Die glücklichen Kinder der Gegenwart -  Bettina Balàka

Die glücklichen Kinder der Gegenwart (eBook)

Gedichte und Kurzprosa
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
152 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-8423-9 (ISBN)
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Wenn heute die Finsternis abgeschafft wird ... ... wieso können wir dann im Staub nichts sehen? Wir befinden uns am Ende des Anthropozäns: Es ist die beste und die schlimmste aller Zeiten. Unter den Brücken der Selbstoptimierung haben Menschen Angst. Unter dem Vorwand der Liebe haben sie Hunger. Wir öffnen Türen, die ins Nichts führen. Locken Wölfe mit leeren Versprechen. Schwimmen im Meer ohne Anker. Bestreiten Irrfahrten, nie im Wissen, ob es die letzte ist. Suchen mit Fischernetzen in der Gischt nach Gerechtigkeit. Bettina Balàkas Lyrik setzt da an, wo wir schon aufgehört haben zu hoffen. Hier entstehen Verse, die unter die Oberfläche - durch die Zeit - dringen. The Kids Aren't Alright - aber waren sie das jemals? Sind die Phänomene, denen wir ausgeliefert sind, wirklich neue? Oder tragen sie nur ein anderes Kostüm? War es immer schon so? Wird es so bleiben? Mit den Menschen, die wie Gespenster ihre eigenen Biografien heimsuchen, reisen wir durch Portale in die Dimensionen und Gewalten unserer Gegenwart. Werfen neue Blicke auf alte Dinge, polieren blinde Spiegel. Bettina Balàka kommt ohne Plattitüden aus, fast schon knapp sind die Zeilen, die Schicht um Schicht abtragen. Am Ende bleibt der Kern, und die Autorin sammelt Zeilen, Früchte, Seelen. Schafft: Erinnerungen.

Bettina Balàka straft jede Trennung von E und U Lügen - in ihren Romanen zeigt sie, wie spielerisch man literarisches Niveau, lebendige Figurenzeichnung, Wissen und feinsinnigen Humor mit guter Dramaturgie verbinden und damit grandios unterhalten kann. Geboren 1966 in Salzburg, lebt sie als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: 'Eisflüstern'. Roman (2006), 'Schaumschluchten'. Gedichte (2009). Bei Haymon: 'Auf offenem Meer'. Erzählungen (2010), 'Kassiopeia'. Roman (2012, HAYMONtb 2013), 'Unter Menschen'. Roman (2014) sowie 'Die Prinzessin von Arborio'. Roman (2016). Neben Romanen veröffentlicht Bettina Balàka Essays zum Zeitgeschehen, zuletzt 'Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit' (Haymon 2018). Im August 2023 erscheint Balàkas neuer Roman 'Der Zauberer vom Cobenzl' bei Haymon. Mit die 'Die glücklichen Kinder der Gegenwart' wendet sich Bettina Balàka dem zu, was unser Heute prägt. Den Fluten und der Flucht, den Trümmern in und um uns. www.balaka.at

Bettina Balàka straft jede Trennung von E und U Lügen – in ihren Romanen zeigt sie, wie spielerisch man literarisches Niveau, lebendige Figurenzeichnung, Wissen und feinsinnigen Humor mit guter Dramaturgie verbinden und damit grandios unterhalten kann. Geboren 1966 in Salzburg, lebt sie als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: "Eisflüstern". Roman (2006), "Schaumschluchten". Gedichte (2009). Bei Haymon: "Auf offenem Meer". Erzählungen (2010), "Kassiopeia". Roman (2012, HAYMONtb 2013), "Unter Menschen". Roman (2014) sowie "Die Prinzessin von Arborio". Roman (2016). Neben Romanen veröffentlicht Bettina Balàka Essays zum Zeitgeschehen, zuletzt "Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit" (Haymon 2018). Im August 2023 erscheint Balàkas neuer Roman "Der Zauberer vom Cobenzl" bei Haymon. Mit die "Die glücklichen Kinder der Gegenwart" wendet sich Bettina Balàka dem zu, was unser Heute prägt. Den Fluten und der Flucht, den Trümmern in und um uns. www.balaka.at

 

 

 

