Die Stimme der Kraken (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
464 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12249-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Stimme der Kraken -  Ray Nayler
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Es gibt außergewöhnliche Lebewesen in den tiefen Wassern vor der Insel Con Dao. Für die Einheimischen sind sie Monster.  Für den Großkonzern, dem die Insel gehört, ein lukratives Geschäft.  Für das Team der Wissenschaftler, unterstützt vom weltweit ersten Androiden: eine Offenbarung Ihr Bewusstsein ist anders als unseres. Ihre Körper sind formbar, beweglich, immer in Veränderung. Sie beherrschen intelligente Kommunikation. Und sie wollen, dass wir verschwinden. »Ein Öko-Thriller, der es in sich hat!« Washington Post »Spannend, absolut gegenwärtig und äußerst klug.« The New York Times »So unterhaltsam wie durchdacht, diese Erkundung - menschlichen und nichtmenschlichen - Bewusstseins ist schlicht umwerfend.« Publishers Weekly

Ray Nayler, geboren in Quebec und aufgewachsen in Kalifornien. Fast sein halbes Leben war er im United States Foreign Service und dem Friedenscorps, u. a. als Beauftragter für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Gesundheit für das US-Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt. Mit seinen Kurzgeschichten gewann er u. a. den Asimov's Readers' Award. Er arbeitet an der George Washington University's Elliott School of International Affairs. Er lebt mit seiner Familie in Washington D. C. Die Stimme der Kraken wurde mit dem Locus Award der Los Angeles Times ausgezeichnet und war auf der Shortlist für den Nebula Award und den Ray Bradbury Prize.

Ray Nayler, geboren in Quebec und aufgewachsen in Kalifornien. Fast sein halbes Leben war er im United States Foreign Service und dem Friedenscorps, u. a. als Beauftragter für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Gesundheit für das US-Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt. Mit seinen Kurzgeschichten gewann er u. a. den Asimov's Readers' Award. Er arbeitet an der George Washington University's Elliott School of International Affairs. Er lebt mit seiner Familie in Washington D. C. Die Stimme der Kraken wurde mit dem Locus Award der Los Angeles Times ausgezeichnet und war auf der Shortlist für den Nebula Award und den Ray Bradbury Prize. Benjamin Mildner, geboren 1984, hat Anglistik und Literatur studiert. Zu seinen bisherigen Übersetzungen zählen u. a. William Gibson und Shaun Prescott sowie mehrere Graphic Novels. Er lebt und arbeitet in Berlin.

»Ein Lesestoff erster Qualität. Bravo dafür.«
Horst Tress, Magazin Köllefornia, 13. April 2024

»Genial! Was ist intelligentes Leben? Dieser Thriller stellt diese Frage auf nie dagewesene Weise. Ein atemberaubender Tauchgang zu den Abgründen der menschlichen Zivilisation und den Geheimnissen der Tiefsee.«
Peter Pollak, Kultbote, Juni 2024

»Dieses abgefahrene und bestens recherchierte Buch verbindet mehrere spannende Themen. Die Intelligenz der Kraken und die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz. Heraus-gekommen ist ein unheimlich plausibler, cooler Wissenschaftsthriller, der Extraklasse.«
Gernot Recke, Kamikaze Radio, 02. Mai 2024

»so ideenreich wie schön gemacht«
Tobias Jochheim, Rheinische Post, 17. Juni 2024

»Mühelos kombiniert er interessante wissenschaftliche Überlegungen zu Bewusstsein, KI, Kommunikation und Tintenfischen mit Cyberpunk und der aktuell so wichtigen Eco-Fiction. Auf diese Weise entsteht ein fesselnder Roman mit komplexem Setting und würdigen Figuren.«
Christian Endres, Geek!, Ausgabe 73

1


Es war Nacht im Bezirk 3 der Autonomen Handelszone Ho Chi Minh.

An der Plastikmarkise des Cafés strömte der Regen herab. Darunter, vor dem Regen geschützt und eingehüllt in Küchendünste und Stimmengewirr, wuselten Kellner mit dampfenden Suppenschüsseln, Coldbrewgläsern und Bierflaschen zwischen den Tischen umher.

