Märchen für große und kleine Kinder - Neuausgabe des Klassikers (eBook)

Vom Osterhasen »Purzel Weißfell« bis zur »Weihnachtsgans Auguste«

(Autor)

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2024
160 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-31849-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Märchen für große und kleine Kinder - Neuausgabe des Klassikers - Friedrich Wolf
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Friedrich Wolfs »Märchen für große und kleine Kinder« begeistern Märchenfreunde mit ihrem zeitlosen Charme seit mehr als 75 Jahren. Die fantasievollen Tiergeschichten rund um Osterhase Purzel Weißfell oder Schnurzel, das Neinchen, das immer nur Nein sagen will, bezaubern bis heute. Ohne erhobenen Zeigefinger machen die pfiffigen Tierhelden Mut zum Selbstbewusstsein und rufen auf zu Toleranz, wie die Möwe Leila und der Specht Pit Pikus, die trotz vieler Unterschiede Freunde werden. Wolfs bekannteste Erzählung »Die Weihnachtsgans Auguste« ergänzt diesen wunderbaren Geschichtenschatz zum Wiederlesen und Neuentdecken.
  • Friedrich Wolf war Schriftsteller, Arzt, Antifaschist, Kämpfer gegen den Paragraphen 218, Satiriker, Journalist und kehrte nach dem Krieg aus dem sowjetischen Asyl in die DDR zurück
  • Ein wichtiger Autor, ein wichtiges Buch - endlich wieder lieferbar


Friedrich Wolf (1888-1953) war Arzt und ein bedeutender Dramatiker und Schriftsteller. Er veröffentlichte zahlreiche Dramen, Romane, Hörspiele und Kindergeschichten. Seine Tiermärchen machten ihn zu einem der meistgelesenen Kinderbuchautoren seiner Zeit.

Das Osterhasenfell


Der Frühling war über die Erde gekommen, ein leuchtender, sonniger, bunter Frühling. Die Kinder erwarteten das Osterfest. Für die Osterhasen begannen harte Arbeitstage. Man musste Ostereier sammeln, sie färben und in den Büschen für die Kinder verstecken.

In der Familie des Osterhasen Weißfell herrschte große Aufregung. Ein Teil der Familie war während des Aprilregens erkrankt. Der alte Vater Weißfell litt an Rheuma, und das ist für einen Hasen eine besonders peinliche Sache. Mutter Weißfell musste dem ­Alten mit Huflattichblättern Kompressen machen. So blieb die ganze Arbeit, die Ostereier zu beschaffen, an dem Jüngsten der Familie Weißfell hängen, an dem Häschen Purzel.

Die Mutter Weißfell war anfangs dagegen, dass Purzel allein die Sache ausführen sollte; denn das Ganze war nicht ungefährlich. Man musste sich nachts in den Hof des Großbauern Schluckebier schleichen, dort trotz des Hundes die Eier aus dem Nest der Hennen nehmen, sie zum Hasenbau zurückbringen, färben und dann wieder als Ostereier, ganz früh am Ostermorgen, für die Kinder in einem Garten verstecken.

Der alte Weißfell krümmte sich auf seinem Lager und stöhnte, dass es einen Stein erweichen konnte. Die jungen Hasen husteten, krächzten und niesten, dass abends die Sterne am Himmel zu wackeln begannen. Auch dem Häschen Purzel kratzte es furchtbar im Halse, aber es hasste die Krankheit. Es wollte einfach nicht krank sein. Und gerade weil die Sache schwierig war, wollte es sie machen … auch ganz ­allein. Es wollte ins Freie, unter den Sternenhimmel, in die Sonne, zu den Blumen, zu den Farben. Das gefiel ihm sehr. Und was ihm so sehr gefiel, das wollte es auch tun. Das war doch ganz einfach.

