Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist -  Rivka Galchen

Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist (eBook)

«Dieser packende Roman führt uns ins Herz von Gut und Böse.» Margaret Atwood
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-04531-6 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
«Ich liebe dieses Buch!» Lauren Groff Ein fesselnder Roman über den wohl bekanntesten deutschen Hexenprozess gegen Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen und Physikers Johannes Kepler, erzählt aus der Sicht einer starken, unabhängigen Frau. Leonberg, kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs: Der kaiserliche Astronom und Protestant Johannes Kepler ist mit den gewagten Thesen seines heliozentrischen Weltbildes bei den württembergischen Herrschern nicht sonderlich beliebt und muss ins Exil. In der Zwischenzeit hält man sich an seiner Mutter Katharina schadlos und beschuldigt sie der Hexerei.  Rivka Galchen schreibt aus Sicht «Kätherlin» Keplers, einer unabhängig denkenden, im besten Sinne «eigenwilligen» Frau von diesem historisch belegten, langjährigen Hexenprozess (1615-21) und stellt sich und uns die Frage, wie wirkmächtig selbstständig handelnde Frauen in der Historie waren. In Galchens Roman prallen Welten aufeinander, politisch, religiös und gesellschaftlich, an einem historischen Wendepunkt vor Krieg, Pest und einsetzender Renaissance. «Dieser Roman enthält zahlreiche Lektionen für unsere eigene Zeit, über die Macht von Furcht und Aberglauben, Böses entstehen zu lassen. Dabei verzücken Galchens spielerisch poetische Sätze wie die Magie in Märchen.» Oprah Winfrey  «Galchen verwebt verschiedene Perspektiven und zeigt, wie leicht sich in einem Klima der Angst und Ignoranz eine Mobmentalität durchsetzen kann, wenn eine Frau einfach nur außerhalb der Norm steht.» The New York Times

Rivka Galchen wurde 1976 in Toronto geboren und wuchs in Norman, Oklahoma, auf. Sie studierte die seltene Mischung von Literatur und Medizin in Princeton und an der Mount Sinai Medical School. Ihr Romandebüt Atmosphärische Störungen war ein großer Erfolg in den USA und wurde von den bedeutendsten Rezensenten auf den Titelseiten der Feuilletons gelobt. Der New Yorker listete sie 2010 unter die 20 Besten ihrer Generation unter 40. Rivka Galchen lebt in Manhattan.

Rivka Galchen wurde 1976 in Toronto geboren und wuchs in Norman, Oklahoma, auf. Sie studierte die seltene Mischung von Literatur und Medizin in Princeton und an der Mount Sinai Medical School. Ihr Romandebüt Atmosphärische Störungen war ein großer Erfolg in den USA und wurde von den bedeutendsten Rezensenten auf den Titelseiten der Feuilletons gelobt. Der New Yorker listete sie 2010 unter die 20 Besten ihrer Generation unter 40. Rivka Galchen lebt in Manhattan. Grete Osterwald, geboren 1947, lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen in Frankfurt am Main. Sie wurde für ihre Arbeit mehrmals ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Jane Scatcherd-Preis. Zu den von ihr übersetzten Autorinnen und Autoren zählen Siri Hustvedt, Alfred Jarry, Anka Muhlstein, Jacques Chessex sowie Nicole Krauss, Jeffrey Eugenides und Elliot Perlman.

An einem Dienstagvormittag im Mai 1615, vor nunmehr vier langen Jahren, klopfte es zaghaft an meine Tür. Ein sommersprossiger Knabe sagte mit gesenktem Blick, ich möge ihm zum herzoglichen Vogt Lukas Einhorn folgen. Der Knabe hatte helle Augen und trug saubere kurze Hosen. Es war heiß draußen. Ich bot ihm einen schwachen kühlen Wein an, aber er errötete und lehnte ab. Warum ich gerufen würde?, fragte ich. Er sagte, es sei eine offizielle Vorladung. Aber er wusste nicht, warum.