Hinter der Regenwand rauschten Elektro-Mopeds wie leuchtende Fische vorbei.

Lieber nicht an Fische denken.

Lawrence richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen auf die Frau ihm gegenüber, die ihre Essstäbchen gerade mit einem Limettenschnitz abrieb. Ein Abglanz-Identitätsschild, dessen flackernde Farbschleier sich ständig wandelten, bedeckte ihr Gesicht. Wie etwas, das unter Wasser lebt …

Lawrence drückte die Fingernägel in seine Handfläche. »Verzeihung – könnten Sie dieses Ding vielleicht anders einstellen?«

Die Frau justierte etwas. Der Abglanz nahm die Erscheinung eines ausdruckslosen Frauengesichts an. Unter der Oberfläche konnte Lawrence die zarten Umrisse ihres eigentlichen Gesichts umhertreiben sehen. Umhertreiben …

»Diese Einstellung benutze ich normalerweise nicht.« Die Vibrationen des Abglanzes gaben dem Tonfall der Frau etwas Mattes. »Die Gesichter wirken befremdlich. Die meisten Menschen bevorzugen den Farbschleier.«

Sie führte ihre Essstäbchen zum Mund. Die Nudeln verschwanden in der von Störimpulsen durchzuckten Lippen-Oberfläche der Maske. Dahinter sah man den Schatten von einem weiteren Paar Lippen und Zahnreihen.

Schau nicht hin. Fang einfach an. »Okay. Meine Geschichte. Deswegen sind wir hier. Ich bin vor zehn … nein, vor mittlerweile elf Jahren auf den Archipel gekommen. Davor habe ich in einem Tauchladen in Nha Trang gearbeitet. Als ich ankam, gab es auf Con Dao nur zwei Tauchläden – einen in einem schicken Hotel für Westler und einen anderen kleinen Laden, der sich kaum halten konnte. Den hab ich gekauft. Hab fast nichts dafür bezahlt. Con Dao war ein verschlafenes Inselchen – kaum bevölkert, kaum besucht. Die Einheimischen haben geglaubt, dass es auf der Insel spukt.«

»Spukt?«

»Die ganze Insel ist früher ein Gefängnis gewesen. Auf den Friedhöfen liegen Generationen von Regimekritikern begraben, die von einer Regierung nach der anderen zu Tode gefoltert wurden. Ziemlich schlechter Ort, um ein Geschäft aufzumachen, denken Sie? Mag sein. Aber ein guter Ort, um einfach nur über die Runden zu kommen und sein Leben zu leben. Klar, der Ort hatte seine Schwierigkeiten – viele sogar. Rein rechtlich gehörte der gesamte Archipel – die Inseln und die Gewässer – dem Global Conservation Park. Man durfte also nicht fischen, nicht jagen. Es gab sogar eine eigene Aufsicht der UN, die einmal im Jahr aufkreuzte und einen Bericht erstellte. Aber tatsächlich waren dort ständig Fischerboote unterwegs, ihre Schleppnetze verhedderten sich in den Riffen und sie fischten mit Zyanid und Dynamit. Und die Ranger waren alle korrupt. Was hätten sie auch sonst machen sollen, bei den Monatslöhnen? Sie haben Schildkröteneier verkauft, Rifffische, was immer sie in die Finger bekamen. Und die Einheimischen haben da auch mitgemischt – haben mit Speeren gefischt und sind ohne Ausrüstung nach Schalentieren getaucht. Son, mein Assistent, war so ein Taucher.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Das hab ich doch schon gesagt – ich weiß es nicht. Nach der Evakuierung haben wir uns aus den Augen verloren.«

