Die Unmöglichkeit des Lebens (eBook)
350 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46444-1 (ISBN)
Als Grace, eine pensionierte Mathematiklehrerin, von einer fast vergessenen Freundin ein heruntergekommenes Häuschen auf einer Mittelmeerinsel erbt, siegt ihre Neugier. Ohne Rückflugticket, Reiseführer oder einen Plan fliegt sie nach Ibiza. Zwischen den rauen Hügellandschaften und goldenen Stränden der Insel macht Grace sich auf die Suche nach Antworten über das Leben ihrer Freundin - und das Rätsel ihres Todes. Was sie dabei entdeckt, ist merkwürdiger, als sie es sich je hätte träumen lassen. Eine Wahrheit, die unmöglicher kaum sein könnte. Doch um sich auf sie einlassen zu können, muss Grace sich erst ihrer eigenen Vergangenheit stellen. Eine Geschichte voller Wunder und wilder Abenteuer.
Ein Roman über Hoffnung und die lebensverändernde Kraft eines Neuanfangs.
'Die Unmöglichkeit des Lebens' - der neue Roman vom Autor des internationalen Millionen-Bestsellers und der TikTok-Sensation 'Die Mitternachtsbibliothek'
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 42/2024) — Platz 17
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Matt Haig, Jahrgang 1975, ist ein britischer Autor. Seine eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen sind auch stets ein zentrales Thema in seinen Büchern. Zuletzt sind von ihm das Sachbuch »The Comfort Book« sowie die Romane »Ich und die Menschen« und der Bestseller »Die Mitternachtsbibliothek« erschienen. Im August 2024 erscheint sein neuer Roman »Die Unmöglichkeit des Lebens«. Matt Haig lebt mit seiner Familie in Brighton.
Sabine Hübner übersetzt seit 1989 Sachbücher, Belletristik und Lyrik, u.a. von Mark Haddon, Michael Frayn und Edward St. Aubyn.
Bernhard Kleinschmidt studierte deutsche und amerikanische Literatur in München und den USA und hat fünf Jahre in Japan gelebt. Übersetzt hat er u. a. Dean Koontz, Jack Kornfield und Stephen King.
Thomas Mohr übersetzt seit 1988 englischsprachige Literatur, u.a. Truman Capote, Emma Donoghue, James Ellroy, Olivia Laing und Mark Twain. Für sein übersetzerisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet.
»Grandios. Ein wunderschöner Roman voll lebensbejahender Wunder und Vorstellungskraft.« – Benedict Cumberbatch
Ananas
Ein ungewöhnlicher Brief.
Der mich darüber informierte, dass mir eine gewisse Christina van der Berg eine Immobilie auf Ibiza, Spanien, vermacht habe. Diese Christina van der Berg war verstorben und hatte mir ihren irdischen Besitz hinterlassen. Zumindest einen Teil davon. Bestimmt wieder ein Betrugsversuch, dachte ich. Denn wer einmal bestohlen wurde, sieht überall nur noch Räuber und Ganoven. Aber auch ohne die Erfahrung damals mit dem Betrüger hätte ich die Vorstellung absurd gefunden, eine mir völlig unbekannte Frau könnte mir ihr Haus auf einer Mittelmeerinsel vermachen.
Erst nach einer Weile dämmerte mir die Wahrheit. Oder mit anderen Worten: Ich brauchte eine Weile, bis mir klar wurde, dass Christina van der Berg gar keine Fremde war. Jedenfalls nicht direkt. Das Problem bestand darin, dass mir ihr Name überhaupt nichts sagte. Das niederländische »van« verlieh ihm eine gewisse Grandezza, die künstlich und fremd wirkte und mich in die Irre geführt hatte.
Zum Glück enthielt das Schreiben von Nelson and Kemp Solicitors noch weitere Informationen, einschließlich der kurzen Erwähnung von Christinas Mädchennamen: Papadakis.
Der allerdings sagte mir etwas.
Christina Papadakis war kurze Zeit Musiklehrerin gewesen. Wir hatten an derselben Schule gearbeitet, nicht lange bevor ich wieder mit Karl zusammenkam. (Wir hatten gemeinsam studiert, aber ihm war es mit dem Heiraten so eilig gewesen, dass ich erst mal eine Auszeit brauchte.)
Ich muss zugeben, dass ich Christina kaum gekannt habe. Ich erinnere mich an sie als eine schöne und scheue junge Frau mit einer glamourösen Aura, etwas, das 1979 noch seltener war als heute. Sie trug Perlen und erinnerte mich mit ihren dichten Ponyfransen und dem langen dunklen Haar an die Sängerin Nana Mouskouri, nur ohne Brille. Ihr Vater war als junger Mann kurz nach dem Krieg aus Griechenland emigriert. Obwohl sie nie in Griechenland gewesen war, erschien sie mir, der Provinzlerin, als Inbegriff mediterraner Kultiviertheit. Und tatsächlich vermisste sie das Essen, das sie aus ihrer Londoner Kindheit in der griechischen Community kannte – das Wort »Halloumi« hörte ich das erste Mal von ihr. Sie aß viel Obst. Zum Beispiel hatte sie in ihrer Lunchbox fein geschnittene Ananasscheiben dabei – keine Stücke – und das beeindruckte mich jedes Mal von neuem. Einmal ging ich am Klassenzimmer vorbei, während sie »Rainy Days and Mondays« sang und die ganze Klasse ehrfürchtig lauschte. Ihre Stimme konnte sich durchaus mit der von Karen Carpenter messen (noch eine Sängerin aus grauer Vorzeit). Eine Stimme, bei deren Klang Luft und Zeit gleichermaßen stillzustehen schienen.
