Der Traum vom Tor -  Juliana Weinberg

Der Traum vom Tor (eBook)

Historischer Roman | Fußball-EM 2024: 70 Jahre zuvor steht Deutschland im WM-Finale und Luise will auch Fußball spielen - nicht leicht als Frau in der Nachkriegszeit
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2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0692-5 (ISBN)
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1954: Ganz Deutschland befindet sich im Freudentaumel, denn die Nationalelf hat die Fußballweltmeisterschaft gewonnen! Auch die junge Luise, die mit drei sportbegeisterten Brüdern aufgewachsen ist, interessiert sich brennend für die angesagte Sportart, vor allem, da fünf der frisch gekürten Weltmeister aus ihrer Heimatstadt stammen. Mit Feuereifer nimmt sie am Training einer neu gegründeten Frauenmannschaft teil. Das stößt nicht überall auf Gegenliebe, denn die öffentliche Meinung besagt noch immer, dass Fußball unweiblich und zu rabiat für zarte Frauenkörper ist. Überall spürt Luise Gegenwind, bei ihren Freundinnen und in ihrer Familie. Auch ihr Schwarm Robert ist nicht begeistert von ihrem neuen Hobby.

Dann verbietet der Deutsche Fußballbund Frauenmannschaften. Finden Luise, ihre Mitstreiterinnen und der attraktive Trainer Max dennoch eine Möglichkeit, weiterhin den Ball übers Feld kicken zu dürfen?



Juliana Weinberg wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren. Sie schreibt Bücher, seit sie acht Jahre alt ist. Außerdem interessiert sie sich für fremde Sprachen und Kulturen. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie im Pfälzerwald.

Kapitel 1


KAISERSLAUTERN, AUGUST 1954

Luise hasste die Samstagvormittage. Eigentlich müsste die Aussicht auf das vor ihr liegende Wochenende sie aufmuntern, doch bevor dieses anbrach, galt es, die kleine Schneiderei, in der sie angestellt war, auf Vordermann zu bringen. Die Meisterin, Frau Nagelschmidt, eine resolute Mittfünfzigerin in engem taubengrauen Tweedrock, bei dem die Nähte spannten, trieb ihre drei jungen Mitarbeiterinnen allerdings nicht nur dazu an, in der Nähstube zu fegen und aufzuräumen, sondern trug ihnen allerlei Tätigkeiten auf, die so gar nichts mit dem Beruflichen zu tun hatten.

Margrit, mit ihren neunzehn Jahren um ein Jahr älter als Luise, steckte ihren kurz geschnittenen hellbraunen Haarschopf durch die Badezimmertür. »Jetzt lässt sie mich wieder den Wochenendeinkauf für sie und ihren Männe erledigen. Davon steht nichts in meinem Arbeitsvertrag.« Dann blickte sie mitleidig zu Luise, die eine groß geblümte Kittelschürze trug und gerade einen Spritzer Ata auf ein Baumwolltuch gab, um das Waschbecken zu putzen. »Na ja, vielleicht sollte ich mich nicht beschweren, einzukaufen ist immer noch besser, als das herrschaftliche Privatbad zu schrubben.«

»Du sagst es.« Verbissen rieb Luise mit dem Tuch über das helle Porzellan des Waschbeckens, auf dessen Rand ein Zahnputzbecher mit zwei Zahnbürsten stand, die dem Ehepaar Nagelschmidt gehörten. »Sei froh, dass du die Älteste von uns dreien bist und das Privileg besitzt, zum Laden an der Ecke gehen zu dürfen.«

»Mach dir nichts draus, Luise, Catrin hat es noch schlimmer erwischt. Sie muss die Betten frisch überziehen.« Kichernd drehte Margrit sich auf dem niedrigen Absatz ihrer Ballerinas herum, und gleich darauf hörte Luise die Haustür zuschlagen.

Seufzend öffnete sie das Fenster, durch das blütengetränkte, warme Sommerluft strich, die ihr Gesicht liebkoste, und klopfte den plüschigen Toilettenvorleger aus. Manchmal schüttete sie ihrer Familie ihr Herz über die unliebsamen Arbeiten aus, die die Nagelschmidt ihnen aufbrummte, stieß dort aber auf wenig Verständnis.

»Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, pflegte ihr ältester Bruder Georg mit ernster Miene zu dozieren, worauf sie ihm jedes Mal einen empörten Rippenstoß verpasste. Sie war mit ihren achtzehn Jahren kein Lehrling mehr, sondern hatte vor wenigen Monaten die Gesellenprüfung bestanden.

