Die glücklichen Kinder der Gegenwart (eBook)
152 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-8423-9 (ISBN)
Bettina Balàka straft jede Trennung von E und U Lügen - in ihren Romanen zeigt sie, wie spielerisch man literarisches Niveau, lebendige Figurenzeichnung, Wissen und feinsinnigen Humor mit guter Dramaturgie verbinden und damit grandios unterhalten kann. Geboren 1966 in Salzburg, lebt sie als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: 'Eisflüstern'. Roman (2006), 'Schaumschluchten'. Gedichte (2009). Bei Haymon: 'Auf offenem Meer'. Erzählungen (2010), 'Kassiopeia'. Roman (2012, HAYMONtb 2013), 'Unter Menschen'. Roman (2014) sowie 'Die Prinzessin von Arborio'. Roman (2016). Neben Romanen veröffentlicht Bettina Balàka Essays zum Zeitgeschehen, zuletzt 'Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit' (Haymon 2018). Im August 2023 erscheint Balàkas neuer Roman 'Der Zauberer vom Cobenzl' bei Haymon. Mit die 'Die glücklichen Kinder der Gegenwart' wendet sich Bettina Balàka dem zu, was unser Heute prägt. Den Fluten und der Flucht, den Trümmern in und um uns. www.balaka.at
Bettina Balàka straft jede Trennung von E und U Lügen – in ihren Romanen zeigt sie, wie spielerisch man literarisches Niveau, lebendige Figurenzeichnung, Wissen und feinsinnigen Humor mit guter Dramaturgie verbinden und damit grandios unterhalten kann. Geboren 1966 in Salzburg, lebt sie als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: "Eisflüstern". Roman (2006), "Schaumschluchten". Gedichte (2009). Bei Haymon: "Auf offenem Meer". Erzählungen (2010), "Kassiopeia". Roman (2012, HAYMONtb 2013), "Unter Menschen". Roman (2014) sowie "Die Prinzessin von Arborio". Roman (2016). Neben Romanen veröffentlicht Bettina Balàka Essays zum Zeitgeschehen, zuletzt "Kaiser, Krieger, Heldinnen. Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit" (Haymon 2018). Im August 2023 erscheint Balàkas neuer Roman "Der Zauberer vom Cobenzl" bei Haymon. Mit die "Die glücklichen Kinder der Gegenwart" wendet sich Bettina Balàka dem zu, was unser Heute prägt. Den Fluten und der Flucht, den Trümmern in und um uns. www.balaka.at
PFERDESTÄRKE
VERGEBENS SPRANG ICH AUF DIE ZÜGE
und fuhr in achtzig Tagen um die Welt
ich kroch zum Mittelpunkt der Erde
und in das Herz der Finsternis hinein
Millionen hab ich schon umschlungen
und war doch immer nur allein
die Nachbarschaft kam täglich näher
und meine Wohnung wurde groß
vergebens lockte ich die Wölfe
die Schafe wurde ich nicht los
IN GROSSEN FLÄCHEN UND GEWÄNDERN
werden die Abendgeschichten hereingetragen
das Phantombrennen all
der abgetrennten Lieben
(die vor zehn Jahren verschwundene
bedarf genauso vieler Worte
wie die von letzter Woche)
das halbe Hirn sehnt sich nach Ergänzung
die linke Herzkammer
der falsche Fuß, mit dem man immer aufstehen muss
weil der andere fehlt
immer ist es das Größte und Wunderbarste
das auf den Stufen fernster Heiligtümer liegt
wenn sie nur erreichbar wären
mit ihren Teppichen, Harzen und Balsamen
wenn nur der Magen voll wäre
die Haut bestreichelt
das Ohr umsungen
dann könnte auch der Schlaf kommen
und das Sternfunkeln über der Wüste aufziehen
DER LESEHUNGER FÜHRT UNS DURCH JAHRHUNDERTE
Wale schnappen
schwarze Spinnen wuchern auf Wangen
blaue Blumen schwanken im verborgenen Gehölz
Menschen leben, lieben, leiden, sterben
und stehen wieder auf
aber wir werden nicht wieder aufstehen
wir werden rätselhafte versteinerte Knöchelchen sein
die Wale werden singen
die Spinnen weite Netze ziehen
und rote Blumen werden sich ergießen
über Ruinen und Rostkarosserien
SO KUNSTVOLL WAREN DIE SPRACHBERGE NOCH NIE
ziseliert, geschliffen, geschiefert, porös
man kann sie kaufen
in verschiedenen Ausführungen
gebrochen, gefräst, poliert
oder mit kleinen Zinnen
handlich sind sie
Bonsaigebirge für daheim
nur wenn man sie vergisst
und sich selbst überlässt
beginnen sie zu wachsen
sich an ihre innere Hitze zu erinnern
und werden wieder wild
FISCHE KRATZEN AN MEINEM BAUCH
machen Schrammen
doch es sind aufgeschnittene PET-Flaschen
in die eine Recycling-Fee
Sonnenblumen zu pflanzen versuchte
Plastikdrachen mit scharfen Rückenflossen
die sich zusammengefunden haben mit Kabelbindern
Wattestäbchen, USB-Sticks und Nummerntafeln
untergegangener Staaten
zu einem Superorganismus
mit Mündern, die an meinen Beinen knabbern
und Augen, die nichts sehen, nur schauen
während die alten Fische
zu den Stränden kommen
und an Land krabbeln wollen
sie bitten um Hilfe!
