Die Bedeutung eines Lebens -  Rob Delaney

Die Bedeutung eines Lebens (eBook)

Über den Tod meines kleinen Sohnes | Comedian Rob Delaney schreibt über die Kraft der Liebe im Angesicht des Todes

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
220 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3183-6 (ISBN)
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»Delaneys Buch handelt letztlich von allumfassender, herzzerreißender Liebe.« New York Times Rob Delaneys Sohn Henry ist gestorben. Er war ein Jahr alt, als bei ihm ein Hirntumor diagnostiziert wurde. Delaney berichtet intim und schonungslos, was passiert ist -- von der erschütternden Krankheit über die lebendigen, körperlichen Auswirkungen der Trauer und die blinde, rasende Wut. Vor allem aber schreibt er voller Wärme über die kraftvolle, unaufhaltsame Liebe, die bleibt. Im Wahnsinn seiner Trauer setzt sich Delaney mit dem zerbrechlichen Wunder des Lebens, den Geheimnissen des Todes und der Frage nach dem Sinn für die Hinterbliebenen auseinander.  Rob Delaney hat ein Buch über das Furchtbarste geschrieben, was Eltern geschehen kann, aber gleichzeitig ist es ein Buch über das Wunderbarste, was Menschen erleben können. Ein Buch über die Liebe, die einem Leben Sinn gibt.

Rob Delaney ist ein amerikanischer Comedian, Schauspieler und Autor. Er ist bekannt als BAFTA-prämierter Co-Creator und Co-Star der Comedyserie Catastrophe, die in über 130 Ländern ausgestrahlt wird. https://twitter.com/robdelaney

Rob Delaney ist ein amerikanischer Comedian, Schauspieler und Autor. Er ist bekannt als BAFTA-prämierter Co-Creator und Co-Star der Comedyserie Catastrophe, die in über 130 Ländern ausgestrahlt wird. https://twitter.com/robdelaney

1


Ich gehe jetzt fast täglich in einem See bei uns in der Nähe schwimmen. In London gibt es überall verstreut Seen in allen Größen, und ich habe das Glück, nah genug an zweien davon zu wohnen, sodass ich nur eine kurze Strecke laufen oder mit dem Fahrrad zurücklegen muss, um in ein natürliches Gewässer einzutauchen. Mein Lieblingssee wird von der Stadt verwaltet, und wenn man an einer kurzen Unterweisung teilnimmt, acht Pfund hinblättert und eine orangefarbene Badekappe aufsetzt, darf man sich nach Herzenslust darin austoben. Der See ist ungefähr anderthalb Kilometer im Durchmesser, und drumherum stehen sowohl Plattenbauten als auch neuere, schickere Wohngebäude. Einmal flog ein Reiher mit einem toten Frosch im Schnabel über mich hinweg, während ich schwamm. Als ich nach Hause kam und meinem vier Jahre alten Sohn davon erzählte, fing er an zu weinen, denn der Frosch war anscheinend sein Freund gewesen.

Hättet ihr mir vor fünf Jahren gesagt, dass ich eines Tages regelmäßig in einem anderen Gewässer als dem Ozean schwimmen würde, hätte ich euch nicht geglaubt. Ich bin am Meer aufgewachsen und habe immer so viel Zeit wie möglich am Strand verbracht oder bin in einem Segelbötchen um die kleinen Inseln vor Marblehead, Massachusetts gesegelt. Das Meer stellte also kein Problem für mich dar, aber vor Seen und Teichen hatte ich fast mein ganzes Leben lang Angst. Ehrlich gesagt konnte ich mich nicht mal mit Schwimmbecken anfreunden.

Vielleicht weil es kein Rätsel wäre, sollte mich im Meer etwas umbringen. Die Todesursache wäre »Haiangriff« oder »von betrunkenen Jugendlichen in Motorboot erfasst und von Propeller zerfetzt«. Das wäre zwar grausam, aber direkt verständlich. Sollte ich hingegen in einem See oder Teich zu Tode kommen, hieße das BESTENFALLS, dass empfindungsfähige Ranken sich vom Grund emporgeschlängelt und um meine Beine und meine Taille gewunden hätten, um mich in die Tiefe zu ziehen, und ich nicht einmal hatte schreien können, weil sie sich mir auch um den Hals geschlungen und mir den Kehlkopf zerquetscht hätten. Wahrscheinlicher jedoch hätte der aufgedunsene Zombie-Kadaver eines ermordeten Briefträgers mir eine verrostete Handschelle um den Knöchel gelegt und mich hinabgezerrt, um sich bis in alle Ewigkeit mit mir zu vermählen.

