Der Vertraute (eBook)
480 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-28478-0 (ISBN)
Leigh Bardugo ist internationale Bestsellerautorin und Schöpferin des Grishaverse, das derzeit als »Shadow and Bone. Die Legenden der Grisha« erfolgreich bei Netflix als Originalserie erscheint. Ihr unverkennbares Universum umfasst die »Grisha-Trilogie«, die Krähen-Bände, »King of Scars« und viele mehr. Ein weiterer Roman, »Das neunte Haus«, wird derzeit von Amazon Studios verfilmt. Leigh Bardugo lebt in Los Angeles.
Leigh Bardugo ist internationale Bestsellerautorin und Schöpferin des Grishaverse, das derzeit als »Shadow and Bone. Die Legenden der Grisha« erfolgreich bei Netflix als Originalserie erscheint. Ihr unverkennbares Universum umfasst die »Grisha-Trilogie«, die Krähen-Bände, »King of Scars« und viele mehr. Ein weiterer Roman, »Das neunte Haus«, wird derzeit von Amazon Studios verfilmt. Leigh Bardugo lebt in Los Angeles.
Kapitel 2
Valentina besaß keine Zofe, deshalb war es Aufgabe der Küchenmagd, ihr abends beim Auskleiden zu helfen, die Kerzen zu löschen, die Fenster fest zu verschließen und die Nachttöpfe unter die Betten zu stellen. Für gewöhnlich gelang es Valentina, das Mädchen zu ignorieren. Sie war leidlich fleißig und in ihren Woll- und Leinenkleidern angemessen farblos – nicht der Typ, der Aufmerksamkeit erregte. Das war einer der Gründe, warum Valentina sie eingestellt hatte, auch wenn ihr, um der Wahrheit die Ehre zu geben, kaum eine andere Wahl geblieben war. Der Lohn, den sie zahlen konnte, war niedrig, und da es im Haus nur zwei Angestellte gab, war die Arbeit hart.
Als das Mädchen an diesem Abend die Ösen an Valentinas Kleid aufhakte und den Staub davon abbürstete, fragte sie jedoch: »Wie ist dein Name?« Sie musste ihn irgendwann mal gekannt haben, hatte ihn aber zu selten benutzt, um ihn sich zu merken.
»Luzia, Señora«, sagte das Mädchen, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen.
»Und hast du einen Verehrer?«
Luzia schüttelte den Kopf. »Nein, Señora.«
»Wie schade.«
Valentina rechnete mit einem gemurmelten Ja, Señora. Stattdessen verstaute Luzia das zusammengelegte Kleid in der Truhe und sagte: »Es gibt Schlimmeres für eine Frau, als allein zu sein.«
Im Haus meiner Mutter war ich glücklicher. Der Gedanke kam ungebeten, die plötzliche Trauer war überwältigend. Aber natürlich gab es keine größere Schande als eine unverheiratete Tochter, nichts Nutzloseres als eine Frau ohne Ehemann und Kinder. War dieses Mädchen glücklich? Valentina wollte die Frage schon laut stellen, biss sich jedoch auf die Lippe. Was spielte es für eine Rolle, ob eine Dienstmagd glücklich war, solange sie ihre Arbeit verrichtete?
»Du und die Köchin, ihr wolltet euch heute über mich lustig machen, nicht wahr?«
»Nein, Señora.«
»Ich weiß, was ich gesehen habe, Luzia.«
Jetzt schaute das Mädchen hoch, und Valentina bemerkte zu ihrer Überraschung, dass ihre Augen dunkelbraun, beinahe schwarz waren.
»Was haben Sie gesehen, Señora?«, fragte das Mädchen, ihr Blick war so klar wie das Wasser des Manzanares. Valentina wurde sich mit einem Mal bewusst, dass sie beide allein im Zimmer waren. Die Stille im Haus drängte sich ihr auf – und ihre eigene Schwäche. Fast kam es ihr so vor, als hätte sie einen Schrank geöffnet und einen Wolf darin vorgefunden.
»Nichts«, brachte Valentina hervor, beschämt über das Zittern in ihrer Stimme. »Ich habe nichts gesehen.« Sie stand auf und durchquerte das Zimmer, um etwas Distanz zwischen sich und das Küchenmädchen zu bringen. »Dein Blick ist reichlich anmaßend.«
»Verzeihung, Señora.« Luzia richtete die Augen wieder auf den Boden.
»Geh«, sagte Valentina mit einer, wie sie hoffte, unbekümmerten Geste.
Aber nachdem Luzia gegangen war, verriegelte sie die Tür hinter ihr.