Dass sie ausgerechnet Schneiderin geworden war, war ein Zufall. Nach der Schulzeit hatte sie sich nicht so recht für einen Beruf entscheiden können, sodass Georg sie kurzerhand bei Anita Nagelschmidt in der Beethovenstraße in die Lehre gegeben hatte. Nachdem der Vater nicht aus Russland zurückgekehrt war, nahm der Bruder seit Kriegsende die Position des Familienoberhauptes ein, und was er sagte, war Gesetz, nicht zuletzt aufgrund der Autorität, die er als junger Polizist an den Tag zu legen wusste.

Im Grunde bereitete Luise das Nähen Spaß, denn wie jede junge Frau interessierte sie sich für Mode, aber an Tagen wie diesem konnte sie es kaum erwarten, der Nagelschmidt’schen Wohnung mit der angegliederten Nähstube zu entkommen, sich Vaters altes, rostiges Fahrrad zu schnappen und kräftig in die Pedale zu treten, um nach Hause zu fahren.

Zwanzig Minuten noch, dann würden aus dem Kofferradio, das Frau Nagelschmidt von morgens bis abends laufen ließ, die Zwölf-Uhr-Nachrichten ertönen, und sie wäre erlöst.

Nach einem letzten Blick in den Badezimmerspiegel – ihre Wangen waren von den sommerlichen Temperaturen gerötet, ihre kurzen rotblonden Haare mit dem gewellten Pony, das sie sich in Anlehnung an Audrey Hepburn hatte schneiden lassen, zerzaust – trat sie zu der Meisterin in die Stube. »Fertig.«

»Ich auch.« Catrin, die als einziges Mädchen aus Luises Freundeskreis noch einen langen, geflochtenen Zopf trug, der etwas altbacken anmutete, tauchte aus dem Schlafzimmer auf.

»Und ich bin auch wieder da.« Mit einem spitzenbesetzten Taschentuch tupfte Margrit sich die Schweißperlen von der Stirn, während sie drei prall gefüllte Einkaufsbeutel auf dem Teppich abstellte. »Röstfein war aus, aber ich habe gesehen, dass Sie im Vorratsschrank noch Muckefuck stehen haben.«

»Ich mag es nicht, wenn ihr Mädchen meine Vorratskammer inspiziert.« Anita Nagelschmidt schürzte die Lippen, wirklich böse war sie aber nicht. Die von grauen Fäden durchzogenen Wasserwellen auf ihrem Kopf hingen ihr schlapp über die Ohren, die aufgeheizten Temperaturen setzten ihnen allen zu.

»Dürfen wir Feierabend machen, Chefin?«, fragte Margrit, die meistens die Sprecherinnenrolle übernahm. »Wir haben alles erledigt.«

Luise band die Bänder ihrer Kittelschürze auf, doch die unwirsche Ansage Anita Nagelschmidts ließ sie in der Bewegung innehalten. »Das wäre ja noch schöner. Immerhin ist es erst zwanzig vor zwölf. Ich bezahle euch nicht fürs Nichtstun.«

Luise, die in Gedanken bereits auf ihrem Fahrrad saß und zu beiden Seiten die Häuser an sich vorbeiziehen sah, fiel in sich zusammen. »Aber Chefin, es gibt nichts mehr zu tun.«

Sie wechselte einen verdrossenen Blick mit Catrin, die an den Rüschen ihrer Schürze zupfte. Konnte die Nagelschmidt nicht mal fünf gerade sein lassen? Bestimmt dachte sie sich nun wieder eine unnütze Beschäftigung aus, um ihnen keine Minute mehr Freizeit zu gönnen.

Suchend sah die Meisterin sich um, mit den Händen ihren Rock glattstreichend, der über dem Bauch unvorteilhafte Falten schlug. »Setzt euch noch mal an den Nähtisch, Mädchen, aber flugs! Faulenzen könnt ihr das ganze Wochenende noch. Nehmt euch die Schachteln mit den Knöpfen und dem Garn vor und sortiert alles farblich.«

Die Mädchen stöhnten auf, gehorchten aber und setzten sich finster guckend an den länglichen Holztisch mit den Nähmaschinen, während die Meisterin in ihrer Küche verschwand.