Jedenfalls war ich kurz vor den Weihnachtsferien einmal länger in der Schule geblieben, um eine Trigonometrie-Tafel mit Lametta zu behängen und hatte – auf der Suche nach Heftklammern – Christina an ihrem Tisch angetroffen. Sie saß einfach nur da und pulte an ihren Nägeln herum.
»Nicht!«, rügte ich übergriffig, als sei sie eine Schülerin und keine Kollegin. »Die brechen doch!« Mir gefielen nämlich ihre Nägel mit ihrem warmen Terrakotta-Ton. Aber ich bereute meine Worte sofort, als ich sah, dass sie ins Leere starrte. Ich war schon immer etwas taktlos gewesen.
»Äh, tut mir leid«, entschuldigte ich mich.
»Macht nichts«, erwiderte sie mit angestrengtem Lächeln.
»Alles in Ordnung?«
Und da schüttete sie mir ihr Herz aus. Sie war eine Woche lang nicht in der Schule gewesen, was ich kaum bemerkt hatte. Sie steckte in einer Krise. Sie hasste Weihnachten. Ihr inzwischen verschwundener Verlobter hatte ihr im Vorjahr ausgerechnet an Weihnachten einen Heiratsantrag gemacht. Da sie erst relativ kurz hier wohnte, kannte sie niemanden, und auch ihre Familie lebte weit entfernt. Also lud ich sie spontan zu Weihnachten ein.
Und sie kam. Wir schauten uns gemeinsam die Weihnachtsansprache der Queen und Goldfinger an. Später, bei Blondies Song Sunday Girl in Top of the Pops, meinte Christina, sie würde auch mal gerne vor großem Publikum singen. Wir leerten ein paar Flaschen Blue Nun, noch nie der ideale Stimmungsstabilisator, und ich entschuldigte mich, dass ich keine Ananas im Haus hatte. Wir quatschten bis tief in die Nacht.
Christina fühlte sich von allem restlos überfordert. Ein Gefühl, das auch mir inzwischen vertrauter ist als damals. Sie quälte sich mit ihrem Lehrerinnenjob und fragte sich, ob sie den falschen Beruf ergriffen hatte. Ich sagte ihr, so gehe es in Hollybrook eigentlich allen. Einmal erwähnte sie Ibiza. Wir standen kurz vor dem Beginn eines neuen Jahrzehnts. Pauschalreisen nach Spanien boomten, und sie hatte von einem neuen Hotel auf Ibiza gehört, das Sängerinnen und Musiker suchte.
Christina faszinierte mich. Ich fand sie irgendwie geheimnisvoll und stellte ihr bestimmt zu viele Fragen. Wohl typisch für eine Mathematiklehrerin. Der Wert der unbekannten Variablen muss gefunden werden.
»Ich habe das Gefühl, in mir steckt ein Leben, das nach Ausdruck verlangt, aber nicht gelebt wird.«,
Wahrscheinlich war das nicht genau ihre Worte, aber so ungefähr. Und sie fuhr fort: »Ich weiß, dass das keinen Sinn ergibt. Ich bin ja Griechin, keine Spanierin. Es gibt genügend griechische Inseln. Da sollte ich hin. Weil ich die Sprache kann. Einigermaßen. Spanisch hingegen kann ich überhaupt nicht und ich bin der Meinung, man sollte die Landessprache beherrschen, wenn man irgendwo lebt.«
»Du könntest Spanisch lernen. Wirklich. Falls du Lust dazu hast.«
»Es ergibt keinen Sinn.«
Und dann sagte ich etwas, das gar nicht zu mir passte, nämlich: »Es muss ja nicht alles einen Sinn ergeben.«
Ihre Augen leuchteten bei der Aussicht, dort einen Job zu finden, deshalb riet ich ihr, unbedingt zuzugreifen und sich nicht um das Gerede der Leute zu kümmern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das sagte, weil ich ihr eine Halskette schenkte, die ich seit meiner Kindheit besaß – und auf dem Anhänger war der Heilige Christophorus abgebildet, der Schutzpatron der Reisenden. Mir als nichtpraktizierender Katholikin war diese Kette zu sehr mit meiner Kindheit verknüpft, aber ich hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen. Es fühlte sich gut an, sie Christina zu schenken.
»Er wird dich beschützen«, meinte ich.