In dieser Nacht schlief Luzia nicht, und am nächsten Tag ging sie keine Risiken ein. Sie wartete, bis das Wasser kochte, ohne das Aufheizen mit einem gesungenen Wort zu beschleunigen. Sie holte Holz für den Küchenherd, ohne eine Silbe zu sprechen, um es anzuzünden. Sie konnte erst wieder richtig durchatmen, als sie die Straße zu San Ginés entlangeilte. Seit dem Vorkommnis mit dem Brot hatte Doña Valentina sie genau beobachtet. Nach Magie suchte sie dabei nicht; vielmehr glaubte sie, Luzia und die Köchin wollten ihr einen albernen Streich spielen.
Auf die Straße hinaus konnte Valentina ihr jedoch nicht folgen. Eine Frau ihres Standes durfte das Haus nur in Begleitung ihres Ehemanns, ihres Vaters oder eines Geistlichen verlassen. Luzia hatte Geschichten von reichen Damen gehört, die aus dem Fenster gestürzt waren und sich mehrere Knochen gebrochen hatten. Eine war sogar gestorben, weil sie sich zu weit hinausgelehnt hatte, um Neuigkeiten zu erfahren. Wenn Luzia müde war oder ihr der Rücken wehtat, spielte sie manchmal ein Spiel mit sich selbst: Würde sie lieber den ganzen Tag auf einem Kissen sitzen und sticken, dafür aber das Leben nur durch ein Fenster sehen? Oder ein weiteres Mal zum Brunnen gehen? Wenn die Eimer leer waren, fiel ihr die Antwort leicht. Waren sie voll, sah die Sache anders aus.
Als sie vom Haus wegging, spürte sie Doña Valentinas Blick vom Fenster im Obergeschoss auf sich ruhen, doch Luzia schaute nicht hoch und lief so schnell sie konnte zu San Ginés. Die Windungen der staubigen Straßen waren ihr wohlvertraut, die anderthalb Kilometer schwanden unter ihren Füßen dahin.
Luzias Tante hatte ihr eingeschärft, dass sie sich jeden Tag in der Kirche blicken lassen sollte. Als sie jedoch das dunkle Hauptschiff betrat, musste sie an ihre Mutter denken, die irgendwo unter ihren Füßen begraben lag. In San Ginés wurde ständig jemand begraben; die Steine wurden angehoben, wieder eingesetzt und dann erneut entfernt und die Leichen neu verteilt, um mehr Platz zu schaffen.
Blanca Cotado war in einem Armenhospital gestorben. Ihr Leichnam war mit den anderen Toten bei einem Begräbniszug zur Schau gestellt worden, damit die Geistlichen Almosen für die Totenmessen sammeln konnten. Luzia war damals zehn Jahre alt gewesen, und sie erinnerte sich an die Anweisungen ihrer Mutter, die wahren Gebete, die sie wie ein geheimes Echo in ihrem Kopf sprechen sollte. Es war ein Spiel, das sie und ihre Mutter gemeinsam gespielt hatten – eine Sache sagen und eine andere denken, die wenigen Brocken Hebräisch, die wie angeschlagene Teller in der Familie weitergereicht wurden. Luzia wusste nicht, ob Gott sie hören konnte, wenn sie in den kühlen Schatten von San Ginés betete, oder ob er ihre Sprache verstand. Manchmal beunruhigte sie das, aber heute hatte sie andere Sorgen.
Sie schlenderte durch die Osttür der Kirche nach draußen in den angrenzenden Garten mit der Statue der stillenden Heiligen Jungfrau in der Mitte.
»Sie könnte Ruth sein«, hatte ihr Vater gesagt. »Sie könnte Esther sein.«
Aber ihre Mutter hatte von einer langen Reihe Gelehrter abgestammt, und deshalb hatte sie geflüstert: »Diese Statuen sind nicht für uns.«
Luzias Füße trugen sie eine verschlungene Nebenstraße entlang, die zur Plaza de las Descalzas und dann weiter zu einem Backsteinhaus mit einer in den Türrahmen geschnitzten Weinrebe führte. Luzia kam alle paar Wochen hierher, obwohl sie es nach Möglichkeit am liebsten jeden Tag getan hätte. Sie trug stets frische Bettwäsche in ihrem Marktkorb bei sich, damit sie vorgeben konnte, sie bei Hualits Hausangestellten abgeben zu wollen, falls jemand aus irgendeinem Grund danach fragte. Es fragte jedoch nie jemand. Luzia wusste, wie man sich unsichtbar machte.