Ihr werdet Euch erinnern, Simon, wie verdorben der Frühling war in jenem Jahr. Die Rüben waren schrumpelig, die Rettiche dürr. Der Rhabarber, für gewöhnlich eine Pracht, kam auf Stroh hinaus, und der Spargel gleichermaßen. Davor hatte es einen grimmigen Winter gegeben. An einem verschneiten Abend war ein Geißbock an meiner Tür erschienen, ein Bettler wie Jesus, dachte ich und ließ ihn ein, und er war so gefroren, dass sein Barthaar brach wie Zuckerguss, als er den Kopf gegen mein Tischbein stieß. Ich traf einen Hirten von außerhalb von Rutesheim, dem die Nase abfiel, als er sich schnäuzen wollte. Es waren Unheil verkündende Monate gewesen. Der Preis für einen Sack Mehl hatte sich fast verdoppelt. Die halbe Stadt musste bei den Kornspeichern borgen.

Aber jener Dienstag war ein sonniger Tag. Ich zog meine Stiefel an, küsste meine liebe Kuh Milli, ließ die Wäsche stehen.

Und ich hatte eine schmeichelhafte Vermutung, warum ich einbestellt wurde. Ihr werdet mich auslachen, wenn ich Euch das erzähle. Ich dachte, Lukas Einhorn wolle meine Hilfe. Meine Hilfe! Wegen der dunklen und schwierigen Zeiten, versteht Ihr? Er war neu als herzoglicher Vogt und hatte keine Vorstellung, wie dieses Amt auszuüben sei. Ich nahm an, Einhorn wolle mich bitten, meinen Sohn Hans zu fragen, ein Horoskop oder gar einen ganzen astrologischen Kalender für ihn zu erstellen. Ein Groll kam mir, als ich dachte, dass er die Arbeit für Gotteslohn erwarten würde. So viele, die Adlige geheißen werden, bitten Hans um astrologische Kalender, um Wettervorhersagen, um persönliche Horoskope. Sogar Kaiser Rudolf hatte ihn gefragt: Was sagen die Sterne zu dem Krieg mit Ungarn? Und sogar der Kaiser hat es nie dazu gebracht, ihm sein Gehalt zu zahlen. Der neue Kaiser ist nicht besser. So geht es mit manchen Leuten, immer dasselbe. Sie könnten ihn genauso gut bitten, ihnen die Kniehosen zu flicken. Hans lebte damals schon in Linz. Er hatte gerade wieder geheiratet und lehrte an einer kleinen Schule. Eine Stellung an seiner Tübinger Universität war ihm wegen eines Unsinns über die Frage, wie die Hostien der Kommunion beschaffen seien, verwehrt worden, und obwohl er an den vornehmsten Höfen bekannt ist, wird er nur in minderem Stand entlohnt. Damals, in jenem Mai, war er in alle möglichen Konflikte mit Druckern verstrickt und überdies auf der Suche nach einem Freier für seine Stieftochter. Ich galt als diejenige, die Hans’ Ohr hatte. Aber der Mann hat nur die gleichen zwei Ohren, die Gott auch uns anderen geschenkt.

Ich bekomme hier in Leonberg so wenig Anerkennung für Hans’ Platz in der Welt, und das ist gut so – wer will schon des Teufels Neid heraufbeschwören? Aber ich glaube, ich wartete auf die Gelegenheit, ein Kompliment zurückzuweisen, um sagen zu können, Hans’ Erfolge seien seine eigenen, nicht meine, wenngleich Hans behauptet, und ich zweifle nicht an seinen Worten, dass sich die Fantasie einer werdenden Mutter dem Kind einprägt. Und Hans sieht aus wie ich, nicht wie sein Vater, Gott hab ihn selig oder wie man sagt. Während ich dem Knaben folgte, dachte ich: Nun denn, ich werde Hans um das Horoskop bitten, oder was der Untervogt auch wollen mag, das hilft meinem Sohn Christoph, der im selben Jahr gerade erst das Bürgerrecht der Stadt erworben hatte und es, genau wie Hans, zu etwas bringen wollte in der Welt, warum nicht? Wir kamen an einem der kleinen Bürgergärten vorbei, wo Kornblumen und blaue Kamille einander überwucherten. Ein weißes Kaninchen kreuzte meinen Weg. Draußen vor der Residenz des herzoglichen Vogts legte ein junger Steinmetz letzte Hand daran, Einhorns Schild in einen Stein zu meißeln. Das Wappen zeigte ein Einhorn, das sich, einem Schlachtross gleich, auf den Hinterbeinen aufbäumt. Nichts als Eitelkeit.