»Danke, Grace. Danke, dass du mir geholfen hast! Bei dieser Entscheidung.«
Irgendwann im Laufe dieses Abends sang sie Blackbird. Zuerst solo. Zwar nicht besonders weihnachtlich, aber sehr schön. Ihr bittersüßer Gesang brachte mich zum Weinen. Sie versuchte mir etwas zu vermitteln. »Man muss mit dem Song eins werden. Vergessen, dass man existiert. Von den Beatles-Songs ist das der leichteste zum Nachsingen«, ermutigte sie mich. »Na ja, nach Yesterday und Yellow Submarine.«
Wie sich herausstellte, war der Song keineswegs leicht nachzusingen. Aber wir hatten so viel Wein intus, dass es uns nicht störte.
Sie erklärte mir ihre Liebe zur Musik.
»Sie macht die Welt größer«, sagte sie, und ihre Augen schimmerten vor Rührseligkeit. »Manchmal fühle ich mich, als sei ich in einer Kiste eingesperrt, und wenn ich Klavier spiele oder singe, breche ich eine Weile aus dieser Kiste aus. Musik ist für mich wie eine Freundin, die genau im richtigen Moment ins Zimmer tritt. Ein bisschen wie du, Grace.«
Später machten wir einen Spaziergang. Einen dieser kalten Weihnachtsspaziergänge, wo man jeden Fremden anlächelt, dem man begegnet. Zumindest machte man das damals so.
Und das war’s. Es kam nicht mehr viel. Sie blieb noch ein paar Monate an der Schule, dann war sie weg. Sie besuchte mich nie mehr. Wir plauderten zwar manchmal im Lehrerzimmer, aber sie wirkte immer etwas verlegen. Ich verstand das nicht. Mir war schleierhaft, warum es dieser reizenden, talentierten Frau, die gern vor großem Publikum singen wollte, peinlich war, dass sie sich an Weihnachten Gesellschaft gewünscht hatte. Und eines Tages kam sie auf dem Parkplatz zu mir her – vermutlich unsere letzte Begegnung – und sagte leise, mit Tränen in den Augen: »Danke. Du weißt schon, für Weihnachten …«
Ich kann nicht genug betonen, für wie absolut selbstverständlich ich das gehalten hatte. Ich hatte damals nichts weiter getan, als einen Menschen an Weihnachten bei mir aufzunehmen.
Und dann, Jahrzehnte später, aus heiterem Himmel, dieser Brief. Und darin stand, dass Christina gestorben war und mir ihr Haus in Spanien vermacht hatte, für »eine liebe Geste vor langer Zeit«. Ich hatte auch das Recht, das Haus zu verkaufen oder zu vermieten, falls es für mich »nicht machbar« war, selber dorthin zu ziehen.
Ich war, gelinde gesagt, überrascht. Und hatte das Gefühl, mehr verloren als gewonnen zu haben. Eine Freundin, die ich eigentlich nie gehabt hatte, aus einer Zeit, die mir wie ein ferner Traum erschien. Ich hatte nicht vor, nach Ibiza zu ziehen. Mit zunehmendem Alter wird es immer schwerer, Muster zu durchbrechen. Und man will es auch gar nicht mehr. Meine Muster waren in der Vergangenheit mehrfach durchbrochen worden. Als ich pensioniert wurde. Als mein Mann in seinem Gewächshaus tot umfiel. Sogar als unser Hund starb, geriet ich aus dem Gleichgewicht. Und natürlich, als Daniel beim Radfahren von einem Lastwagen der Royal Post erfasst wurde.
Und jetzt, während ich mich innig nach dem alten Ehemuster sehnte, das mir damals zuviel geworden war, hatte sich ein neues Muster entwickelt. Morgens die Vögel füttern, montags Lebensmittellieferung, Freitagvormittag Ehrenamt im Charity-Shop der britischen Herzstiftung. Sonntags Friedhof. Und ewige Schuldgefühle, Trauer und Leere. Es gab nur...
Erscheint lt. Verlag | 29.8.2024 |
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Übersetzer | Sabine Hübner, Dr. Bernhard Kleinschmidt, Thomas Mohr |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Ältere Frau • Bestellerautor • buchempfehlungen romane • Die Mitternachtsbibliothek • England • es vedra • Gegenwartsliteratur • Gemeinschaft • Grace Winters • Gute Romane • Ibiza • Ibiza Roman • Inspirational • inspirierende bücher • inspirierende Romane • La Vida Impossible • Magische Bücher • magische Romane • Magischer Realismus • magischer realismus bücher • Matt Haig • Matt Haig Bücher • Mittelmeer • Nature writing • Natur Romane • Naturschutz • Neuer Roman Matt Haig • Ozean • philosophische Romane • romane über das leben • romane über natur • romane über sinn des lebens • Romane zum Nachdenken • Roman über Freundschaft • Spekulative Literatur • SPIEGEL-Bestsellerautor • The Life Impossible • Zugehörigkeit |
ISBN-10 | 3-426-46444-6 / 3426464446 |
ISBN-13 | 978-3-426-46444-1 / 9783426464441 |
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