Wir waren nur Mädchen -  Buzzy Jackson

Wir waren nur Mädchen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
528 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3546-6 (ISBN)
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Ein großer Roman nach der wahren Geschichte einer einmalig mutigen Frau.

Amsterdam, 1940: Hannie Schaft studiert Jura, und ihre Träume für die Zukunft sind ehrgeizig und voll Hoffnung. Doch es herrscht Krieg, und es sind die Träume, die zuerst sterben. Hannie sieht keine andere Möglichkeit mehr, als sich dem Widerstand anzuschließen. Und sie entdeckt ihre gefährlichste Waffe: ihr Frausein. Getarnt von Schönheit und Jugend kommt sie jenen Männern nahe, die so viel Unheil stiften - und tötet sie. Bald ist »das Mädchen mit den roten Haaren« die meistgesuchte Frau Hollands. Die Welt um sie herum verliert alles Menschliche, Hannie indes ist fest entschlossen, menschlich zu bleiben. Aber dann beginnt sie, Gefühle für den Widerstandskämpfer Jan zu entwickeln, mit verheerenden Konsequenzen ...

Die Widerstandskämpferin Hannie Schaft - eine Frau, die ihr Leben für die Freiheit aller riskierte.

»Ein brillanter Roman und ein Maßstab, um sich zu fragen, wie weit man selbst gehen würde, um jene zu schützen, die man liebt.« Jamie Ford, New-York-Times-Bestsellerautor.

 



Buzzy Jackson ist preisgekrönte Autorin dreier Sachbücher und hat an der University of California, Berkeley, in Geschichte promoviert. Sie war Stipendiatin des Edith Wharton Writers-in-Residence und ist Mitglied des National Book Critics Circle. Sie lebt in Colorado. Dies ist ihr Debütroman. Mehr unter buzzyjackson.com

Kapitel 1


Herbst 1940

Ich war nicht immer ein Einzelkind.

Auf dem angeschlagenen Waschbecken vor mir sitzt ein silberner Vogel, im Flug erstarrt, eine Silhouette wie ein Bomber, beide Flügel ausgestreckt, den Schwanz zu einer koketten Spirale gezwirbelt. Ein Spatz. Als ich das letzte Mal bei einem Konzert war, habe ich ihn getragen. Das ist Monate her.

Natürlich war es Annies Brosche. Papa hat sie ihr geschenkt, als der echte Spatz weggeflogen ist. Ich war noch sehr klein damals, etwa vier Jahre, also muss Annie neun gewesen sein. Es war nach Mitternacht, und ich schlief, als Annie mich anstupste.

»Schau mal, Johanna.« Eine Kerze in der einen Hand, deutete sie mit der anderen zum Boden neben unser gemeinsames Bett. Dort hockte ein kleiner braungrauer Vogel, der mit seinem schief gelegten Kopf aussah, als lausche er Annies Worten. Er piepste. Ich schnappte laut nach Luft, und Annie knuffte mich. »Psst!«

»Lass ihn aus dem Fenster fliegen«, sagte ich.

»Hab ich versucht«, erwiderte sie. »Aber er ist gleich wieder reingeflogen.«

Ich glaubte ihr kein Wort. Über ihre Schulter spähend, sah ich den Flaumball hüpfen und stolzieren, wobei seine winzigen Krallen leise über die Dielen kratzten. Schließlich flatterte er zum offenen Fenster und stürzte sich nach draußen. »Siehst du?«, sagte ich. »Jetzt ist er weg.«

Aber eine halbe Sekunde später tauchte der Vogel wieder vor unserem Fenster auf, flatterte panisch im Zickzack gegen die Glasscheibe, schlüpfte dann von Neuem herein, landete ungeschickt, hüpfte zu der von ihm auserwählten Stelle auf dem Boden neben unserem Bett und begann uns wieder anzupiepsen.

»Was sollen wir bloß mit ihm machen?«, fragte ich.

»Wir behalten ihn«, sagte Annie. Sie hatte auf alles eine Antwort parat.

Und wir behielten ihn tatsächlich, jedenfalls eine Weile. Als er irgendwann endgültig davonflog, schenkte Papa meiner Schwester den silbernen Vogelanstecker, ein Erbstück unserer Großmutter. Ich war eifersüchtig, aber es ergab natürlich Sinn: Mit ihrer unerschöpflichen Energie, ihrem Schwung, ihrer Neugier war Annie einem kleinen Vogel nicht unähnlich. Angeblich war unsere Oma genauso gewesen. Ein paar Monate später schenkte Papa mir dann ebenfalls einen Anstecker: einen kleinen silbernen Fuchs. Er war nagelneu.

»Mijn kleine vos«, sagte er. »Für dich.« Mein kleiner Fuchs.

»Aber ich habe doch gar keinen Fuchs gefunden«, sagte ich verwirrt. »Es ist nicht wie bei Annie und dem Vogel.« Papa lachte. »Aber du hast rote Haare, Dummchen.« Dann nahm er mich auf den Arm und vergrub das Gesicht in meinen Locken.

Zum ersten Mal verstand ich, dass zwischen der Person, als die ich mich in meinem Innern kannte, und derjenigen, die andere in mir sahen, ein Unterschied bestand.

Jetzt steck das verdammte Ding doch einfach an. Ich schnappte mir den Spatz vom Beckenrand, stieß die Nadel in das zweilagige Revers meines Wollmantels und stach mich prompt auf der anderen Seite in den Daumen. »Verdammt.«

»Genau deshalb werden unschuldige junge Mädchen vor der großen bösen Stadt gewarnt«, lachte Nellie, die gerade mit unserer Freundin Eva in die Dachgeschosswohnung hereinstolperte, die wir zu dritt teilten. »Sie flucht schon wie ein Pirat.«

»Verdammt, verdammt.« Als ich die Brosche wieder entfernt hatte, blieb ein Fleck auf dem kamelhaarfarbenen Wollstoff zurück, und ich hielt den blutenden Daumen rasch unter den Wasserhahn.