»Die geizige Kuh«, flüsterte Margrit, die mit lang ausgestreckten Beinen auf ihrem Stuhl flegelte. Die Knöpfe, die in allen Formen und Größen – aus Perlmutt, aus Hirschhorn, Holz oder Metall – in Blechdosen lagen, ließ sie lediglich durch die Finger rinnen, statt sie zu sortieren. »Bei dem herrlichen Wetter heute hätte sie wirklich ein Auge zudrücken können. Wollen wir heute Abend was unternehmen?«

Catrin hielt einen Moment inne, blaue Garnrollen ordentlich nebeneinander in ein Kästchen zu legen. »Da bin ich auf jeden Fall dabei!«

»Was schwebt euch vor?« Luise zog Stecknadeln mit bunten Köpfchen aus den prallen Nadelkissen, um sie gleich darauf an anderer Stelle wieder hineinzustecken. Eine ebenso sinnvolle Aufgabe wie das Sortieren von Faden und Knöpfen. Mit ihren Freundinnen hatte sie meistens Spaß – allerdings war am Samstagabend auch zu Hause immer etwas los. Mit drei Brüdern, die oft Freunde mitbrachten, fand die Party sozusagen in der eigenen Stube statt. Halbstarke, nannte Nachbarin Stolle die Bekannten und Kollegen von Georg, Ulrich und Peter, die auf ihren Motorrollern geräuschvoll durch die enge Gasse knatterten und die Musik in der Küche laut aufdrehten.

»Wir könnten in die neue Milchbar in der Eisenbahnstraße gehen«, schlug Catrin vor. »Die haben die neuesten Schlager auf der Jukebox.«

»Eine Milchbar? Um Eis zu essen oder Limonade zu trinken?« Margrit rümpfte die Nase. »Wir sind doch keine Volksschüler mehr.«

»Wir könnten uns schon am Nachmittag treffen und eine Radtour an den Vogelwoog machen. Wir können ein Picknick machen und die Füße ins Wasser hängen. Das muss bei der Hitze herrlich erfrischend sein.« Sie saßen in der Schneiderei schon den ganzen Tag an ihren Nähmaschinen, Luise verspürte wenig Lust, in ihrer Freizeit in einer Milchbar oder einem der aus dem Boden sprießenden italienischen Eiscafés zu sitzen. Um wie viel schöner wäre es, sich zu bewegen, zu spüren, dass man jung und lebendig war!

»Das können wir noch tun, wenn wir alt sind, dreißig oder so.« Margrit stützte das Kinn auf den Ellenbogen und schaute verträumt aus dem Fenster. »Wie wäre es, wenn wir tanzen gingen?«

Catrin wickelte mit gesenktem Blick himmelblaues Garn auf eine Spule. »Würde ich gerne, falls mein Vater es erlaubt. Ihr wisst, seit er aus der Gefangenschaft zurück ist, ist er an manchen Tagen so unnahbar und streng und behandelt mich wie ein kleines Kind.«

»Du wirst ihn schon irgendwie rumkriegen.« Margrit warf der jüngeren Kollegin lediglich einen knappen Blick zu. »Und du, Luise?«

»Ich bin mit von der Partie.« Tanzen war um einiges besser, als auf einem der hohen Hocker in der Milchbar zu kauern und nichts anderes zu tun, als mit dem Strohhalm an einem Getränk zu saugen.

»Abgemacht.« Margrit nickte zufrieden, dann schloss sie die Deckel der Knopfkisten und sah demonstrativ zu der großen Uhr, die über der Tür hing. Noch zehn Minuten bis Feierabend.

»Nicht trödeln.« Anita Nagelschmidt erschien mit einer dampfenden Tasse Früchtetee, der herb aromatische Duft hing wie eine Wolke in der Stube. Wie man bei dem Wetter ein solch heißes Getränk zu sich nehmen konnte, war Luise ein Rätsel.

Ein spitzer Schrei riss sie aus ihren Gedanken.

Die Meisterin war gerade im Begriff gewesen, sich mit dem Tee auf ihren angestammten Stuhl am Nähtisch zu setzen, schnellte jedoch sofort wieder hoch, das Gesicht schmerzhaft verzogen. Hektisch stellte sie die Tasse ab und rieb sich mit beiden Händen über den Hintern. »Was zum …«

»Was ist mit Ihnen, Chefin?« Margrits Miene spiegelte nichts als unschuldige Sorge. Catrin lief rot an, während Luise rasch einen...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Contemporary • DFB • Frauenfussball • Fussball Weltmeisterschaft • historical_themes • Historischer • Hoffnung • Mut • Nachkriegszeit • Roman • über • Zusammenhalt
ISBN-10 3-7499-0692-0 / 3749906920
ISBN-13 978-3-7499-0692-5 / 9783749906925
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