zwischen endlosen Reihen von Ellenbogen und Schultern ihrer Mitmenschen, und er lachte hinauf zu dem hilflosen Grant.
Mit einem Male war es Grant beklommen zumute. So beklommen, dass er sich abrupt umwandte und sich weiter durch den Dschungel vorwärtsarbeitete, hin zu der Lichtung, in der Lavinia Fitch am mittleren Fenster stand.
»Miss Fitch«, sagte er, »hier habe ich einen jungen Mann, der Sie gerne kennenlernen möchte. Er ist auf der Suche nach Ihrem Neffen.«
»Nach Walter?«, fragte Lavinia, und ihr kleines, spitzes Gesicht verlor jenen diffusen Ausdruck unbestimmten Wohlwollens und zeigte stattdessen echtes Interesse.
»Ich heiße Searle, Miss Fitch. Ich komme aus den Staaten und mache Urlaub hier, und ich wollte Walter kennenlernen, weil ich mit Cooney Wiggin befreundet war, genau wie er.«
»Cooney! Sie sind ein Freund von Cooney? Oh, Walter wird begeistert sein, mein Lieber, einfach begeistert! Was für eine schöne Überraschung hier mitten unter diesen … so unerwartet, meine ich. Das wird Walter freuen. Searle, sagten Sie?«
»Ja, Leslie Searle. Ich habe Walter nicht im Telefonbuch finden können …«
»Nein, er hat nur ein pied-à-terre in der Stadt. Er lebt draußen in Salcott St Mary – wie wir alle. Er hat seinen Bauernhof dort, wissen Sie. Der Bauernhof, über den er seine Radiosendungen macht. Eigentlich gehört der Hof mir, aber er betreibt ihn und redet darüber und … Heute Nachmittag ist er auf Sendung, deshalb ist er nicht zur Party gekommen. Aber Sie müssen uns dort...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2024 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Alan Grant |
Übersetzer | Manfred Allie? |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | England • Künstlerkolonie • Mord • Motiv • Scotland Yard • Verschwinden |
ISBN-10 | 3-311-70502-5 / 3311705025 |
ISBN-13 | 978-3-311-70502-4 / 9783311705024 |
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