So hopste denn das Häschen Purzel zwei Nächte vor Ostern zu dem Hof des Großbauern Schlucke­bier. Vor dem Stall lag an einer langen Eisenkette der Wolfshund Lux. Kaum war Purzel im Hof, so fing Lux furchtbar an zu knurren. In diesem Moment trat gerade der Mond aus den Wolken hervor. Purzel stand vor dem riesigen Wolfshund. »Solch eine Frechheit habe ich in meinem langen, zehnjährigen Leben noch nicht gesehen!«, knurrte Lux grimmig. »Da rollt so ein winziges weißes Fellknäuel nachts in meinen Hof! Hoho, auf dich habe ich grade gewartet als Dessert zu meinem Abendessen! Für dich ist grade noch Platz in meinem rechten hohlen Backenzahn!« Dabei drehte der mächtige Wolfshund seine Augen im Kreise herum wie zwei Mühlräder und sperrte sein Maul auf wie ein Scheunentor, in dem die Zähne wie scharfe Sensen blitzten. »Sprich schnell dein letztes Gebet, und dann lass dich fressen!«

»Darf ich wenigstens vorher Ihren werten Namen erfahren, mein Herr?«, sagte Purzel, um Zeit zu gewinnen, während sein Herzchen zum Zerspringen schlug. »Ich stamme nämlich aus guter Familie und möchte doch wissen, von wem ich die Ehre habe, gefressen zu werden.«

»Mein Name ist Lux, von Beruf Kettenhund! Und nun genug!«

»Mein Name ist Weißfell, Purzel Weißfell. Mein Beruf besteht in meinen Fähigkeiten: Ich kann hopsen, einen Haken schlagen, Männchen machen, im Mondschein tanzen, Klee fressen, von den Blumen farbigen Tau trinken und vor allem in der Sonne liegen.«

»Hohoho! Hauhauhau!«, heulte der alte Wolfshund da auf. »Hohoho, in der Sonne liegen und farbigen Tau trinken, tanzen und Männchen machen, das ist wohl auch ein Beruf! Wo hast du denn das gelernt?«

»Gelernt?«, fragte Purzel erstaunt. »Gelernt? Ich kann es einfach.«

»Kannst du auch knurren und bellen?«

»Vielleicht. Aber ich will es nicht. Wenn ich es wollte, würde ich es auch können.«

»Hohoho! Hauhauhau!«, krümmte sich da Lux vor Vergnügen. »Du kleiner Gernegroß, du weißer Schneeball, du Tröpfchen Mondspucke willst bellen können?!«

»Sie bedienen sich unfeiner Worte, Herr Lux«, tadelte Purzel den großen Wolfshund. »Solche Worte bin ich von zu Hause nicht gewohnt! Zudem, wie sitzen Sie denn da? Die Zunge herausgehängt wie ein wildes Untier, die Pfoten vorgestreckt, als gäbe es nur Sie allein auf der Welt, und den Rücken gekrümmt, als seien Sie ein uralter Hund von zwanzig Jahren!«

Kaum hatte Lux die letzten Worte gehört, so schloss er sein Maul, zog seine mächtigen Pfoten an seinen Leib und legte sich kerzengerade hin; denn uralt wollte er keinesfalls erscheinen.

»Sie lagen die ganzen letzten Jahre an der Kette«, fuhr Purzel jetzt fort. »Man merkt es an Ihren Manieren! Sie kennen nur Ihren Hof und Ihren Wachtdienst! Aber Sie wissen nicht, was das Leben und die Welt bedeuten, wie man sich außerhalb der Mauern Ihres Hofes gut und leicht bewegen kann. Wollen Sie bitte einen Augenblick herschauen, Herr Lux!«

Und Purzel, das Häschen, hatte schon während der letzten Worte begonnen, sich in den zierlichsten Sprüngen zu bewegen, es hopste in schwungvollen Bögen nach rechts und nach links, es machte die komischsten »Männchen« auf seinen Hinterpfoten, dann sprang es plötzlich hoch in die Luft und schoss einen Freudensprung, einen Salto mortale, einen »Purzelbaum« – wobei es exakt wieder auf sein Stummelschwänzchen zu sitzen kam –, einen ganz wunder­baren Purzelbaum! Denn gerade wegen dieser Fähigkeit hieß es ja »Purzel«. Das Ganze sah aus wie ein wilder und doch spielend leichter akrobatischer Tanz, so als wäre eine Silberkugel rasend geworden und tollte da im Mondlicht umher.