sagen die glücklichen Helfer
schneiden Netze ab, kappen Haken
und schieben die glitschigen Findlinge
zurück in die weiten, nassen Gewölbe
die ein Lärmnetz aus Bohrmaschinen
und Bootsmotoren zerdröhnt
MAN MUSS DEM KÖRPER DANKBAR SEIN
wenn er nichts krumm nimmt
und auf der direkten Route nach
Alaska verharrt
wenn er unterwegs keine Götter findet
die sagen: du hast einen Geist in der Bauchgrube
oder zumindest ein Gefühl
das dich in Zungen schluchzen lässt
wo die Robben spielen
hat man besser auch ein paar Spiele dabei
sonst kann es passieren
dass winzige Körperzellen auswandern
sich mit Bakterien verschwistern
und die Seele unter die
Eisdecke ziehen
DAS GLÜCK DER WELT
haben wir uns nicht nehmen lassen
acht Euro fünfzig sagt das Kassengeräusch
das Rascheln der Börse sagt null
neuerdings gibt es in der Stadt wieder Schlangen
anstehen um Essen
Bettler werden angebettelt
für andere Bettler zu spenden
und da stehen wir mit all unserer Bildung
Belastbarkeit, Dynamik und Flexibilität
wenn es kalt wird und rau
schlafen bei Freunden
die uns alles Glück der Welt wünschen
wenn es morgens wieder auf die Straße rausgeht
RATIONAL BETRACHTET
platzen die Wände
geborstene Rohre
kommen zum Vorschein
aus denen Gas, Wasser
Feuer und Stromschläge fließen
die Küchenzeile
gerät aus den Fugen
und Abfall, Abluft
Absonderliches quillt hoch
rational betrachtet
hält die Fliese nicht am Verputz
der Verputz nicht am Unterputz
der Unterputz nicht am Ziegel
in den Stroh hineingestopft wurde
alte Geldscheine, Kassiber
Erbbroschen und Zahngold
rational betrachtet
ist der Himmel ein Zimmer
und der Torwächterengel
ein leeres Gewand
AN EINEM SONNIGEN MORGEN IM TRAUMLAND
wenn die Otter im Tang auf dem Rücken treiben
Steine auf der Brust
gegen die sie mit Pelzfingern Muscheln schlagen
die verkrustet sind wie alte Bücher
(das Klack-Klack ein Steinbruchgeräusch
als ob Zwergenbildhauer Zwergenbüsten meißelten)
wenn die Wale in einem einzigen Ausschnauben
ganze Inseln in hundertjähriges Nieseln einhüllen
sodass den Bäumen Bärte wachsen
Zapfen, Schwämme und Eulennester
und ein Liebespaar versunken durch
den Sand stapft, gegen den Wind
gestemmt, Hand in Hand
öffnest du eine Tür
und stehst plötzlich
in einem Land voller Dürre
und Krater
und Menschenschlangen
die vorwärtsschlurfen
doch den Ausgang nicht finden
ACH IHR WELPEN
ich mach mir doch gar nichts aus euch
und auch die alten Holzhäuschen auf dem Hügel
die auf die denkbar unauffälligste Weise
renoviert werden sollen
und die Sprachgalvanik, mit der man seinen
Pfannenreis Pilaw nennt
und diese Reisen
auf denen man immer nur andere Reisende trifft
aus all dem mach ich mir auch nichts mehr
und ihr Vögel und Blumen und Verkehrsnachrichten
und Fußballspiele, Firmenfusionen
Sonnenuntergänge
im Sterben, sagt man, werden Chemikalien
im Gehirn ausgeschüttet
die wirken wie Drogen
schaltet die Geräte einfach ab
DER WERG UND DIE WEGZEHRUNG
der Berg und die Auszehrung
die Nacht und das stille Tal