PFERDESTÄRKE


VERGEBENS SPRANG ICH AUF DIE ZÜGE

und fuhr in achtzig Tagen um die Welt

ich kroch zum Mittelpunkt der Erde

und in das Herz der Finsternis hinein

Millionen hab ich schon umschlungen

und war doch immer nur allein

die Nachbarschaft kam täglich näher

und meine Wohnung wurde groß

vergebens lockte ich die Wölfe

die Schafe wurde ich nicht los

IN GROSSEN FLÄCHEN UND GEWÄNDERN

werden die Abendgeschichten hereingetragen

das Phantombrennen all

der abgetrennten Lieben

(die vor zehn Jahren verschwundene

bedarf genauso vieler Worte

wie die von letzter Woche)

das halbe Hirn sehnt sich nach Ergänzung

die linke Herzkammer

der falsche Fuß, mit dem man immer aufstehen muss

weil der andere fehlt

immer ist es das Größte und Wunderbarste

das auf den Stufen fernster Heiligtümer liegt

wenn sie nur erreichbar wären

mit ihren Teppichen, Harzen und Balsamen

wenn nur der Magen voll wäre

die Haut bestreichelt

das Ohr umsungen

dann könnte auch der Schlaf kommen

und das Sternfunkeln über der Wüste aufziehen

DER LESEHUNGER FÜHRT UNS DURCH JAHRHUNDERTE

Wale schnappen

schwarze Spinnen wuchern auf Wangen

blaue Blumen schwanken im verborgenen Gehölz

Menschen leben, lieben, leiden, sterben

und stehen wieder auf

aber wir werden nicht wieder aufstehen

wir werden rätselhafte versteinerte Knöchelchen sein

die Wale werden singen

die Spinnen weite Netze ziehen

und rote Blumen werden sich ergießen

über Ruinen und Rostkarosserien

SO KUNSTVOLL WAREN DIE SPRACHBERGE NOCH NIE

ziseliert, geschliffen, geschiefert, porös

man kann sie kaufen

in verschiedenen Ausführungen

gebrochen, gefräst, poliert

oder mit kleinen Zinnen

handlich sind sie

Bonsaigebirge für daheim

nur wenn man sie vergisst

und sich selbst überlässt

beginnen sie zu wachsen

sich an ihre innere Hitze zu erinnern

und werden wieder wild

FISCHE KRATZEN AN MEINEM BAUCH

machen Schrammen

doch es sind aufgeschnittene PET-Flaschen

in die eine Recycling-Fee

Sonnenblumen zu pflanzen versuchte

Plastikdrachen mit scharfen Rückenflossen

die sich zusammengefunden haben mit Kabelbindern

Wattestäbchen, USB-Sticks und Nummerntafeln

untergegangener Staaten

zu einem Superorganismus

mit Mündern, die an meinen Beinen knabbern

und Augen, die nichts sehen, nur schauen

während die alten Fische

zu den Stränden kommen

und an Land krabbeln wollen

sie bitten um Hilfe!

sagen die glücklichen Helfer

schneiden Netze ab, kappen Haken

und schieben die glitschigen Findlinge

zurück in die weiten, nassen Gewölbe

die ein Lärmnetz aus Bohrmaschinen

und Bootsmotoren zerdröhnt

MAN MUSS DEM KÖRPER DANKBAR SEIN

wenn er nichts krumm nimmt

und auf der direkten Route nach

Alaska verharrt

wenn er unterwegs keine Götter findet

die sagen: du hast einen Geist in der Bauchgrube

oder zumindest ein Gefühl

das dich in Zungen schluchzen lässt

wo die Robben spielen

hat man besser auch ein paar Spiele dabei

sonst kann es passieren

dass winzige Körperzellen auswandern

sich mit Bakterien verschwistern

und die Seele unter die

Eisdecke ziehen

DAS GLÜCK DER WELT

haben wir uns nicht nehmen lassen

acht Euro fünfzig sagt das Kassengeräusch

das Rascheln der Börse sagt null

neuerdings gibt es in der Stadt wieder Schlangen

anstehen um Essen

Bettler werden angebettelt

für andere Bettler zu spenden

und da stehen wir mit all unserer Bildung

Belastbarkeit, Dynamik und Flexibilität

wenn es kalt wird und rau

schlafen bei Freunden

die uns alles Glück der Welt wünschen

wenn es morgens wieder auf die Straße rausgeht

RATIONAL BETRACHTET

platzen die Wände

geborstene Rohre

kommen zum Vorschein

aus denen Gas, Wasser

Feuer und Stromschläge fließen

die Küchenzeile

gerät aus den Fugen

und Abfall, Abluft

Absonderliches quillt hoch

rational betrachtet

hält die Fliese nicht am Verputz

der Verputz nicht am Unterputz

der Unterputz nicht am Ziegel

in den Stroh hineingestopft wurde

alte Geldscheine, Kassiber

Erbbroschen und Zahngold

rational betrachtet

ist der Himmel ein Zimmer

und der Torwächterengel

ein leeres Gewand

AN EINEM SONNIGEN MORGEN IM TRAUMLAND

wenn die Otter im Tang auf dem Rücken treiben

Steine auf der Brust

gegen die sie mit Pelzfingern Muscheln schlagen

die verkrustet sind wie alte Bücher

(das Klack-Klack ein Steinbruchgeräusch

als ob Zwergenbildhauer Zwergenbüsten meißelten)