Besser, man wusste, womit man es zu tun hatte – in meinem Fall Haie und betrunkene Jugendliche. Vermutlich dachte ich, im Meer zu sterben, wäre ganz einfach der Preis, den man zahlte, wenn man dort unterwegs war. In einem See zu sterben, bedeutete hingegen, dass man von jemandem oder etwas umgebracht wurde, dem es Lust bereitete, die gurgelnden Schreie seines Opfers zu hören.

So verrückt mein Glaubensgefüge für einen Wassertod auch war, es war meins, und ich blieb ihm jahrzehntelang treu. Ich glaubte inbrünstig daran und machte davon abhängig, ob ich schwimmen ging – oder eben nicht. Meine Frau Leah war dagegen in der Nähe zahlreicher Seen, Teiche und Flüsse aufgewachsen, und ihre Mutter hatte das Schwimmteam an ihrer Highschool trainiert. Leah schwamm überall, zu jeder Zeit. Sie ging sogar – haltet euch fest – im Winter schwimmen. Ich hatte von Leuten gehört, die das taten; zum Beispiel in Norwegen kurz ins Wasser springen, wenn direkt neben dem Loch im Eis die Sauna steht, oder ein ähnlich kurzes Eintauchen an Neujahr in Maine, wenn direkt am Ufer das Auto mit laufendem Motor und aufgedrehter Heizung wartet. Dass es allerdings Menschen gab, die im Winter regelmäßig und ohne Neoprenanzug in einem natürlichen Gewässer schwammen, war mir nicht klar gewesen. Ich war davon ausgegangen, dass man sich augenblicklich eine Bronchitis oder eine Lungenentzündung holte, wenn man sich länger als ein paar Sekunden in kaltem Wasser aufhielt, und dass man am besten vorab im Krankenhaus Bescheid gab, damit sie ein Bett bereitstellten, nur für den Fall.

Wir wohnten noch nicht lange in London, da hatte Leah bereits eine umfassende Liste der Schwimmgelegenheiten in der näheren Umgebung aufgestellt, die sowohl beheizte als auch unbeheizte Freibäder einschloss, Badeteiche, Stauseen und sogar die Themse, wenn man widerwärtig war. »Wie schön für sie!«, dachte ich. Angst hatte ich keine um sie; der aufgedunsene Briefträger wollte schließlich nur mich. Ganz allein meinetwegen wanden sich die schleimigen Ranken probehalber um Treibholz und Otter in Vorbereitung auf den Tag, an dem ich den Mut aufbrächte, in ihre trüben Schlupfwinkel hinabzutauchen. Für alle anderen war es ungefährlich, zu schwimmen, herumzuspritzen, zu »tuben« oder sich anderweitig im Wasser zu betätigen, wenn sie das unbedingt mussten.

Leah musste unbedingt schwimmen, als unser Sohn Henry erkrankte und ins Krankenhaus kam, und oft machte sie sich morgens für eine kurze Runde auf den Weg zu einem nahe gelegenen Gewässer. Sie hatte Freundinnen und Freunde, die das ebenfalls taten, und sie schloss dadurch noch mehr Freundschaften mit Menschen, die allesamt einen reizenden Eindruck machten. Durchgeknallt, aber reizend.