Einmal hatte sie Hualits Gönner, Víctor de Paredes, aus dem Haus ihrer Tante kommen sehen. Er hatte schwarzen Samt getragen und war in eine noch schwärzere Kutsche gestiegen, als würde er in einem schattigen Brunnen verschwinden, ein Stück Nacht, das sich der Nachmittagssonne widersetzte. Um Fragen aus dem Weg zu gehen, war sie an Hualits Tür vorbeigelaufen und hatte so getan, als wollte sie woandershin; einen kurzen Blick ins Innere der Kutsche hatte sie sich dennoch nicht verkneifen können. Sie hatte nur de Paredes’ Stiefel gesehen und ihm gegenüber, in einer Ecke, einen schlanken, kränklich wirkenden jungen Mann mit glatter, glänzender Haut, Haaren im kühlen Weiß einer Taubenbrust und Augen, die funkelten wie Austernschalen. Als sie dem Blick seiner blassen Augen begegnet war, hatte sie das merkwürdige Gefühl gehabt, aus ihren Schuhen gehoben zu werden, und sie war schnell weitergeeilt und hatte erst dann einen Bogen zurück geschlagen, als sie sich sicher sein konnte, dass die Kutsche abgefahren war. Es war noch Winter, doch zu ihrer Überraschung hatten die Mandelbäume, die in der Straße ihrer Tante über die Mauern ragten, schon zu blühen begonnen. Ihre Zweige waren mit dichten Büscheln zitternder weißer Blüten besetzt.
Heute waren keine Mandelblüten zu sehen, keine tintenschwarze Kutsche vor dem Haus, und Tante Hualit öffnete ihr selbst die Tür und winkte sie mit einem Lächeln herein.
Steife Spitze und schwarzer Samt waren gerade in Mode, und Hualit trug beides, wann immer sie das Haus verließ, seit sie Catalina de Castro de Oro war, die Mätresse von Víctor de Paredes. Zu Hause dagegen, in dem eleganten Hof mit dem plätschernden Springbrunnen, trug sie Gewänder aus gefärbter Seide. Ihr dichtes schwarzes Haar fiel ihr in nach Bergamotte duftenden Wellen über die Schultern.
Luzia wusste, das alles war nur Schein. Ein Mann wie Víctor de Paredes liebte das Exotische, und Hualit war noch aufregender als die Paradieskörner, die in den Bäuchen seiner Schiffe eintrafen. De Paredes’ Schiffe sanken nie, ganz gleich, wie rau die See war, und überall in der Hauptstadt flüsterte man sich zu, das sei ein Zeichen für Gottes Gunst. Hier im Hof dagegen schwärmte er, Catalina de Castro de Oro sei sein Glücksbringer, und Luzia fragte sich manchmal, ob Hualit ihren Gönner womöglich tatsächlich verzaubert hatte, da ihr Schicksal so stark von seinem abhing.
»Etwas stimmt nicht«, sagte Hualit, nachdem die Tür geschlossen war. Mit eisernem Griff packte sie Luzias Kinn und blickte ihr prüfend ins Gesicht.
»Wenn du mich loslässt, kann ich das Rätsel für dich lösen.«
Hualit schnaubte. »Du klingst verärgert, aber ich rieche Furcht.«
Sie bedeutete Luzia, sich mit ihr auf das niedrige Sofa in der Hofecke mit den kunstvoll angeordneten bestickten Kissen zu setzen. Wirklich maurisch war das alles nicht, aber dekadent genug, um de Paredes das Gefühl des Verbotenen zu geben. Außerdem passte die Kulisse zu Hualit. Alles an ihr war...
Erscheint lt. Verlag | 2.5.2024 |
---|---|
Übersetzer | Alexandra Jordan, Sara Riffel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Adel • Alchemie • bücher fantasy romantik • Das neunte Haus • fantasy-bestseller • Fantasy Bücher Erwachsene • fantasy bücher jugend • Fantasy Epos • Fantasy Magie • Fantasyroman • fantasy romane für erwachsene • Gefährte • Goldenes Zeitalter • grisha bücher • grisha trilogie deutsch • Grisha-Verse • Grumpy meets Sunshine • grumpy sunshine book • Historical Fantasy • historische Fantasy • Intrige • Leigh Bardugo • leigh bardugo bücher • leigh bardugo bücher reihenfolge • Leigh Bardugo deutsch • leigh bardugo shadow and bone • Madrid • magische Liebesgeschichte • New York Times-Bestsellerautorin • ninth house • romane für teenager • Romantasy • Romantic Fantasy • romantische fantasy bücher für erwachsene • Six of Crows • Spanien • spanischer Hof • The Familiar Deutsch • unsterblicher Vertrauter |
ISBN-10 | 3-426-28478-2 / 3426284782 |
ISBN-13 | 978-3-426-28478-0 / 9783426284780 |
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