wenn die Wale in einem einzigen Ausschnauben

ganze Inseln in hundertjähriges Nieseln einhüllen

sodass den Bäumen Bärte wachsen

Zapfen, Schwämme und Eulennester

und ein Liebespaar versunken durch

den Sand stapft, gegen den Wind

gestemmt, Hand in Hand

öffnest du eine Tür

und stehst plötzlich

in einem Land voller Dürre

und Krater

und Menschenschlangen

die vorwärtsschlurfen

doch den Ausgang nicht finden

ACH IHR WELPEN

ich mach mir doch gar nichts aus euch

und auch die alten Holzhäuschen auf dem Hügel

die auf die denkbar unauffälligste Weise

renoviert werden sollen

und die Sprachgalvanik, mit der man seinen

Pfannenreis Pilaw nennt

und diese Reisen

auf denen man immer nur andere Reisende trifft

aus all dem mach ich mir auch nichts mehr

und ihr Vögel und Blumen und Verkehrsnachrichten

und Fußballspiele, Firmenfusionen

Sonnenuntergänge

im Sterben, sagt man, werden Chemikalien

im Gehirn ausgeschüttet

die wirken wie Drogen

schaltet die Geräte einfach ab

DER WERG UND DIE WEGZEHRUNG

der Berg und die Auszehrung

die Nacht und das stille Tal

das Fieber und der Krampfanfall

die langen Listen ohne Schrift

der Atem einer höhern Macht

die Arbeit und die Schrunden

das Spinnen, Singen, Kneten, Hauen

die alte gute Felsnase rinnt

die Graupelschauer dauern

von Hütte zu Hütte

ein Kind und noch ein und noch ein Kind

die Hochzeitstruhe wird verheizt

in Steinkleidung poltert man Tänze

Nacht und Stille im Erinnerungsstall

die kragenden Zacken

blinzelnden Spalten

alles in den Alpenfalten ist

wiedergängerisch, zwielichtig, kalt

keine Liebe gibt’s für euch

nur Nötigung und Not

damit die Sternlein prangen

und die Zibeben zuckrig sind

ZWANZIG JAHRE LANG

habe ich nun meinen Garten

nicht verlassen

jeden Tag nach getaner Arbeit

setze ich mich

auf irgendetwas, das schaukelt

und betrachte, was mit und ohne mein

Zutun gewachsen ist

die Sonne fließt noch einmal über den Horizont

als hätte ein großes Auge geblinzelt

und so eine Träne zerdrückt

Kirchenglocken äußern sich

mit formaler Strenge

die an den Rändern verwischt

kommt Marianne vorbei, sagt sie:

Lovelyn hat ein neues Erziehungsprojekt

ihr Mann soll „Schmutz sehen“

um ihn daraufhin entfernen zu können

es ist rührend

doch man sieht dem Ganzen

das Scheitern schon an

morgen kommen die Arbeiter

sage ich

um die periphären Unebenheiten

am hinteren Wildbach zu reparieren

der Troll, der im Schilf wohnt

pflanzt jede Nacht neue Unkräuter

ich besitze eine Präzisionswaage

mit der ich den Kies abmesse

den ich auf den Weg vom Haus

zum Niemandsland streue

wenn Geza vorbeikommt, sagt er:

meinetwegen heiraten wir eben nicht

aber zieh wenigstens zu mir

doch ich kann nicht

ich sitze hier wie gefesselt

Jahr um Jahr um Jahrzehnt

der Wind bringt den Duft von Waldboden

Ameisensäure und Pilzen

den süßen Geruch von Mist

der auf die Felder gesprüht wird

und voller unverdauter Strohstücke ist

Nebel steigt aus den Butterblumen

Grillen und Frösche rascheln mit

ihren Partituren

die Ackerwinden jenseits des Zauns

sind genauso schön wie meine

aber nicht so geheimnisvoll

ich habe eine kleine Öffnung gelassen

damit die wilden Kaninchen

ein und aus gehen können

natürlich wird sie auch

von den Füchsen genutzt

jeder will mir mal Gute Nacht sagen

ich kann hier nicht weg

ich muss Futterplätze auffüllen

Obstbäume schütteln

die alte Holzbank...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte Bettina Balàka • Das Ende des Anthropozäns • Dimensionen • Erinnerungen • fiktionale Biografien • Gedichtband • Gedichte • Gesellschaftskritische Bücher • Gesellschaftspolitisch • Ironie • Kurzprosa • Lyrik • Lyrikband • österreichische Lyrikerin • Poesie • Prosa • Rekapitulation • Selbstoptimierung • Skulpturgedichte • Was früher alles besser? • Zeit als Dimension
ISBN-10 3-7099-8423-8 / 3709984238
ISBN-13 978-3-7099-8423-9 / 9783709984239
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