das Fieber und der Krampfanfall
die langen Listen ohne Schrift
der Atem einer höhern Macht
die Arbeit und die Schrunden
das Spinnen, Singen, Kneten, Hauen
die alte gute Felsnase rinnt
die Graupelschauer dauern
von Hütte zu Hütte
ein Kind und noch ein und noch ein Kind
die Hochzeitstruhe wird verheizt
in Steinkleidung poltert man Tänze
Nacht und Stille im Erinnerungsstall
die kragenden Zacken
blinzelnden Spalten
alles in den Alpenfalten ist
wiedergängerisch, zwielichtig, kalt
keine Liebe gibt’s für euch
nur Nötigung und Not
damit die Sternlein prangen
und die Zibeben zuckrig sind
ZWANZIG JAHRE LANG
habe ich nun meinen Garten
nicht verlassen
jeden Tag nach getaner Arbeit
setze ich mich
auf irgendetwas, das schaukelt
und betrachte, was mit und ohne mein
Zutun gewachsen ist
die Sonne fließt noch einmal über den Horizont
als hätte ein großes Auge geblinzelt
und so eine Träne zerdrückt
Kirchenglocken äußern sich
mit formaler Strenge
die an den Rändern verwischt
kommt Marianne vorbei, sagt sie:
Lovelyn hat ein neues Erziehungsprojekt
ihr Mann soll „Schmutz sehen“
um ihn daraufhin entfernen zu können
es ist rührend
doch man sieht dem Ganzen
das Scheitern schon an
morgen kommen die Arbeiter
sage ich
um die periphären Unebenheiten
am hinteren Wildbach zu reparieren
der Troll, der im Schilf wohnt
pflanzt jede Nacht neue Unkräuter
ich besitze eine Präzisionswaage
mit der ich den Kies abmesse
den ich auf den Weg vom Haus
zum Niemandsland streue
wenn Geza vorbeikommt, sagt er:
meinetwegen heiraten wir eben nicht
aber zieh wenigstens zu mir
doch ich kann nicht
ich sitze hier wie gefesselt
Jahr um Jahr um Jahrzehnt
der Wind bringt den Duft von Waldboden
Ameisensäure und Pilzen
den süßen Geruch von Mist
der auf die Felder gesprüht wird
und voller unverdauter Strohstücke ist
Nebel steigt aus den Butterblumen
Grillen und Frösche rascheln mit
ihren Partituren
die Ackerwinden jenseits des Zauns
sind genauso schön wie meine
aber nicht so geheimnisvoll
ich habe eine kleine Öffnung gelassen
damit die wilden Kaninchen
ein und aus gehen können
natürlich wird sie auch
von den Füchsen genutzt
jeder will mir mal Gute Nacht sagen
ich kann hier nicht weg
ich muss Futterplätze auffüllen
Obstbäume schütteln
die alte Holzbank...
Erscheint lt. Verlag | 14.3.2024 |
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Verlagsort | Innsbruck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte |
Schlagworte | Bettina Balàka • Das Ende des Anthropozäns • Dimensionen • Erinnerungen • fiktionale Biografien • Gedichtband • Gedichte • Gesellschaftskritische Bücher • Gesellschaftspolitisch • Ironie • Kurzprosa • Lyrik • Lyrikband • österreichische Lyrikerin • Poesie • Prosa • Rekapitulation • Selbstoptimierung • Skulpturgedichte • Was früher alles besser? • Zeit als Dimension |
ISBN-10 | 3-7099-8423-8 / 3709984238 |
ISBN-13 | 978-3-7099-8423-9 / 9783709984239 |
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