»Lass mich mal«, erbot sich Eva, die Mütterliche in unserer Gruppe. Wir waren alle drei zusammen in Haarlem auf die Schule gegangen, hatten aber keinen engen Kontakt zueinander gehabt. Nellie und Eva hatten mich ausgesucht, weil sie mich kannten – das scheue Mädchen, das jede Extraarbeit erledigte, die der Lehrer ihr auftrug, und an einem milden Frühlingstag zwei Pullover tragen musste, weil seine Mutter sicher war, dass es an einer normalen Erkältung sterben könne. Ich war nicht der Typ, der Ärger machte.

»Wo hast du den her?« Nellie hielt den Anstecker, der im schwachen Licht glänzte, in die Höhe. »Ist richtig hübsch.«

»Von meiner Schwester«, antwortete ich und nahm ihn ihr weg. »Danke, aber ich muss los, bin spät dran.«

»Entschuldige«, sagte Nellie.

»Schon gut, ich bin nur spät dran«, sagte ich, schon draußen auf dem Treppenabsatz, und machte mich auf den Weg die Treppe hinunter. Meine Wangen brannten, meine Wimpern waren nass. Annie war seit dreizehn Jahren tot. Der dumme Spatz.

Ich war Expertin darin, ein Niemand zu sein, seit Jahren hatte ich es eingeübt. So nahm ich auch an diesem Abend im großen Ballsaal der Universität den Platz ein, an dem ich mich am sichersten fühlte: ganz hinten. Um meine Hände beschäftigen zu können, nahm ich das Glas Mineralwasser, das mir angeboten wurde, und nippte daran, während der Raum sich mit Studenten füllte und ihre Gespräche um mich herum immer lauter summten. Die Mädchen im Veranstaltungskomitee des AVSV, des Amsterdamer Studentinnenverbands, strömten in ihren hübschen Kleidern durch den Eingang, ihre Stimmen eine Melodie der Begrüßung. Alle Ankommenden wurden einzeln willkommen geheißen, vor allem die Jungs, die sie beim Reden ganz zwanglos berührten, mal umarmten oder sogar auf die Wange küssten. Wie es sich wohl anfühlte, mit Jungs so entspannt umzugehen? Oder sollte ich sie Männer nennen? Sie wirkten sehr jungenhaft.

»’tschuldigung«, sagte einer gerade zu mir, ein Student, der mich auf der Suche nach seinen Freunden versehentlich angerempelt hatte.

»Kein Problem«, erwiderte ich. Wie Riesen in Kleinformat trampelten sie durch die Welt, bedenkenlos und egoistisch, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

»Hast du Feuer?«

Irritiert zuckte ich zusammen. Aber es war eine junge Frau etwa in meinem Alter. »Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte sie.

Sie war um einiges größer als ich, ungefähr eins siebzig, ihre Erscheinung ließ sie jedoch noch größer erscheinen. Glänzende braunschwarze Haare fielen ihr in perfekten Wellen über die nackten Schultern, das Mitternachtsdunkel ihrer Haare ein einziger Kontrast zum Blassblau ihres Krinolinenkleids. Ihre Augen waren dunkelbraun, fast schwarz, mit langen, geschwungenen Wimpern und einem überraschend unschuldigen Blick, ihre Lippen in einem tropischen Korallenrot geschminkt. Sie sah aus wie ein Filmstar. Ein Wunder, dass sie mich in meinem beigefarbenen Rock und meiner einfachen weißen Bluse überhaupt wahrgenommen hatte. Aber sie lächelte noch immer. Und blinzelte mich fragend an.

»Tut mir leid«, antwortete ich. »Nein.« Es tat mir wirklich leid, weil ich nicht wollte, dass sie so schnell wieder ging. Ich hatte schon versucht zu rauchen, allerdings nur gehustet. Aber jetzt nahm ich mir vor, es noch einmal zu probieren. Womöglich machte es Augenblicke wie diesen einfacher.

»Was, kein Feuer?«, fragte mein Gegenüber. »Oder keine Zigarette?«

»Beides«, sagte ich, korrigierte mich aber schnell. »Keins von beidem.«

Sie lachte, ein heller Glockenklang, freundlich, nicht im Geringsten gemein. »Philine! Hier drüben!« Sie winkte einem anderen dunkelhaarigen Mädchen, das sich einen Weg durch die Menge bahnte. Das neue Mädchen, Philine, war etwas größer als ich und etwas weniger spektakulär als ihre Freundin. Auch sie war hübsch, doch auf eine zugänglichere Art. Braune Haare, braune Augen, ein entspanntes Lächeln. Ihr Kleid sah aus, als wäre es am Saum mehrmals umgenäht und – je nach gängiger Mode – wieder ausgelassen worden. Bei meinem Rock war das Gleiche der Fall. Allerdings trat Philine genau wie ihre Freundin voller Selbstbewusstsein auf, und ich konnte sie mir beide sehr gut auf einer Kinoleinwand vorstellen. Ich hingegen würde eher für die unscheinbare, aber intelligente Freundin der Heldin vorsprechen. Die Vernünftige.

»Warum versteckst du...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2024
Übersetzer Christine Strüh
Sprache deutsch
Original-Titel To Die Beautiful
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alena Schröder • Als Großmutter im Regen tanzte • Bestseller • Historischer Roman • Liebe • Starke Frau • Stay away from Gretchen • Susanne Abel • Trude Teige • Widerstand • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-3546-8 / 3841235468
ISBN-13 978-3-8412-3546-6 / 9783841235466
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