In der kühlen Amtsstube der Vogtei wies mir der Knabe einen Platz neben einem vulgär ausgestopften Fasan zu und verschwand. Der Fasan hatte grüne Glasaugen. Die Federn sahen ölig aus, der Fasan böse. Zum Bösen geneigt, meine ich, im Gegensatz zu dem Bösen entsprungen. Ich war durstig. Ich wartete dort, neben dem reglosen Fasan.

Also, Kätherlin, sagte ich mir, du bist kein Kind mehr, du musst deine eigene Lichtquelle sein. Du kannst Ja sagen, dass du um das Horoskop bitten willst, oder du sagst Nein, aber wenn du Nein sagst, solltest du es höflich tun.

 

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gewartet habe. Dann kam eine Frau herein. Eine Frau, die ich kannte. Es war Ursula Reinbold. War sie auch einbestellt worden? Ihr Haar löste sich aus dem Knoten. Die Locken waren verschwitzt. Ihr Gesicht gerötet. Sie lachte, weinte – beides. Ursula hat keine Kinder, sie sieht aus wie ein rechter Werwolf, ist mit einem drittklassigen Glaser verheiratet. Es ist ihre zweite Ehe. Zu meinem großen Unglück sind zwei von Ursulas Brüdern aufgestiegen in der Welt. Einer dient dem Herzog von Württemberg als Hofbarbier, der andere als Forstmeister zu Leonberg. Den Barbier nenne ich Barbier. Den Forstmeister, Urban Kräutlin, nenne ich den Krautkopf. Das passt doch, nicht wahr? Spricht man mit den Leuten aus Ursulas Heimatort, wie mein Sohn Hans es getan hat, weiß jeder, dass sie als junge Frau wirkmächtige Kräuter nahm, die ihr der Apotheker gab – der Apotheker, mit dem sie vor ihrer ersten Ehe eine Liebschaft hatte. Weithin bekannt ist auch ihre spätere Affäre mit Jonas Zieher, dem sommersprossigen Kupferschmied, in der Zeit vor ihrer zweiten Ehe. Zieher stand neulich vor Gericht, weil er einen ehrenwerten Mann als «Gevatter des Teufels» geschmäht hatte, und musste fünf Pfennige büßen. Aber ich greife vor. Was ich sagen will, ist, dass Ursulas Bruder, der Krautkopf, mit ihr gekommen war. Er trug einen grünen Jagdumhang, seine Haltung war erbärmlich, die Wangen rot angelaufen. Hinter ihm kam, backenbärtig, der herzogliche Vogt Einhorn, zerzaust, einen gescheckten Spaniel in den Armen. Sie rochen nach Trinkerei. Zusammen sahen sie aus wie Strauchdiebe, die sich im Morgengrauen mit dem Rahm davongestohlen haben.

 

Ich weiß, Simon, Ihr werdet denken, dass es unklug ist, aber ich möchte gern etwas über Einhorn sagen, den herzoglichen Vogt, den ich lieber das falsche Einhorn nenne. Er stammt nicht aus dieser Gegend. Die wunderbare Herzogin Sybilla, möge sie in Frieden ruhen, hat ihn hergebracht. Das falsche Einhorn musste sich Sybillas Urteil in allen Belangen fügen. Aber dann ist sie so plötzlich gestorben. Der Herzog war abgelenkt davon, Soldaten zu zählen, Verträge zu unterzeichnen, Spitzenmanschetten zu ordern. Er schenkte dem, was in Leonberg geschah, keine Beachtung, und so riss das falsche Einhorn Machtbefugnisse an sich, die dem Herzog zugestanden hätten. Er begann, sich aufzuplustern. Trug sein Haar länger. Ließ sich einen neuen Kragen fertigen. Er stolzierte umher und erzählte jedem, der es hören wollte, dass er sich in Leonberg über die Maßen langweile und die Weiber in Stuttgart reizvoller seien. Ich meine, das falsche Einhorn geriert sich wie ein Fischotter im Wams.