Lux, der Wolfshund, war von diesem tollen Spiel und Tanz völlig berauscht. Er schloss ein paarmal die Augen, als traue er sich nicht länger hinzusehen; dabei brummte er leise: »Aber jetzt musst du hier vom Hofe weggehen, sonst …«

»Ich muss gar nichts, Herr Lux«, flüsterte Purzel in sein Ohr. »Ich tue stets das, was mir gefällt und was mir und vielleicht auch den andern Freude macht! Das ist das heilige Gesetz des Osterhasen, verstehst du mich?«

Aber der riesige Wolfshund verstand schon gar nichts mehr. Er antwortete nicht, er hatte den Kopf auf seine Pfoten gelegt und schnarchte leise. Seine Oberlippe war hochgezogen, sodass man seine mächtigen weißen Fänge im Maul blinken sah: Dennoch schien das nicht schrecklich, vielmehr als ob er im Traum lächle.

Purzel hatte in seinem Säckchen fünfzehn blendend weiße Eier nach Hause gebracht. Der alte Weißfell und die ganze Familie besahen voller Bewunderung die Beute. Doch noch war eine große Arbeit zu tun. Die Eier mussten gefärbt und für die Kinder am ­Ostermorgen versteckt werden. Auch das hatte Purzel allein auszuführen. Die andern fürchteten nämlich, dass der Großbauer Schluckebier und der Wolfshund sich bald auf die Suche nach den geraubten Eiern machen würden. Deshalb drängten sie Purzel, dass es sich schleunigst mit den Eiern aus dem Bau entferne.

Purzel nahm sein Säckchen mit den Eiern auf den Rücken und zog wieder allein seines Wegs. Es schlug jetzt eine dem Hof des Großbauern entgegengesetzte Richtung ein. Es stieg den Berg hinan zum Holzfäller Feuerriegel, der fünf kleine Kinder, aber wenig Geld und Nahrung besaß. Die Familie Feuerriegel wohnte hoch oben am Rande einer Schlucht, am »Höllsteig«. Dort standen dunkelgrüne Tannen, wuchsen Wacholdersträucher und Heidekrautbüsche. Dort wollte Purzel die Eier für die Kinder des Holzfällers verstecken.

Zuerst aber mussten sie gefärbt werden. Woher nur die Farbe nehmen? Denn das stand für Purzel fest: toll bunt mussten die Eier werden – blau, rot, gelb und grün, richtige Ostereier! So wollte es Purzel. Und was Purzel wollte, das musste geschehen! Das war sein ­Osterhasengesetz!

Purzel hopste über die Wiesen. Es war noch früh am Morgen. Das Osterhäschen setzte sich auf sein Stummelschwänzchen und dachte nach.

»Was hast du, Purzel?«, fragte vor ihm eine große blaue Glockenblume. »Bist du traurig?«

»Ich brauche für meine Ostereier solch blaue Farbe wie das Blau deiner Blüten«, antwortete Purzel.

»Weil du’s bist, Purzel«, nickte die Glockenblume.

»Trinke meinen Tau, aber küsse mich dabei recht fest, so wirst du im Tau die Farbe meiner Blüte haben.«

Purzel nahm die Glockenblume recht zart zwischen seine Pfötchen und küsste sie lange. Da ward der Tau in dem Blütenkelch der Glocke tiefblau, und Purzel bemalte mit ihm drei seiner Ostereier.

»Dank dir, liebe Glockenblume!«, sagte Purzel. »Aber woher nehme ich jetzt die rote Farbe?«

»Komm zu mir! Komm zu mir!«, rief es von einem Feld her. Da stand in der Sonne ein erster junger Mohn. »Schau mich mit deinen Augen an, recht fest und recht lange! In deinen Augen strahlt die Sonne doppelt stark wider, und ich liebe so die Sonne!«

Purzel richtete seine Augen auf den jungen Mohn, ganz nahe senkte es seine Augen auf ihn. Da begann es aus dem Mohn wie rotes Blut zu tropfen. Und Purzel färbte fünf seiner Ostereier blutrot.

Am Bachrand standen die goldgelben, fetten Dotterblumen. Sie quollen über vor Saft. Purzel brauchte sie bloß an sich zu drücken, und sie ließen so viel goldgelbe Farbe, dass es noch fünf Ostereier in Goldgelb tauchen konnte. Die letzten zwei Eier aber färbte Purzel grün, indem es Huflattichblätter kaute und sie mit seiner grünen Zunge beleckte.

Nun war aber unbemerkt Folgendes geschehen: Das Häschen Purzel hatte jedes Mal, wenn es mit...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-641-31849-1 / 3641318491
ISBN-13 978-3-641-31849-9 / 9783641318499
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