Leah wusste um meine panische Angst vor der Tiefe, aber aus irgendeinem Grund hielt sie es nicht für nötig, darauf bei einem erwachsenen Mann Rücksicht zu nehmen. Sie fragte mich also viele Jahre lang immer wieder, ob ich mitkommen wolle, woraufhin ich jedes Mal ein Leiden erfand, das nur durch ein sofortiges Nickerchen geheilt werden konnte. Während Henry krank war, hätte ich jede Menge andere Ausreden gehabt, jedoch keine Energie, um die richtigen Worte zu finden, und so zuckelten wir eines Nachmittags im Herbst zum Hampstead Heath, wo es einen See für Damen und einen für Herren gibt, und nahmen unseren lieben Henry und seine Lieblingspflegerin Angela mit. Angela blieb bei Henry, während Leah und ich uns nach Geschlecht trennten und den kurzen Weg zu unseren jeweiligen Seen zurücklegten. Ich zog mich in der Umkleidezone im Freien um. Es war kalt, um die zehn Grad, aber das störte mich nicht. Entschlossen schritt ich zum kleinen Steg, der in den See führte. Es war eine wunderschöne, idyllische Kulisse – für die meisten Menschen. Ich jedoch wusste, welches Grauen mich im Wasser erwartete. Ich sprang hinein – und kletterte so schnell wieder hinaus, dass es vermutlich aussah, als würde man ein Video abspielen und gleich darauf in derselben Geschwindigkeit zurückspulen. »Was für ein Scheiß«, dachte ich und rubbelte mich trocken. Ich gesellte mich zu Henry und Angela, und gemeinsam warteten wir am Ufer des anderen Sees, wo Leah gemächlich ihre Bahnen zog und es sichtlich genoss. Anders als ich, der doch beinahe vom Amphibien-Zombie-Priester unten auf dem Grund aufgefressen oder zumindest heftig attackiert worden wäre. Nie wieder, schwor ich mir.

Ein paar Monate nach Henrys Tod nahmen Leah und ich an einem Kurs teil, um unseren Tauchschein zu machen. Leah hatte das schon immer vorgehabt, und so schenkte ich uns den Kurs zu Weihnachten. Die ersten paar Stunden fanden in einem Freizeitzentrum in Soho statt. Schon komisch, was sich in einer so großen Stadt wie London alles nur ein paar Schritte von einem entfernt abspielt, zum Beispiel trauernde Eltern, die in einem alten Schwimmbad neben Theatern, Pubs und Fast-Food-Ketten ihren Tauchschein machen.

Wenn man tauchen lernt, beginnt man mit all dem Offensichtlichen: Zuerst liest man etwas darüber, dann lernt man, wie die Ausrüstung funktioniert, und schließlich, wie man mit seiner Tauchpartnerin kommuniziert. Aber man übt auch Situationen, in denen etwas schiefläuft, sei es, dass einem der Sauerstoff ausgeht oder dass man nichts mehr sehen kann, weil die Tauchmaske aus irgendeinem Grund beeinträchtigt ist. Für diese Übung sollten wir uns ohne Maske und mit geschlossenen Augen ein paar Minuten lang auf den Grund des Beckens setzen und anschließend blind wieder aufsteigen und uns in Sicherheit bringen. Bevor wir abtauchten, erklärte uns die Lehrerin, dass wir womöglich in Panik geraten wollen würden oder, ganz genau, womöglich tatsächlich in Panik gerieten. Ein paar der anderen hatten auch ganz offensichtlich Angst. Ich nicht.

Ich ließ mich die drei oder vier Meter hinabsinken, setzte mich im Dunkeln auf den Beckengrund und verspürte vieles, aber Angst zählte nicht dazu. Vor allem war mir überdeutlich bewusst, dass ich mich in einer Lage befand, die mich, sollte etwas schiefgehen, von einem Moment auf den anderen zu Henry bringen würde. Und das fühlte sich gut an. Natürlich war ich nicht allein dort unten, und es gab mehr als eine Lehrerin, die uns im Blick hatte, und ich vermute doch stark, dass sie den Anreiz hatten, ihre Schützlinge nicht sterben zu lassen, doch wenn man sich in totaler Finsternis unter Wasser befindet, ist man auf gewisse Weise allein, ob man dabei beobachtet wird oder nicht.

Mein Bewusstsein sagte mir: »Vier Meter unter der Wasseroberfläche und ohne Sicht bin ich dem Tod ein ganzes Stück näher als noch vor ein paar Minuten. Mein Sohn Henry hat das mit dem Tod schon hinter sich gebracht und ist vor Kurzem gestorben. Ich werde das Mundstück nicht absichtlich rausnehmen und eine Lunge voll Wasser einatmen, aber wenn ein um sich schlagender Schüler es mir herausreißen würde und ich mit meiner Schwimmflosse in einem Abfluss hängen...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2024
Übersetzer Corinna Rodewald
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Arbeit • Eltern • Familie • Hoffnung • Kinder • Liebe • Trauer • Verlust
ISBN-10 3-8437-3183-7 / 3843731837
ISBN-13 978-3-8437-3183-6 / 9783843731836
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