Dieser Bericht ist für nachher bestimmt, wenn mein Prozess zu Ende ist, wie auch immer das Ergebnis.

Zu Lebzeiten der Herzogin Sybilla kamen Menschen von weit her, um ihren Medizingarten zu sehen. Er war häufig geöffnet, zum Lustwandeln oder für Festlichkeiten. Es gab Nelken und Pomeranzen und leuchtenden Huflattich gegen Husten. Es gab aromatische Wurzelstöcke fürs Zahnen, seltenes Löffelkraut. Es gab eine Sesamart, die Sybilla neben Nieswurz zog. Zusammen gebrüht, konnten die beiden Pflanzen bei mancherlei Wahnsinn helfen, das jedenfalls vermutete Sybilla. Sogar die Teufelstrompete wurde in ihrem Garten gehegt. Ich könnte fortfahren. Oft nahm ich mit Sybillas Erlaubnis Ableger mit nach Hause. Sie kannte sich aus. Ich will hinzufügen, dass sie bemerkenswertes Interesse an meiner Erforschung von Kräutern für das Antoniusfeuer zeigte. Selbst eine Bäuerin wie mich nahm sie ernst. Nicht wegen Hans. Sondern weil sie eine Gelehrte war. Sybillas Garten ist jetzt kaum mehr als ein Ziegengrab. Einhorn hat ihn vernachlässigt.

Ich verstehe, was Ihr meint, Simon. Ich will keine Feinde schaffen, wo keine sind. Aber ich berichte grundlegende und unleugbare Tatsachen über einen Mann, der beinah müßig, wie zum Zeitvertreib, mein Verfolger wurde.

 

Das falsche Einhorn fläzte sich in einen Sessel hinter dem Tisch. Er kraulte seinen Spaniel am Kinn, turtelte, lächelte. «Schon seltsam, was Gott uns alles zu tun hinterlassen hat. Aber egal, was für Fehler wir machen, am Ende wird er sie berichtigen, darum kommt es vielleicht gar nicht so drauf an, was wir eigentlich tun. Trotzdem müssen wir Miene machen, uns etwas anzustrengen, hab ich recht?» Diese Rede war an den Spaniel gerichtet. Dann blickte er auf. «Also gut. Hm. Wo war ich? Ach ja. Die Keplerin. Das seid Ihr, ja?»

Ich sagte, fürwahr, die sei ich.

«Wie mir zur Kenntnis gelangt ist, sollt Ihr Eure sehr beträchtlichen dunklen Mächte dafür benutzt haben, dass diese liebenswerte Glasersfrau» – er blickte zu Ursula hinüber, die ermutigend nickte – «ächzt, weint, zuckt, sich vor Schmerzen windet, unfruchtbar ist und gackert.»

«Kein...

Erscheint lt. Verlag 14.5.2024
Übersetzer Grete Osterwald
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Amerikanische Literatur • Astronomie • Baden-Württemberg • Dreißigjähriger Krieg • Everyone Knows Your Mother Is a Witch deutsch • Fake News • Feminismus • Feministische Literatur • Gegenreformation • Gegenwartsliteratur • Hexen • Hexenprozesse • Hilary Mantel • historienromane • Historische Bücher • historische Romane Neuerscheinungen 2024 • Historischer Roman • historischer Roman Mittelalter • Historisch Romane • Johannes Kepler • Katharina Kepler • Kräuterkunde • Mittelalter • Mittelalter Romane • Neuzeit • Pest • Philosophie • Religion • Renaissance • Roman • Romane Mittelalter • Roman historisch • Roman historisch Frauen • Tyll • Zeitgenössische Literatur
ISBN-10 3-644-04531-3 / 3644045313
ISBN-13 978-3-644-04531-6 / 9783644045316
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 7,1 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99