»Er ist der, der mit Ihnen auf dem Boot war? Am Tag des Zwischenfalls?«

»Ja. Das wollte ich gerade erzählen.« Beziehungsweise vermeiden. »Das Wrack ist ein thailändisches Stahl-Frachtschiff, sechzig Meter lang. Im späten 20. Jahrhundert untergegangen. Das einzige für Taucher erreichbare Schiffswrack in ganz Vietnam. Es liegt nur zwanzig Meter tief im Wasser, aber die Tauchbedingungen dort sind meistens schlecht. Starke Strömungen, trübe Sicht. Nur was für Taucher, die wissen, was sie tun. Auf Con Dao kommen nicht viele solcher Leute vorbei, also waren wir schon seit Jahren nicht mehr da draußen gewesen. Wir tauchten morgens. In der Nebensaison. Mickrige Sicht, vielleicht zwei Meter. Aber dieser Typ wollte eben unbedingt zu einem Wrack tauchen. Also gingen wir ins Wasser und arbeiteten uns nach unten vor. Nur er und ich.«

Lawrence machte eine Pause. »Das klingt jetzt alles dramatischer, als es war. Es war nicht dramatisch. Es war reine Routine. Cobias und Tintenfische haben uns angestupst. Die Sicht war erbärmlich. Wir waren fast am Wrack, als ich entschieden hab, das Ganze abzubrechen. Als ich mich zu ihm umgedreht hab, war er weg. Das ist aber normal. Bei so schlechter Sicht verliert man dauernd Leute. Man bleibt einfach, wo man ist. Wenn man anfängt, sie zu suchen, kann man sich leicht verirren. Aber nach fünf Minuten hab ich mir langsam Sorgen gemacht. Ich bin an der Schiffsreling entlang zurückgeschwommen. Dabei hab ich mir immer wieder gesagt, dass er gewusst hat, was er macht. Er wäre nicht ohne mich ins Wrack hineingetaucht. Gab es ein Problem mit seiner Ausrüstung? Hatte er sich entschieden, wieder aufzutauchen?« Er hielt inne.

»Ich bin nach oben geschwommen, weil ich dachte, dass er dort vielleicht irgendwo herumdümpelt. Ich rief Son auf dem Boot und fragte ihn, ob er ihn gesehen hatte. Nichts. Also bin ich wieder runtergetaucht. Ich hab gemerkt, wie sich Panik in mir breitmacht. Die Bedingungen dort unten haben alles noch schlimmer gemacht: schmuddeliges Wasser, überall Schatten. Fische huschten durchs Sichtfeld. Schließlich bin ich dann doch ins Wrack rein. Er konnte nirgendwo sonst sein. Als ich drin war, hat es nicht lange gedauert, bis ich ihn gefunden hab. Er ist nicht weit drinnen gewesen: Sein Körper war eingeklemmt unter einer Gangway im Hauptfrachtraum. An seiner Schläfe klaffte eine Wunde. Ein paar Fische sind schon mit Fleischstückchen davongeschwommen. Ich hab ihn an die Oberfläche gebracht. Son wollte unbedingt versuchen, ihn zu reanimieren. Aber ich wusste, dass er tot war. Er war schon tot, als ich ihn gefunden hab.«

»Und wie ist er gestorben, Ihrer Meinung nach?«

»Es war nicht die Wunde – die war nur oberflächlich. Er ist ertrunken, weil irgendjemand ihm den Atemregler geklaut hat, seine Tauchmaske, seine Sauerstoffflasche, alles. Als seine Ausrüstung weg war, hat er wahrscheinlich Panik bekommen, sich den Kopf gestoßen und das Bewusstsein verloren. Ohne die Maske und den Regler kann es nicht lange gedauert haben, bis er tot war.«

»Und sein Atemregler? Die Sauerstoffflasche? Die Maske? Haben Sie diese Sachen noch gefunden?«

Die Regungslosigkeit dieses verschwommenen Gesichts, die Ausdruckslosigkeit der modifizierten Stimme, sie versetzten Lawrence abermals auf die Insel. Wie er diese Geschichte immer und immer wieder hatte erzählen müssen. Den Rangern, der Polizei, den Reportern. Anschuldigungen, Zweifel – und irgendwann Gleichgültigkeit.

»Wir haben sie nie gefunden.«

»Aber Sie haben das Schiff abgesucht.«

»Nein. Hab ich nicht. Ich hab gelogen.«

»Gelogen?«

»Ich konnte da nicht noch mal runter. Ich hab der Polizei erzählt, wir hätten seine Ausrüstung gesucht und dass wir das gesamte Schiff durchforstet haben, aber … ich hab nie gesucht. Ich hatte Angst. Es hat in Wahrheit nie eine richtige Suche gegeben.«

Sie hielt inne. »Verstehe. Und was haben Sie dann gemacht?«

»Die Konkurrenz vom anderen Tauchladen hat diesen Todesfall benutzt, um uns die Kundschaft zu vertreiben. Mein Geschäft lief immer schlechter. Aber letzten Endes war das egal. Drei Monate später ging die Evakuierung los. Nur damit das klar ist – ich bin froh, dass Sie und Ihre Leute die Insel gekauft haben. Jetzt weiß ich wenigstens, dass sie geschützt wird. Ich kannte jeden Zentimeter von Con Dao – jedes Riff, das zerstört wurde, jeden Fisch, der illegal gefangen wurde. Es ist besser so: Alle wegbringen, den ganzen Archipel absperren. Ihn verteidigen. Nur so kann man ihn schützen. Ich war einer der Ersten, die Ihr Angebot angenommen haben und abgehauen sind. Eine großzügige Entschädigung, ein neuer Anfang. Das war wahrscheinlich ein riesiger Glücksfall für mich.«

Wahrscheinlich. Aber während er im Regen davonschritt, war Lawrence sich da gar nicht mehr so sicher. Die Tamarindenbäume rauschten im Wind. Sein Poncho hatte an der Seite einen Riss, und langsam breitete sich ein kalter, nasser Fleck auf seiner Kleidung aus.

»Was haben Sie gesehen?« Das hatten sie ihn immer wieder gefragt – die Ranger, die Polizei, die Reporter. Was haben Sie gesehen?

Nichts. Er hatte nichts gesehen. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass etwas ihn gesehen hatte.

Und dieses Gefühl hatte ihn verfolgt. Er war froh gewesen, vom Archipel wegzugehen. Und trotzdem hatte das nicht gereicht – das Gefühl kehrte jedes Mal zurück, wenn er ans Meer dachte.

Con Dao war sein Zuhause gewesen – sein erstes Zuhause. Was immer bei dem Schiffswrack passiert war, hatte ihm das genommen. Das war die Geschichte, die er hatte erzählen wollen. Aber die Frau von DIANIMA hätte das sowieso nicht verstanden.

War sie überhaupt von DIANIMA? Sie hatte das nie gesagt, oder?

Egal. Vielleicht war sie von DIANIMA, vielleicht von einer Konkurrenzfirma. In der AHZ Ho Chi Minh wimmelte es nur so von Wirtschaftsspionen und internationalen Kartellen.

Vor einer Woche war er nach Vung Tau gefahren, ans Meer. Er hatte das Meer seit Monaten nicht mehr gesehen, hatte gedacht, es sei Zeit, mal wieder schwimmen zu gehen. Aber noch bevor er...

Erscheint lt. Verlag 20.4.2024
Übersetzer Benjamin Mildner
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Artificial Intelligence • Bradbury Prize • Bücher wie Der Schwarm • Bücher wie Frank Schätzing • Der Gesang der Flusskrebse • Der neunte Arm des Oktopus • Der Schwarm • Der Zorn des Oktopus • Dirk Rossmann • intelligentes leben • KI • Klimakatastrophe • Klimawandel • Künstliche Intelligenz • Locus Award • my octopus teacher • Nature writing • Neuer Thriller 2024 • Neue Spannung 2024 • OCTOPUS • Oktopus • Science Fiction • Südchinesisches Meer • The Arrival • Thriller • Überfischung • Vietnam • Zukunft
ISBN-10 3-608-12249-4 / 3608122494
ISBN-13 978-3-608-12249-7 / 9783608122497
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